Carles Puigdemont – Immunität im Europäischen Parlament wieder hergestellt und Asyl in Marokko

Luxemburg, Brüssel, Barcelona, Madrid | analogo.de – Mit Datum vom 02. Juni 2021 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschlossen, dass das Europäische Parlament (EP) zu Unrecht die Immunität von Carles Puigdemont aufgehoben hatte. Puigdemont ist Mitglied des Europäische Parlamentes und wurde nach beeindruckenden Bemühungen um die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien ins Exil gejagt. Der Gerichtshof reagierte auf den Antrag Puigdemonts vom 26. Mai 2021 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

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Die Entscheidung der Aufhebung einer politischen Immunität ist bizarr. Bundeskanzlerin Merkel und auch alle Bundesminister besitzen keine Immunität. Staatsoberhäupter aber besitzen sie auf der Basis des Völkergewohnheitsrechtes, ebenso wie normale abgeordnete Parlamentsmitglieder. Parlamente sind schnell dabei, die Immunität von Abgeordneten (i. e. Mitgliedern der Legislative) aufzuheben, sofern es die Exekutive will. Hinter der Exekutive steht die Regierung, und diese nimmt über den Justizminister erheblichen Einfluss auf die anklagenden Staatsanwaltschaften. So beantragen Vertreter der Exekutive auf der Überholspur eine Entmachtung der Opposition.

Nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom 01. Oktober 2017 war Carles Puigdemont ins Exil geflüchtet, denn Spanien ließ Tausende (Para-) Militärs auffahren und verletzte ebenso Tausende Bürger. Europaweit warb Puigdemont für die Unabhängkeit, die gleichwohl ein wenig schneller als die schottische vonstattenging.

Als Puigdemont 2018 von Helsinki nach Belgien zurückkehren wollte, lauerten ihm schleswig-holsteinische Autobahnpolizisten auf, drängten ihn ab und nahmen ihn aufgrund eines weiteren Haftbefehls Spaniens fest. Unter der Leitung von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wurde der Haftbefehl willig ausgeführt, während die dänischen Kollegen zuvor ebendiesen Haftbefehl umgehen wollten. Sie ließen Puigdemont durch Dänemark passieren, gaben aber den willigen deutschen ‚Kollegen‘ den Hinweis, überließen ihnen die Drecksarbeit. Günther und sein inzwischen entlassener Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) führten die Tat willig aus, ganz so, als ob es kein Völkerrecht gibt.

Die Parallelen zur „staatlich gestützten Piraterie“ des Ryanair-Fluges sind offensichtlich. Am 23. Mai 2021 stoppte Weißrussland ein Verkehrsmittel, weil in dem Verkehrsmittel ein vom Land gesuchter Mann namens Raman Pratassewitsch saß. Schleswig-Holstein als Erfüllungsgehilfe Spaniens fing am 25. März 2018 ein Verkehrsmittel ab, in dem ein sogar weitaus ranghöherer Mann als Pratassewitsch saß, eben Carles Puigdemont. Für Beobachter kaum erstaunliche Parallelen zwischen CDU-Verantwortlichen und dem Staatschef Weißrusslands, Aljaksandr Lukaschenko.

Die Rolle Schleswig-Holsteins

Obwohl Puigdemont am 06. April 2018 aus der Haftanstalt Neumünster entlassen wurde, hielt ihn Schleswig-Holstein als Geisel. Die Begründung ist fast sekundär, denn nun vollzogen Oberlandesgericht und Staatsanwaltschaft, was die Polizei nicht besser hätte machen können. Sie suchten Begrifflichkeiten, um Puigdemont eine geografische Fußfessel anzulegen.

Das Oberlandesgericht wollte ihn zwar nicht mehr wegen Rebellion oder Hochverrat gefangenhalten, aber eventuell wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern. Es ist wie bei Alexej Nawalny, dem russischen Demokraten. Kaum ist der eine Vorwurf vom Tisch, präsentiert das Regime den nächsten auf dem Tablett.

Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht meinte denn auch, Puigdemont müsse keine politische Verfolgung seitens Spanien befürchten, ganz als ob Spanien nicht alle bedeutenden Regierungsmitglieder Kataloniens inhaftiert hatte und ständig neue Haftbefehle gegen Puigdemont erließ. In Schleswig-Holstein und Russland spielt die Menschenwürde eine geringere Rolle als anderswo.

Auch wenn Puigdemont nach der Freilassung Unterschlupf auf dem schleswig-holsteinischen Gut Pronstorf erhielt: Zwei Länder, 1.150 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt, im Geiste sehr nah und die Staatsflaggen so verblüffend ähnlich.

Irgendwann ließen die deutschen Behörden Puigdemont ziehen (warum nicht gleich so?), er ging nach Brüssel und wurde Mitglied des Europäischen Parlamentes. Weil die hier versammelten Parteien in Gruppen zusammenarbeiten, beantragte er mit seinem Parteikollegen Comin, Teil der Gruppe „Die Grünen/Europäische Freie Allianz“ zu werden. Die Gruppe um die Grüne Ska Keller wollte ihn aber nicht, und Puigdemont verlebte zwei schwierige Abgeordnetenjahre.

Während die Grünen die Unabhängigkeitsbestrebungen Schottlands unterstützen (weil PRO EU), versagen sie den Unabhängigkeitsbestrebungen aus politischem Kalkül die Unterstützung. Denn die EU ließ auf Druck Spaniens 2017 durchsagen, man wolle Katalonien nicht in der EU, das Land könne ja in der EU bleiben. Zwei Unabhängigkeitsbestrebungen, zweimal Die Grünen, zwei Welten.

Während die ex-Minister Kataloniens seit vier Jahren in spanischer Haft sitzen, will Spanien Puigdemont immer noch an den Kragen, ihn allenfalls von oben herab begnadigen. Vor sechs Wochen gewährte nun Marokko Puigdemont Asyl. Das Schicksal des Katalanen ist wie dasjenige Mandelas, der in allen Ländern rund um sein Heimatland Südafrika Pläne schmiedete, nur eben nicht in seinem Heimatland.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist vorläufig und gilt für Carles Puigdemont und die anderen beiden katalanischen Abgeordneten Antoni Comín und Clara Ponsatí. Selbst wenn der EuGH irgendwann in der Sache endgültig entscheidet, der juristische Spießrutenlauf geht weiter und dürfte erst enden, wenn Schottland unabhängig ist, und folglich der Druck auf Spanien so stark wird, Katalonien in die ersehnte Unabhängigkeit zu entlassen.

Den Gerichtsbeschlusstext in der Sache T-272/21 R finden Sie in der ANA LOGO Datenbank in französischer Sprache unter K wie Katalonien.

Flagge Kataloniens. Bildrechte pixabay user lecreusois 2907992_1920
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