So erlebte ich die Westsahara 1989 im Krieg – der neue Krieg wird ein anderer

Laâyoune | analogo.de – Nach fast 30 Jahren stehen die Zeichen in der Westsahara wieder auf Krieg. Kurz vor dem Friedensabkommen 1991 reiste analogo.de Herausgeber Rainer Winters in die Kriegsregion und erzählt heute von der Stimmung damals. Ein Essay.

Lesezeit: 4 Minuten

1989 gab es in der Westsahara viel Nichts. Die 4.000 Kilometer Autofahrt vom Oberbergischen Kreis nach Südmarokko verliefen relativ reibungslos. Lediglich bei Tétouan wurden wir nachts über eine Stunde von mehreren Mopedfahrern verfolgt. Dann der Grenzübergang in die Westsahara. Viele Fragen. Wohin des Weges? Angabe der persönlichen Daten, Namen und Beruf des Vaters, Namen und Beruf des Großvaters und so weiter.

Der erste Stopp ist Laâyoune, die von den Sahauris auserwählte Hauptstadt, zumindest wenn Marokko dieses Land freigeben würde. Wir halten, und sofort strömen 20 oder 30 Kinder auf uns zu, hängen sich an beide Autospiegel des Ford Transits, reißen die Hecktüre des Wagens auf. Ein älterer Mann in weißem Kaftan kommt und brüllt die Kinder vom Auto weg, wirft Steine auf sie. Wir flüchten zum Flughafen.

Dann unsere erste Bleibe nach fünf Tagen Autofahrt: Der Strand von Laâyoune. Zelt aufgebaut, Essen gekocht und Kontakt zu den Einheimischen aufgenommen.

Viele junge Leute am Strand. Es ist das Jahr 3 nach der Fußballweltmeisterschaft in Mexico. Deutschland gewann im Achtelfinale 1 zu 0 gegen Marokko, durch ein Tor von Lothar Matthäus. Heute, irgendwann im Juli 1989, scheinen 50 Jugendliche Revanche nehmen zu wollen. Am Strand bilden wir zwei große Teams, 50 Marrokaner und drei Deutsche. Dann gehts los. Überall tönt es: Matthäus, Matthäus, Matthäus … Die Jungen haben einen Spaß, und können doch nun Vertretern des späteren Vizweltmeisters zeigen, wie gut sie, die Marokkaner, Fußball spielen können.

Das Spiel ist eine reine Freude. Danach Unterhaltung und Verständigung der Völker. Wie heißt Du, was macht Ihr hier, wie ist es bei Euch, so ist es bei uns. Wir unterhalten uns auf Französisch.

analogo.de Herausgeber Rainer Winters im Austausch mit Sahauris und Marokkanern. Bildrechte: Rainer Winters

Ein paar Tage später geht es weiter Richtung Süden. Unser Ziel: Marokkos Garnisonsstadt Dakhla, 300 Kilometer vor der Grenze Mauretaniens. Auf den nun folgenden 700 Kilometern werden wir an 30 bis 40 Militärhäuschen kontrolliert. Was machen Sie hier? Wir sind Touristen. Hier gibt’s keine Touristen. Doch!, sagen wir, und wirken glaubhaft, sind wir doch ’nur‘ eine Familie. Ein Mann mit seinen vier Kindern.

350 Kilometer südlich von Laâyoune halten wir in der Kleinstadt Boujdour am Atlantik. Der Wikipedia-Eintrag ist falsch, es sind nicht 170 Kilometer nach Laâyoune.

In einer kleinen Hütte essen wir zu Mittag. Vorsichtig nähern sich uns drei Männer. Einer fragt mich flüsternd auf Französisch, was wir von der politischen Situation in seinem Land halten. Die Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro, kurz die Polisario, kämpft zu diesem Zeitpunkt für einen eigenen Staat. Vier Jahre zuvor schoss sie wohl eher ungewollt ein Forschungsflugzeug des Alfred-Wegener-Institutes ab. Es hatte sich auf dem Weg von der Antarktis nach Deutschland befunden.

Ich erkenne zwar das Politische an der Frage des Mannes, bin aber durch die verschämte Art und Weise der Frage eingeschüchtert. Hier stimmt was nicht. Mit einem Male wird mir klar, in welcher Lage sich die Menschen hier befinden. Sie trauen sich nicht, das Offensichtliche zu sagen. Mit einem Mal ist mein Urlaub nicht mehr so unbeschwert.

Wir fahren weiter. Jetzt noch 300 Kilometer bis zur traumhaft-wilden Wüstenhalbinsel Rio de Oro. Am Ende der Halbinsel liegt die Stadt Dakhla. Die Spanier nannten sie Villa Cisneros. Die Stadt wie leer gefegt, kaum Autos, kaum Menschen. Überall sehen wir Militär. Mangels Restaurants und öffentlicher Toiletten müssen wir unsere Notdurft zwischen Sträuchern verrichten. Dann endlich finden wir ein Hotel. Ein Peugeot 505 steht vor dem rot getünchten Gebäude, außer uns sind zwei Franzosen zu Gast. Der Soldat hatte Recht. Hier gibt es keine Touristen. Fast keine.

Nach einer Nacht im Hotel ziehen wir in die Natur, halten am Atlantik oberhalb einer Klippe. In der Höhle unterhalb schlagen wir unser Lager auf, auf Tuchfühlung mit der Brandung. Tagesüber fangen wir bei Ebbe Krebse zum Essen, fischen die unterschiedlichsten Fische und veranstalten einen Wassermelonenkernweitspuckwettbewerb. Nachts der Blick aus der Höhle in eine Welt voller Sterne. Nur der warme Wind ist zu hören.

Am nächsten Morgen ein Schock. Wie aus dem Nichts springen plötzlich zwei Männer den fünf Meter hohen Felsvorsprung herunter. Sie kesseln uns ein, einer steht links von uns, einer rechts. Wir sind überrascht, die Männer wohl auch. Wir sind keine bewaffneten Feinde. Alles gut. Und so gehen ein paar friedliche Tage ins Land, bis wir wieder zurück nach Marokko fahren.

Diese Westsahara schien mir wie ein anderes Land, eine leere Wüste eben. Das Marokko weiter nördlich hatte Menschen, Kultur, Geschichte.

Mit der Besiedelung hunderttausender Marokkaner verfolgt das Königreich dieselbe Faktenschaffung wie China in Tibet, Israel östlich von Jerusalem und früher Stalin in Zentralasien. Vor zwei Wochen eröffneten die Vereinigten Arabischen Emirate ein Konsulat in Laâyoune. Vielleicht soll es ein Symbol des Arabischen gegen das westlich orientierte Maghrebinische sein. Vom tausende Kilometer entfernten Ankara schaltet sich jetzt auch Erdogan ein – und mahnt. Der kriegsaffine türkische Staatschef lässt ja mit deutscher Wehrtechnik neuerdings auch in Libyen kämpfen. Wer weiß, vielleicht weht der türkische Halbmond bald auch über der Westsahara.

In der Gegend mag es Phosphate geben, die weltweit zu Ende gehen. Vor der Küste mag es reichste Fischgründe geben, die die Spanier jedes Jahr im Hundertemillionenwert auf ihre Trawler schiften. Doch ist der Westsaharakonflikt im Kern eine Frage des Lebensraums für Menschen arabischer Abstammung.

Ein Wort zu Arabern:

Sie haben es nicht leicht in der Welt, die Araber. Längst beherrschten die Türken (früher Osmanen) die Region kraft ihrer aggressiven Feuermacht. Die Iraner (früher Perser) standen den Türken über Jahrhunderte in nichts nach. Hatte sich die Aggressivität Persiens früher auf Reiter und Bogenschützen gestützt, etwa bei den Sassaniden, sind es heute Ölvorkommen und die hohe Ingenieurskunst im Land. Im Irak und anderswo kämpfen Flugzeuge aus dem fernen Amerika oder dem kyrillischen Russland. Die große Feuermacht kam bisher immer von den anderen.

Als kaum massenorganisierte Herdenvölker ließen es die Araber jahrhundertelang ruhiger angehen. Zumindest kämpften sie nicht – wie die Türken – Seite an Seite mit den Nazis. Auch wenn mir diverse Jemeniten in Sanaa sagten, Hitler sei toll gewesen, weil er die Juden bekämpfte.

Seit Jahrhunderten sind die Araber eben nicht für ihre großen Streitmachten mit Panzern und Haubitzen bekannt geworden. Seitdem aber Merkels und Kohls Kriegsunion CDU/CSU mit ihren Handlangern der SPD Länder wie Saudi-Arabien mit Panzern ausstatten, holen arabische Länder das nach, was westliche Länder längst hinter sich haben. Sie bomben, was das Zeug hält.

Und so wundert es nicht, dass nun auch die Polisario in der Westsahara besser für einen Krieg gerüstet ist als vor 30 Jahren. Das lässt nichts Gutes erhoffen.

Mir tut es leid für die wenigen Menschen, die ich hier traf. Diese Reise 1989 im Endstadium des Krieges zeichnete das Bild eines öden Landstrichs auf Erden, dessen Schicksal noch verhandelt wird. Beim Fußballspielen schienen die Jungs alle Marokkaner zu sein. Was die Erwachsenen trieb, habe ich auf dieser Reise nicht erfahren.

Einer der 30 bis 40 Militärsperren an der Straße zwischen Laayoune und Dakhla. Bildrechte: Rainer Winters
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