Offener Brief von Kataloniens Präsident an Spaniens Präsident

Barcelona, Madrid | analogo.de – Kataloniens Präsident Carles Puigdemont i Casamajó hat heute in einem offenen Brief an Spaniens Präsidenten Mariano Rajoy um Rücknahme der Repression gegen die katalanische Bevölkerung und die Regierung von Katalonien gebeten. Die Polizeikräfte Rajoys hatten am 01. Oktober 900 Wählerinnen und Wähler zum Teil schwer verletzt, nur weil sie ihr Recht auf eine demokratische Wahl in Anspruch nehmen wollten. Spanien entschuldigte sich später für die Gewaltanwendungen seiner 25.000 militär-ähnlichen Polizeikräfte.

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Obwohl allen Politikwissenschaftlern klar ist, dass der Begriff der Demokratie die Möglichkeit auf Selbstbestimmung chon für relativ kleine Verwaltungseinheiten wie Dorfgemeinden beschreibt, spricht der rechtsradikale spanische Präsident Rajoy den Katalanen dieses Recht ab. Rajoy droht dem nun selbstständigen Land Katalonien es in seine Gewalt zu bringen. Puigdemont setzte die Entscheidung des Referendums um, und erklärte letzte Woche die Unabhängigkeit von Spanien, besteht aber auf die eigene Unterlassung von Gewalt. Akzeptiert Spanien die Unabhängigkeit, wäre es einer der ersten Unabhängigkeitserklärungen in der Geschichte der Staatsgründungen. analogo.de druckt den heute versandten offenen Brief von Puigdemont an Rajoy:

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Situation, die wir derzeit erleben, erfordert politische Antworten und Lösungen, die ihrer Tragweite gerecht werden. Mit diesem Schreiben möchte ich dazu beitragen, solche Antworten zu finden, denn dies entspricht dem Wunsch der Mehrheit der Gesellschaft und den Erwartungen Europas, denn Europa versteht keine Art der Konfliktlösung ohne Dialog, Verhandlung und Einigung.

Daher überraschte mich, dass in Ihrem Schreiben vom 11. Oktober der Wille Ihrer Regierung bekundet wurde, den Artikel 155 der Verfassung anzuwenden, um die Selbstverwaltung von Katalonien auszusetzen.

Als ich am 10. Oktober auf Bitte verschiedener Persönlichkeiten sowie internationaler, spanischer und katalanischer Institutionen ein ernsthaftes Angebot zu einem Dialog an Sie richtete, sollte dies keine Bekundung von Schwäche sein, sondern der aufrichtigen Bereitschaft, eine Lösung für die seit Jahren festgefahrenen Beziehungen zwischen dem spanischen Staat und Katalonien zu finden.

Am Sonntag, den 1. Oktober, inmitten eines gewaltsamen Polizeieinsatzes, der von angesehenen internationalen Institutionen verurteilt wurde, erteilten mehr als zwei Millionen Katalanen dem Parlament das demokratische Mandat, die Unabhängigkeit zu erklären. Neben den Ergebnissen dieses Referendums müssen zudem die beiden letzten Parlamentswahlen in Katalonien berücksichtigt werden. Dort wählte eine klare Mehrheit, 47,7 Prozent, unabhängigkeitsbefürwortende politische Kräfte, während ausdrücklich gegen die Unabhängigkeit gerichtete Kräfte 39,1 Prozent der Stimmen erhielten. Auch muss daran erinnert werden, dass 80 Prozent der Bürger wiederholt den Willen bekunden, über die eigene politische Zukunft im Rahmen eines einvernehmlichen Referendums zu entscheiden. Diese Realität zu akzeptieren ist der Weg zur Problemlösung.

Priorität meiner Regierung ist es, intensiv den Weg des Dialogs zu suchen. Wir wollen, wie in gefestigten Demokratien üblich, über das Problem reden, das die Mehrheit der katalanischen Gesellschaft als solches empfindet. Sie möchte ihren Weg als unabhängiges Land innerhalb des europäischen Rahmens gehen.

Die Aussetzung des politischen Mandats, das am 1. Oktober an den Urnen erteilt wurde, bezeugt unseren entschiedenen Willen, eine Lösung zu suchen und Konfrontation zu vermeiden. Unsere Absicht ist es, den Weg durch Vereinbarung der Zeiträume und der Form zu beschreiten. Unsere Dialogbereitschaft ist ehrlich und aufrichtig. Deshalb wird unser Hauptziel in den nächsten zwei Monaten sein, zum Dialog zu laden und den Institutionen und Persönlichkeiten auf internationaler, spanischer und katalanischer Ebene, die ihre Bereitschaft erklärt haben, einen Verhandlungsweg zu ermöglichen, die Möglichkeit zu bieten, diesen Weg zu erkunden. Auf diese Weise werden wir die Bereitschaft beider Seiten erkunden, eine gemeinsame Lösung zu finden.

Aus den genannten Gründen wende ich mich mit zwei Bitten an Sie:

An erster Stelle bitte ich um Rücknahme der Repression gegen die katalanische Bevölkerung und die Regierung von Katalonien. An diesem Montag sind zwei führende Persönlichkeiten der katalanischen Zivilgesellschaft, die seit 2010 friedliche Demonstrationen mit Millionen von Menschen angeführt haben, als Beschuldigte vor die Audiencia Nacional, den spanischen Staatsgerichtshof, geladen. Vor derselben Audiencia Nacional ist auch der Major der katalanischen Polizei Mossos d’Esquadra geladen, einer der angesehensten Polizeiverbände innerhalb der europäischen Polizei, der seine Arbeit rigoros im Sinne seiner Pflichten leistet.

Im Zuge der Repression erfuhren wir unter anderem auch eine Verletzung der Grundrechte; den Eingriff und das Einfrieren öffentlicher Konten, sodass wir unser Pflicht gegenüber den bedürftigsten Bürgern nicht nachkommen können; eine Zensur im Internet und in den Medien; die Verletzung des Postgeheimnisses; die Festnahme von Beamten und Amtsträgern; und die brutale Polizeigewalt gegen eine friedliche Zivilbevölkerung am 1. Oktober.
Unsere Dialogbereitschaft ist, trotz aller Geschehnisse, aufrichtig, jedoch nicht vereinbar mit dem jetzigen Klima zunehmender Repression und Bedrohung.

An zweiter Stelle bitte ich Sie um Vereinbarung eines sofortigen Treffens, in dem wir die ersten Schritte ausloten können. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Lage weiter verschlechtert. Ich bin der Überzeugung, dass wir mit gutem Willen eine gemeinsame Lösung finden werden, wenn wir das Problem anerkennen und ihm ins Auge sehen.

Mit freundlichen Grüßen

Carles Puigdemont i Casamajó

Präsident der Regierung von Katalonien

Barcelona, 16. Oktober 2017

Präsident Carles Puigdemont wirft Spanien Repression vor. Bildrechte: User cdd20 auf Pixabay 4916425_1920
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