Wie mir Bunty ein unsittliches Angebot machte, die im 2. Weltkrieg mit dem Vorbild von James Bond den japanischen Morsecode knackte

Waikanae | analogo.de – Kennen Sie Merlin Minshall? Nein? Dann gehts Ihnen wie mir – bevor mir eine 93 jährige kleine Dame ein unsittliches Angebot machte. Sie hieß Bunty und hatte im 2. Weltkrieg zusammen mit MI5 Offizier Merlin Minshall dabei geholfen, den japanischen Code zu knacken.

Es ist der 14. Februar 2009 auf der Nordinsel Neuseelands. Ich sitze bei einem festlichen Dinner, zusammen mit älteren Damen und Herren in einer Seniorengemeinschaft. Neben mir die quirlige 93-jährige Bunty. Das Essen ist vorzüglich, es wird Rotwein und Weißwein ausgeschenkt. Doch bei diesen üppigen Portionen kommt mein Magen nicht mehr mit. Buntys charmante Nötigung: „Das kannst Du doch noch gut vertragen“ kommentiere ich leichthin mit den Worten: „Himmel, Du solltest mich mal nackt sehen“. Die Augen der nicht einmal 1,50 Meter großen Frau glitzern. Sie schaut mir tief in meine: „Shall we make an appointment?“ Sollten wir nicht einen Termin machen?

Sie bringt mich glatt in Verlegenheit, jedoch ihre Botschaft verstehe ich sogleich: Das Leben ist noch lange nicht vorbei, ich habe meines stets genossen. Angefangen von der Kindheit in Indien, bis hin zu ihrer Arbeit beim Geheimdienst. 50 Jahre war sie mit ihrem Mann Geoffrey verheiratet, doch erst nach 40 Jahren durfte sie ihm von ihrer Geheimdiensttätigkeit erzählen. Woraufhin ihr Geoff offenbarte, dass auch er ihr erst jetzt sagen durfte, dass auch er im Krieg für den Geheimdienst tätig war (beim SIS).

Der Plan, die damalige junge Bunty mit der Armee nach Overseas zu schicken, scheiterte an der Versenkung der RMS Niagara am 19. Juni 1940 durch eine Mine des deutschen Hilfskreuzers Orion. Das größte Schiff seinerzeit unter neuseeländischer Flagge. Ihr Weg führte sie von der Armee zur Marine, wo sie für die Wrens japanische Funkübertragungen abhörte. Mit Herzklopfen hörte sie einem deutschen U-Boot zu, welches gerade durch die Meerenge der Cook Strait fuhr und zwei Torpedos auf die Inselfähre Wahine abschoss.

Zusammen mit Merlin Minshall und mithilfe ihren Katakana Kenntnissen half sie dabei, den japanischen Morsecode zu knacken und damit die entscheidenden Pazifikschlachten gegen Japan zu beeinflussen. Minshall, wie ich lernen sollte, war das lebensechte Vorbild für Ian Flemings James Bond.

Aber nun ganz der Reihe nach. Der ANA LOGO Long Read.

Lesezeit: 13 Minuten

Wie sollten Sie auch Merlin Minshall kennen, er ist ja nicht einmal im deutschen Wikipedia vertreten. Zwei Jahre lang arbeitete der Geheimdienstler Minshall zusammen mit der jungen Bunty in einer TOP SECRET Abhörstation in Rapaura nahe Blenheim auf der Südinsel Neuseelands. Bunty war eine Auserwählte von acht Frauen, die ein paar Jahre lang in dieser Hütte höchst wertvolle Arbeit leisteten. Die acht Damen waren schon längst ein eingeschweißtes Team, als Minshall später zu ihnen stieß.

Der Abenteurer Minshall hatte zuvor in Europa für den späteren James Bond-Autor Ian Fleming gearbeitet. Als Mitglied der Royal Navy’s Naval Intelligence Division nahm Minshall 1940 an einem Versuch teil, die Donau in Rumänien zu blockieren, um deutsche Öllieferungen zu stoppen. Der Versuch scheiterte. Zu dieser Zeit arbeitete Minshall unter einem diplomatischen Pseudonym als Britischer Vizekonsul in Bukarest.

Im November 1940 leitete er das NID/SOE Team bei der Operation Shamrock, um den deutschen U-Boot-Verkehr im Ästuar der Gironde zu beobachten. Im Mai 1941 spielte Minshall schließlich seinen Part bei der Jagd auf die Bismarck, das bis dato größte und kampfstärkste Schlachtschiff der Welt. Die Bismarck hatte zuvor den britischen Schlachtkreuzer Hood versenkt, bevor sie am 27. Mai 1941 rund tausend Kilometer westlich von Brest in einer Seeschlacht selber versenkt wurde.

1942 ging Minshall nach Neuseeland, wo er auf das Team erprobter Geheimdienstfrauen traf, die auf der Farm von Bob Dosser am Ende einer langen staubigen Straße in Rapaura ihr Dauerquartier hatten. Hier etablierte Minshall eine Z-Maschine. Genau wie die ENIGMA der Wehrmacht war die hiesige Z-Maschine eine Rotor-Schlüsselmaschine, mit der der codierte Nachrichtenverkehr des Feindes entschlüsselt werden sollte.

Der Japanische Morsecode

In dieser kleinen Station wurde der japanische Morsecode geknackt. Was die kleine Gruppe herausbekommen hatte, wurde ans Marinehauptquartier weitergeleitet. Minshall hatte eine leistungsstarke Antennen- und Fotografieausrüstung installiert. Verständlich, dass sich Ian Fleming durch die starke Persönlichkeit und hohe Expertise von Minshall für seine Romanfigur James Bond inspiriert fühlte. Wenn Bunty erzählte, wie Minshall die Antennen mit einem Pfeil und Bogen in die Krone zweier hoher Ulmen auf dem Gelände geschossen hatte. Er habe fünf Versuche gebraucht, aber die Antennen wären so gut wie nicht sichtbar gewesen.

Auf der Radio Fingerprinting Station hatten sie hochentwickelte Oszilloskope und Kameras zur Aufzeichnung von Signalen für detaillierte Analysen. Signale von jedem feindlichen Stützpunkt, Schiff oder U-Boot konnten so unterschieden werden. Ihre Arbeit galt als wichtig zu einer Zeit während des Krieges, als es echte Befürchtungen gab, dass japanische Streitkräfte in Neuseeland einmarschieren könnten. Auch die Deutschen kurvten in den Gewässern rund um Neuseeland.

Bunty hieß mit echtem Namen Lenore Liocadia Longuet, aber alle nannten sie Bunty. Am 30. Juli 1916 wurde sie im australischen Katoomba geboren, dem heutigen touristischen Zentrum der Blue Mountains. Die Familie ging bald nach Assam in Indien, wo Buntys Vater eine Teeplantage betrieb. Es war die Zeit des Raj, also der britischen Kolonialzeit in Indien. Ihre Ayah, das Kindermädchen, lehrte sie Hindustani. Im Alter von sieben Jahren starb ihr Vater und die Familie zog nach Auckland.

Buntys Großfamilie war in Neuseeland sowie in Australien konzentriert, seit ihre hugenottischen Vorfahren mit dem Migrantenschiff ‚City of Adelaide‘ am 06. Juli 1839 unter Captain Donaldson von England nach Adelaide in South Australia aufgebrochen waren. In Auckland wuchs Bunty bei ihren streng viktorianischen Großeltern auf. Klavier- und Violinenmusik liebte Bunty über alles. Ihr Verlobter zog in den Krieg nach Griechenland und fand dort seinen Tod.

Britisches Gold für US-Munition

Bunty ging zur Armee, wo sie Funkaufklärung und den Umgang mit Aldislampen lernte. Schon bald avancierte sie zum Feldwebel. Bereit nach Overseas zu gehen, also die Dienste der Armee weltweit zu unterstützen, wurden ihre Pläne prompt gestoppt. Nahe Auckland hatte der bei Blohm & Voss gebaute Hilfskreuzer Orion am 13. Juni und 14. Juni 1940 Seeminen gelegt. Auf eine dieser Minen traf das Passagierschiff RMS Niagara, das sich gerade wieder einmal auf den Weg nach Vancouver gemacht hatte. An Bord der Niagara waren hunderte Goldbarren der Bank of England, mit denen die Briten die USA bezahlen wollten, damit sich die USA Munition kaufen konnte, wenn sie später in den Krieg gegen Nazi-Deutschland eintritt. Zum Glück überlebten Schiffsbesatzung und Passagiere. Vielleicht hatte die Orion Wind von der Goldladung bekommen, und verminte genau deswegen die Meeresoberfläche kurz vor der Abfahrt der Niagara am 18. Juni 1940. 1941 wurden 555 der angeblich insgesamt 590 Goldbarren gehoben, 1953 nochmal 30 Barren.

Da Neuseeland nach der Versenkung keine Frauen mehr nach Overseas schickte, suchte Bunty sich vor Ort eine alternative Möglichkeit, Neuseeland und dem Empire einen guten Dienst zu erweisen. Bei der Marine macht sie auf sich aufmerksam, denn Bunty schaffte es, 25 Worte pro Minute zu morsen. Bunty und weitere sieben Funkabhörspezialistinnen bestanden die sorgfältigen Prüfungen für die hochgeheime und zugleich hochspezialisierte Arbeit. Sie waren nun WRENs, also Mitglieder des Women’s Royal Naval Service.

Die Arbeit in der Abhörstation

Ein 100 Jahre altes Bauernhaus nahe der Stadt Blenheim entsprach dem Geheimhaltungsbedürfnis der Marine. Ein 2 Meter hoher Stacheldrahtzaun umgab das Anwesen und wurde zusätzlich vom Militär bewacht. Die speziell ausgebildeten Wrens hörten japanische Radioübertragungen ab, nahmen sie auf und halfen, ein Muster von Fingerabdrücken zu erstellen, welches der Marine ein genaues Bild der feindlichen Marineaktivitäten im Pazifik gab.

Kodierte Botschaften von feindlichen U-Booten konnten abgefangen und entschlüsselt werden. Mit den lauten Rufzeichen Tokios namens MoSeTe war das Team vertraut. Man arbeitete nachts, da die U-Boote zu dieser Zeit auftauchten. Tagsüber schliefen sie. Mit Beginn des Krieges war Neuseelands Militärführung als Herrschaftsgebiet Großbritanniens innerhalb kürzester Zeit in die Künste von Radarstationen eingewiesen worden. Die britische Ostflotte war mit Radarausrüstung versorgt worden, die in perforierter Folie verpackt war, damit sie im Falle von Schiffsbruch schnell versinkt.

Bunty erzählt: „Wir setzten uns hin und hörten über Kopfhörer zu. Man bewegte sich um die Frequenzen herum, bis man einen Morsecode hörte, und schrieb auf, was man hörte. Da die Japaner ihre Übertragungen immer mit den gleichen Buchstaben begannen, wussten wir bald, dass sie es waren. Uns wurde gesagt, dass es nicht darum geht, ‚ob‘ die Japaner kommen, sondern ‚wann‘. Neuseeland hatte von Anbeginn des 2. Weltkrieges Angst vor einer Invasion Japans. Wenn es geschah, so Bunty, sollten wir unser Codebuch zerstören und dann uns selbst töten. Das Hauptquartier spezifizierte aber nie, was wir tatsächlich mit uns selbst tun würden.

Ian Fleming und James Bond

Buntys Leben hat das Zeug für einen Film. Vielleicht im Stile der Verfilmungen des britischen Schriftstellers und Spions Ian Fleming, der die Romanfigur James Bond erfand. Der Abenteurer Merlin Minshall war für Fleming das wohl stärkste lebensechte Vorbild für Bond. In Frankreich und Jugoslawien kämpfte Minshall einen Guerillakrieg gegen die Nazis. Während des gesamten 2. Weltkriegs war Fleming der direkte Vorgesetzte von Minshall, wobei Fleming dem Leiter des Britischen Geheimdienstes der Marine, Admiral John Godfrey direkt unterstellt war. Godfrey beschwerte sich nach Flemings Romanen, von diesem „zu dieser widerwärtigen Figur, M“ gemacht worden zu sein.

Zehn Jahre nach Minshalls Zeit mit Bunty stellte Fleming seinen ersten Spionageroman fertig, ‚Casino Royale‘. Fleming war in den 40er Jahren als Verbindungsoffizier im portugiesischen Estoril und besuchte dort das damals größte Casino Europas. Beim Glücksspiel soll Fleming die Idee für den Roman Casino Royale gekommen sein.

Überhaupt war Fleming voller Inspirationen. In seinen Romanen ließ er James Bonds Feind, Ernst Stavro Blofeld, im Film ‚Im Geheimdienst ihrer Majestät‘ am Tag seines eigenen Geburtstages feiern, dem 28. Mai 1908. Der vor fünf Jahren verstorbene Dracula-Darsteller Christopher Lee war sein Cousin, und Fleming vermittelte ihm die Rolle des Scaramanga im Film ‚Der Mann mit dem goldenen Colt‘.

Fleming zog es nach Jamaika, wo er sein Haus am Strand ‚Goldeneye‘ nannte. Hier entwarf Fleming einen Plan, um Martin Bormann, eines der wichtigsten Erfüllungsgehilfen Hitlers, zu entführen. Nach einer Reportage über Diamantenschmuggel, Fleming arbeitete mittlerweile als Journalist, kam ihm die Idee für seinen Roman ‚Diamonds Are Forever‘.

Blinkende Augen kommen von einem blinkenden Leben

Auch Buntys Augen blinken wie Diamanten. What a character she is, sagt eine ihrer Freundinnen zu mir. Geschichten machen Charaktere. Bunty hat viele solcher Geschichten zu erzählen. Wie sie mit der Queen sprach, nachdem sie nach dem Krieg als eine von 50 auserwählten Frauen sechs Wochen lang per Schiff zur Siegesparade am 01. November 1945 nach London segelte. Die Queen (heute bekannt als Queen Mum) fragte Bunty, woher sie denn gekommen sei. ‘‘New Zealand, ma’am.“ Die Queen wiederum: „How good of you to come all this way“. Und als Bunty sechs Wochen lang nach Neuseeland zurücksegelte, sie jeden Morgen auf dem Weg zum Frühstück von den Matrosen aufgezogen wurde: „Oh leading wren, how good of you to come all this way.’’

Oder als sie auf der Hinfahrt auf dem Schiff einen Franzosen namens René traf, der nach Tahiti segelte und bis gerade noch in japanischer Kriegsgefangenschaft gewesen war. René bat sie, einen Brief an seine Eltern nach Europa mitzunehmen, die dachten, dass ihr Sohn den Krieg nicht überlebt hatte. In Frankreich übergab Bunty den Brief persönlich an Renés Eltern, ihres Zeichens Vicomte und Vicomtesse de Kerdrel. Die Adeligen luden Bunty zum Mittagsessen ein, was zu dieser Zeit für  Nichtadelige durchaus außergewöhnlich war. Später nahmen die Kerdrels Bunty mit zu ihrem Stadthaus nach Paris. Die Wände dort voller Fotografien ihres wundervollen Schlosses, welches die Nazis während des Krieges besetzt hatten.

Nach der Siegesparade bekam Bunty 10 Tage frei, und fuhr nach Irland. In Uniform lief sie durch die Princes Street von Dublin, vorbei an einer Statue von Queen Victoria, die voller Einschusslöcher war. Als sie ihrem Gastgeber Lord Glenavy davon erzählt, erwidert der: „Eine Frau, die die Princes Street in Uniform runterläuft? Du kannst von Glück sagen, dass sie Dich nicht erschossen haben.“

Nach dem Ende des Krieges arbeitete Bunty im ‚Y‘-Raum des Marinehauptquartiers. Der Y-Raum war für den Umgang mit nachrichtendienstlichem Material über ULTRA-Signale zuständig, die von australischen, britischen und amerikanischen Behörden weitergegeben wurden.

Bunty erzählt weiterhin, wie groß das beiderseitige Erstaunen war, als sie ihrem Mann nach Geheimdiensterlaubnis erst 1982 eröffnete, dass sie im Krieg in hochgeheimer Mission unterwegs war. Um daraufhin von Ihrem Mann zu erfahren, dass auch er ihr seine Tätigkeit beim Britischen Auslandsgeheimdienst SIS (Secret Intelligence Service), besser bekannt als MI6 (Military Intelligence 6) 40 Jahre lang verschweigen musste.

Parkwood Retirement Village – ein Musterbeispiel für Seniorensiedlungen

2007 zieht Bunty in die luxuriöse Seniorensiedlung Parkwood Retirement Village. So sollten alle Seniorensiedlungen aussehen. Die Bewohner stehen hier im Vordergrund. 200 Personen stehen auf der Warteliste, um hier zu leben. Eine der Senioren meint, viele kommen zu spät, und hätten dadurch hier nur wenige Jahre. Der Visionär dieses Anwesens hieß Lloyd Parker. Nach 30 Jahren Arbeit wurden seine Visionen und Designs Wirklichkeit. 270 Häuser, Apartments, Parks, sportliche Einrichtungen, ein Hospitalflügel und ein Clubhaus wurden vollendet. Der vollausgerüstete Hobbyraum mit elektrischen Geräten ist ein Traum. Eine Bekannte schleift hier ihre Messer.

Die Gemeinschaft ist großartig, regelmäßig werden Ausflüge und Reisen angeboten. Die Gemeinschaft, so eine Vertraute zu mir, lässt keine Zeit für Grübeleien. Mir wird schnell klar, was sie damit meint. Das Gebiet ist so groß, dass man gerne das Auto benutzt. Alle Häuser wurden vom selben Architekten gebaut. Sehr hübsch, mit kleinem Garten, dazwischen ein kleiner Park mit Teich für Enten und Schwäne. Alles großzügig angelegt mit einheimischen Bäumen, Buschwerk und Pflanzen.

Ein Haus kostete 2009, als ich zu Besuch war, 160.000 Neuseeland-Dollar (NZD) oder 90.000 Euro. Hinzu kam noch eine monatliche Abgabe von 360 NZD für die Instandhaltung der Anlage, für Transport usw. Wer sich hier ‚einkauft‘, muss Bar bezahlen. Wer sein ehemaliges Haus nicht verkauft bekommt, und daher nicht bezahlen kann, muss wieder gehen.

Das ‚Village‘ ist aufgeteilt in das Gebiet ‚Woodlands‘ und ‚Parklands‘. Ein Buschpfad verbindet sie miteinander, und natürlich die Straßen. Zusätzlich gibt es noch Parkwood Lodge mit 54 Apartments und einen Hospitalflügel mit 25 Betten. Hier erfolgt eine 24/7-Versorgung. Jedes der Apartments hat einen Blick ins Grüne. Beim Wechsel in die Vollverpflegung oder in ein Apartment übernimmt das Management den Verkauf des Hauses in der Anlage. Dabei behält sich das Management 10 Prozent des Verkaufspreises für das Gesamtprojekt ein. Das Haus geht quasi zurück in den ‚Pool‘, und wird an jemanden auf der Warteliste weiterverkauft.

Bunty wohnt in einem Mini-Apartment. Ob der Wechsel vom großen Haus hierhin schwierig war, will ich wissen. Machst Du Witze?, sagt sie. Die ersten Monate seien sehr schwer für sie gewesen. Viele Möbel musste Bunty zurücklassen. Ihre Kinder konnten die gesundheitliche Versorgung der Mutter nicht mehr gewährleisten. Sie brauche nun professionelle Hilfe. Es scheint ihr zu bekommen, denn sie sprüht vor Witz und Lebenslust. Gleichgesinnte und zahlreich angebotene Aktivitäten halten sie fit. Und die Vitamine, wie Bunty betont.

Kleines Wohnzimmer mit Oberlicht und Fenster zum Gang, Übergang zum Schlafzimmer mit Blick in den Park. Dazwischen Toilette mit Dusche auf der einen Seite, Waschbecken auf der anderen und noch eine kleine Küche zum Kochen. Die Tür zum Schlafzimmer kann geschlossen werden. „Dann bin ich en Suite“, sagt Bunty und grinst.

Im Clubhaus stehen überall bequeme Sessel, es gibt eine Bibliothek, einen Friseur, ein Haarschnitt kostet 12 NZD bzw. 6,50 Euro. Dazu einen Kiosk, der Briefmarken hat, und einen Fernsehraum und vieles mehr. Nicht weit entfernt, in einem anderen Bereich der parkähnlichen Landschaft, steht ein weiteres Clubhaus mit einem Schwimmbad, natürlich behindertengerecht eingerichtet. An den Wänden hängen selbst gemalte Gemälde der Bewohner. Leute tanzen gerade Square Dance, Männer sind auch dabei. Von einem der Fenster ein Blick auf einen kleinen Wasserfall, der in einen Teich mündet. Irgendwo im Village ist auch ein Kino.

Einige Bewohner haben keinen Führerschein mehr, dafür aber einen kleinen Elektrotransporter (‚Gogo‘) vor dem Haus. In Neuseeland müssen ältere Leute alle zwei Jahre eine Tauglichkeitsprüfung ablegen, andernfalls ist der Führerschein weg. Für diese Fälle fährt ein Kleinbus die Bewohner in die Stadt oder zu anderen Aktivitäten. Jeder bekommt einen Monatsplan mit allen Aktivitäten, die pro Tag geplant sind. Vom Tischtennis bis zum Tai Chi, vom Krocket bis zum Filmprogramm ist alles zu haben. Gemeinsame Reisen sowieso. Die Menschen hier winken sich zu, sehen gesund aus.

Garry Ward

Shall we make an appointment? Kurz nach dem unsittlichen Angebot steht mein anderer Tischnachbar auf und geht zum Mikrofon. Garry Ward erzählt von seinem Leben. Seit den Commonwealth-Spielen 1990 in Auckland kommentiert Garry als Sportkommentator für das neuseeländische Fernsehen Olympische Spiele und Commonwealth-Spiele. Jeden Morgen ist Garry zwischen 09 und 12 Uhr im Wellington Radiosender zu hören und verbreitet gute Stimmung. Eine halbe Stunde lang erzählt Garry Geschichten aus seinem Berufsalltag und bringt uns alle zum Lachen.

Als er zum Beispiel gerade bei den Olympischen Spielen kommentiert, muss er doch mal schlucken, als ihn die Regie davon informiert, dass jetzt 230 Millionen Zuhörer auf seinem Kanal zugeschaltet sind. Oder als er alle Mitglieder einer indischen Nationalmannschaft vorstellen will, und ihm keine Daten von einem einzigen Sportler vorliegen. Wie Garry dabei erfinderisch wurde, eine Analogie aufbaute, dass irgendwie doch alle Mitglieder der Heimatregion des Sportsmannes als Kuriere für die Briten unterwegs waren, und der ‚Briefträger‘ später von anderen Sendern übernommen wurde. Sieben Monate später nach seiner Rede stirbt Garry.

Unser Abend endet mit Schalen voll Schokoladenherzen mit Rum. „Es ist Valentinstag“, lächelt die Kellnerin. Ich setze mich dann doch ans Klavier, und begleite meine Frau zu Elton Johns ‚Blue Eyes‘. Als wir gehen, sagt Bunty: „Weißt Du, es ist schade, dass ich nicht mehr so lange leben kann, aber dafür genieße ich jeden Tag ganz intensiv.“

Als wir mit den Senioren im Kleinbus nach Hause fahren, gibt Bunty noch einen Witz zum Besten: Eine Frau war ihr Leben lang Jungfrau. Als sie im Sterben liegt, bittet sie eine Freundin, für die folgenden Worte auf ihrem Grabstein zu sorgen: „Als Jungfrau geboren, als Jungfrau gelebt, als Jungfrau gestorben“. Nach dem Tod stellt die Freundin jedoch fest, dass alle diese Worte gar nicht auf den Grabstein passen. So lässt sie drauf schreiben: „Return, unopened“. Ungeöffnet zurück.

Der ganze Bus brüllt vor Lachen. Bunty war einfach der Hammer!!

Epilog

Es ist der 9. Oktober 2017. Ich nehme an einem Hintergrundgespräch für Journalisten im christlichen Erbacher Hof in Mainz teil. BND Chef-Historiker Bodo Hechelhammer erzählt Journalisten des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) vom Bundesnachrichtendienst (BND). Wie offen sich die Geheimdienste in Großbritannien und den USA zeigen, und wie „monolithisch“ Deutschland dagegen sei. Vor wenigen Tagen war es dem DJV am Rande der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit gelungen, Hechelhammer für dieses Hintergrundgespräch zu gewinnen. Aus der späteren Diskussionsrunde seien hier nur zwei Episoden erwähnt.

Ich berichte über das Geheimdienst-Pärchen und die 40-jährige Schweigepflicht. Hechelhammer bekundet, die Aufhebung innerfamiliärer Schranken im Geheimdienstkontext sei für stabile Beziehungen ideal, er selber habe solches erlebt. Nach außen hin falle „schlüssigen Existenzen“ eine große Wichtigkeit zu.

Und dann noch die Frage zu James Bond. Hechelhammer plaudert, dem BND würde mitunter vorgeworfen, so etwas gar nicht zu können. In Großbritannien und den USA dagegen würde man so etwas, also geheimdienstliche Fertigkeiten wie in James Bond Filmen, den Diensten durchaus zutrauen.

Hechelhammer erzählt an diesem Abend eine Menge hochinteressanter Fakten und Begebenheiten, von der Operation Gehlen, von Honecker und dem Auslandsnachrichtendienst HVA der DDR, von Werner Maus, von Snowden und Trump. Aber genau wie John Ferris in seinem neuen Buch über Geheimdienste klarstellt, werden wir immer nur einen kleinen Teil der ganzen Geschichte erfahren.

Nach den Abhörskandalen des britischen Geheimdienstes GCHQ, der mit NSA und BND eng kooperiert, standen die Zeichen auf Öffnung in Richtung Öffentlichkeit. Man will verspieltes Vertrauen zurückgewinnen. Ähnlich wie Hechelhammer wurde Ferris erlaubt, von bisherigen MI6 und MI5 Interna zu berichten. Sein Werk: Behind the Enigma: The Authorised History of GCHQ, Britain’s Secret Cyber Intelligence Agency.

Anderthalb Jahre nach unserem Treffen verstirbt auch Lenore Liocadia (Bunty) Longuet, nach einem aufregendem Leben, friedlich in Parkwood Retirement Village.

Lenore Liocadia (Bunty) Longuet im Parkwood Retirement Village 2009. Chapeau.
Print Friendly, PDF & Email