Präsident Puigdemont wird nach Staatsstreich Spaniens zum katalanischen Mandela

Brüssel, Barcelona | analogo.de – Nach der Parlamentswahl zur Unabhängigkeit Kataloniens am 27. Oktober 2017 und dem nur Stunden später folgenden Staatsstreich Spaniens ist der Präsident Kataloniens nach Brüssel gereist. Mit dieser Geste wird der Präsident Kataloniens, Carles Puigdemont zum katalanischen Nelson Mandela.

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1993 erhielt der Südafrikaner Mandela den Friedensnobelpreis für seinen Kampf für ein demokratisches Staatswesen in Südafrika, welches trotz der menschenverachtenden Apartheidpolitik weitgehend auf Friedfertigkeit beruhen sollte. Mandelas Einfluss ließ ihn für den südafrikanischen Staat gefährlich werden, weshalb er 1964 in einem Schauprozess zu einer lebenslangen Haft verurteilt wurde. Angeblich solle er sich als Mitglied des ANC (Afrikanischen Nationalkongresses) an Sabotageakten beteiligt haben. 27 Jahre lang hielt Südafrika Nelson Mandela als politischen Gefangenen in Haft, eine Zeitspanne, die nun der usurpatorische Staat Spanien dem Präsidenten Kataloniens androht.

Puigdemont und andere katalanische Amtsträger sehen sich mit derselben Hexenjagd wie einst Mandela & Co. konfrontiert. Der spanische Hexenjäger Mariano Rajoy erhält Unterstützung von den Hexenjägern Angela Merkel (Deutschland) und Jean-Claude Juncker (EU). Mandelas ANC war in Südafrika verboten worden, und hatte seine Aktivitäten in die angrenzenden Länder von Südafrika verlegt. Puigdemont floh vor ein paar Tagen nicht etwa nach Chile, wo schon so einige Präsidenten Exil beantragt hatten, sondern begann die Suche nach einer politischen Lösung im nahen Brüssel. Chile gewährte dem Staatschef Perus, Alberto Fujimori zwischen 2005 und 2007 Exil sowie zwischen 1992 und 1994 dem Generalsekretär der DDR, Erich Honecker.

Spanische Politiker im Exil sind keine Seltenheit. Zwischen 1936 und 1949 fand Niceto Alcalá-Zamora als Premierminister Spaniens Exil in Frankreich (1936 bis 1942) und Argentinien (1942 bis 1949). Der spanische König Alfonso XIII. lebte zwischen 1931 und 1941 im Exil in Italien. Und Manuel Azaña als Premierminister Spaniens bekam zwischen 1939 und 1940 Exil in Frankreich. Exilierte Präsidenten werden im Exil in der Regel hofiert und sind wesentlicher Ansprechpartner der Politik.

Vorbereitung der neuen Nation im Ausland

Mandelas ANC hatte in London ein Hauptbüro unterhalten. Der Herausgeber von analogo.de traf 1993 einen hochrangigen Mitarbeiter des Auswärtigen Amts im Krüger Nationalpark Südafrikas. Helmut B. zeigte sich vertraulich, als er erzählte, wie die Afrikaeinheit des Auswärtigen Amts in den 80er Jahren zwischen der Regierung Südafrikas und den im Exil befindlichen ANC-Vertretern vermittelt hatte. Auswärtiges Amt und ANC trafen sich in den Hauptstädten Sambias (Lusaka) oder Mosambiks (Maputo). Jahre später trug die Vermittlungsarbeit Deutschlands schließlich Früchte. Mandela wurde der erste farbige Präsident Südafrikas. Für die Mehrheit der Südafrikaner war es mehr als die Geburtsstunde einer neue Nation.

Der große Unterschied zwischen Mandela und Puigdemont ist, dass Puigdemont auf totale Gewaltlosigkeit setzt. Mandela hatte unter anderem militärisches Knowhow akquiriert. In den nächsten Tagen wird erwartet, dass Spaniens Rajoy und sein assoziierter Justizapparat einen europäischen Haftbefehl gegen Präsident Puigdemont und weitere Minister aussprechen wird. Wie in einer Blaupause für Rajoy hatte die Regierung Südafrikas Unterstützer und Menschenrechtskämpfer des ANC auf allen sozialen, beruflichen und politischen Ebenen behindert. Man verbot die Partei und sprach einen Hexenbann gegen die beteiligten Menschen aus. Wer mit ANC-Aktivisten sprach, machte sich verdächtig.

Die spanische Hexenjagd gegen Katalanen tobt seit mehreren Wochen. Offiziell will der „Inquisitor“ Rajoy am 21. Dezember 2017 im von ihm besetzten Staat Katalonien Wahlen abhalten lassen. Es ist zu erwarten, dass der spanische Militärpolizei-Apparat Rajoys im Vorfeld versucht jeglichen Widerstand in Katalonien zu knacken. Wer nicht sputet, wird schon jetzt ausgetauscht. Das System wird „reingewaschen“ und ähnelt denjenigen Systemen der Regierungen Südafrikas, Francos Spanien oder der Nationalsozialisten Hitlers. Zum Stichtag des 21.12.2017 wird Rajoy die unterworfenen Katalanen eher nicht zur Wahlurne prügeln, aber Wahlen kann man auch gewinnen, wenn 2 bis 3 Millionen Unabhängigkeitsbefürworter verärgert und verängstigt zuhause bleiben.

Die Galizier und die Deutschen

Der Galizier Franco wollte die Einheit der Nation Spaniens mit allen Mitteln, auch wenn es den Tod Tausender Unwilliger koste. Der Galizier Rajoy will die Einheit der Nation Spaniens mit allen Mitteln, und wie es scheint, auch wenn es auf Kosten von Tausenden Unwilligen geschehen muss. Puigdemont weiß um diesen so spanischen Reflex der Rechtsradikalität – und hat den Weg des Friedens gewählt. Bundeskanzlerin Merkel wird Rajoy zur Durchsetzung seiner Ziele wohl keine Kampfflugzeuge schicken wie einst Hitler seinem faschistischen Diktatorkollegen Franco. Aber die deutsche konservative Kanzlerin unterstützt den konservativen Usurpator Rajoy mit politischen Mitteln. Merkel hätte Mandela und den ANC fallen lassen. Die deutsche Unterstützung des ANC in den 80er Jahren muss vor diesem Hintergrund als Glücksfall der deutschen Außenpolitik und Völkerverständigung angesehen werden.

Beim entscheidenden Referendum vom 01. Oktober 2017 votierten 2.044.038 Wähler für die Unabhängigkeit von Spanien und somit die Staatsgründung. Das entsprach 92,01 Prozent aller Wähler. 177.547 Wähler votierten mit nein, was 7,99 Prozent entsprach. Die Wahlbeteiligung lag bei 43,03 Prozent, also wesentlich geringer als bei der Abstimmung zum Brexit (72,2 %). Da der militärpolizeiliche Apparat Spaniens im Vorfeld des Referendums allerdings allerhand Gewalt anwendete, um die Wählerinnen und Wähler zu verängstigen und die Abstimmung unmöglich zu machen, geht man davon aus, dass die Wahlbeteiligung ohne diese repressiven Maßnahmen bei weit über 70 Prozent gelegen hätte. Das Ergebnis des Referendums ist unter diesen Umständen also eindeutig berechtigt und bindend. Puigdemont hat das Votum zum 27. Oktober 2017 umgesetzt und wird deswegen von Spanien gejagt.

Der Journalist des Jahres 2012 und ehemalige Leiter des ARD-Studios in Brüssel, Rolf-Dieter Krause erklärte am 30. Oktober 2017 gegenüber SWR2 die Sichtweise von Katalanen, die selbstverständlicherweise die spanische Verfassung alleine schon deshalb nicht mehr respektieren können, weil diese Verfassung keinen verfassungsmäßigen Weg zu einer Unabhängkeit vorsehe. Krause wurde Journalist des Jahres, weil er zur Eurokrise zum „Erklärer Europas“ wurde. Und hier erklärt Krause, dass es den Katalanen selbstverständlich nicht reichen könne nur juristisch vorzugehen. Der deutsch-spanische Historiker Carlos Collado Seidel von der Universität Marburg stimmte Krause in besagtem SWR2-Gespräch zu. Zwischen der Schwarz-Weiß-Lösung „Unabhängkeit“ und „jetzige Situation“ gebe es mannigfache Gestaltungsmöglichkeiten von Autonomie, so Krause.

Auf alle Fälle hat Carles Puigdemont seinen Platz in der Geschichte der Nation Kataloniens eingenommen. Und die Blaupausen der Diktatur Francos und des Apartheidregimes Südafrikas schweben über jeder Aktion Rajoys. Was Mandela wohl Puigdemont ins Ohr flüstern würde, wenn er noch lebte.

Mandela als Symbol für versöhnende politische Wechsel. Bildrechte: John Hain auf Pixabay 1160133_1920
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