Fishrot Whistleblower und Altruist

Windhoek, Reykjavik, Kiel, Berlin, Washington | analogo.de – Für Jóhannes Stefánssons Gesundheit besteht große Sorge, denn es gab bereits Anschläge auf sein Leben. Wenn er außerhalb Islands reist, braucht er Leibwächter. „Wenn wir damit sterben, dann sterben wir damit, wir werden bis zum Ende kämpfen“, sagt er mir. „Es war nie vorgesehen, dass ich überlebe.“

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Stefánsson wurde in Reykjavik, Island, geboren, eine Gegend, die viele Amerikaner als beliebten Zwischenstopp für Flüge nach England kennen. Stefánssons Mutter starb 2016 an Alzheimer. Sein Vater ist mit 82 Jahren noch „ziemlich frisch“, so Stefánsson. Seine Eltern lehrten ihn, Menschen immer zu respektieren und nie zu diskriminieren. Er wurde dazu erzogen, freundlich zu Menschen zu sein und andere nicht auszunutzen, und das ist der Hauptgrund, warum er seine Hinweise gab und zu einem Mann wurde.

Als er aufwuchs, war Stefánsson gut in der Schule, gab aber zu, dass er „ein bisschen wild“ war. Mit 12 Jahren begann er zu arbeiten, zunächst in einer Autowerkstatt und dann in einer Fischfabrik. 1991, im Alter von 18 Jahren, ging Stefánsson als Austauschschüler nach Panama, was er als „fantastische Erfahrung beschrieb, ich liebte das Land und die Leute.“ Als er nach Island zurückkehrte, verbrachte er ein Jahr an einer Universität und setzte seine Karriere in der Fischereiindustrie fort. Stefánssons Vater hatte 40 Jahre lang auf Fischfang-Schiffen gearbeitet, und Stefánsson folgte seinem Vater in dieselbe Branche.

Stefánsson verbrachte mehrere Jahre auf Fischtrawlern und in fischverarbeitenden Betrieben. Im Jahr 2007 begann er für Islands größtes Fischerei- und Fischverarbeitungsunternehmen Samherji zu arbeiten. Stefánsson ist der archetypische nordische Mann, blass, mit hellen Augen und von großer Statur. Er wuchs in einer isländischen Kultur auf, die daran glaubt, gegenseitig auf sich und das Drumherum aufzupassen. Er machte sich diese Eigenschaften zu eigen und machte dank einer charismatischen Persönlichkeit bei Samherji schnell Karriere. Er wurde als solch wertvoller Mitarbeiter angesehen, dass er 2013 zum Geschäftsführer ernannt wurde.

Samherji kontrolliert einen beträchtlichen Teil der isländischen Fischfangquote und betreibt viele Gefrieranlagen und Fischtrawler sowie Fischfabriken. Es hat auch umfangreiche Interessen in Übersee, einschließlich Großbritannien, den USA und in der ganzen Welt.

Samherji besaß große Trawler, die weltweit stationiert waren, in denen Fischfangquoten zu erhalten waren. Fischfangquoten sind ein Mittel, mit dem viele Regierungen den Fischfang regulieren. Die Regulierungsbehörde legt artspezifische zulässige Fangmengen fest, typischerweise nach Gewicht und für eine bestimmte Zeit. Quoten können in der Regel gekauft, verkauft oder geleast werden. Die ersten Länder, die individuelle Fangquoten einführten, waren in den späten 1970er Jahren die Niederlande, Island und Kanada.

Ein Schiff von Samherji konnte 35.000 bis 45.000 Tonnen Fisch pro Jahr verarbeiten. Samherji wies Stefánsson an, Märkte zu finden, auf denen sie Fangquoten für ihre großen Schiffe kaufen konnten.

Stefánsson sagte: „Bei der offiziellen Korruption geht es im Grunde darum, es geht um diesen großen Zugang zu den Fischfangquoten durch diese Korruption mit gut vernetzten Geschäftsleuten und den Politikern. Normalerweise sind es die Einheimischen in den Ländern, die die Fischereirechte innehaben, die die Fangquoten bekommen und an Firmen wie Samherji verkaufen. Fischereirechte sollten nicht Politikern zufallen.“

2011 war Stefánsson Geschäftsführer in Walvis Bay, Namibia, und leitete das Tagesgeschäft für Samherji. Samherjis Trawler fingen eine Makrelenart namens Trachurus capensis (cape horse mackerel), einen „proteinarmen Fisch, der für Menschen mit geringem Einkommen auf dem afrikanischen Markt verkauft wird.“

Laut Stefánsson geht eine Tonne dieses gefrorenen Fisches für 850 Dollar auf den Markt. Die Politiker und korrupten Geschäftsleute verkauften die Quote an Samherji für vielleicht 250 Dollar. Wenn die Politiker also Zugriff auf 10.000 Tonnen hatten, dann verkaufen sie es an Samherji für 250.000 Dollar pro Tonne, was 2,5 Millionen Dollar (für zehn Tonnen) macht. Samherji zahlte 2,5 Millionen Dollar an die Politiker. Samherji geht dann zum Fischen, Verarbeiten und Einfrieren der Makrele, die sie für $850 verkaufen (auf dem Markt für insgesamt $850.000).“

Es ist ein schneller Verkauf für die Politiker und korrupten Geschäftsleute, die Stefánsson als Haie bezeichnet, weil sie nur eine Fangquote besitzen. Ein Gewinn von 600.000 Dollar pro zehn Tonnen geht an Samherji, den sie aus dem Land transferieren, keine Steuern zahlen und nichts im Land lassen.

Ein weiterer Aspekt, der Stefánsson störte, war, dass Samherji 2011 versprochen hatte, eine Fischverarbeitungsanlage auf namibischem Boden zu bauen. Das Unternehmen sagte, es würde Arbeitsplätze schaffen und der Wirtschaft helfen, verzögerte aber immer wieder den Bau. Das brachte ihn fünf Jahre lang in eine unangenehme Lage, da er das Versprechen im Namen des Unternehmens abgab. Es schien, dass Samherji über die Anlage gelogen hatte.

Stefánsson wusste, dass die Säcke voller Geld, die er den namibischen Politikern gab, Bestechungsgelder waren, auch wenn sie nicht so genannt wurden. Die Geschäftsleute, mit denen er verhandelte, hatten keine Vorkenntnisse oder Erfahrungen mit Namibias Fischereiindustrie, bevor sie ihre Beziehung zu Samherji aufbauten. Was sie an Samherji verkauften, war der Zugang zur politischen Macht in Namibia. Stefánsson stellt fest, dass „Samherji alles tut, was nötig ist, um an die natürlichen Ressourcen anderer Nationen heranzukommen. Das Unternehmen täuscht und macht leere Versprechungen, alles um diese Ressourcen auszubeuten. Sie zögern nicht, Bestechungsgelder einzusetzen und das Gesetz zu brechen, damit sie so viel Geld wie möglich aus dem Land holen können und nichts als verbrannte Erde und Geld in den Taschen einer korrupten politischen Elite zurücklassen.“

Im Juli 2016 erkannte Stefánsson, dass es große Konflikte mit Samherji gab. Ihm war klar, dass die Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe falsch waren und dass Samherji nicht nur Namibia, sondern auch Stefánsson betrog, da er jahrelang im Urlaub ohne Bezahlung  gearbeitet hatte.

Stefánsson teilte Samherji mit, dass er gehen würde. Die Firma bat ihn mehrmals, nach Island zurückzukehren, weil sie sich Sorgen um seine altruistischen Gefühle gegenüber dem namibischen Volk machten. Er „hielt Samherji hin“, während er Informationen auf 5 Festplatten, bestehend aus 38.000 E-Mails, sowie Memos, Fotos und Videos von Samherji herunterlud.

Stefánsson wusste immer, dass er mit den Informationen an die Öffentlichkeit gehen musste. Er hatte gesehen, wie das Korruptionssystem wuchs und immer größer wurde. Namibia war ein junges Land, das seine Unabhängigkeit von Südafrika im Jahre 1990 erlangte. Es verfügt über reiche Ressourcen, aber Samherji verwüstete die Wirtschaft. Jeder fünfte Namibier lebt in Armut und die Arbeitslosenquote liegt bei 33 Prozent. Stefánsson wusste, dass korrupte Politiker und Geschäftsleute mehr als 10 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern angenommen hatten. Er wusste auch, dass weitere Millionen aus dem Land gebracht und durch Banken gewaschen wurden, hauptsächlich durch Filialen der Den norske Bank (DnB). Samherji benutzte Zypern, Großbritannien, Mauritius, Dubai, Island, Norwegen, Namibia, Polen und US-Banken, um das Geld über private Bankkonten zu waschen. Stefánsson wurde klar, dass über 650 Millionen Dollar gewaschen wurden.

Der Schweizer Banken-Whistleblower Bradley Birkenfeld (WNN-Whistleblower der Woche, 28.09.2020) sagte: „Meine Bank, die UBS, hat über die Jahre unzählige Bußgelder wegen Verstößen gegen Wertpapier- und Steuergesetze in Japan, Deutschland, Italien, Kanada und anderen Ländern bezahlt, und trotzdem waren sie noch im Geschäft – warum? Niemand geht ins Gefängnis, und die Bank stellt einen Scheck aus und zieht von dannen.“ Stefánsson bemerkte, dass die Den norske Bank dem von Samherji gewaschenen Geld einen Hauch von Glaubwürdigkeit verlieh.

Zwischen Juli 2016 und 10. Januar 2017 hielt sich Stefánsson in Südafrika auf. Er heuerte Leibwächter an, weil die Drohungen gegen ihn aufgrund seines Wissens über tiefe und weit verbreitete Korruption zunahmen. Der namibische Geheimdienst und die südafrikanische Mafia schienen hinter den Drohungen und einer Reihe von Entführungsversuchen zu stecken. Einmal konfrontierten Stefánssons Leibwächter fünf bewaffnete Männer. Es wurde versucht, die Leibwächter zu bestechen, und deren Familienmitglieder wurden bedroht. Es wurden Gerüchte verbreitet, Stefánsson sei Alkoholiker und drogenabhängig, was beides nicht stimmte.

Kurz nachdem er einen Aufhebungsvertrag mit Samherji unterschrieben hatte, glaubt Stefánsson, zuerst in einem Hotel in Südafrika vergiftet worden zu sein. Er hat das starke Gefühl, dass Samherji von dieser ersten Vergiftung und den nachfolgenden Versuchen Kenntnis hatte. Stefánsson litt unter den Auswirkungen der Vergiftung: Zusammenbruch, Verwirrung, körperliche Qualen und ein entsetzlicher Durst. Er erfuhr auch von der Planung eines „Anschlags“ auf ihn und beschloss, Südafrika im Januar 2017 zu verlassen. Stefánsson fühlt, dass er heute nur dank der Leibwächter, die ihn in dieser Zeit umgaben, am Leben ist.

Nach seiner Rückkehr nach Island kontaktierte Stefánsson WikiLeaks und versorgte sie mit Tausenden von Dokumenten, die WikiLeaks unter dem Codenamen „Fishrot“ veröffentlichte. Stefánsson lieferte auch Informationen an Al Jazeera, die auf der Grundlage der Fishrot-Akten den Film „Anatomy of a Bribe“ drehten und erfolgreich eine eigene Undercover-Operation durchführten.

Als Reaktion auf die Anschuldigungen, die Stefánsson öffentlich machte, veröffentlichte Samherji eine Erklärung, in der die Firma ihn beschuldigte. Samherji sagte, dass Stefánsson hinter den angeblichen Bestechungsgeldern stecke und Samherji von jedweder Korruption nichts gewusst habe. Obwohl Stefánsson zugab, Teil des Bestechungssystems zu sein, zeigten Aufzeichnungen, dass er nie die Kontrolle über die Bankkonten hatte, über die das Geld floss. Die angeblichen Bestechungen liefen noch drei weitere Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen weiter.

Körperlich ist Stefánsson gebrochen, und er hat deutlich an Gewicht verloren. Er hat das Gefühl, dass sein Körper nicht richtig funktioniert, und es „sind Rasierklingen in seinem Blut“. Er leidet unter ständigen Schmerzen, Zittrigkeit, Schwindelgefühlen und Einschränkungen für sein Leben, und kann aufgrund der Auswirkungen der möglichen Vergiftung nicht arbeiten. Aber wenn man Stefánsson fragt, ob es sich gelohnt hat, antwortet er: „Es hat sich definitiv gelohnt, denn der Gerechtigkeit wurde gedient.“ Er weigert sich, als Opfer dargestellt zu werden, und sagt: „Ich war ein Teil davon, ich laufe nicht vor meiner Verantwortung davon. Ich habe die Arbeit im Namen der Firma gemacht.“

Auf die Frage, warum er der Einzige war, der bei Samherji ausgepackt hat, antwortet Stefánsson: „Ich wollte das nicht auf dem Gewissen haben. Ich wollte nicht Teil (eines Systems) sein, welches die Einheimischen betrügt. Ich hatte angefangen, für ihre Interessen zu kämpfen, noch bevor ich (Namibia) verlassen hatte. Wir sind alle gleich, aber die Leute von Samherji schauten auf die Menschen in Namibia herab. Die leitenden Führungskräfte waren arrogant und respektlos. Ich kam aus einem guten Elternhaus und wurde richtig erzogen. Mir wurde beigebracht, dass wir alle gleich sind.“

Stefánsson erklärte, dass sein Vater stolz auf ihn ist, auch wenn es Stefánsson seine Ehe und Gesundheit gekostet hat. Er hat kein Vermögen und hat alles verloren. Seine ehemalige Firma hat ihn angeschwärzt, aber Stefánsson denkt nicht an das, was er verloren hat, sondern denkt an die Herausforderung einer Lösung. Er will „für die Menschen in Afrika kämpfen, für eine Veränderung in Afrika kämpfen“. Er erinnert an das Leid der Menschen in Namibia, weil ihre Wirtschaft von korrupten Politikern, Geschäftsleuten und einem globalen Konzern ausgesaugt wird. Die Auswirkungen dieser Korruption auf die Menschen in Namibia sind verheerend, mit hoher Arbeitslosigkeit, verlorenen Häusern und Selbstmorden.

Stefánsson sieht sich nicht als Held, sondern nur als jemand, der „das Richtige“ tun wollte. „Es ist“, sagt er, „eine erstaunliche Geschichte, und wir sind immer noch dabei, sie zu schreiben.“ Stefánsson wird bei seinen zukünftigen Besuchen in Namibia auf Sauerstoff angewiesen sein. Er wird bei der Vorverhandlung im April aussagen und der Prozess wird einige Monate später folgen. Er hofft, genug Geld für Reise und Behandlung in einer medizinischen Einrichtung in Deutschland zu sammeln, eine Einrichtung, die auf die Behandlung von Vergiftungsopfern spezialisiert ist.

Derzeit laufen strafrechtliche Ermittlungen in drei weiteren Ländern, und die Fishrot-Ermittlungen stehen im Zusammenhang mit siebenundzwanzig Ländern. In seinen Gebeten ist Stefánsson dankbar. Er ist dankbar, dass er überlebt hat und dankbar, dass er einen Unterschied in der Welt gemacht hat.

Spenden für Stefánssons medizinische Versorgung kann man auf dieser GoFundMe Seite.

Dieser Artikel von Gastautorin Jane Turner erschien zuerst in englischer Sprache auf Whistleblower Network News. Beiträge von Gästen geben grundsätzlich die Meinung der jeweiligen Autoren wieder und sind nicht die Meinung von analogo.de.

Jóhannes Stefánsson in Island. Bildrechte: Jóhannes Stefánsson
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