333 Jahre Battle of the Boyne – Nordirland marschiert wieder FÜR die Besatzung Irlands durch Großbritannien

Belfast | analogo.de – In Nordirland wurde gestern wieder marschiert. Es war der 333. Jahrestag der Schlacht am Fluss Boyne. Im Jahre 1690 fand hier zwischen den heutigen Hauptstädten Dublin und Belfast eine Schlacht statt, die heute zum Symbol der Eroberung Nordirlands durch die Engländer hochgehalten wird – zumindest von denjenigen Nordiren, die es gut finden, dass sich die Briten zumindest diesen Teil von Irland einverleibt hatten. analogo.de war beim Marsch der Altgestrigen im letzten Jahr dabei und zeigt Bilder vom Ereignis.

Lesezeit: 4 Minuten

In Deutschland kennt man die Gardemärsche vom Karneval: Uniformierte spielen ein Blasinstrument oder schlagen eine Trommel, alle marschieren in eine Richtung, die Truppen sehen militärisch aus, sind sie aber nicht. Wer den Rosenmontagsumzug in Mainz besucht, weiß die dennoch jovialen Gesichtsausdrücke der marschierenden Musiker zu schätzen.

Die uniformierten Garden sind eher belustigend-abschreckende Symbole einer alten militaristischen Zeit, in der etwa das Frankreich Napoleons die Gegend in Beschlag genommen hatte. Bei rheinischen Karnevalsaufzügen geht es um den Spaß an der Freud. Schließlich auch deswegen, weil die Franzosen ein paar Jahre nach Napoleon von 40.000 deutschen Soldaten aus der Gegend wieder vertrieben werden konnten.

In Nordirland ist es nicht so wie im Rheinland Deutschlands, wo die Franzosen über die Jahre kamen und gingen. Die Briten kamen, siegten und blieben.

Bevor es die Welt kolonialisierte, diente Irland Britannien als erstes Versuchslabor für ihren Kolonialismus. Unter der Regentschaft der Tudor-Königinnen (Bloody) Mary I. und Elizabeth I. hatten die Engländer begonnen, Irland systematisch zu besiedeln. Man wollte Lebensraum für die eigenen Leute, die katholischen Iren zivilisieren und den protestantischen Glauben etablieren.

Wichtig war auch die strategische Idee, das katholische Irland zu schwächen, um es als strategische Hintertür für das katholische Spanien unbrauchbar zu machen. Die Cancel Culture der Engländer ging so weit, dass sie nur englischsprachige Protestanten in Irland siedeln ließen, die zudem auf die britische Krone zu schwören hatten.

Spätestens Ende des 16. Jahrhunderts hatten sich die Briten dauerhaft in Irland festgesetzt, die dortigen Hierarchien zu ihren Gunsten verändert, die Nachbarinsel regelrecht kolonisiert. Hunderte Jahre lang unterdrückten und töteten Briten die irische Bevölkerung. In ihren Strafgesetzen (Penal Laws) versagten sie den Einheimischen auf ihrer eigenen Insel das Recht auf Eigentum und belegten sie mit Berufsverboten. Sie behandelten sie wie schmutzige Hunde und bezeichnten sie als Unkraut („weed“).

Nach hunderten Jahren ethnischer Säuberungen, nach zahllosen niedergeschlagenen Aufständen und Protesten, wurde Irland schließlich vor rund 100 Jahren in zwei Teile getrennt – in Nordirland und die selbstständige Republik Irland.

Wer heute auf der irischen Insel Urlaub macht, erfährt von Greueltaten, bei denen bis in die 90er Jahre Menschen in Seen versenkt wurden, ermordet durch Blutracheaktionen. Wer dagegen heute in Großbritannien Urlaub macht, wird nur sehr selten irische Kraftfahrzeugschilder entdecken. Iren meiden in der Regel einen Besuch des Nachbars Großbritannien, es sei denn, sie arbeiten dort.

Das Symbol Prince Harry

Was zwei Jahre nach dem Brexit geschah, dürfte landesweit bestehende Ressentiments verstärkt haben. Im Jahre 2018 schuf Königin Elizabeth II. einen Adelstitel für ihren Enkel Harry. Der englische Prinz, der sich rühmt, für sein Land in Afghanistan 25 Einheimische erschossen zu haben, wurde zum Baron von Kilkeel ausgerufen. Kilkeel ist ein Kaff nahe der Grenze Nordirlands zur Republik Irland.

Wie Prince Henry Charles Albert David, Duke of Sussex, kurz: Harry, im neokolonialen Ethos Taliban abschlachtete, so erhebt er nun einen mit adeligen Rechten versehenen Anspruch auf einen Flecken Irlands. Durch Harrys Ernennung zum Baron Kilkeel untermauerte die verstorbene Königin Elizabeth II. den territorialen Anspruch Großbritanniens auf einen Teil der Nachbarinsel – ähnlich wie es zuvor ihre Namensvetterin vor 400 Jahren tat. Soldaten schicken, Migration ermöglichen, Siedler schicken, Handel treiben, so wurde England zum Weltreich.

Da mag Harrys Vater, König Charles III., noch so nachhaltige Landwirtschaft betreiben, London bleibt ein Symbol des Kolonialismus.
Da Kolonialismus in globaler Perspektive zunehmend out ist, steht das Vereinigte Königreich mit dem Rücken zur Wand. Erst hatte das Britische Imperium Indien und weitere 64 Staaten verloren. Die 13.000 Kilometer von England entfernten Falkland-Inseln konnte man 1982 noch in einem schweren Krieg gegen Argentinien verteidigen. Dann kam der Brexit und seit zwei Jahren hat sich selbst das Inselchen Barbados zum britannienfreien Status einer eigenen Republik emanzipiert. Absehbar könnte sich Schottland abspalten und in Nordirland wünscht sich ein großer Teil der Bevölkerung die Wiedervereinigung mit der Republik Irland.

Es wird eng in Nordirland

Rund eine Million Nordiren, die bei Großbritannien bleiben wollen, spüren, wie es eng wird.

Vor 25 Jahren gab es zwar noch das Karfreitagsabkommen für mehr Frieden in Nordirland. Aber selbst das steht auf der Kippe. Der irischstämmige US-Präsident Joe Biden reiste vor drei Monaten nach Nord- und Südirland, um das Abkommen zu retten. Im stark polarisierten Parlament von Nordirland hat die katholisch-stämmige Partei Sinn Féin mittlerweile die meisten Stimmen. Sinn Féin, der politische Arm der Irisch Republikanischen Armee (IRA), will die Wiedervereinigung.

Als die IRA nach einem langen Guerillakrieg vor 18 Jahren die Waffen niederlegte, tat sie dies in der Überzeugung, es gäbe jetzt einen alternativen Weg, die britische Herrschaft auf der irischen Insel zu beenden. Eine Million halten immer noch dagegen, und gestern war ihr symbolischer Jahrestag, The Battle of the Boyne Day.

Just in diesen Tagen marschieren in Belfast und 17 anderen Orten wieder tausende radikale Männer FÜR die Besatzung Irlands durch Großbritannien. Die Gesichtszüge der Marschierenden dürften auch dieses Jahr wieder genauso trotzig und verbissen sein. Man läuft hier schließlich nicht einfach aus purer Freude an der Musik.

Marschierende bei Battle of the Boyne Marsch 2022 in Belfast. Bildrechte: Rainer Winters

Die meisten der Marschierenden sind in einer der über eintausend Loyal Orange Lodges (LOL) organisiert, also in Loyalen Oranier-Logen. Die Bruderschaftler tragen die Farbe Orange, da der siegreiche Feldherr der Schlacht am Boyne, Willem bzw. William, aus dem Hause Oranien-Nassau stammte. Willem war so etwas wie der Führer aller protestantischen Armeen Europas und kämpfte als neuer König von England und Irland – zusammen mit einem Heer aus Holländern und Deutschen – auch in dieser Schlacht gegen katholische Kräfte.

Männer marschieren – Frau bejubeln. Oraniermarsch 2022 in Belfast. Bildrechte: Rainer Winters

In Belfast oder Kilkeel wurden gestern wieder Fahnen geschwenkt – mit so Aufschriften wie West Belfast (LOL 739), Duke of Manchesters Invincible (LOL 839) oder If god be for us, who can be against us? Die radikale Religion und der Glaube an die Richtigkeit der Geschichte spielt also de facto immer noch eine immense Rolle bei der Identifikation vieler Nordiren mit ihrem Staat.

Ein Polizist verteilte orangene und grüne Bleistifte an die Schaulustigen und bemerkte mir gegenüber, auch heute noch gebe es streng getrennte Stadtviertel, wobei die Protestanten in ihrem Bezirk bleiben und die Katholiken dies aus Vorsichtsgründen ebenfalls praktizieren.

Die Stimmung downtown Belfast war mal wieder angespannt, aber das ist in Belfast nicht nur am 11. und 12. Juli so. Obwohl Belfast einige recht nette Gebäude vorzuweisen hat, bleibt sie in ihrer Ausstrahlung eine finstere Stadt, die an ständigen Bürgerkrieg erinnert.

Nach dem Marsch im letzten Jahr traf ich eine Gruppe erschöpfter Marschierender. Die Marschstrecke von Belfast City zum Stadtrand und zurück ist lang. Ich stand noch unter dem Eindruck eines Blumentopfwurfes gegen die Marschierenden. Angesprochen auf die bitteren Erfahrungen eines getrennten Deutschlands, ist die Reaktion der Teilnehmer ablehnend und trotzig. „Im nächsten Jahr sind wir wieder da“, ist alles was sie zu sagen haben.

Die Gräben sind tief, die Menschen unversöhnt und der Marsch emotionaler denn je.

Print Friendly, PDF & Email

1 Gedanke zu „333 Jahre Battle of the Boyne – Nordirland marschiert wieder FÜR die Besatzung Irlands durch Großbritannien“

Kommentare sind geschlossen.