Berlin | analogo.de – Nachdem sich die Deutschen jetzt so lange gegenseitig als Nazis beschimpft haben, gelangt auch zunehmend die ganze Welt wieder zur Überzeugung, dass Deutschland voller Nazis ist. Das Gespenst wirkt. Ausländische Medien und Politiker thematisieren das neue Deutschland. Erste Boykotte gegen Deutschland sind in Kraft. Im Ausland rücken Vorsicht und Angst gegenüber Deutschland wieder in den Vordergrund. Alte Wunden reißen auf. Kaum mehr verwundert es, wenn sich aktuell nicht nur exilierte Deutsche, sondern zunehmend die Weltgemeinschaft von Deutschland distanziert. Obwohl Cancel Culture und Annihilierungs-Aufrufe keine Probleme lösen, kommen immer mehr Menschen zu dem Schluss: „Höchste Zeit, sich von Deutschland zu distanzieren“. Der ANA LOGO Long Read.
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Mal wieder ist Deutschland, dieses effiziente Land von Stasi, Hitler & Co. isoliert. Die ganze Welt hasst Deutschland und ganz Köln hasst die AfD. Was nur zu Teilen stimmen mag, verdichtet sich, je öfter man es liest. Ganz Köln hasst die AfD, München hasst, Kiel hasst, Göttingen hasst, Berlin hasst sowieso. Ganz Deutschland hat sich zu einer vereinigenden Schlangengrube des Hasses entwickelt, in der sich gefühlt jeder von jedem distanziert.
Vielleicht stimmt es ja: Das Land von Johann Sebastian Bach und Ludwig van Beethoven ist von seinem Wesen her eine hassende Volksgemeinschaft. Früher evident, zwischendurch durch Wiederaufbau und Wiedervereinigung verdeckt, und jetzt wiedererwacht?
Die Greueltaten der Nazis haben sich tief in die Psyche der Deutschen gefressen. Und in die Psyche dieser Welt. Eine durch Zufall aufgeschnappte Radiomeldung in den Rocky Mountains in Kanada – im Jahre 1994. Nach allerlei Weltnachrichten nun die Meldung aus Germany: Bei Nürnberg wurde ein Grabstein mit einem Hakenkreuz beschmiert.
Wenige Themen bewegen die Welt seit dem 2. Weltkrieg so sehr wie die Nazis und ihrer Opfer. Auch heute wird das Nazigespenst am Leben gehalten. Angloamerikanische Medien scheinen besonders erpicht, den Deutschen ihr Nazitum vor die Nase zu halten. Vielleicht kein Wunder, beschimpfen sich doch in Deutschland Hinz und Kunz als Nazi. Da muss doch was dran sein, werden sie sich sagen. Manche machen das Thema gar zu Geld. Die Rockband Rammstein sahnt mit dem Thema Riesenbeträge ab.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fasste die Situation exemplarisch zusammen: „Jetzt ist also auch Christian Lindner ein „Rassist“, ein „Rechtspopulist“, ein „Nazi“. Alexander Dobrindt war es schon letzte Woche. Edmund Stoiber früher auch einmal. Horst Seehofer noch nicht. Dafür aber Franz Josef Strauß. Die halbe Republik besteht aus „Nazis“. Es gibt die Neonazis, die Öko-Nazis, die Antifa-Nazis, die Anti-Antifa-Nazis, die Tabak-Nazis, die Gender-Nazis, die Troll-Nazis, die Ossi-Nazis, die Euro-Nazis, jetzt also auch die CSU-Nazis, die FDP-Nazis und natürlich die völkischen Nazis von der AfD. Es ist wie mit den Leuten, die „Feuer!“ rufen, auch wenn es gar nicht brennt. Wenn dann wirklich einmal Feuer ausbricht, nimmt es keiner mehr ernst.“
Traumatische Nazi-Besessenheit, wo man hinschaut.
Obwohl es längst keine NSDAP mehr gibt und Deutschland auch keine Glaubensgemeinschaften in Konzentrationslagern vergast, zeigt die aktuelle Bundesrepublik allerhand Ähnlichkeiten zur Anfangsphase der Nazis auf. Konzentration auf Militärmacht und Kriege, unüberwindbare Feindseligkeiten zwischen Mitmenschen, bürgerkriegsartiges Zerstören von Privatbesitz und Infrastruktur, Mordanschläge auf Politiker, Kaufe-nicht-bei-Juden-Reflexe in Kulturszene und Politik, skrupelloses Gestapo-Gehabe missetätiger Polizeiapparate, landesweit schikanierende Stadtverwaltungen, Grundrechteverletzungen seitens der staatlichen Führungen, Denkverbote und Gleichschaltung des Bildungssektors, flächendeckende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger, ein korrupter und strafvereitelnder Justizapparat, Kaperung der Mainstreammedien durch die Politik, eliten-unterstützte Verbotsversuche einer der größten Parteien im Land und nicht zuletzt eine weithin eiskalte Unbekümmertheit angesichts von geschehendem Unrecht.
Vom Judenkiller zum Araberkiller
Laut dem Friedensnobelpreisträger Bischof Desmond Tutu lernen wir von der Geschichte, dass wir nicht von der Geschichte lernen. Es sei dahingestellt, ob die Bundesbürger angesichts eines solch breiigen Sumpfes aus Angst einmal wieder – und wie schon zu Nazizeiten – mit dem geschehenden Unrecht konform gehen.
Seit Monaten thematisiert die englische Zeitung The Guardian den neuen Korpsgeist Deutschlands und poltert in typisch englischer Manier dort lange gepflegten Deutschenhass. Seit Wochen setzt das Blatt mit dem Framing eines beängstigenden Szenarios Maßstäbe, es sei gerade eine schlechte Zeit in Deutschland zu leben. In ähnlicher Weise fragt die britische TIMES: „Was läuft falsch in Deutschland? Das Land steht vor Unruhen, wirtschaftlichem Elend und einer aufstrebenden harten Rechten. Die Stimmung ist düster – und es werden besorgte Vergleiche mit der Weimarer Zeit gezogen.“ Was diese Artikel gemein haben, ist ihr Fokus auf das für Germany „Offensichtliche“, nämlich das „Nazitum“.
Auch Russland beschwört den ewigen Nazigeist wieder. In einem aktuellen Interview mit dem Journalisten Tucker Carlson erklärt Russlands Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin, Russland habe die Ukraine angegriffen, weil es nicht in Ordnung sei, dass sich dort Nazismus breit mache. Selbst wenn es real keine Nazis gibt: Auch hier Nazis als schlimmstes anzunehmendes Feindbild. Russland mag in der Ukraine keine Nazis dulden, später im Interview lenkt Putin aber ein, der Druck der USA vor den Toren Russlands sei der eigentliche Grund für den Krieg.
Mit Deutschlands Position im Falle des aktuellen Völkermords in Gaza durch Israel bekräftigt die Bundesrepublik das Fremdbild einer aggressiven Militärmacht. Hatte der Deutsche Bundestag Deutschland noch mit Standing Ovations in den Krieg gegen Russland katapultiert, avanciert das Land mit großen Schritten zu einem der größten Araber-Killer auf der Erde.
Der Völkermörder Israel kann sich Deutschlands militärischer Unterstützung gewiss sein. Wer aber in Deutschland gegen Israels Genozid argumentiert, wird von deutschen Mainstreammedien als Antisemit denunziert, gar gleich von der Polizei abgeführt. Die Opfer heute sind nicht mehr die Juden als Glaubensgemeinschaft, sondern die Araber als transnationale Bevölkerungsgruppe. Das Muster ist dasselbe: Verteufelung, Hexenaustreibung und Ausgrenzung. Nur die Gestalt des Opfers ist eine andere.
Boykott gegen den Feind
Der Kabarettist Florian Schröder analysiert das Böse in einem Interview der Tageszeitung: „Indem ich das Schlechte externalisiere und komplett von mir stoße, wird es Teil von mir?“, fragt die Taz. „Genau“, sagt Schröder. „Ich schließe es weg, packe es in den Keller oder in eine Schublade. Die mache ich zu. Denke ich. Aber das funktioniert nicht. Das, was ich wegpacke, muss ich kontrollieren und bin heimlich beherrscht davon. Erst in dem Moment, in dem ich das annehme und sage: Ja, ich habe die Züge, kann ich sie damit einordnen und in Griff kriegen, weil ich nicht mehr beherrscht bin von ihnen.“
Mag die Gesellschaft Deutschlands noch weitere einhundert Jahre auf der Freud’schen Couch liegen, die Weltgemeinschaft setzt ihrerseits Ächtung vor Psychoanalyse. Mit dem Boykott gegen Deutschland „Strike Germany“ formieren sich weltweit immer mehr Künstler, die nicht mehr in deutschen Kultureinrichtungen auftreten wollen, man verachte die McCarthy-Politik deutscher Kultureinrichtungen im Bezug zu Israel/Palästina.
In der gesamten Bundesrepublik stornieren regierungskonforme Kultureinrichtungen inländische und ausländische Künstler, weil die Künstler anderer Meinung sind. AfD-Politikern wird der Zugang zu Kulturveranstaltungen verweigert, so geschehen kontra Martin Erwin Renner bei der Berlinale 2024 oder Arne Kuster bei der Mainzer Fastnacht 2024.
Strike Germany ruft zur Ablehnung der deutschen Kulturszene auf, die das Recht auf freie Meinungsäußerung der in Deutschland auftretenden Künstler mit dem Bühnenengagement verknüpft. Es gehe nicht an, die politischen Einstellungen der Künstler zu überprüfen und zu überwachen. Abgesehen von Künstlern agiert die Weltgemeinschaft sicherlich auch im Sinne anderer Menschen, die in Deutschland wegen ihrer Meinung ausgegrenzt werden.
Gleichzeitig verändern sich außenpolitisch die geopolitischen Strukturen. Die Kriege im 21. Jahrhundert sind bislang reine Proxy-, also Stellvertreterkriege. Das Land von Taylor Swift und Cassius Clay lässt gegen Russland kämpfen, wobei geschundene Männer der Ukraine die Drecksarbeit machen sollen. In Israel kämpfen israelische Soldaten mit deutscher Militärhilfe gegen Araber (die sich prompt auf deutschem Terrain revanchieren).
Schon nimmt auch Russland das Land von Olaf Scholz und Friedrich Merz als neuen Feind wahr. Aus dem Kreml heißt es, es sei damals ein Fehler gewesen, sich aus der DDR zurückzuziehen. Mit der aggressiven Militärpolitik Deutschlands werden wieder Szenarien denkbar, in denen Teile Deutschlands besetzt oder teilweise zerstört werden.
Deutschland ist unfähig, Lehren aus seiner grausamen Geschichte zu ziehen
Reale Gefahr oder unbegründete Angst? Britische Zeitungen jedenfalls stellen Millionen Menschen in Deutschland als Nazis bzw. deren Sympathisanten dar, und greifen dabei auf naiven Phrasendrescher wie Peter Kuras zurück. In einem aktuellen Artikel schreibt der Mann, vor ein paar Jahren hätte Deutschland anscheinend alle Antworten gehabt: Eine robuste Wirtschaft und eine stabile und breit angelegte Koalition gegen die extreme Rechte.
Obwohl es rechte und linke Politik gar nicht gibt, hetzt das Blatt mit verkaufsfördernder Angstmacherei (fear-mongering) gegen ein „rechtes“ Deutschland. So wie Desinformation der politische Begriff zur Vorbereitung von Zensur ist, dient die Denunzierung, ein „rechtes Weltbild“ zu haben, als Vorbereitung auf eine Denunzierung jemanden einen Nazi zu schimpfen.
Auch in Europas Süden wird „Deutschland“ wieder zum Schimpfwort. Undenkbar noch vor dreißig Jahren. Der Spiegel berichtet von einem starken Anstieg antideutscher Stimmung in Griechenland: Im Zweifelsfall nenne man sie, die Deutschen, Nazis. Mit der Konfrontation ihrer Nazivergangenheit seien Deutsche am meisten verwundbar, aber man müsse sich gegen sie verteidigen. Der eigenen Würde zuliebe.
Auch von der Südhalbkugel hagelt es Kritik an Deutschland. Der alte koloniale Besatzer habe nichts gelernt von dem Völkermord, den es auf namibischem Boden begangen habe. So lässt sich die jüngste Kritik von Hage Geingob zusammenfassen, des vor wenigen Tagen verstorbenen Präsidenten von Namibia. Geingob hatte kurz vor seinem Tod die deutsche Unterstützung des Völkermords Israels gegen Araber mit scharfen Worten kritisiert. Deutschland sei unfähig, Lehren aus seiner grausamen Geschichte zu ziehen
Parallel stellt Craig Murray fest, keine nationale Elite habe sich so sehr gegen die Palästinenser gewehrt wie die deutsche. Anstatt ererbte Schuldgefühle in den Widerstand gegen Völkermord im Allgemeinen zu kanalisieren, scheinen sie zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sie alternative Völkermorde fördern müssen, um Wiedergutmachung zu leisten, so Murray. Gemäß der Geschichte Florian Schröders würde dies bedeuten, dass Deutschland sein Nazitum tatsächlich noch nicht verarbeitet hat, und gerade deswegen wieder zum Killer wird. Diesmal halt zum Russen- und Araberkiller.
Warum gibt es Julia Boyds Bücher nicht auf deutsch?
Der Pfad ist bereitet, der Trend glasklar: Nach innen und nach außen verfeindet, ist der Mahlstrom der Bundesrepublik längst auf dem Weg zu alten Formaten. Wie schon einmal in der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert kriechen auch aktuell wieder mahlstromkonforme Totalitäre aus ihren Löchern, um die Freiheit anderer einzuschränken.
Natürlich ist nicht jeder Bewohner der Bundesrepublik ein Nazi, aber das war auch zur Zeit der Nazis der Fall. Entscheidend für den Demokratiegrad einer Nation ist, was sich durchsetzt. Zum Beispiel: In welchem Maße nicht nur die Eliten und Führungen ihren Bürgern Freiheiten gewähren, sondern inwiefern sich – an den Eliten orientierend – dieselben Bürger geringeren Einflusses (sprich Mitläufer) im Recht sehen, die Freiheit ihrer Mitbürger einzuschränken.
Angesichts inländischer Nazikeulen an allen Ecken und Enden scheint Deutschland mit seiner Psychotherapie intellektuell überfordert. Impulse für eine gute Psychoanalyse kommen aus dem Ausland. Kaum jemand hat die Dynamiken, wie sich Nazis und normale Bewohnerschaft verflochten hatten, wie der Zug der Nazis Fahrt aufnahm, besser geschildert als die Britin Julia Boyd in ihren Büchern Travellers in the Third Reich und A Village in the Third Reich. Zwei Bücher, die in mehr als zehn Sprachen erschienen sind – aber nicht auf Deutsch.
In der Aera einer napoleonischen Ursula von der Leyen und einer alternativlosen Angela Merkel treten Deutsche so (arrogant) selbstzufrieden auf wie zuletzt zur Nazizeit. Deutsche Panzer rollen wieder, und den Kanzler macht es glücklich. Von Namibia bis Großbritannien und von Russland bis Arabien, im globalen Maßstab reißen alte Wunden wieder auf. Schon sehr bald wird es irrelevant sein, ob das Gespenst eines „Deutschlands voller Nazis“ selbstbild- oder fremdbild-induzierten Ursprungs war.
Dass Araber den Krieg durch diffuse Vergeltungsschläge längst nach Europa transportiert haben, wird sehr wahrscheinlich zu einer Verstärkung von nazioiden Abwehrelementen führen und im Fortgang zu einem verhärteten Fremdbild eines „Staates voller Nazis“. Dass das aktuelle Großbritannien schon länger als Deutschland radikale Abschiebungspläne schmiedet, erscheint da ganz sekundär. Eigenkritik ist generell weniger wirkungsmächtig als ein Feindbild.
Unerheblich was Deutsche in Deutschland oder anderswo machen, in der Gegenwart wird es immer schwieriger, sich als Deutscher von den Taten deutscher Medien, deutscher Politik und deutschem Selbstverständnis zu distanzieren – um nicht selber von einer Welle mitgerissen zu werden, die vielleicht irgendwann einmal wieder nicht anders kann, als alles Deutsche wegzuspülen.
Deutschland ertrinkt an Aufmerksamkeit. Einserseits ist es zu erfolgreich, andererseits kann es mit dem Erfolg nicht umgehen. Man sollte dieses aufgewühlte Land in Ruhe lassen. So dass es zur Ruhe kommt. Das gilt sicher auch für Migranten, die sich in Richtung eines kulturfremden Europas aufmachen. Ist es nicht so, dass sich nur allzu oft die Träume von Migranten als Schäume entpuppen?
Ja es ist höchste Zeit, sich von Deutschland zu distanzieren – allem persönlichen Wohlbefinden und der Weltgesundheit zuliebe.
Die Kultur der annihilierenden Cancel Culture ist dermaßen zum Selbstverständnis deutscher Bürger geworden, dass ihr Spiegelbild jetzt auf das Land zurückfällt. Bildrechte: Pixabay user Gordon Johnson 6184637