UNESCO World Wetlands Day 2024 – Aufbruchstimmung am Billigheimer Bruch

Billigheim-Ingenheim, Liverpool | analogo.de – +++ Breaking News +++ Zum Saisonende verlässt Jürgen Klopp den FC Liverpool. Der legendäre Fußballtrainer hatte in den letzten Jahren viel Energie in seine Aufgabe gesteckt, will sich nun schonen. Der britische Daily Mirror berichtet: „Klopp needs a break.“ Für Verein und Fans ein Schock, eine Tragödie, ja der Bruch einer Aera. Doch Kloppo will beruhigen, die Liverpooler Mannschaft stehe nicht vor dem Auseinanderbrechen (sic „Liverpool team is not about to break up“). Zu Kloppos Stationen gehörte der Mainz 05, wo er im Bruchweg-Stadion unter Trainer Wolfgang Frank spielte und später den Verein als Trainer übernahm.

Brüche wo man nur hinschaut. Doch wo ein Bruch ist, tut sich meist auch ein neuer Weg auf. Ein Bruchweg ist ein Pfad durch einen Bruch, was wiederum eine Landschaftsbezeichnung für eine Sumpf- oder Moorlandschaft ist. Bruchwege gibt es viele, so in Karlsruhe, Bremen oder im niederrheinischen Kaarst. Das Wort „Bruch“ ist häufiger Bestandteil von Eigen-, Siedlungs- und Flurnamen.

Auch der Name des Politikers Elmar Brok, laut dem „besten Europaabgeordneten der Welt“ Martin Sonneborn 178 Kg konzentrierte CDU, dürfte dem mittelniederdeutschen Bruch (sic brōk) entlehnt sein. Im niederrheinischen Niederungsgebiet tragen die Stadt Grevenbroich oder das Köln-Worringer Bruch den Begriff in ihren Namen.

In der Südpfalz trifft dies auf das Billigheimer Bruch zu. Es liegt im Grabenbruch des Oberrheingrabens, unweit des Maudacher Bruchs bei Ludwigshafen und der Stadt Bruchsal. Auch hier Brüche, wo man nur hinschaut. Anlässlich des UNESCO-Welttages für Wetlands am 02. Februar stellt analogo.de das aktuelle Naturschutzprojekt „Billigheimer Bruch“ vor.

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Die Dekade 2021 bis 2030 wurde von der UNO zur Dekade der Wiederherstellung von Ökosystemen ausgerufen. Und zusätzlich rief die UNO vor zweieinhalb Jahren den 02. Februar zum Welttag der „Wetlands“ aus. Wetlands, also dauer- oder teilzeitvernässte Landstriche bzw. Feuchtgebiete bestehen aus Landoberflächen, die mindestens einen Teil des Jahres mit Wasser gesättigt sind oder unter (seichtem) Wasser stehen.

Weltweit verschwinden große Teile dieser Wetlands oftmals, wo sie Naturschützern zufolge lieber bleiben sollten. Die sich ändernden Wetterschemata auf der Erde bringen es mit sich, dass wiederum – wie derzeit festzustellen – andere Landoberflächen übermäßig mit Wasser geflutet werden, während wegen steigender Meeresspiegel langfristig riesige Landoberflächen unter ein generelles Flutungsregime fallen könnten. Eindeutige Vorteile bieten Feuchtgebiete als Mischgebiete zwischen Land und Wasser aber für Lebewesen, die keine Häuser bauen und auch sonst in zwei Welten leben, vor allem Vögel und Frösche bzw. Amphibien.

Die Ramsar-Konvention

Deswegen trafen sich vier Jahre nach der Geburt von Jürgen Klopp – an einem 02. Februar – im iranischen Ort Ramsar Naturschützer aus Afrika (Gabun, Südafrika, Niger und Marokko), Europa (Schweden, Norwegen, Finnland und Bulgarien), Ozeanien (Neuseeland und Australien) und Thailand, um ein internationales Übereinkommen über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung zu unterzeichnen. Zu bennende Feuchtgebiete sollten erhalten und nachhaltig genutzt werden.

Heute gehört das Billigheimer Bruch nicht zu diesen Feuchtgebieten von internationaler Bedeutung, dafür ist es zu klein. Wäre es rechteckig, betrügen seine Kantenlängen nur 900 Meter mal 600 Meter. Doch macht auch Kleinvieh Mist. Oder mit Jürgen Klopps Leben ausgedrückt: Kloppo wurde nicht über Nacht zum Idol, sondern sein Ruhm gründet auf zahllosen kleinen Interaktionen mit Menschen, die er trainierte, begeisterte, motivierte, von denen er lernte, die ihn motivierten.

Seit 1970 sind global rund ein Drittel aller Feuchtgebiete verloren gegangen, zum großen Teil für Häfen, Siedlungs- und Industrieflächen. In den USA alleine verschwinden derzeit pro Jahr Feuchtgebiete mit einer tausendfachen Fläche des Billigheimer Bruchs: 50.000 Hektar pro Jahr bzw. 1.000 Quadratkilometer alle zwei Jahre. Ähnlich hoch ist die flächenbereinigte Rate in Deutschland. Die Juristin Carina Bury von der Universität Hamburg mahnt, Deutschland weise weltweit eine der höchsten Verlustraten von Feuchtgebieten auf. Generell würden Feuchtgebiete nicht nur schneller als jedes andere Öko-System verschwinden, sondern insbesondere halte sich Deutschland nicht an sein Versprechen, Feuchtgebiete zu schützen. Denn längst hat auch die Bundesrepublik die oben erwähnte Ramsar-Konvention ratifiziert.

Die Finanzierung

Angesichts dieser Größenordnungen ist das „Projekt Billigheimer Bruch“ im großen Maßstab allenfalls ein Leuchtturmprojekt. Doch braucht es Leuchtturmprojekte dieser Art. Die Bundesregierung unter expliziter Mitwirkung der Grünen hat das Ziel ausgegeben, in Deutschland pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Selbst wenn es dieses Jahr nur 265.000 werden, so wird schnell klar, wie die Flächenversiegelung den Naturräumen den Platz nimmt.

Was nicht heißt, dass die Regierungen den Naturschutz auch finanziell fallen lassen. Die Projekte fallen halt kleiner aus, zumal politische Kohärenz oft sowieso nur auf dem Papier steht. Was Brüsseler Europapolitiker beschließen, anderswo Berliner Bundespolitiker ratifizieren und näher dranliegende Landespolitiker fördern, erfolgt nicht immer aus einem Guß.

In Deutschland geht organisierter Naturschutz stark mit öffentlichen Geldern einher. Die Wege, um an Fördergelder zu kommen, sind kompliziert und zeitaufwändig, was häufig dazu führt, dass Millionensummen an bereitliegenden Geldern nicht abgerufen werden.

In der Südpfalz ist die NaturStiftung Südpfalz (NVS) einer der Player, die den Förderdschungel verstehen, um überhaupt ein Naturschutzprojekt wie für das Billigheimer Bruch auf die Beine zu stellen. Die Stiftung ist gemeinnützig und erhält Spenden. Auf ihrer Webseite lädt sie dazu ein, ihr einen Nachlass zu vermachen. Neben den Eigenmitteln kann man auf flächenbezogene Mittel aus der Agrarförderung zugreifen. Über die Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz (SNU) erhält die NVS Gelder, die zum Teil aus der Lotterie GlücksSpirale stammen. Die SNU ist eng mit dem Mainzer Umweltministerium verwoben, nicht zuletzt über Umweltministerin Katrin Eder. Gelder des LEADER-Programms der Europäischen Union (EU) zur Entwicklung des ländlichen Raumes ermöglichten die Errichtung eines über 200 Meter langen Erlebnispfades durch das Bruch, entwickelt mithilfe des Karlsruher Architektenbüros Schwarz-Düser.

Vom Vogelschutz zur Landschaftspflege

Für manche ist der Lehrpfad Grund genug, das Billigheimer Bruch zu besuchen. Man lernt nicht nur über die Geschichte des Bruchs, sondern vor allem über die verschiedenen Lebensräume und ihre tierischen und pflanzlichen Bewohner. Die langschnabelige Bekassine, der Bodenbrüter Kiebitz, der Greifvogel Rohrweihe und der Zugvogel Wendehals sind nur vier von rund 100 beobachteten Vogelarten, die Jung und Alt faszinieren.

Bei 260 Vogelarten, die in Deutschland regelmäßig brüten, ist die Zahl 100 eine beträchtliche. Dass hier Zugvögel langfristig überhaupt noch einen Rastplatz finden, einen Trittstein auf ihren Vogelzügen, ist einer der Verdienste solcher Naturschutzprojekte. Einige der 100 Vogelarten stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Stiftungsrat und Dorfhistoriker Hanns Petillon erinnert sich an die „Zauberlandschaft“ in seiner Jugendzeit, als die jungen Leute wussten, welche Vögel kommen und welche wieder zurückwandern.

In der Südpfalz haben viele Menschen eine enge Verbindung zur Natur. In Orten wie Ilbesheim erwarten so manche mit Freude den Moment, wenn die Schwalben aus dem Vorjahr wieder in ihre Höfe zurückkehren. Bei so viel Naturverbundenheit verwundert nicht, dass die Gemeinde der Natur Raum zur Entfaltung geben möchte. Dietmar Pfister, Ortsbürgermeister von Billigheim-Ingenheim, also der Gemeinde, der die Flächen des Bruchs gehören, legt viel Wert darauf, diesen Naturschutz gemeinsam mit den angrenzenden Landwirten anzugehen.

Das Motto heißt hier nicht „Bauern gegen den Rest der Welt“, sondern Lebensraumplanung, Wiederbelebung und Biotopmanagement durch eine proaktive Zusammenführung aller Akteure – im Verbund mit den Landwirten, mit den ehrenamtlichen Naturschützern, mit den Erntehelfern und mit anderen ortsansässigen Bürgern. Die Schnittstelle zu Finanzierern und Naturschutzbehörden stellt die NVS her. In aufgewühlten Zeiten von Animositäten der Ausprägung Jeder gegen Jeden wird so der Umweltschutz an sich zu einem verbindenden Kulturelement der Menschen vor Ort.

Faktor umweltwissenschafltiche Kompetenz

Parallel zur Verbindung von Mensch zu Mensch wacht die NVS über das hier seit langem bestehende Ökosystem „Wetland“. Wie unter Menschengemeinschaften sind Einzelansprachen notwendig, der Blick für das ganze Große sowieso. Im Detail schildert die NVS in ihrer Broschüre, was das bedeutet. Um zum Beispiel Schilf und Seggen als Lebensraum zu erhalten, müsse der Gehölzsukzession in diesen Brachflächen durch Pflegeschnitte entgegengewirkt werden. Auch Tümpel mit offenen Wasserflächen und Gräben verlangten nach Offenhaltung von besonnten Uferbereichen, an denen sich Amphibien, Wasservögel und die hier selten gewordenen Watvögel aufhalten könnten.

Überließe man das Billigheimer Bruch den Naturgewalten, würde es zunächst verbuschen, dann später zu (Bruch-) wald werden. Dieser natürlichen Sukzession will man entgegensteuern. Nicht im Sinne einer Primärsukzession, bei der ein gänzlich neues Ökosystem entstehen würde, wo vorher keines bestand. Sondern eher im Sinne einer Sekundärsukzession, bei der ein altes Ökosystem (nach einer Störung) wiederhergestellt wird. Weniger natürliche Wildnis, dafür artenreiche Kulturlandschaft.

In einem anderen Kultursinne hatten die Nazis das Gebiet in den 1930er Jahren noch stärker kultiviert als es heute ist. Produktiver sollten die Flächen werden. Der Reichsarbeitsdienst entwässerte hier gezielt, um mehr Ackerland zu generieren. Die Kunst des Gegensteuerns liegt nun darin, das Sammelsurium aus wechselfeuchten Wiesen, Fließgewässern, Stillgewässern, Schilfgebieten, Sumpfwald und Ackerflächen so zu gestalten, dass Tiere, Pflanzen und – ja natürlich auch – Menschen insgesamt den größten Nutzen aus dem Gebiet ziehen können. Kleine Nischen zu schaffen, damit sich weiterhin möglichst viele verschiedene Arten wohlfühlen – auf einem Stückchen Erde, wo Land und Wasser aufeinandertreffen und wo gerade deswegen die Artenvielfalt hoch ist.

Man mag es kaum glauben, 900 Meter mal 600 Meter können viele verschiedene und besondere Räume schaffen. Bruträume, Nahrungsräume, ganz allgemein Lebensräume. Seit rund drei Jahren hat die NVS das Gelände nun gepachtet, auf 30 Jahre. Im Verbund mit dem Naturschutzverband Südpfalz und der Erfahrung von über 60 Jahren Bioptopflege in der Südpfalz stehen zumindest an diesem Fleck Land die Zeichen auf einen wunderbaren Lebensraum, der auf absehbare Zeit nicht nur erhalten bleibt, sondern im ökologischen Sinne verbessert wird. Hoffentlich nicht gemäß dem Motto einiger Bauern, die grüne Welle zu brechen. Sondern ein bisschen im Geiste Jürgen Klopps, der es immer wieder schaffte, bei seinen Vereinen eine bestimmte Aufbruchstimmung zu erzeugen.

Foto vom Billigheimer Bruch, hier Wiesen ohne sichtbare Wasserflächen, ex Broschüre der NaturStiftung Südpfalz (NVS). Bildrechte: NVS
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