Panama Papers Whistleblower verklagt Bundeskriminalamt auf 14.565.000 Dollar – Geld oder Anonymität?

Berlin, Washington D.C. | analogo.de – John Doe, der unter anonymen Pseudonym auftretende Whistleblower der Panama Papers, hat das Bundeskriminalamt (BKA) vor dem United States District Court in Washington D.C. auf 14.565.000 Dollar verklagt. Fünf Millionen habe ihm das BKA bereits überwiesen, aber es sei mehr vereinbart. Berechtigterweise um sein Leben fürchtend, versucht John Doe das Bekanntwerden seiner wahren Identität zu verhindern. Im Laufe des Gerichtsverfahrens müsse er aber seine Identität preisgeben, so die Entscheidung des Obersten Richters James Boasberg, zumindest gegenüber dem Gericht und somit den Prozessparteien. John Doe beantragte vor Gericht, die Klage höchstpersönlich an den Beklagtenvertreter zuzustellen, also die Deutsche Botschaft in Washington. Das Gericht würde dies offenbar nur tun, wenn John Doe mit Klarnamen aufträte. Nun hängt die Vertragsverletzungsklage vor Gericht fest. analogo.de befragte das BKA, das Bundesgericht in Washington und Bundesministerien in Berlin zum Stand der Dinge. Der ANA LOGO Long Read.

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John Doe will bezahlt werden. Für seinen Mut, Millionen von Unternehmensdaten der in Panama ansässigen Firma Mossack Fonseca an die Süddeutsche Zeitung geleakt zu haben, und nachfolglich den deutschen Behörden zig Millionen hinterzogene Steuergelder beschert zu haben. Vor zweieinhalb Jahren waren es bereits 200 Millionen Euros, alleine in Deutschland. Weltweit dürften mittlerweile mehr als vier Milliarden Euros in Staatskassen der mehr als 80 ermittelnden Ländern gespült worden sein.

Das BKA hatte von den Panama Papers aus der Zeitung erfahren. 2016 erwiderte das BKA die direkte Kontaktaufnahme mit John Doe, der für sein Risiko als Whistleblower auch kompensiert werden wollte. Was in den USA längst ein etablierter Prozess ist, die Belohnung für das Offenlegen von schwerem (finanzinduzierten) Unrecht, bewegt sich in Deutschland immer noch in illegalen Graubereichen.

Offenbar will Deutschland hinterzogene Steuern eintreiben, geht dabei aber selber rechtswidrig vor. Die mangelnde Rechtsgrundlage für das BKA, einem Whistleblower Millionen Euros zu zahlen, stellt einen Spagat für alle da. Im BKA wird dafür niemand seinen Posten verlieren, außer vielleicht Vize-Chef Peter Henzler (dazu später). Vor allem sind es aber Whistleblower, die sich bei dem Spagat wie auf einer Streckbank fühlen müssen, auf die sie (mangels Rechtsrahmen) geschnallt werden.

John Doe ist gewarnt. Er weiß, wie Whistleblower ausgeblutet werden, bis zum finanziellen, gesellschaftlichen, professionellen, sozialen und ja, physischen Tod. Die deutsche Regierung habe im Laufe des Verhandlungsprozesses getäuscht, verschleiert, gedroht und sich einer außergerichtlichen Einigung verweigert, so John Doe in der Klageschrift.

Der hinterhältige Staat

Nach monatelangen Verhandlungen hätte er sich am 23. Juni 2017 mit den BKA-Agenten A. und R. getroffen. Man habe zwei gleichlautende Schreiben in deutscher und englischer Sprache ausgetauscht. Als Belohnung wurden festgehalten: Zehn Prozent von allen Steuereintreibungen, bei einer Einstiegsschwelle von 50 Millionen Euro. Jährliche Abrechnungen ab 2018. Als Beleg führt John Doe Vertragsdokumente mit Briefkopf von BKA-Vizepräsident Peter Henzler an, in dem der Belohnungsdeal zwar fixiert wird, Peter Henzler aber nur die deutsche Vertragskopie unterschrieb. Die englische Vertragskopie für John Doe blieb ohne Unterschrift.

Der auf Whistleblowing spezialisierte US-Anwalt Stephen Kohn meint zum Thema, Bürgerinnen und Bürger sollten das Recht haben, über Teilprozesse der Verwaltung informiert zu werden. Kohn vertrat mit seiner Kanzlei KKC den Whistleblower Bradley Birkenfeld, der der USA durch seine Offenlegung krimineller Praktiken seines Arbeitgebers, der Schweizer UBS Bank, 780 Millionen Dollar in die Kassen spülte, dennoch aber für mehr als drei Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde. Kohn erwirkte eine Entschädigung in Höhe von 104 Millionen Dollar.

Nun, das sind die Methoden der Regierungen, wenn sie Steuern eintreiben. Nicht zuletzt wegen multiplen Rechtsunsicherheiten bei allen Beteiligten lassen die Behörden in Washington D.C. und Berlin John Doe am langen Arm verhungern. Ginge John Doe zu einer Anwaltskanzlei wie KKC oder Constantine Cannon, müsste er spätestens dort seine Identität preisgeben. Ob er dies nicht tut, weil er – wie Birkenfeld – höchstpersönlich bei den Betrügereien seines Arbeitgebers involviert war? Mangelnder Whistleblowerschutz und faktisch verweigerte Straffreiheit sind die größten Hürden für eine stärker verbreitete Zivilcourage.

Birkenfeld beschreibt in seinem Buch Lucifers Banker Details der korrupten Justizsysteme in der Schweiz, in den USA und anderswo. Nicht anders läuft es bei Justiz und Exekutive in Deutschland. Obwohl das BKA für eindeutig zuordenbare Steuerstraftaten anfänglich fünf Millionen Euro zahlte, so John Doe, habe es verhindert, dass er nach der Überweisung auf das Konto zugreifen konnte. Erst als John Doe mit der Presse drohte (die bis dahin noch nichts von dem BKA-Deal wusste), hätte das BKA das Geld auf eine Weise überwiesen, dass das Geldabheben auch funktionierte.

Seitdem wartet John Doe aber auf die Überweisung des vertraglich vereinbarten Restgeldes. Die deutschen Behörden (wer auch immer zuständig ist), sollen ihm zufolge 14.565.000 US-Dollar zusätzlich auszahlen. Bei von John Doe angenommenen 195 Millionen Euro „Steuermehreinnahmen“ und einer Schwelle von 50 Millionen Euro, ergibt das 14,5 Millionen Euro (195 ./. 50 = 145 x 10% = 14,5). Die ersten fünf Millionen seien separat verhandelt worden, als Anfangszahlung, damit das BKA auf die Panama Papers zugreifen könne.

René Vorspohl, ein Sprecher des BKA, teilte analogo.de auf Anfrage mit, dem BKA lägen bislang keine offiziellen Informationen zu einer in den USA anhängigen Klage vor. Aus diesem Grund könne das BKA dies auch nicht kommentieren. Ebensowenig wollte das BKA preisgeben, wie die tatsächliche erfolgte Geldübergabe an John Doe technisch vonstatten ging.

Entreißen des schützenden Schleiers der Anonymität 

Dann lässt das BKA eine interessante Aussage folgen: Der Behörde sei nicht bekannt, welche Person sich hier als angebliche Quelle der Panama Papers ausgegeben habe. Diese Aussage mag nicht verwundern, tritt John Doe ja ausdrücklich anonym auf. Das neue Whistleblowerschutzgesetz in Deutschland (HinSchG) anerkennt ja ausdrücklich an, dass Whistleblower anonym bleiben dürfen. Nur wie mit ihnen umgehen, wenn sie für ihre Hinweise Geld bekommen wollen, wenn sie außerdem von keiner Anwaltskanzlei vertreten werden, an die man die Belohnung treuhänderisch überweisen könnte? Ganz zu schweigen vom absurden Ansinnen, den Steueranteil von der gezahlten Belohnung ordnungsgemäß verbuchen zu können.

Der Klageschrift ist zu entnehmen, dass sich John Doe und das BKA angeblich frühzeitig darauf geeinigt hatten, dass alle ausgehandelten Beträge „nach Steuern“ zu betrachten sind. Das BKA hatte sogar eine deutsche Steueridentifikationsnummer für den anonymen John Doe einrichten lassen, um von den geleisteten Zahlungen automatisch Steuern abzuziehen. John Doe habe vom BKA trotz mehrfacher Nachfrage nie einen schriftlichen Nachweis über den Betrag der fälligen und gezahlten Steuern erhalten.

In Washington bewilligte Richter Boasberg John Does Wunsch, zumindest der Öffentlichkeit gegenüber anonym bleiben zu dürfen, da John Doe glaubhaft machen konnte, wie wichtig die Anonymität für den Erhalt seines Lebens ist. Die Panama Papers waren ein langwirkender Tsunami, der sich vom zentralamerikanischen Panama über den Pazifik und Atlantik über die ganze Erde ausbreitete. In Deutschland legte er die verdeckende Vegetation diverser CDU-Politiker frei.

Helmut Linssen (CDU), ein elitärer Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen, versteckte ebenso Geld in Panama wie CSU-Pate Eduard Lintner (CSU), der sich für seine Aserbaidschan-Connections unter anderem der auf Geldwäsche spezialisierten Danske Bank bediente. Mitunter legen Tsunamis auch (Korruptions-) Sümpfe trocken. Die von Panama ausgehenden Tsunamis rollten auch vernichtend über Russland, weswegen John Doe dem Spiegel in einem verschlüsselten Interview sagte, die russische Regierung wolle seinen Tod.

Wer Kriminellen auf die Finger schaut, muss mit Gegenwehr rechnen. Ist der Kriminelle ein Staat, wird der Whistleblower rasch selber zum Kriminellen erklärt. Je drastischer die Versäumnisse des Staates, desto stärker werden die Whistleblower verfolgt. Vielleicht ist das der Grund für den mangelnden Respekt der deutschen und amerikanischen Behörden, John Does Klagerecht nicht zum Zuge kommen zu lassen.

Rechtsstaatliche Deals vs. Hinterzimmerdeals

Doch heißen Staaten aus reiner Gier Whistleblowerinformationen immer stärker willkommen. Es springt viel für sie dabei heraus. Offiziell hatte John Doe natürlich Hehlerei betrieben, indem er rechtswidrig Besitz von Fossack Monsecas Unterlagen ergriff und diese 2017 an das Bundeskriminalamt (BKA) weiterverkaufte.

Seit ungefähr zehn Jahren hat auch die Bundesrepublik Deutschland eine neue Einnahmequelle entdeckt: Den Ankauf von gestohlenen Finanzdaten und -informationen. Das Diebesgut kauft man gerne an, denn man verdient daran. Der Unterschied zwischen Deutschland und Russland ist in diesem Sinne nicht wirklich groß. Zur Staatsräson beider Staaten gehört das explizite Dealen mit Diebesgut. Auch die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC belohnt regelmäßig Whistleblower mit Millionenbeträgen, die rechtswidriges Verhalten offenlegen. Erst vor fünf Wochen schüttete die Securities and Exchange Commission (SEC) wieder einen Hundertmillionendollarbetrag aus, dieses Mal 104 Millionen für sieben Whistleblower.

Die glorreichen Sieben informierten die SEC, und die SEC bedankte sich. Nur der Öffentlichkeit sagt die SEC nicht, wer die Schurkenfirmen sind, die im Hintergrund mit mehrfachen Strafbeträgen sanktioniert werden, und von dessen Strafbeträgen man die Whistleblower bezahlte. Im Falle John Doe läuft es anders. Bislang hat Deutschland noch kein Whistleblowerbelohnprogramm wie die USA. Das BKA zahlte zwar (angeblich) die ersten fünf Millionen an John Doe, dies war aber ein willkürlicher Betrag ohne Gesetzesgrundlage. Kein Wunder also, dass sich auf Seiten der deutschen Regierungen niemand so richtig für die Zahlungen an John Doe zuständig fühlen will.

Einer der großen Behörden-Player in Deutschland ist das Hessische Finanzministerium. Nicht nur ist es der räumliche Nachbar des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden, sondern es überblickt auch die Geldströme der Finanzhauptstadt Frankfurt. analogo.de schickte dem Hessischen Finanzministerium Auszüge der Klageschrift und stellte Fragen.

Erst vor ein paar Wochen ließ das Ministerium verlautbaren, dass es nicht nur die Daten der Pandora Papers gekauft hatte, sondern dass das Bundesland Hessen auch die Panama Papers federführend für die Steuerbehörden in Deutschland auswerte. Die Pandora Papers enthalten unter anderem Hinweise auf die Briefkastenfirmengeschäfte des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky und vom Model Claudia Schiffer.

Ralph-Nicolas Pietzonka, der Pressesprecher des Hessischen Ministeriums der Finanzen, schreibt analogo.de, man könne zu der Klage nichts sagen. Da der Ankauf der Panama-Papers-Daten federführend durch das Bundeskriminalamt erfolgt sei, könne man dort vielleicht eher Auskunft geben.

Täuschen & Tarnen – die krummen Methoden in Berlin & Washington

Hessen schaltet auf den Dreiaffen-Modus: Nichts Falsches sagen, nicht Falsches hören, nichts Falsches sehen. Bedeutet für uns: Mal sehen, was Berlin sagt. Wir versorgen die Chefbehörde des BKAs, also das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) mit einem Auszug der Klageschrift und fragen nach. Sonja Kock, Pressesprecherin des BMI zu analogo.de, beim BMI lägen bislang keine offiziellen Informationen über eine in den USA anhängige Klage gegen die Bundesregierung im Zusammenhang mit den sogenannten Panama Papers vor. Aus diesem Grund könne das BMI hierzu keine Stellung nehmen.

Da auch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) von nichts wusste, versorgen wir die Chefbehörde der Deutschen Botschaft in Washington, also das Bundesaußenministerium Annalena Baerbocks (Bündnis90/Die Grünen), mit einem Auszug der Klageschrift und fragen nach. Adriana Evers, Sprecherin des Auswärtigen Amtes, schreibt analogo.de, dem Amt seien lediglich Medienberichte über die Klageschrift bekannt. „Eine Zustellung konnte bisher nicht festgestellt werden.“ Man würde aber nicht wollen, dass analogo.de diese Information publiziere.

Das sind die Methoden der Bundesregierung, wenn es Steuern eintreibt. Wenn Behörden einerseits Journalisten mit Informationen versorgen, ihnen dann aber einen Maulkorb verpassen wollen, dann sagt der normale Menschenverstand, dass etwas faul ist.

Also fragten wir beim US-Gericht nach. Der oberste Richter des District Court for the District of Columbia, James Boasberg, mithin einer der führenden Richter bei den laufenden Anklagen gegen ex-US-Präsident Donald Trump, hat sich den Fall persönlich vorgenommen. Wenig überraschend kann uns Richter Boasbergs Pressesprecherin, Lisa Klem, nicht bestätigen, dass die Klage ordnungsgemäß an die Deutsche Botschaft übermittelt wurde.

Wir befragten ebenfalls John Doe persönlich (seine Emailadresse war der Klageschrift zu entnehmen), er antwortete aber nicht.

In der Klageschrift behauptet Jon Doe außerdem, das BKA habe seine Sicherheit gefährdet, als er Anfang 2017 nach Deutschland gereist war, um mit dem BKA weiter zu verhandeln. Das BKA hätte ihn gezwungen, selber für die Miete seines Aufenthaltsortes aufzukommen. Dass aktiver Whistleblowerschutz in Deutschland noch lange nicht den Status von aktivem Zeugenschutz hat, zeigt, wie besessen Politik & Behörden in Deutschland auf den Ertrag von Steuereintreibungen schauen und dabei die Menschen verbrennt, die die Steuereintreibungen erst möglich machten.

Die Hinterzimmerdeals der deutschen Regierungslandschaft zeigen sich auch im Begründen des BKAs, John Doe nur einen Bruchteil des verhandelten Geldes überweisen zu wollen. Man habe nur 13,5 Millionen Euros an Steuern eintreiben können, so das Argument des BKA gegenüber John Doe am 09. April 2021, sagt John Doe. Komisch, zeitgleich publiziert das in der Recherche zu den Panama Papers führende Internationale Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ), Deutschland habe bereits 195,7 Millionen US-Dollar eingenommen.

analogo.de meint:

Die Politik sollte es den Behörden einfacher machen und – wie in den USA – ein ordentliches  Whistleblowerbelohnprogramm aufsetzen. Wie beim Vorbild des SEC Programms könnte die zuständige Behörde die Namen der Whistleblower verschweigend schützen. Eine ordentliche gesetzliche Grundlage und ein offizielles vom Parlament abgesegnetes Budget wäre das Ende der elenden Hinterzimmerdeals, bei denen sich auch nicht zuletzt Polizisten und Finanzamtsmitarbeiter mies vorkommen müssen.

Ein Peter Henzler bräuchte kein Risiko mehr einzugehen, aus demselben Grund wie der ehemalige Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, angeklagt zu werden. Wegen dessen Ankauf von Steuer-CDs prüfte die Staatsanwaltschaft eine Anklage wegen Beihilfe zur Hehlerei. Die Begründung der zahlreichen Anzeigen gegen den SPD-Politiker lautete, der Ankauf der CDs sei eine nicht vom Landtag genehmigte Ausgabe.

Nach der Einführung des ersten deutschen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) vor zwei Monaten wäre – im Sinne der Demokratie – ein offizielles Whistleblowerbelohnprogramm der nächste wichtige Schritt in Richtung Rechtschaffenheit, Transparenz und (Steuer-) Gerechtigkeit. Dahingegen ist es im Sinne des Whistleblowerschutzes höchste Zeit, dass Politik, Behörden und Justiz die Notwendigkeit wahrer Anonymität für Whistleblower anerkennen und dementsprechend Recht und berufliche Praxis anpassen. Im vorliegenden Falle würde es eben nicht heißen: Geld oder Anonymität.

Sitz des United States District Courts in Washington D.C. Bildrechte: AgnosticPreachersKid via Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0 – unverändert
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