Neuer Chinakoordinator der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel muss chinakritisch sein – ein Plädoyer für Menschenrechte

Kiel, Peking, Hong Kong | analogo.de – Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) sucht einen neuen China-Koordinator. Während China Uiguren in Lager sperrt und in Hong Kong die Demokratie abschafft, sucht die größte Universität Schleswig-Holsteins zunehmend die Nähe des Reiches der Mitte. Wie der Spagat gelingen kann, erörtert analogo.de in einem Meinungsbeitrag.

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Ohne Zweifel stecken im Reich der Mitte große Gewinnchancen. Nicht nur rettet das Chinageschäft dem Volkswagenkonzern regelmäßig die Jahresbilanz, die Christian-Albrechts-Universität profitiert auch vom Humankapital der Chinesen. Der Hunger auf ein modernes sorgenfreies Leben ist groß in Ostasien. Japan und Südkorea liegen beim Pro-Kopf-Einkommen noch weit vor China. Doch das Land unter Staatspräsident Xi Jinping holt auf, schickt Millionen junger Leute auf die Universitäten und baut Flugzeugträger und Weltraumraketen.

In Kiel studieren und arbeiten Hunderte Chinesen. Man profitiert vom Know How und Geld Chinas. Zum Beispiel am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (GEOMAR). Das Forschungszentrum ist bekannt unter Kielern, denn an der Förde lassen sich im GEOMAR-Becken Seehunde dabei beobachten, wie sie durch zwei Becken schwimmen. Forschung zum Anfassen.

Das GEOMAR ist eine gemeinsam von der Bundesrepublik Deutschland (90 Prozent) und dem Land Schleswig-Holstein (10 Prozent) finanzierte Stiftung des öffentlichen Rechts und eine der international führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Meereswissenschaften. Es verfügt über ein Jahresbudget von rund 70 bis 80 Millionen Euro, und hat etwa 1.000 Mitarbeiter. Viele dieser Mitarbeiter kommen aus China, und speisen regelmäßig in der nahen Landtagskantine.

Das Kieler Projekt SOLAS beschäftigt sich mit den biogeochemischen und physikalischen Wechselwirkungen zwischen ozeanischen Oberflächen und der unteren Atmosphäre. Hier wird erforscht, wie das System Ozean-Atmosphäre mit dem Klima und den Menschen zusammenhängt. Der Exekutivdirektor von SOLAS wird von ‚Projektbeauftragten‘ unterstützt, die am GEOMAR und an der Universität Xiamen in China tätig sind.

SOLAS hat Sponsoren, als da zum Beispiel wären das World Climate Research Programme (WCRP), der Rückversicherer SCOR, die internationale Kommission für atmospherische Chemie und globale Verschmutzung (iCACGP) oder die internationale Forschungsplattform Future Earth. Insgesamt ein weltweit agierendes und daher herausfordernd übersichtliches Netzwerk aus Finanz und Wissenschaft. Die Finanzen werden aus China heraus und in Deutschland koordiniert, auch ein Aktiengang steht in der Diskussion. An der Uni Kiel zieht unter anderem Professor Dr. Arne Körtzinger die Fäden.

Aber die Uni Kiel hat noch viel mehr Verbindungen zu China. Mit den folgenden Universitätsstädten unterhält die CAU Partnerschaften: Dem Beijing Institute of Technology, der Schanghaier Fudan University, der Ocean University of China in Deutschlands alter Kolonialstadt Qingdao, der Zhejiang University in Hangzhou bei Schanghai und der Zhejiang University of Science and Technology.

Ein Ortswechsel:

Fast unbemerkt in der deutschen Presse weist China gestern die Sicherheitsgemeinschaft Five Eyes zurück, also den USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland, man solle die Realität in Hong Kong anerkennen, will sagen, dass China Hong Kong übernommen hat. Laut Medienberichten sei es ganz gleich, ob die Sicherheitsgemeinschaft fünf oder zehn Augen habe, wenn sie es wagen würden, Chinas Souveränität, Sicherheits- und Entwicklungsinteressen zu verletzen, sollten sie sich davor hüten, dass ihre Augen gestochen und geblendet werden“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums.

Die Avance kommt nach einer Kritik der Five Eyes, dass China das Abkommen mit Hongkong gebrochen habe. China habe gegen rechtsverbindliche internationale Verpflichtungen verstoßen, indem es pro-demokratische Gesetzgeber aus der Legislative Hongkongs verdrängt. China hatte darauf hingewirkt, dass vier pro-demokratische Abgeordnete aus dem Parlament abgeführt wurden. Die Außenminister der fünf englischsprachigen Nationen nannten die Aktion „Teil einer konzertierten Kampagne, um alle kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen“.

Im letzten demokratischen Kleinod auf Chinas Boden, Hong Kong, drehen die Behörden demokratischen Bürgern den Hahn zu. Vor kurzer Zeit traf es den Medienmacher und Geschäftsmann Jimmy Lai. Am 10. August 2020 wurde nicht nur Lai festgenommen, sondern aus Einschüchterungsgründen gleich auch zwei seiner Söhne. Als Chef der größten Medienfirma Hong Kongs, Next Digital hatte Lai des öfteren die Regierung Chinas kritisiert und die pro-demokratischen Demonstrationen in Hong Kong und anderswo unterstützt.

Der Grund der Festnahme entsprang daher demselben Gesetz, welches immer mehr auch in den USA oder in Deutschland angeführt wird: Die Nationale Sicherheit sei gefährdet, Lai habe mit fremden Mächten kollaboriert.

Ein Ortswechsel:

Wenn es ums Geschäft geht, hat China durchaus nichts dagegen, mit fremden Mächten zusammenzuarbeiten (lateinisch kollaborieren). Politisch will man sich nicht reinreden lassen. Die von China ursprünglich als Ausbildungszentren deklarierten 380 Internierungslager für Uiguren in der Provinz Xinjiang hatte selbst der Volkswagen-Konzern erst als unbekannt bezeichnet, bis letzte Woche Volkswagens Chinachef Stephan Wöllenstein einlenkte, die Berichte über Internierungslager seien dem Konzern bekannt gewesen und beunruhigend. VW verdient in der Gegend viel Geld, hat dort eine Fabrik errichtet.

In Deutschland profitieren viele Menschen vom Erfolg des Volkswagenkonzerns. Genauso bereicherte sich Belgien jahrelang an den Bodenschätzen im Kongo. Die Profite gingen zu 99 Prozent nach Belgien, während im Kongo ganze Generationen zur Minenarbeit gezwungen wurden. Als der erste Premierminister des unabhängigen Kongo, Patrice Lumumba, die große Mine des Landes verstaatlichen wollte, so berichtet die Financial Times, rückten die Kommandos der CIA und der Belgier an, um den 35-Jährigen abzusetzen.

In einer aufwühlenden Dokumentation berichtet die Zeitung aktuell, wie Lumumbas Körper von belgischen Offizieren in Stücke gehackt wurde, bevor seine Leibesstücke in einem 200-Liter-Faß voller Schwefelsäure aufgelöst wurden. Die Schwefelsäure kam aus der Mine der Union Minière du Haut-Katanga (UMHK). Union Minière ist für den Kongo, was VW für Deutschland ist: Eine unberührbare Milchkuh. Die UMHK lieferte den Nazis ebenso Uran wie den Amerikanern, die kraft dessen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki warfen.

Während die Kongolesen bis heute auf Reparationen aus Belgien warten, hält sich auch die deutsche Politik zurück. Bundeskanzlerin Merkel (CDU) kommt bei Staatsbesuchen in China mit flüsternder Kritik daher. Merkels Koalitionspartner SPD plädiert für eine neue Chinapolitik. VW verschließt die Augen in Xinjiang, man habe keinen Einfluss darauf, was außerhalb der Werkstore geschieht. Und von der einstellenden Person an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), Dr. Barbara Röckl, Geschäftsbereich Strategie und Planung, hören Bewerber, man suche einen neuen China-Koordinator, der sich mit Kritik an China zurückhalte.

Das Motto darf jedoch nicht lauten, angesichts von Menschenrechtsverletzungen zu kuschen, egal welches politische System dahinter steckt. Auch mit Reparationen wird es nicht getan sein, die man vielleicht in fünfzig Jahren einmal zahlt, weil man sich irgendwie dann doch mit dem Regime gemein gemacht hatte. Menschenrechte stehen vor dem Sicherheitsbedürfnis eines Staates. Erst kommt das Individuum, dann der Staat.

Die Universität Kiel sollte ein Zeichen setzen für einen mutigeren Dialog mit China, auf allen Seiten Potentiale für Menschenrechte herauszukitzeln. Ohne Menschenrechte keine Würde. Ohne Würde kein Geschäft.

Originalzaun an der Grenze von Hong Kong mit Blick auf Chinas Millionenmetropole Shenzhen, zu einer Zeit, als China Hong Kong noch nicht übernommen hatte. Bildrechte: Rainer Winters
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