Southampton | analogo.de – Nach einem Jahr Gefängnis in Kroatien kehrte der Whistleblower Jonathan Taylor vorgestern in seine Heimat England zurück. Wie für viele Whistleblower üblich, legte Taylor Informationen über Korruption und Bestechung offen. Sein Schicksal ist, dass er ein gigantisches Bestechungs- und Korruptionssystem in der Erdölindustrie offengelegt hat, mithin einer der finanzintensivsten Wirtschaftszweige.
Als beschäftigter Anwalt des milliardenschweren niederländischen Konzerns SBM Offshore hatte Taylor detaillierte Kenntnisse über die Machenschaften. Sein Arbeitgeber kaufte sich 2014 von den Strafverfolgungsbehörden der Niederlande mit 240 Millionen Euro frei, gegenüber den Behörden Brasiliens 2015 mit weiteren 285 Millionen Euro, 2016 zahlte man nochmal 163 Millionen Dollar, 2017 folgten 238 Millionen Strafe ans US-amerikanische Justizministerium und 2018 nochmal 48 Millionen Euro an Petrobras.
Taylor ist sich sicher, dass sich sein alter Arbeitgeber nun an ihm rächt. Noch Jahre nach den geleisteten Strafzahlungen müssen sich hochrangige SBM Offshore-Mitarbeiter vor Gerichten verantworten. Also zieht SBM Offshore den Ankläger vor den Kadi in Monaco, der alten Firmenzentrale von SBM, so der denkbare Reim Taylors. Monaco ließ via Interpol nach ihm fahnden. Während eines Urlaubes mit seiner Familie in Dubrovnik/Kroatien wurde er festgenommen. Seine Familie musste alleine nach England zurückreisen.
Das war vor genau einem Jahr. Ohne Anklage saß Taylor in Kroatien in Haft. Monaco hatte Fragen, mehr nicht. Das reichte Kroatien, um das Leben des Mannes, seiner Frau und seinen drei Kindern zu zerstören. Der Oberste Gerichtshof Kroatiens entschied im Mai 2021, dass das Auslieferungsersuchen Monacos Bestand habe. Nach erheblichem Druck eines breiten Bündnisses aus NGOs und mithilfe regierungsnaher britischer Institutionen ließ ihn Kroatiens Justizminister Ivan Malenica nun ziehen.
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Taylors Dokumente zeigen, dass SBM Offshore innerhalb weniger Jahre mutmaßlich mehr als 250 Millionen US-Dollar an Bestechungsgeldern gezahlt hat. Mehr noch als SBM Offshore ist der brasilianische Konzern Petrobras involviert. Brasilien gilt als eines der korruptesten entwickelten Länder auf der Erde, nimmt Platz 105 im Korruptionsindex von Transparency International ein. Wen wundert es da, dass auch Brasiliens größte Firma metertief im Korruptionssumpf steckt?
Der unter dem Namen Petrolão bekannt gewordene Skandal bedeutet für Brasilien mehr als Wirecard für Deutschland. 1.500 Gerichtsverfahren, über 500 Durchsuchungen und Beschlagnahmungen, 200 Personen im Gefängnis. An Glenn Greenwald geleakte Informationen zeigen, dass einer der Richter Insiderinformationen nutzte, um Präsident Lula zu verhindern.
SBM Offshore ging in die Offensive und bezichtigte seinen ehemaligen Angestellten, die entlarvenden Dokumente 2012 gestohlen und drei Millionen Euro an Schweigegeld gefordert zu haben. Taylor bestreitet dies seit jeher, arbeitet er doch seit Jahren nach eigenen Angaben sieben verschiedenen Ermittlungsbehörden zu.
Taylor wird von diesem Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen unterstützt:
Access Info Europe (Spanien)
ARTICLE 19 (Großbritannien)
Baroness Kramer, Co-Chair of the All Party Parliamentary Group on Whistleblowing (Großbritannien)
Blueprint for Free Speech (Deutschland und Australien)
Centre for Free Expression (Kanada)
Eurocadres – Council of European Professional & Managerial Staff
European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF)
European Federation of Journalists (EFJ)
European Organisation of Military Associations and Trade Unions (EUROMIL)
Free Press Unlimited (Niederlande)
GlobaLeaks
Guernica 37 International Justice Chambers (Großbritannien)
Martin Bright, Editor, Index on Censorship (Großbritannien)
Mary Robinson MP, Co-Chair of the All Party Parliamentary Group on Whistleblowing (Großbritannien)
Osservatorio Balcani Caucaso Transeuropa (OBCT)
Pištaljka (Serbien)
Professor David Lewis, Middlesex University (Großbritannien)
Protect (Großbritannien)
Sherpa (Frankreich)
SpeakOut SpeakUp Ltd
The Daphne Caruana Galizia Foundation (Malta)
The Government Accountability Project (GAP) in den USA
The Platform to Protect Whistleblowers in Africa (PPLAAF)
The Signals Network (USA/Frankreich)
Transparency International – Bulgarien
Transparency International EU
Transparency International Italien
Transparency International Secretariat
Whistleblowing International Network (WIN)
Auch analogo.de unterstützte die Freilassung Taylors.
Taylor brachte noch mehr Stakeholder im Ölgeschäft in die Bedrouille. Der britische Ölkonzern BP etwa wurde mit 100 Millionen US-Dollar belangt. Zusammen mit Simon Bowers hat Martin Bright die Geschichte im Telegraph geschildert. Taylor hatte eine Recherchekooperation aus The Telegraph, Finance Uncovered, De Telegraaf und dem portugiesischen Expresso zugearbeitet.
Portugal kommt durch seine alte Kolonie Angola ins Spiel, einem Land, in dem viele Whistleblowingfälle zusammenlaufen. Die Luanda Leaks von Rui Pinto, nach denen der Fußballer Ronaldo Millionen Euros an Strafe zahlen musste, ist nur ein Fall. Die in England lebende Tochter des angolanischen Ex-Präsidenten, Isabel dos Santos, steht ganz besonders im Fokus der Staatsanwaltschaften. Sie gilt als die reichste Frau Afrikas. Angola spielte auch eine zentrale Rolle bei den Panama Papers der Süddeutschen Zeitung. Und beim Fishrot-Skandal rund um den Whistleblower Jóhannes Stefánsson spielt Angola ebenfalls eine zentrale Rolle.
SBM Offshore behauptet, keinen Einfluss auf das Auslieferungsersuchen Taylors genommen zu haben. Jedenfalls zeigen die erschreckenden Erlebnisse Taylors, wie wichtig ein etablierter Whistleblowerschutz in Europa ist. Jüngst hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mitsamt ihres Partners CSU einen Bundeskabinettsbeschluss verhindert, die von der EU vorgeschriebene Whistleblowerschutzrichtlinie rechtzeitig (bis zum 17.12.2021) in deutsches Recht umzuwandeln. Gegen den Willen der SPD nimmt Merkel ein Vertragsverletzungsverfahren der EU in Kauf. Whistleblower in Deutschland dürfen auf die nächsten Bundestagswahlen hoffen. Mit einer grünen Kanzlerin (oder last minute doch noch einem grünen Kanzler?) dürfte der Whistleblowerschutz einen großen Schritt nach vorne tun.