WikiLeaks Whistleblower Jóhannes Stefánsson gewinnt Göteburger WIN WIN Nachhaltigkeitspreis – 100.000 Euro für Mut und Selbstlosigkeit

Göteburg, Reykjavík, Windhoek | analogo.de – Der Isländer Jóhannes Stefánsson hat heute den Göteburger WIN WIN Nachhaltigkeitspreis 2021 gewonnen. Im Original heißt der Preis WIN WIN Gothenburg Sustainability Award, und er gilt als der führende globale Nachhaltigkeitspreis. Mit der Siegesprämie von einer Million schwedischen Kronen ist er auf alle Fälle auch einer der hochdotiertesten Nachhaltigkeitspreise.

Wie die Preisverleiher mitteilen, habe Jóhannes Stefánsson bewiesen, dass auch Individuen durchaus Korruption bekämpfen können. Mit seinen Enthüllungen hochkorrupter Geschäftspraktiken rund um Fischfangquoten in Namibia und Angola hat Stefánsson nicht nur Minister ins Gefängnis gebracht, sondern auch eine ganze Industrie umgekrempelt. Eine Industrie, die bislang auf der Basis organisierter Kriminalität Erträge erwirtschaftet.

Wie es der Zufall will, finden die ersten gerichtlichen Vorverhandlungen in Namibia ab morgen statt. Für die Regierungspartei SWAPO steht viel auf dem Spiel. Selbst Präsident Hage Geingob steht jetzt im Verdacht, verwickelt zu sein.

Korruption ist eines der größten Hindernisse für eine globale nachhaltige Entwicklung. Sie trifft die Schwächsten der Welt am härtesten und hat negative Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes sowie auf den Planeten selbst, so die Kommission. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IMF) gehen durch Korruption jährlich vier Billionen US-Dollar verloren. Die Kosten zum Erreichen aller globalen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung bis zum Jahre 2030 könnten damit bezahlt werden.

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In der Regel tragen Whistleblower die Risiken ihrer Enthüllung. Im Falle Stefánsson sieht es so aus, dass er sogar vergiftet wurde. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends, die medizinische Behandlung in einem europäischen Krankenhaus steht bevor.

Trotz Belästigung, Nachstellung, Bedrohung und wahrscheinlicher Vergiftung kämpft Stefánsson weiter gegen Korruption. Wie im Falle Wirecard kommen im Wochenturnus neue Unglaublichkeiten ans Tageslicht. Stefánssons Kampf dauert nun schon fünf Jahre.

Zwischen 2011 und 2016 hatte Stefánsson eine führende Position im isländischen Fischereiunternehmen Samherji inne. Nach einiger Zeit wurde Stefánsson gewahr, dass sein Unternehmen in weit verbreitete Korruption verwickelt war. Alle möglichen Entscheidungsträger in Namibia, aber auch in Angola, hielten die Hand auf, wenn es um die Zuteilung von Fischereirechten ging.

Die Fischfanggründe vor der Küste Namibias sind sehr fischreich, weil Meeresströmungen nährstoff- und sauerstoffreiches Wasser nach oben befördern. Über die Nahrungskette von Phytoplankton zu Zooplankton und schließlich zu Fischen erklärbar, wimmelt es vor der südwestafrikanischen Küste von Fischen. Ein lukrativer Markt für die weltweiten Fischfangflotten.

Vom Fischerboot auf die internationale Bühne

Früher war Stefánsson eine echter Fischermann. Irgendwann einmal stieg er bei Samherji auf, mithin das größte Fischereiunternehmen Islands und sogar eines der größten in Europa. In der Westshara, also dem von Marokko annektierten Wüstenstreifen südlich Marokkos, sammelte Stefánsson viel Erfahrung. In leitender Position waren seine Einsatzorte Laâyoune und Dhakla. Die dortigen Fischgründe sind ähnlich reich an Fischen aller Art.

Von der Westsahara ging Stefánsson nach Namibia. Als sich nach einigen Jahren immer mehr Bilder zusammenfügten, welches Ausmaß hier Korruption und die damit verbundenen finanziellen Verbrechen hatten, verließ Stefánsson seine Firma aus Protest. Für ihn waren doch sowieso diejenigen Menschen auf der Verliererstraße, die sowieso nichts besitzen. Und nun wurde er gewahr, wie systematisch sich Parteifunktionäre, Minister und andere Einflussreiche auf Kosten ihrer armen Mitbürger bereicherten.

Stefánsson dazu: „Normalerweise sind es die Einheimischen in den Ländern, die die Fischereirechte innehaben, die die Fangquoten bekommen und an Firmen wie Samherji verkaufen. Fischereirechte sollten nicht Politikern zufallen.”

Samt tausender Dateien auf seinem Computer verließ Stefánsson seinen langjährigen Arbeitgeber Samherji. Im Jahr 2019 veröffentlichte WikiLeaks die ersten Unterlagen. WikiLeaks ist eng mit Island verbunden, Stefánsson ist Isländer, die Wege waren kurz.

Die Enthüllungen bekamen einen Namen: Die Fishrot Files. Der katarische Sender Al Jazeera nahm sich der Dokumente an, schickte verdeckte Journalisten nach Afrika, um teilweise mit versteckten Kameras Minister und andere Offizielle der Korruption zu überführen.

Al Jazeeras Video schlug ein wie eine Bombe. Kurz vor den Wahlen ausgestrahlt, entfaltete das Video seine Wirkung. Im November 2019 erlitt die allmächtige Partei Namibias, die SWAPO, bei den Präsidentschafts- und Nationalversammlungswahlen zum ersten Mal seit 30 Jahren herbe Rückschläge. Später bei den Regionalrats- und Stadtratswahlen verlor die SWAPO in vielen Wahlkreisen im ganzen Land ihre gewohnte Mehrheit an die Oppositionsparteien – dank Fishrot und Jóhannes Stefánsson.

Trotz Wahlverlusten bleibt die SWAPO am Steuerknüppel der Macht, ebenso wie die deutschen Regierungsparteien CDU und CSU, denen die systemisch immanenten Korruptionsfälle ihrer Vertreter zwar zusetzen, sie aber nicht von der Macht abbringen.

Für die SWAPO wird die Luft dünner, und Fishrot war ein großer Katalysator für diese Entwicklung – auf dem Weg zu mehr Demokratie. Im Sommer dieses Jahres wird Stefánsson aller Wahrscheinlichkeit – und sofern es seine Gesundheit erlaubt – zu Gerichtsprozessen nach Namibia reisen.

Seine eidesstattlichen Erklärungen gab er bereits in den Botschaften Namibias in Berlin und London zu Protokoll. Die Aussagen liegen analogo.de vor. Für allerhand Verantwortliche steht viel auf dem Spiel, nicht nur in Afrika, sondern auch in Island.

Während die Aufklärungen in Namibia längst begonnen haben, fährt Stefánssons alter Arbeitgeber Samherji schwere Geschütze gegen seinen früheren Mitarbeiter auf. Denn auch für Samherji wird die Luft dünner, und wie bei einer Spitze des Eisbergs warten noch viele Details darauf, aufgearbeitet zu werden.

Angesichts der Entbehrungen, die Stefánsson seit Jahren erleidet, ist der Preis von umgerechnet rund 100.000 Euro ein wertvolles Trostpflaster. In einem Jahr, in dem laut EU-Vorgaben in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union ein neues Gesetz für den Schutz von Whistleblowern erlassen werden muss, sind 100.000 Euro für Mut und Selbstlosigkeit ein mutmachendes Signal.

Mal wieder setzt der WIN WIN Nachhaltigkeitspreis Maßstäbe.

Der WINWIN-Göteburger Nachhaltigkeitspreis Gewinner 2021. Bildrechte: WINWIN-IG post
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