Diskriminierung von Digital Outsidern – Verbraucherschutzministerien zeigen sich alarmiert

Berlin, Göteburg, London | analogo.de – Die Verbraucherschutzministerien in Deutschland warnen vor der steigenden Ausgrenzung von digitalen Außenseitern. Das ist das Ergebnis einer Umfrage von analogo.de. In Zeiten ungesicherter Daten (Hackings etc.) stehen viele Menschen digitalem Zahlungsverkehr kritisch gegenüber. Gleichzeitig sind Banken bei der Ausgabe von Kreditkarten immer vorsichtiger, was größere Personenkreise vom Onlineshopping ausschließt. Digitalen Außenseitern werden auch telefonische Buchungen immer stärker verweigert, wenn sie kein Smartphone oder Tablet haben. Seit gestern diskriminiert nun zusätzlich die in Berlin ansässige Deutsche Kreditbank AG (DKB) Menschen, indem sie die Bedingungen ihres Bezahlsystems änderte.

Anlässlich des UNO Welttages für die Informationsgesellschaft befragte analogo.de Verbraucherschutzministerien und Verbraucherschutzorganisationen, in wie weit die Bürger in den einzelnen Bundesländern, insbesondere im Internet vorsichtig agierende Menschen (Digital Outsider) gemäß dem UNO-Gebot integriert sind, indem sie durch ein „befriedigendes, bereicherndes und erschwingliches Online-Erlebnis“ am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Insbesondere gingen wir der Frage nach, wie die Behörden dazu stehen, dass Personen ohne Smartphone, Tablet oder Onlinekonto oftmals online keine Produkte mehr einkaufen können, weil immer mehr Produktanbieter einen Onlinekauf nur noch via Kreditkarte akzeptieren. Konkret nahmen wir die beiden Stakeholder DKB Bank und die Fährgesellschaft Stena unter die Lupe.

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Zunächst ein paar Basics: Mehr als 80 Prozent aller Privathaushalte verfügen in Deutschland über einen Internetzugang, der von 93 Prozent aller Angeschlossenen auch für den Kauf von Waren oder Dienstleistungen genutzt wird. Den Löwenanteil aller Zahlungsverfahren (rund 30 Prozent) lief über das amerikanische Unternehmen Paypal. Auf Platz 2 lag der Kauf auf Rechnung (24 Prozent). Den Zahlungen via Paypal liegt oft eine Kreditkarte zugrunde. In Deutschland verfügen aber nur weniger als 60 Prozent aller Verbraucher über eine Kreditkarte. Ohne Kreditkarte lässt sich aber beispielsweise auf Reisen kaum ein Mietauto oder Hotel buchen.

analogo.de stellte diese zwei Fragen an Verbraucherschützer:

1. Wenn Digital Outsider oder Verbraucher mit geringem Einkommen im Internet nur sehr beschränkt agieren, laufen sie somit in Gefahr, von der (Informations-) Gesellschaft ausgeschlossen zu werden?

2. Sind Sie der Meinung, dass diese Personen von den Anbietern und Zahlungsdienstleistern diskriminiert werden, weil sie durch die fehlende Buchungsmöglichkeit keine Vorausbuchungen tätigen können und dadurch gegenüber anderen Marktteilnehmern in Nachteil geraten?

Theresa Schmotz, Referentin im SPD-geführten sächsischen Staatsministerium für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt, schreibt analogo.de, Ziel solle es sein, parallel zu den digitalen Nutzungsmöglichkeiten immer auch die haptische oder eine Vor-Ort Bearbeitung zu ermöglichen, solange es Marktteilnehmende gibt, denen die digitale Nutzung nicht möglich ist. Eine Benachteiligung solle vermieden werden. Das sei ein generelles politisches Ziel der Bundesgesetzgebung, der sich Sachsen anschließe.

Im Übrigen habe das sächsische Ministerium letztes Jahr das Modellprojekt Gemeinsam digital gefördert. Unter Leitung des Centers for Open Digital Innovation and Participation (CODIP) der TU Dresden konnten bereits 102 Technikbotschafter ausgebildet werden, die älteren Menschen nicht nur bei der Bedienung ihrer mobilen Endgeräte behilflich seien und die digitale Medienkompetenz fördern, sondern deren Fragen ganz individuell in Schulungsformaten aufgreifen, so Schmotz. Die Koordinierungsstelle werde auch weiterhin bis in das nächste Jahr gefördert, so dass weitere Botschafter ausgebildet werden könnten. Fazit: Sachsen ist auf einem integrativen Weg, will aber erreichen, dass auch ältere Menschen mehr im Internet unterwegs sind.

Andere Zahlungswege öffnen

Eine Pressesprecherin des grün geführten Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz schreibt analogo.de, die Digitalisierung sei für viele Menschen ein Segen, aber es bestehe die Gefahr, dass die Menschen ohne Online-Zugang manche Angebote nicht wahrnehmen könnten. Hessen habe dazu bereits auf einer Verbraucherschutzministerkonferenz 2017 einen Antrag gestellt, für nicht online-affine Verbraucher andere Zahlungswege zu öffnen. Der Titel lautete „Neue Bezahlvorhaben im Internet für mehr Teilhabe am Wirtschaftsleben“. Der Ball liege dazu jetzt bei der Bundesregierung.

Sebastian Schreiber, der Pressesprecher des CDU-geführten Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz von Baden-Württemberg, gibt zu Bedenken, Verbraucher ohne Smartphone und ohne Zugang zum Internet würden zum Teil von diesem Bereich des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. Mit zunehmender Digitalisierung würden längst nicht alle Menschen von ihr profitieren, so beispielsweise bei Zahlungsdienstleistungen. Unternehmen hätten zwar die Freiheit, auch nur eine Zahlungsart anzubieten, diese müsse aber, wenn es sich um einen Verbraucher handele, der einkauft, kostenfrei, gängig und zumutbar sein. Schreiber verweist auf die Paragraphen 312 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Weiter mahnt Schreiber, im Sinne der Barriere- und Wahlfreiheit für Verbraucher solle – trotz aller digitalen Fortschritte – eine (analoge) Bestellung von Produkten und Dienstleistungen (insbesondere zur Grundversorgung und Daseinsvorsorge) unter der Angabe lediglich eines Minimums an Daten und geringer technischer Ausrüstung bzw. Fertigkeiten weiterhin möglich sein. Auch bei der Ausgestaltung von behördlichen Diensten sollten im Sinne der Wahlfreiheit und Barrierefreiheit digitale und analoge Lösungen parallel angeboten werden, so der Kommentar aus Stuttgart.

Eine Sprecherin des grün geführten niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz schreibt, das Ministerium befürworte, wenn Unternehmen eine große Bandbreite unterschiedlicher Zahlungsmöglichkeiten anbieten, um möglichst vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit zu geben, die gewünschten Produkte sowohl im stationären Handel als auch online zu erwerben. Bislang seien keine Beschwerden an das Hannoveraner Ministerium herangetragen worden, was das eingeschränkte „analoge“ Kaufen angehe. Die beschriebene Entwicklung müsse aber beobachtet werden, insbesondere wenn es sich um notwendige Produkte handele.

Vorenthalten notwendiger Produkte = Diskriminierung

Notwendige Produkte wiederum werden bei Wikipedia als Grundversorgung bzw. Daseinsvorsorge definiert, indem wichtige Infrastruktur und Dienstleistungen zur Verfügung gestellt wird. Zu den Elementen der Grundversorgung gehören Transport- und Finanzdienstleistungen oder auch die Wasserversorgung.

Ein Fakten-Check: Erst gestern ließ das Bankinstitut DKB seine Kunden wissen, dass sie keine Onlinezahlungen mehr durchführen können, sofern sie sich mit ihrer Kreditkarte für das Sicherheitscode-Verfahren registriert hatten. Die Bank zwingt ihre Kunden nun in ein „App-Verfahren“, bei denen Kunden eine Handynummer hinterlegen müssen, mittels derer sie die einzelnen Zahlungen freischalten sollen. Wer kein Handy, Smartphone oder Tablet hat, kann ab sofort mit der DKB-Karte nicht mehr online einkaufen. New Wave Diskriminierung, made in Berlin.

Das Wort Diskriminierung leitet sich vom Lateinischen ab und bedeutet ganz grundsätzlich, jemanden oder etwas gegeneinander abzugrenzen, abzusondern oder zu benachteiligen. Im wirtschaftlich-sozialen Kontext wird einer Gruppe A die Teilnahme am Handel ermöglicht, der Gruppe B aber nicht, weil sie gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt. Bankinstitute verkennen nur allzu oft, dass sie der Daseinsvorsorge Genüge zu tragen haben.

Fakten-Check II: Am anderen Ende der Grundversorgung, nämlich bei einem Dienstleister der Grundversorgung, ist sich die Fährgesellschaft Stena Line ihrer Verantwortung bewusst, auch finanzschwache Menschen zu integrieren, indem sie verschiedene Zahlungsmöglichkeiten anbietet.

Der Pressesprecher von Stena Line, Stefan Elfström, verweist auf eine unterschiedliche Behandlung von Kunden, je nach Land und Markt. Stena Line bietet deutschen Marktteilnehmern mehr Möglichkeiten als etwa englischen Marktteilnehmern. Letztere können ihre Fährtickets nur via Kredit- und Debitkarte (eine Art EC-Karte, bei der man auf sein Kontoguthaben zurückgreift, also keinen Kredit der Bank in Anspruch nimmt) bezahlen. In Deutschland bietet Stena Line zusätzlich die Bezahlung via Lastschrift online an, sofern man in deren Callcenter bucht. Im Hafen könne zudem bar bezahlt werden. Nachteil 1 für Digital Outsider: Wer erst im Hafen kauft, bleibt eventuell stehen, wenn das Schiff ausgebucht ist. Nachteil 2: Der Preis für Digital Outsider könnte höher ausfallen als für Personen, die im Internet eine billigere Vorausbuchung tätigten.

Dennoch hebt sich Stena Line damit von anderen Fährgesellschaften in Europa ab, die als Zahlungsmittel teilweise nur noch Kreditkarten akzeptieren und somit ihre potenziellen Kunden über den Weg des SecurID verpflichten, ein Smartphone oder Tablet zu besitzen.

Wiedereinführung von Rechnungen und TAN-Verfahren

Fazit & Ausblick: Händler mit Internetpräsenz (also eigentlich alle Händler) verkaufen Ihre Waren und Dienstleistungen nur zu 24 Prozent auf Rechnung. Meistens fordern sie vom Käufer eine Kreditkarte bzw. die Bezahlung mit dem häufig auf Kreditkarten basierten Zahlungssystem Paypal. Viele Arme, Sozialhilfeempfänger und andere Menschen erhalten von den Banken aber keine Kreditkarte. Nur 60 Prozent aller Verbraucher haben eine.

Doch selbst wer eine Kreditkarte hat, kann oftmals im Internet nicht einkaufen, auch nicht bei Grundversorgern, wenn sich der Grundversorger pro Bezahlvorgang die Identität des Käufers bestätigen lassen will, indem die Käufer dies über ihr mobiles Endgerät tun sollen (SecurID). Millionen Menschen ohne Smartphone oder Tablet (Digital Outsider), mithin im Internet zurückhaltend agierende Menschen, können zunehmend nicht mehr umfänglich an grundsätzlichen Aktionen des Alltags teilnehmen.

Das Recht auf Freizügigkeit wird für diese Menschen unterminiert, mithin ein Beleg für die zunehmende Diskriminierung gewisser Personenkreise in Deutschland und Europa. Das Ziel der Vereinten Nationen einer fairen Teilhabe aller Menschen wird konterkariert. Auf dem Weg zur Zielerfüllung des UNO-Ziels der Überbrückung einer digitalen Kluft gerät das höherwertigere Ziel aus den Augen, dass Menschen grundsätzlich noch am wirtschaftlichen Leben teilhaben können.

Für Grundversorger wie die Stena Line gilt: Die Wiedereinführung alternativer Zahlungsmethoden wie Rechnungen ist dringend geboten, auch europaweit. Für Finanzdienstleister gilt: Die Wiedereinführung von TAN-Verfahren mittels TAN-Generatoren ist dringend geboten. TAN-Generatoren erstellen pro Bezahlvorgang eine Trans-Aktions-Nummer, die mobile Endgeräte obsolet werden lässt.

Mobiles Endgerät oder TAN-Generator, beides sind Drittgeräte und beide mögen die benötigte Sicherheit für Bezahlvorgänge im Internet bieten. Im Gegensatz zu Smartphones haben TAN-Generatoren den Vorteil, dass die Kunden nicht gleichzeitig der staatlichen Überwachung unterliegen.

Ein Nebenaspekt dieser Recherche: Das Landesamt für Verbraucherschutz von Sachsen-Anhalt sah sich nicht als richtiges Umfrageziel und verwies auf die örtlich zuständige Verbraucherschutzzentrale. Die Verbraucherzentralen der Bundesländer wiederum hatten süffisanterweise keine Zeit, auf unsere Fragen zu antworten. Sie waren wohl zu sehr – wie hier in NRW – damit beschäftigt, ihre Klienten auf den bevorstehenden Glasfaseranschluss vorzubereiten.

Stena Line – Connecting Europe. Kaum auszudenken, man beabsichtige die Bezahlung der Fährfahrt mit einer Kreditkarte der Deutschen Kreditbank AG (DKB). Bildrechte: Rainer Winters
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