44 deutsche Whistleblower spielen der USA Millionen ein – Deutschland geht leer aus

Washington D.C., Berlin | analogo.de – In 44 Fällen gaben deutsche Staatsbürger letztes Jahr Hinweise an US-amerikanische Behörden, weil sie in Deutschland keiner anhörte, als sie auf Unrecht im Finanzsektor oder anderen Sektoren hinweisen wollten. Deutsche sind damit zahlenmäßig auf Platz 2 der aus Sicht der USA ausländischen Whistleblower. Das ist eines der sensationellen Ergebnisse des 2019er Berichtes zum Whistleblowerprogramm der Börsenaufsichtsbehörde SEC. Lediglich die Bevölkerungsgruppe der Kanadier gab der SEC mehr Tipps zu Korruptionsfällen als Deutsche. Die Deutschen teilen sich Platz 2 mit den Briten. Wie Whistleblower großzügig belohnt werden, weil sie den US-Behörden in vier Jahren zu 2,623 Milliarden Dollar verhalfen, berichteten wir hier. Fälle werden von spezialisierten Anwaltskanzleien geprüft und vorgebracht, Whistleblower bleiben anonym, und der Fall wird öffentlich gemacht. 2,623 Milliarden Dollar, solche Beträge könnte auch das Bundesministerium für Finanzen einnehmen. Noch geht Deutschland leer aus.

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Wenn es um das Geschäft der Korruption geht, steht Deutschland ärmeren Schwellenländern kaum nach. Der Wirecard-Skandal ist nur ein aktueller Beleg dafür, dass die Dimensionen der Korruption hierzulande viel größer sind als beispielsweise in den Ländern Afrikas.

Nicht selten sind deutsche Banken und Versicherer am Geschäft beteiligt, wenn der Exportbronzeweltmeister Deutschland auf Globalisierung macht. Weil die deutsche Firma Fresenius Medical Care (FMC) über fast zehn Jahre in den verschiedensten Ländern gegen das Korruptionsgesetz FCPA (Foreign Corrupt Practices Act) verstieß, zahlte Fresenius letztes Jahr freiwillig 231 Millionen Dollar an SEC und Justizbehörden. Und erhielt dafür das Zepter der Unverschämtheit deutscher Wirtschaftsmacht.

Die Deutsche Bank zahlte letztes Jahr 16 Millionen Dollar an die SEC, wie könnte sie auch außen vor bleiben? Auch die Commerzbank zahlte an die SEC, und die Allianz wurde für unsaubere Geschäfte in Indonesien belangt. Whistleblowerenthüllungen deckten weiterhin Korruption, Insidergeschäfte etc. von diesen europäischen Firmen auf:

Großbritannien: GlaxoSmithKline, Barclays, AstraZeneca, Royal Bank of Scotland

Niederlande: VimpelCom, Royal Dutch Shell, Koninklijke Philips Electronics

Russland: JSC VTB Banks, Mobile TeleSystems

Frankreich: Société Generale, Sanofi, Total

Schweiz: Credit Suisse, Novartis AG

Belgien: Anheuser-Busch

Schweden: Telia, Ericsson

Norwegen: Statoil ASA

Italien: ENI S.p.A.

Estland: Tallinex

Polen: Biomet

Doch wenn Fresenius & Co. wegen Korruption Federn lassen, profitiert davon bislang der amerikanische Staatshaushalt. Voraussetzung dafür ist, dass die deutsche Firma an der US-Börse gelistet ist.

Wer aber in Deutschland als Whistleblower auf Missstände im Finanzsektor hinweist, wird meistens gefeuert, geächtet und verliert seine Gesundheit. Behörden und Justiz zerstören meistens das Leben der mutigen Hinweisgeber, wie der Fall von Margrit Herbst zeigt. Herbst war diejenige Frau, die in Deutschland den BSE-Fall ins Rollen brachte. In den USA dagegen werden Leute wie Herbst ausgezeichnet. Ein Auszeichnungsdokument der SEC sieht folgendermaßen aus: 2020.09.30 SEC Whistleblower award proceeding 34-90054

Die in den letzten vier Jahren in die Kassen der Bundessteuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) gespülten 2,623 Milliarden Dollar basierten auf 1.159 Fällen. Innerhalb der USA verzeichneten die Behörden letztes Jahr 3.262 Tipps, Beschwerden und Angaben (engl. TCRs), aus anderen Ländern insgesamt 479 TCRs.

Bei 44 Fällen waren Deutsche involviert, bei 44 Fällen britische Bürger, 22 mal waren es Russen, 20 mal Südafrikaner, 13 mal Niederländer, und ein einziger Fall nur war 2019 aus Österreich zu berichten. Dass von Schweizern nur vier Hinweise kamen, könnte dem Ende des Schweizer Bankgeheimnisses geschuldet sein – oder ein Signal dafür sein, dass die Druckmechanismen innerhalb von Schweizer Banken noch intakt sind.

In seinem Buch Luzifers Banker beschreibt Bradley C. Birkenfeld, wie er das Schweizer Bankgeheimnis zerstörte. Birkenfeld ist stolz darauf, 25 Milliarden Dollar zurück in die Kassen des eigenen Landes gespült zu haben, nachdem er das Gangstertum seines Arbeitgebers UBS Group und anderer Banken aufdeckte.

Eine der führenden ‚Gangster‘, wie Bradley Birkenfeld zu sagen pflegt, ist die Deutsche Bank. Seit dem Jahre 2000 zahlte die Bankgruppe in diversen Kontexten mindestens 18 Milliarden US-Dollar an Strafen. Zur verurteilten Bankgruppe gehören dabei die Deutsche Bank Securities, die DB Group Services UK, DB Structured Products, Deutsche Asset Management, Deutsche Investment Management Americas, der Deutsche Bank Trust Co. America, die Deutsche Bank Americas Holding Corp., die Deutsche Bank Energy Trading LL oder die Deutsche Bank Suisse SA.

Immer wieder treibt es Angestellte der Deutschen Bank um, die Korruption und Unrechtstaten im eigenen Konzern aufzudecken. Dafür gibt es eine interne Whistleblowing-Richtlinie, die wir vor fünf Jahren exklusiv – und zeitgleich mit dem SPIEGEL – veröffentlichten. Diese damals illegale Whistleblowing-Richtlinie der Bank war analogo.de zuvor geleakt worden.

Bei der Umsetzung der EU-Whistleblowerschutzrichtlinie in deutsches Recht kann Deutschland das erfolgreiche System der USA kopieren. Eine umfassende Expertise dafür wurden allen Bundestagsabgeordneten, den Bundesministerien Wirtschaft und Justiz sowie 500 Pressevertretern in einer gemeinsamen Aktion von analogo.de, Whistleblowing International, dem National Whistleblower Center, Kohn, Kohn & Colapinto LLP und dem European Center for Whistleblower Rights zur Verfügung gestellt. Hier stellen wir die Expertise zur Ansicht: 2020.08.11 Memorandum EU Directive Implementation KKC

Auch der Umwelt verschaffte die SEC großen Nutzen, indem sie durch Whistleblowerenthüllungen auf Meeresverschmutzungen aufmerksam gemacht wurde. Die Fälle wurden gemäß dem Act to Prevent Pollution from Ships behandelt. Reedereien aus den folgenden europäischen Staaten konnten überführt werden: Zypern, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Malta, Portugal und Sweden.

Der Fall von Meeresverschmutzungen zeigt, wie eigentlich jeder vom Whistleblowing profitiert. Die Umwelt durch den Abschreckungseffekt auf Reeder, der Staat durch Mehreinnahmen, die Investoren durch Rückerstattung von Geldern und nicht zuletzt Whistleblower durch ein Auszeichnungsentgelt und die ihnen bewahrte Anonyomität.

Noch fließt Whistleblowergeld nur ins US-Staatssäckel. Bildrechte: Maklay62 auf Pixabay 1428594_1920
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