UNESCO Zero Discrimination Day 2024: Wie Digital Outsider bei Pret A Manger erheblich draufzahlen

London | analogo.de – Das Sandwich-Imperium Pret A Manger benachteiligt Kunden ohne Smartphone bzw. Tablet, indem es ihnen zwanzig Prozent mehr Geld für Sandwiches und Kaffeeprodukte abnimmt als Kunden, die mit der Club-App bezahlen. Kunden fühlen sich diskrimiert. In der Süddeutschen Zeitung schreibt Heribert Prantl, die Schlechterstellung von Menschen ohne Smartphone verstoße gegen grundlegende Menschenrechte. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben dürfe nicht unter Smartphone-Vorbehalt stehen. analogo.de befragte britische Parlamentsabgeordnete, was sie von der Benachteiligungspraxis des Sandwichriesen halten. Auch die Restaurantkette kommt zu Wort. Eine Reportage anlässlich des UNESCO-Welttages am 01. März gegen Diskrimierung.

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Die Konzernzentrale des milliardenschweren Restaurant-Unternehmens Pret A Manger residiert im edlen Londonder Stadtteil Westminster. Die Exklusivität der Firmenadresse mit Nachbarn wie dem Buckingham Palace oder den Luxushotels Goring und Rubens at the Palace scheint auf Geschäftsgebahren und Menschenverständnis der Firma abzufärben. Wie sich nur der Club der Reichen eine Übernachtung in den nachbarlichen Luxushotels leisten kann, hat auch Pret A Manger ein exklusives Bezahlmodell für seine Kunden eingeführt.

Wer bereit ist, dem Unternehmen seine Daten anzuvertrauen und ein Smartphone bzw. Tablet besitzt, kann Mitglied des „Club Pret“ werden und bezahlt fortan 20 Prozent weniger. Zur Registrierung im „Club“ ist ein Smartphone oder Tablet zwingend vorgeschrieben.

Das Journalisten-Urgestein Heribert Prantl weist darauf hin, dass es viele junge Menschen gibt, die sich der Nachteile von Smartphones wie Überwachung und Tracking sehr bewusst sind. Mit dem Hinterlegen ihrer Zahlungsdaten ist für jene Kunden die Zeit vorbei, sich anonym einen Kaffee zu kaufen. Die Firma erfährt, wer wo wann was zum Konsum erworben hat. Club-Charakter in London?

Klarer Appell von zwei House of Lords Mitgliedern

Für monatlich 30 britische Pfund (ca. 35 Euro) bietet Pret seinen Club-Mitgliedern täglich fünf heiße und kalte Getränke – und obendrein die Vergünstigung um 20 Prozent. In Londoner Filialen kommen die Baristas kaum dem Ansturm hinterher. In Filialen wie am Bahnhof von Kensington stehen Kunden oft wie in einer Schar an der Seite, um auf ihren Kaffee zu warten.

Auf der anderen Seite zahlen Kunden ohne Smartphone oder Tablet drauf. Auf eine gewisse Weise bleiben sie – außen vor. Bei jedem Erwerb eines Sandwiches oder eines Pappbechers Kaffee führt der Konzern Digital Outsidern vor Augen, dass sie erhebliche Nachteile erleiden.

Natalie Louise Bennett, Baroness Bennett of Manor Castle und Grünen-Mitglied des House of Lords, schreibt analogo.de auf Nachfrage, digitale Ausgrenzung und Diskriminierung seien ein wachsendes Problem in der Gesellschaft, sowohl durch die „Digital First“-Strategie der britischen Regierung als auch durch die Maßnahmen kommerzieller Organisationen. Und dann diesen starken Satz:

„Wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen den gleichen Zugang – und die gleichen Kosten – haben.“

„Und es ist auch wichtig, darüber nachzudenken, wie Unternehmen die Technologie nutzen, um ihre Kunden und Dienstleistungsnutzer zu zwingen, Verwaltungsaufgaben zu erledigen, die eigentlich in der Verantwortung des Unternehmens liegen sollten. Offensichtlich wird gedankenlos angenommen, dass die digitale Ausgrenzung hauptsächlich ein Generationsproblem ist, das vor allem ältere Menschen betrifft, die nicht mit diesen Technologien aufgewachsen sind. Aber die individuellen Fähigkeiten ändern sich im Laufe des Lebens; selbst jemand, der heute gut mit diesen Technologien umgehen kann, ist vielleicht in zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr in der Lage, dies zu tun“, so Natalie Bennett gegenüber analogo.de.

Bennett ergänzt: „Der Einzelne braucht die Freiheit, so zu leben, wie er will, einschließlich der Freiheit, nicht immer oder jederzeit an digitale Technologien angeschlossen zu sein. Die digitale Ausgrenzung ist kein Thema, das verschwinden wird.“

Entsprechend warnt der Bischof von Leeds vor digitaler Ausgrenzung. Erst letztes Jahr plädierte er als Mitglied des britischen Oberhauses „House of Lords“ im Kommunikations- und Digitalausschuss, man solle nicht „alle Eier in einen digitalen Korb legen“. Diejenigen, die keinen Zugang zur digitalen Technologie hätten, sollten nicht benachteiligt werden, so der Bischof gegenüber analogo.de. Dies müsse auch für Restaurants oder andere Verkaufsstellen gelten. Im Übrigen gelte dies in einem Kontext, in dem der digitale Zugang zunehmend vorausgesetzt werde.

Die Freiheit, zwischen digitalem und analogem Leben zu wählen

Bennett argumentiert wie Heribert Prantl. Der schreibt in der Süddeutschen Zeitung, zur Freiheit der Menschen gehöre auch die Freiheit, zwischen digitalem und analogem Leben zu wählen. Es dürfe nicht sein, dass der Zugang zu den Grundrechten nur möglich sei, wenn man ein Smartphone besitze. Ein Gerät, welches laut Prantl zu einem „Grundrechtszugangsgerät“ geworden ist.

Prantl schreibt weiter, selbst die Angebote der Grundversorgung und der Daseinsvorsorge würden zunehmend an das Smartphone gekoppelt. Der zunehmende Digitalzwang belaste den kleinen und den großen Alltag, ja er sei eine Diskriminierung der Handylosen, die sich ein Smartphone nicht leisten können oder wollen. Dies sei ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.

Im Gleichheitsartikel 3 des deutschen Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden.“ Dieser Artikel, so Prantl, müsse ausdrücklich um ein Recht auf ein gleichwertiges Leben erweitert werden. Prantls Textvorschlag lautet:

„Die Grund- und Daseinsvorsorge für einen Menschen darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass er digitale Angebote nutzt.“

Erst vor ein paar Monaten warnten diverse Verbraucherschutzministerien in Deutschland vor der steigenden Ausgrenzung von digitalen Außenseitern, also Menschen, die mit oder ohne Motiv ohne ein Smartphone leben. Das Bundesland Hessen stellte auf einer Verbraucherschutzministerkonferenz den Antrag, für nicht online-affine Verbraucher andere Zahlungswege zu öffnen.

Club oder Digitaler Zwang

Wie Pret-Kunden die Herabsetzung tatsächlich empfinden, wird durch Hinweise von Pret-Kunden an analogo.de deutlich, die das Gefühl äußerten, durch einen gesalzenen Preisaufschlag von Pret A Manger diskrimiert zu werden, im Zweifel aber dem „digitalen Zwang der Firma“ nicht erliegen zu wollen.

Mit Diskrimierung ist die abwertende Diskriminierung gemeint, d. h. die Benachteiligung oder Abwertung von Gruppen (hier: Menschen ohne Smartphones) oder Individuen nach bestimmten diskriminierenden (d. h. differenzierenden) Werten. Hierbei geht es um soziale Ungleichheiten oder soziale Diskriminierung, indem Zugangsrechte eingeschränkt und nicht alle Menschen mit Grundbedürfnissen gleich behandelt werden. Wohlbeachtend, dass im Allgemeinen Diskriminierungen, die die Zugangsrechte in Bildungseinrichtungen oder aufgrund des Einkommensniveaus einschränken, eher akzeptiert werden als Diskriminierungen aufgrund von Rasse oder Religion.

Süffisanterweise bezeichnet Pret A Manger die Gruppe der Begünstigten als „Club“. Laut Wikipedia ist ein Club ein Zusammenschluss von Menschen, die ein gemeinsames Interesse, ein gemeinsames Ziel oder einen gemeinsamen Zweck verfolgen. Bei Gründern und Mitgliedern eines Tennisclubs dürfte zweifelsfrei das gemeinsame Ziel sein, Tennis zu spielen.

Bei Pret A Manger ist das schon komplizierter. Es kann kein gemeinsamer Zweck sein, in der Gemeinschaft von Clubgründer und Clubmitgliedern Sandwiches zu essen. Das gemeinsame Ziel von Clubgründer und Clubmitgliedern im Club Pret kann ebensowenig sein, gemeinsam möglichst preisgünstige Sandwiches zu essen, am besten davon sehr viele.

Nein, die Macher von Pret haben das klare Ziel der Gewinnsteigerung. Und das Motiv der Clubmitglieder dem Club beizutreten dürfte vielmehr Ausgaben- als Einnahmengründe haben. Pret A Manger ist sich durchaus seiner teuren Preise bewusst, vor weniger als 12 Monaten hob Pret die Preise seines Club-Abos um 20 Prozent an, um aktuell zu verkünden, die Preise ihrer Sandwiches zu senken. Für Frühstück oder Lunch täglich nur 80 Prozent des Normalpreises zahlen zu müssen und sich so ein gefühlt-faires Preis-Leistungsverhältnis einzukaufen, kann ein Motivator zum Beitreten zum Club sein.

Die Rolle der milliardenschweren Investoren aus Deutschland und den USA

Mithin ist der Begriff „Club“ ein Schwieriger, zumal es bei Pret längst um das große Geld geht. Mit dem Verkauf der Firma an die milliardenschwere deutsche Familie Reimann bzw. die von ihr dominierte Kapitalbeteiligungsgesellschaft JAB Holding für 1,5 Milliarden britische Pfund und dem Einstieg US-amerikanischer Investoren fährt der Konzern eine aggressive Wachstumsstrategie, die nicht zuletzt auch die eigenen Kunden zu spüren bekommen.

Es scheint, als ob Wachstum über allem steht. In den USA lautet die neue Zielmarke: 300 Filialen. Auch in Europa wächst der Konzern. In der letzten Zeit entstanden neuen Filialen in Berlin, Frankfurt, Düsseldorf, Zürich und sogar in Mumbai/Indien. Die Einführung des App-basierten Club Pret-Abos seien wichtige Faktoren für die hohen Besucherzahlen in den Geschäften.

An den Titel von Sergio Leones Western „Zwei glorreiche Halunken“ erinnernd erhalten Kunden des Sandwich-Imperiums Pret A Manger Europe in London Kassenzettel mit dem Slogan: „We love to hear your feedback (the good, the bad and the ugly).“ Wir freuen uns über Ihr Feedback (das Gute, das Schlechte und das Hässliche). Auf Englisch heißt der Film im Original „The Good, the Bad and the Ugly“.

Ob Pret tatsächlich so auf konstruktive Kritik erpicht ist, darf bezweifelt werden. Die Kommunikation mit der Firma verlief befremdlich zäh. Zunächst einmal lagerte Pret A Manger seine Pressetätigkeit zur Londoner PR-Agentur Headland aus. Ein Pret A Manger-Sprecher ließ folglich über seine PR-Agentur Headland mitteilen, man verstehe, dass nicht jeder Zugang zu einem Smartphone habe, daher ermutige Pret A Manger alle Kunden, die weitere Unterstützung benötigen, den eigenen Kundenservice zu kontaktieren, um eine personalisierte Lösung zu finden. Wie wir herausfanden, lautet eine mögliche Emailadresse des Pret A Manger Kundendienstes: cs@pret.com.

Die Headland-Sprecherin ergänzte gegenüber analogo.de schriftlich, wenn Kunden nicht in der Lage seien, einen digitalen QR-Code zu verwenden, könne Pret einen personalisierten gedruckten QR-Code auf einer Pret-Karte organisieren, so dass diese Kunden weiterhin Zugang zum Club Pret haben, ohne die App zu verwenden.

Unser zähes Nachfragen ergab jedoch, dass man zum ursprünglichen Setup eines Kontos dennoch ein Smartphone oder Tablet benötigt.

analogo.de meint:

Exklusiver Club oder gesellschaftliche Verantwortung – in Anbetracht der Rolle von Pret A Manger, in seinen Hunderten Restaurants einen großen Teil der Gesellschaft täglich mit Nahrung zu versorgen, muss auch aus ethischer sowie kartellrechtlicher Perspektive die Frage gestellt werden, ab wann ein Unternehmen eine solch marktdominierende Verbreitung hat, dass man es zu Fug und Recht als Wirtschaftsbetrieb bezeichnen kann, der Aufgaben der Grund- und Daseinsvorsorge übernommen hat.

Um als solches nicht nur den Erfolg der milliardenschweren Eigner zu sichern, sondern – wie Natalie Bennett es ausdrückt – dafür zu sorgen, dass alle Menschen den gleichen Zugang und die gleichen Kosten haben.

Die englische Fassung dieses Artikels ist hier zu lesen.

Pret A Manger Werbung für den „Club Pret“
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