Warnung an Urlauber: Diese Apartheid erwartet Sie jetzt an Schleswig-Holsteins Stränden

Kiel, Eckernförde | analogo.de – Unter Druck der CDU führen Strandgemeinden in Schleswig-Holstein eine institutionalisierte Apartheid ein. Die Absonderung von Bessergestellten gegenüber minderwertigen Bevölkerungsschichten geschieht auf verschiedenen Ebenen. In der neuen Coronamodellstadt Eckernförde traten die menschenverachtenden Regularien vor einer Woche in Kraft, und sollen probeweise erst einmal bis zum 16. Mai laufen. Wer nun in Eckernförde übernachten oder in einem Restaurant essen gehen möchte, der wird einem regelrechten Pflichtenkatalog unterzogen. Die Stadt droht: „Seien Sie gut vorbereitet und machen Sie mit!“ Die gesetzliche Basis für die neue Apartheid ist überraschenderweise nicht nur das Infektionsschutzgesetz, sondern in diversen Gemeinden auch die sogenannte Strandsatzung. Während die FDP in Karlsruhe prominent für Bürgerrechte klagt, zeichnet die Partei der CDU federführend für die neue Apartheidswelle verantwortlich. Der ANA LOGO Long Read.

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Wie im Mittelalter vor über eintausend Jahren, als jede Burg ihr eigenes Gesetz hatte, variieren die Besuchsregelungen im Frühjahr des Jahres 2021 auch in Schleswig-Holstein von Ort zu Ort. In Eckernförde darf zunächst nur derjenige in die Stadt einreisen, der bei Anreise einen negativen Coronatest vorweisen kann. Der Coronatest darf nicht älter als 48 Stunden sein. Die Ergebnisse müssen schriftlich vorgelegt werden. Ist dies nicht der Fall, zwingt die Stadt Urlauber dazu, den Test vor dem Betreten der Unterkunft lokal nachzuholen. Können oder wollen die Gäste die Tests nicht vorlegen, darf die Beherbergung nicht erfolgen. Die Stadt mahnt ihre Urlauber, sie tragen in diesem Falle die Verantwortung. Russische Diktatur-Methoden machen sich breit, in dem Gäste argwöhnisch nicht nur gemeldet werden müssen, sondern auch mit erheblichen Konsequenzen zu rechnen haben, sofern sie irgend etwas falsch machen.

Bei Aufenthalten von zwei Tagen und mehr sei spätestens am dritten Tag ein weiteres negatives Testergebnis aller Gäste vorzulegen. Die Ergebnisse seien vom Gastgeber und Gast schriftlich zu dokumentieren und an die ETMG zu übergeben, also die privatwirtschaftliche Eckernförde Touristik & Marketing GmbH. Die Daten werden ausgewertet. Alles wird kontrolliert.

Eckernförde ist ein Strandbad, und die Stadt tut offensichtlich alles, um Geld in die Kassen zu bekommen, sei es um den Preis der Absonderung von Menschen zweiter Klasse. An anderen Strandorten wurden nun ‚Strandsatzungen‘ runderneuert. In den Gemeinden Strande und Schwedeneck etwa legt man Wert darauf, dass der Strand weder von Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ausscheidern noch von Ansteckungsverdächtigen überhaupt betreten werden darf. Hierbei unterscheiden die Gemeinden nicht, ob die Krankheit bzw. die Symptome dem Coronavirus geschuldet sind oder einer Krankheit wie Durchfall (Giardia) oder die durch Zecken übertragene FSME.

Das Wort Apartheid stammt aus dem südlichen Afrika, als weiße Regierungen ganz bestimmten Gruppen von Menschen Rechte absprachen. Das Land Schleswig-Holstein übernimmt dieses Prinzip nun. Die über 40 Jahre andauernde Zeit der afrikanischen Apartheid war durch eine autoritäre politische Kultur geprägt, die auf der zugesprochenen und in Recht gegossenen Überlegenheit der Weißen basierte. Im Schleswig-Holstein des Jahres 2021 übernehmen die Rolle der Schwarzen nun Menschen, die entweder krank, krankheitsverdächtig (also per Definition Symptome haben), Ausscheider (also auch keine Symptome haben) und sogar ansteckungsverdächtig sind (also weder Ausscheider sind noch Symptome haben). In manchen Orten wohl auch diejenigen, die nicht geimpft sind.

Mirko Spieckermann, parteiloser Bürgermeister von Neustadt in Ostholstein, signalisiert bisher Entwarnung für solche Extremszenarien. Ebenso eine Sprecherin der Gemeinde Grömitz. Die Sprecherin der Gemeinde Sylt weist zwar auf die Sylter ‚Satzung über die Einschränkung des Gemeingebrauchs am Meeresstrand‘ hin, hier finden sich aber keine Hinweise auf gesundheitsbedingte Strandverbote. Sylt scheint touristen-orientiert zu sein.

Der Sprecher der Stadt Heiligenhafen, Stadtrat Folkert Loose hält die Maßnahmen von Strande und Schwedeneck für Unsinn. Wie wollen denn die das kontrollieren, so seine spontane Frage. In Heiligenhafen gebe es eine Maskenpflicht für einen ganz besonders dicht besuchten Promenadenabschnitt. Die kurze Strecke zwischen Seebrücke und Yachthafen habe man als mögliches Infektionsfeld identifiziert, und es sei auch gut so, man wolle und könne nicht den ganzen Strand als Infektionsfeld deklarieren. Schließlich stelle solch eine Maßnahme einen außerordenltichen Eingriff dar, der zudem unverhältnismäßig sei. Unsere Gefahrenabwehr, so Loose, beruht im Wesentlichen darauf, an die Vernunft der Menschen zu appellieren. Deutschland sei gerade sowieso überreguliert. Probleme gebe es allenfalls in Innenräumen, nicht draußen.

Das Strandverbot für Verdächtige

Der Bürgermeister von Strande, CDU-Mann Holger Klink sieht das anders. Gegenüber analogo.de erklärt er die stringente Strandsatzung seiner Gemeinde. Im Gemeinderat hatte Klink mit der Stimmgewalt seiner dominierenden CDU just die krasse Regelung bekräftigt. Selbst Gesunde sollen ein Strandverbot haben, sofern sie nur verdächtig sind, ansteckend zu sein.

Unter die Kategorie ‚verdächtig‘ fallen auch diejenigen, die wegen einer Allergie niesen oder laut husten. Oder diejenigen, die mit dem Nachbarn am Vortag ein Bier tranken, der Nachbar hustete, ein blockwartiger Nachbar dies sah und tagsdrauf am Strand einen Ordnungshüter herbeiruft, um anzuzeigen, dass der Nachbar am Strand ansteckungsverdächtig ist. Die Gemeinden im Amt Dänischenhagen haben beschlossen: Für diese Fälle gilt STRANDVERBOT. Bürgermeister Klink rechtfertigt die Regelung, spielt sie als ‚Spielregeln‘ runter, die kein Gesetz seien.

Nun kann es passieren, dass Ordnungshüter in Strande mit Bezug auf die hiesigen ‚Spielregeln‘ sagen: Du darfst nicht mitspielen, wir grenzen Dich aus. Klink argumentiert, schließlich nehme man eine Strandabgabe, verwalte als Gemeinde den ‚Sondernutzungsbereich‘ des Strandes, der durch den Sondernutzungsstatus kein öffentliches Gut mehr sei. Den Strand als ehemals öffentliches Gut, welches einmal allen gehörte und welches jeder einmal betreten durfte.

Strande ist die kleine wohlhabende Gemeinde, die die Bundestagsabgeordneten der FDP, Wolfgang Kubicki und Christine Aschenberg-Dugnus, ihr Zuhause nennen. Wie die FDP bei der Ratsabstimmung stimmte, wollte sie auf Anfrage nicht mitteilen. Während der Anwalt Kubicki das novellierte Bundesinfektionsschutzgesetz samt Ausgangsbeschränkungen in Teilen für verfassungswidrig hält und selbst sein Anwaltskollege und Parteigenosse Jan Marcus Rossa klagen will, schweigen ihre Parteikollegen auf Gemeindeebene Ulrich Kauffmann und Jörn Claßen beharrlich.

Der Pressesprecher des FDP-Gesundheitsministers Heiner Garg wiederum, Marius Livschütz, teilt auf Anfrage mit, derzeit sei in allen Kreisen und kreisfreien Städten eine Allgemeinverfügung in Kraft, die eine Absonderung regelt. Die Allgemeinverfügungen der Kreise und kreisfreien Städte würden auf einem Erlass des Landes basieren. Dadurch würden erforderliche Absonderungsmaßnahmen unmittelbar nach erlangter Kenntnis wirksam. Davon zu trennen seien regionale Maßnahmen zur Verhinderung von größeren Menschenansammlungen um die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln zu gewährleisten und Menschenansammlungen so gut es geht zu vermeiden. Solche regionalen Maßnahmen seien bereits in der Vergangenheit getroffen worden – beispielsweise um Überfüllungen von Tourismusstandorten wie Strände und Strandpromenaden zu verhindern. Strande handelt.

Kleine Apartheid und große Apartheid

Im südlichen Afrika unterschied man die kleine Apartheid von der großen Apartheid. Bei der kleinen Apartheid wurden die Menschen zweiter Klasse in öffentlichen Einrichtungen und bei gesellschaftlichen Veranstaltungen abgesondert. Dieser Artikel beschäftigt sich nur mit der kleinen Apartheid. Bei der großen Apartheid diktierten die Bessergestellten den Minderen Wohn- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch diese Entwicklung ist schon ins Rollen gekommen, wenn es etwa heißt, dass Menschen der Zutritt zum Gebäude ihrer Firma verwehrt ist, selbst wenn sie gesund sind.

Scharfe Kritik kommt von anderen Strandgemeinden Schleswig-Holsteins. Obwohl die Stadt Eckernförde selber eine Art Apartheid einführt, sieht sie doch in den Maßnahmen der Nachbargemeinden Strande und Schwedeneck „Populismus“ am Werk, so Klaus Kaschke, Amtsleiter des Amtes für Ordnungs- und Sozialwesen gegenüber analogo.de. Ob die Gemeinden ihren Besuchern ein falsches Gefühl von Sicherheit geben wollen? Kaschke geradezu höhnisch: „Die meinen jetzt wohl, jetzt haben wir alles geregelt, jetzt können Menschen wieder an den Strand. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die das prüfen wollen.“ Verschiedene Strandabschnitte, so wie in Strande und Schwedeneck, mit diesen Regularien zu überziehen, das komme für Eckernförde nicht in Frage, so der Amtsleiter.

Der Bürgermeister der Gemeinde Schwedeneck, Sönke-Peter Paulsen (CDU), dagegen antwortete auf unsere Anfrage nicht. Bürgermeister Klink versichert für seinen Gemeinde, in Strande werde man die ‚Spielregeln‘ nicht kontrollieren, man „könne“ sie angeblich nicht kontrollieren. Kühn spricht der Bürgermeister – und verstummt, als er hört, dass in der Eckernförder Bucht seit Anfang April patrouillierende Boote der Küstenwache bis auf 20 Meter an Strände heranfahren, wenn sie sehen, dass Kinder im Wasser zu nah zusammen stehen. In einem föderal-diffusen System wie Deutschland ist es am Ende egal, ob die Kontrolle von der Gemeinde, von der Landespolizei, von städtischen Ordnungsämtern oder von privaten Sicherheitsdiensten vorgenommen werden. Kontrolle ist Kontrolle.

Die Drohung ist deutlich: Dieses Jahr wird es in Schleswig-Holstein keinen entspannenden Urlaub geben.

So auch die Signale von der Gemeinde Timmendorfer Strand. Sprecherin Beatrice Heide schreibt analogo.de, die Gemeinde werde mit Ordnungsamt und Polizei Einwohner*innen und Tourist*innen gleichermaßen kontrollieren. Da es in der Gemeinde Timmendorfer Strand aber nicht so eine krasse Strandsatzung wie in Strande gibt, würden die Kontrollen nur im Rahmen der gängigen Regelungen ausgeführt, also etwa gemäß der Allgemeinverfügung des Kreises Ostholstein. Der Fachdienst Sicherheit und Ordnung stelle hierzu zusätzliches Saisonpersonal ein: Vier weitere Außendienstmitarbeitende.

Apropos Allgemeinverfügung: Als die Orte Eckernförde und Strande auf ihren Promenaden jüngst eine Maskenpflicht einführten, hagelte es schon einmal schwere Kritik. Klink wimmelte wieder ab, die Promenade des Ortes sei von der Kreisverwaltung ins Spiel gebracht worden. Eckernförde, so Kaschke gegenüber analogo.de, sah die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme, und beschränkte die Maskenpflicht auf besucherstarke Tage und Fußgängerbereiche mit hoher Besucherdichte.

Besserstellung der einen = Schlechterstellung der anderen = Apartheid

Derweil berichtet die Bildzeitung, Geimpfte und von Covid-19 Genesene sollten von den neuen Beschränkungen des Infektionsschutzgesetzes bald ausgenommen werden. Nach aktueller Feststellung des Robert-Koch-Instituts sei davon auszugehen, dass Geimpfte und Genesene ein geringeres Risiko haben, andere Menschen anzustecken, als durch einen Antigentest negativ Getestete.  Diese Personengruppen müssten zum Teil sogar bessergestellt werden als durch einen Antigentest negativ Getestete. Nur so lasse sich die verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeit der Schutzmaßnahmen sicherstellen. Verordnete Apartheid also jetzt auch von ganz oben.

Einer der ganz großen Fürsprecher dieser Apartheid ist Bayerns autoritärer Herrscher Markus Söder. Das Argument: Geimpfte sollen Rechte einfordern können. Also Menschen, die sowieso schon bevorzugt werden, weil sie gegenüber anderen Menschen eine der knappen Impfungen erhielten, sollen laut Söder dafür Extrarechte bekommen. Den einen Personen Extrarechte im öffentlichen Raum zu gewähren, heißt, anderen dieselben Rechte zu verwehren, sei es unter Anwendung polizeilicher Schusswaffen. Die Bundespolitik fordert Härte in der Sache, ein Ende ist kaum abzusehen. Söder, Strande, CSU, CDU, you name it, die Regierungsparteien feilen täglich an den Mechanismen offener Diskriminierung.

Bei Reisen solle die Pflicht, so die Bildzeitung, zu Zwangstests vor Reiseanritt und zur Quarantäne nach Rückkehr entfallen. In Ladengeschäften und Märkten, in Kultureinrichtungen solle eine Testpflicht ebenfalls entfallen. Soweit Bundesländer Testpflichten oder Beschränkungen etwa in der Außengastronomie vorsehen, sollen Geimpfte und Genesene ebenfalls davon ausgenommen sein. Das Justizministerium schreibe, es gehe dabei nicht um die Einräumung von Sonderrechten oder Privilegien, sondern um die Aufhebung nicht mehr gerechtfertigter Grundrechtseingriffe. Verquerter geht es nicht, Menschen von grundlegenden Rechten abzusondern, und gleichzeitig neue soziale Schichten zu kodifizieren.

Fazit

Wer in bevorstehenden Sommer in Schleswig-Holstein seinen Urlaub verbringen will, wird in jeder Ortschaft mit einem anderen Reglement konfrontiert. Das schafft Unsicherheiten und Verdruß. Wie es scheint, ist unter den Gemeinden ein Wettbewerb ausgebrochen: Die einen möchten sich eher offen zeigen, so wie Heiligenhafen oder die Stadt Arnis (die gar keine Strandsatzung hat). Andere wiederum wollen Sicherheit suggerieren, und überfrachten Urlauber mit einem regelrechten Regelungskorsett. Auf Schleswig-Holsteins Stränden an Ostsee und Nordsee sind diesen Sommer Patrouillen zu erwarten. Die harschen Regelungen wurden unter Druck von CDU-Mitgliedern eingeführt, die landesweit und flächendeckend die politischen Gremien dominieren. Doch eine Ausnahme gibt es: Im Stadtrat der kleinsten Stadt Deutschlands, Arnis, ist die CDU nicht vertreten.

Apartheid hat viele Facetten. Bildrechte: Pixabay user arnolduspt 2733840_1920
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