HUK-Coburg zur Zahlung von zweimal Fahrt- und Hotelkosten für Ersatzfahrzeugbeschaffung verurteilt – Amtsgericht Kiel

Kiel, Coburg | analogo.de – Der Haftpflicht- und Kaskoversicherer HUK-Coburg hat in Kiel vor Gericht eine epochale Niederlage erlitten, die für die Verkehrsversicherungsbranche wegweisend werden könnte. Nach Urteil des Kieler Amtsgerichts wurde der Versicherer verpflichtet, nach einem Totalschaden für die Wiederbeschaffung eines Autos zweimal die Fahrt- und Hotelkosten zu tragen. Die Wiederbeschaffung erfolgte einige hundert Kilometer vom Wohnort des Betroffenen entfernt. Mit der ersten Fahrt wurde das Auto noch nicht erworben, sondern nur begutachtet. Die HUK-Coburg ist seit Jahren dafür bekannt, bewusst Rechtslage, Rechtsprechung und allgemeine Schadensersatzgrundsätze zu negieren. Trotz ihrer wegweisenden Urteilsschärfe verwundert daher auch die neueste Rechtsprechung kaum. analogo.de berichtet:

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Unfallverursacherin und Unfallopfer waren beide bei der HUK-Coburg versichert. Die Unfallverursacherin hatte ihre Schuld zugegeben, der Fall schien eindeutig. Der Geschädigte verkaufte sein verunfalltes Auto und wollte sich ein neues Fahrzeug zulegen. Da die Suche nach einem gleichwertigen Ersatzfahrzeug regional erfolglos blieb, schaute sich der Kläger überregional um. Rund 300 Kilometer vom Unfallort entfernt – in Cloppenburg – fand sich ein mögliches Ersatzfahrzeug.

Ein Mietwagen diente dem Kläger dazu, das potentielle Ersatzfahrzeug zweimal zu besuchen. Zunächst um es zu besichtigen, und – nach Klärung der Finanzierung – es zu kaufen und abzuholen. Die HUK-Coburg weigerte sich, die Kosten für Hotel und Fahrt zu erstatten. „Da kann man sich ja ein neues Auto in Timbuktu kaufen“, so ein ins Sarkastische abgleitender HUK-Anwalt während der Verhandlung.

Das Gericht urteilte am 11. Oktober 2019 (Az. 122 C 31/19), dass die HUK-Coburg beide Male Fahrtkosten zu tragen habe. Dazu Richter S. Otto:

„Das Gericht erachtet Fahrten von insgesamt 1.243 Kilometer für erforderlich. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Kläger das Autohaus zweimal aufgesucht hat. Es war dem Kläger nicht zuzumuten, ohne das Fahrzeug gesehen zu haben, für den eventuellen Fall eines Kaufes zur sofortigen Übernahme des Fahrzeugs die Finanzierung zu klären und Überführungskennzeichen zu besorgen. Erforderlich scheinen auch die Fahrten zum Finanzierer und zur Zulassungsstelle. Die Nutzung der Bahn zur Fahrt zur Abholung des neuen Pkw war dem Kläger nicht zuzumuten. Er hat glaubhaft dargelegt, dass dies umständlich, zeitaufwendiger und unsicherer gewesen wäre, als die Fahrt mit dem Pkw.“

Die Nutzung der Deutschen Bahn und seiner Tochterzuggesellschaften nach Cloppenburg ist tatsächlich so unattraktiv und teuer, dass ein Mietwagen in jeglicher Hinsicht die bessere Option war. Vorteilhaft für den Käufer war die Möglichkeit, das angemietete Auto nahe des Kaufortes zurückgeben zu können.

Die HUK-Coburg musste aber auch die Übernachtungskosten tragen, denn dem Kläger konnte aufgrund von Rückenproblemen nicht zugemutet werden, an einem Tag 300 Kilometer hin und weitere 300 Kilometer zurück zu fahren. In der Tat sind 600 Kilometer auf Deutschlands stauverseuchten Autobahnen mitunter eine Ganztagesunternehmung. Richter Otto dazu:

„Erforderlich scheint im Hinblick auf die Rückenprobleme des Klägers auch das 2-malige Übernachten, allerdings wäre die gewählte Vier-Sternekategorie ebenso wenig erforderlich gewesen wie das Frühstück. Das Gericht schätzt die erforderlichen Kosten auf 2 x 50,00 €, insgesamt also 100,00 €.“

Der Geschädigte machte glaubhaft, kein Smartphone zu besitzen und bei stärkstem Regen und Dunkelheit adhoc kein Hotel in Cloppenburg gefunden zu haben. Im nahen Oldenburg wurde er trotz Weihnachtsmarktszeit und demzufolge voller Hotels fündig. Er hielt an einem Hotel an der Straße an, welches voll belegt war. Hier erhielt der Geschädigte den Tipp, in einem Viersternehotel könnte es noch Zimmer geben. Dem Geschädigten gelang es dort, die Kosten für ein Zimmer auf 110 Euro herunterzuhandeln. Richter Otto wollte die 110 Euro allerdings nicht anerkennen, und drückte sie auf 50 Euro, mithin der Preis für ein Jugendherbergszimmer.

Ist das Zusprechen der niedrigsten Übernachtungsqualität das Verständnis von Würde, welches in Deutschland Geschädigten zugesprochen wird, während in den USA Würde- und Gesundheitsverluste teilweise mit Millionenbeträgen gesühnt werden? Der im ersten Moment erscheinende großzügige Urteilsspruch outet sich als kleinbürgerliches und obrigkeitshöriges Verständnis von Würde. Der finanzkräftige Versicherer soll Geld sparen dürfen, während der finanzarme kleine Mann abgespeist wird.

Auch beim Restwert bockt die HUK-Coburg

Ein weiteres Kuriosum in diesem Fall war die Weigerung der HUK-Coburg, die Differenz zwischen Restwert und Gutachterpreis zu regulieren. Während der Gerichtsverhandlung schüttelt selbst der HUK Anwalt den Kopf, die HUK wäre hier von Anfang auf der Verliererstraße gewesen. Dennoch verweigerte die HUK dem Geschädigten die Regulierung, und schliff ihren Kunden in einen fast einjährigen Rechtsstreit. Normalerweise wird zunächst ein Sachverständigengutachten erstellt. Dann wird versucht, einen höchst möglichen Verkaufspreis zu erzielen. Da es sich hier um einen Totalschaden handelte, wurde – wie im Gutachten vermerkt – nicht mehr als 350 Euro geboten. Der Gutachterwert wich somit um mehr als 2.000 Euro vom Restwert ab. Die Differenz muss in der Regel der Haftpflichtversicherer leisten. Süffisanterweise legte die HUK-Coburg später ein zu 350 Euro höheres Restwertangebot vor, aufgrunddessen man dem Geschädigten nur die Differenz zwischen Gutachtersumme und dem zeitlich späteren HUK-Restwertangebot erstattete, anstatt der Differenz zwischen Gutachtersumme und und dem zeitlich früheren Restwertangebot, welches der Gutachter einholte. Also zwang die HUK den Geschädigten, sich die Differenz von 857 Euro einzuklagen.

Doch Richter Otto ganz souverän:

„Der Kläger hat einen Anspruch auf einen restlichen Wiederbeschaffungsaufwand von 857,00 €. Hier ist ein Abzug wegen des Verstoßes der Schadenminderungspflicht bei der Veräußerung des verunfallten Fahrzeugs nicht vorzunehmen. Dabei kann dahinstehen, ob der Restwert tatsächlich 1225,00 € statt realisierter 350,00 € betrug, da ein Verschulden des Klägers bei der Veräußerung nicht vorliegt. Er hatte keinen Anhaltspunkt dafür, dass der vom Sachverständigen mitgeteilte Wert unrichtig sein könnte. Die Auffassung der Beklagten ist ihm erst nach der Veräußerung bekannt geworden. Dass er über eigene Sachkunde verfügte, ist nicht ersichtlich.“

Wie Autovermieter abzocken

Der große Gewinner des Falls ist übrigens der Autovermieter Starcar. Dem Geschädigten stand gesetzlich ein Unfallersatzfahrzeug zu. Da die HUK dem Geschädigten vor Anmietung mitteilte, nur einen festen Satz von maximal 46 Euro all-in pro Tag zu zahlen, ließ sich der Geschädigte vor Anmietung von Starcar bestätigen, dass Starcar nicht mehr als diesen Betrag gegenüber der HUK abrechnen dürfe. So weit, so bestätigt. Als der Vermieter mit seinem Wagen zur Übergabe auftaucht, ist die Überraschung groß. Die beiden Starcar-Verkäufer übergeben kein gleichwertig großes Auto (Ford Focus), sondern einen dicken BMW. Der Geschädigte unterschreibt auf einem mitgebrachten Tablet den ‚Mietvertrag‘, sieht hier aber nicht, wie hoch der Mietpreis ist. Der Preis sei ja mit der Dame von Starcar abgesprochen, so der Verkäufer zum Geschädigten. Bei 15 Miettagen hätte Starcar maximal 690 Euro abrechnen dürfen. Eingereicht und reguliert wurde aber ein frecher Betrag von 1.500 Euro. Später gibt Starcar an, der Geschädigte solle sich keine Gedanken machen, Starcar habe ein ‚Abkommen‘ mit der HUK-Coburg.

Was die anderen mit dem Fall verdienten

Der Fall zeigt, dass sich andere Stakeholder prächtig die Taschen füllen, indem ein Geschädigter wegen – mit Verlaub – relativen Peanuts klagt. Der Streitwert bei Gericht lag bei 1.900 Euro (alle Zahlen gerundet). Man bedenke: Der Wert des verunfallten Autos als Wiederbeschaffungswert lag bei 2.900 Euro. Der Kläger erhielt seine 2.900 Euro, brauchte dafür aber ein Jahr. 350 Euro erhielt der Kläger davon als Restwert, 1.130 Euro zugesprochen vom Richter und den Rest zahlte die HUK freiwillig. Immerhin. Also:

Der Gutachter verdiente: 600 Euro

Der erste Autovermieter für Unfallersatzfahrzeug = Mietwagen verdiente: 370 Euro. 350 Euro (bezahlt durch HUK)

Der zweite Autovermieter für Unfallersatzfahrzeug = Mietwagen verdiente: 1.500 Euro (bezahlt durch HUK) 

Der Anwalt des Klägers verdiente: wohl weit über 1.000 Euro (bezahlt durch HUK und Rechtsschutzversicherung des Klägers) 

Der Anwalt der HUK verdiente: wahrscheinlich nicht viel weniger als Anwalt 1  (bezahlt durch HUK)

Das Gericht verdiente: 570 Euro

Tankstellen verdienten: 150 Euro

2 Hotels verdienten: 225 Euro

Ämter verdienten: 120 Euro u.a. für Ummeldekosten

Während das Gericht dem Kläger also nach einem einjährigen Rechtsstreit fehlende 1.150 Euro zusprach, verdienten andere Interessensvertreter in Summe mindestens 5.550 Euro an Klage und Ersatzwagenbeschaffung. Den Löwenanteil holte sich der Autovermieter Starcar. Herzlichen Glückwunsch an Starcar.

Und Herzlich Beileid an die Bürger des Rechtswegestaates, in dem sie zwar Recht bekommen, dieses Rechtbekommen aber mindestens fünfmal so viel kostet wie der beklagte Schaden groß ist (5.550 Euro : 1.150 Euro = 5). Größter Verlierer sind die HUK-Coburg und der Geschädigte, welchen die HUK-Coburg wegen 1.150 Euro fast ein Jahr lang vor den Kadi zog, während sie dem ‚Vertragspartner‘ Starcar anstandslos 1.500 Euro überwies. Aber auch der Rechtsanwalt des Klägers hatte Mühe, seine Ansprüche bei der Rechtsschutzversicherung des Klägers, der ARAG, geltend zu machen.

Den Rechtsweg im Rechtswegestaat sollte man sich gut überlegen. Bildrechte: stevepb auf Pixabay 1044172_1920
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