Verschwiegene Strukturen bei Schiffsbauern – Whistleblowerschutz in Schleswig-Holsteins TOP 100

Flensburg, Kiel | analogo.de – Haben Arbeitgeber in der Schiffsbaubranche Mechanismen eingerichtet, die analog der EU-Whistleblowerschutzrichtlinie einen effektiven Whistleblowerschutz gewährleisten? Solch ein Schutz wären etwa anonyme Briefkästen, ein unabhängiger Anwalt, und vor allem die ausgesprochene Garantie des internen Verbotes von Repressalien. analogo.de hat sich bei den 100 größten Arbeitgebern in Schleswig-Holstein umgehört. Vor allem an der Ostseeküste des Zweiküstenlandes sind bedeutende Hersteller von Kriegsschiffen, Schiffsausrüstung und U-Booten angesiedelt. ThyssenKrupp Marine Systems, FSG, Raytheon Anschütz, die Branche gibt sich verschwiegen. Der vierte Teil des großen ANA LOGO Reports schildert den Status Quo bei den großen Schiffsbau-Arbeitgebern in Schleswig-Holstein. Im ersten Teil der Reportage führten wir in die Thematik ein, wie es um den Whistleblowerschutz bei Schleswig-Holsteins TOP 100 Arbeitgebern bestellt ist.

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Wo der Nord-Ostsee-Kanal in die Kieler Förde mündet, sitzt die Firma Raytheon Anschütz GmbH. Weltweit hat der US-Konzern Raytheon über 60.000 Mitarbeiter, der Kieler Anteil liegt bei rund einem Prozent. Bei Produkten wie dem PITAS System zur Piraterie- und Terrorabwehr auf Seeschiffen hat die Firma Schnittstellen zu öffentlichen Geldern des Bundeswirtschaftsministeriums und anderen Finanzquellen. Die örtliche Nähe zum großen Marinestützpunkt Kiel-Wik macht Sinn. Ihren Vertrieb generiert die Firma über Außenstellen in Singapur, Großbritannien, Brasilien, Schanghai, Panama und den USA. Anlass genug, die Vorgaben aus dem bevorstehenden Hinweisgeberschutzgesetz frühzeitig anzugehen.

Marketing Manager Martin Richter schreibt analogo.de, Themen wie Compliance und Ethik seien bereits seit Jahren fest in Firmenprozessen und -kultur verankert. Seit längerer Zeit würde sich Raytheon Anschütz ebenso „ernsthaft mit dem Hinweisgeberschutzgesetz“ beschäftigen und sei gerade dabei, die internen Prozesse, sofern nicht bereits vorhanden oder geschehen, hierzu transparent zu definieren. Die interne Vorstellung und Kommunikation an die Mitarbeiter*innen würde rechtzeitig abgeschlossen sein. Auf der Webseite von Raytheon Anschütz ist nicht ersichtlich, wie die Firma ihre Mitarbeiter schützt, sollten sie auf erhebliche Verfehlungen hinweisen, wenn es etwa um den Kampf gegen Piraterie am Horn von Afrika geht oder um die Verwendung öffentlicher Gelder.

Der Schiffsbauer in Schleswig-Holstein, der mit dem Krieg am meisten Geld verdient, ist der Fregatten- und U-Boot-Bauer ThyssenKrupp Marine Systems GmbH (TKMS). Wenn es um Whistleblowerschutz geht, scheint der Konzern erheblichen Nachholbedarf zu haben. TKMS lässt über seine Zentrale in Essen, Head of Content Strategy Michael Ridder mitteilen, man habe keine Zeit.

Die ausweichende Haltung verwundert nicht, ist ThyssenKrupp Marine Systems GmbH doch mit dem Vorwurf von Bestechung konfrontiert, als es in einem Milliardendeal seine Kriegsschiffe nach Israel verkaufte. Der Spiegel schildert eindrucksvoll, wie die deutsche Politik und vor allem Justiz die Aufklärung blockieren. Ein Lesetipp für das Amtsgericht Kiel (siehe Teil 1 der Reportage).

Die Verwicklung von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu in den TKMS-Deal dürfte dazu beigetragen haben, dass Netanjahu im Juni 2021 seinen Posten als Premierminister verlor. Wer aber auf lokaler politischer Ebene, im Kieler Landtag, die Verwicklung von ThyssenKrupp Marine Systems in Krieg, Korruption und Bestechung anspricht, trifft auf morbides Schweigen. Ein Schweigen, welches der tabuartigen Stille ähnelt, welches Abgeordnete auch im Falle des skandalösen ex-Ministerpräsidenten Uwe Barschel (CDU) pflegen.

Schleswig-Holsteins Politiker stützen die Deals des großen Kieler Arbeitgebers. Kleine Anfragen wie die von Johannes Callsen (CDU) zur Lieferung von U-Booten an Australien sind im Landeshaus eine Seltenheit. Vielleicht haben auch die friedensliebenden Abgeordneten „keine Zeit“, die Machenschaften von ThyssenKrupp Marine Systems zu hinterfragen.

TKMS erfreut sich jedenfalls großer neuer Milliardenaufträge, Arbeitsplätze sind gesichert. Wenn es in Kiel oft um Krieg geht, der Arbeitsplätze sichert, geht es in Rendsburg um großartige Schiffe wie Superyachten für Milliardäre oder Fähren. Wer von Raytheon Anschütz auf dem Nord-Ostsee-Kanal 34 Kilometer in Richtung Hamburg fährt, landet auf der Werft der Rendsburger Nobiskrug GmbH. Dass hier nach dem Insolvenzantrag von April 2021 Schiffe weiter gebaut werden können, stellte vor zwei Monaten die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft mbH & Co. KG (FSG) sicher.

Mit Nobiskrug erwarb die FSG ein Unternehmen der ominösen Privinvest-Gruppe unter Leitung des Franco-Libanesen Iskandar Safa. Seit Jahren ist Safa in Korruptions- und Bestechungsskandale in Afrika verwickelt. In Kiel ist Safa weiterhin über die German Naval Yards Holdings GmbH (GNYH) investiert. Für den russischen Oligarchen Andrey Melnichenko baute Nobiskrug die größte Segelyacht der Welt. Die über 350 Millionen Euro teure Yacht SY A besitzt eine Garage für vier Autos.

Auf der eigene Webseite wirbt Nobiskrug mit dem Slogan The only thing worse than being blind is having sight but no vision. Da wollte analogo.de doch wissen, ob die FSG und Nobiskrug Sehvermögen und Vision haben, was die bevorstehenden Gesetzesanforderungen für den Whistleblowerschutz betrifft. Denn Whistleblower sind ja insbesondere Menschen, die Dreck sehen, wo manche wegschauen. Wenig überraschend versandete unsere Anfrage unbeantwortet bei der Geschäftsführungsassistenz Silke Dereschewitz.

Vielleicht ist dies eine Stärke von Visionen, nur das sehen zu wollen, was man sehen will, und die Schatten geflissentlich hinter sich zu lassen. Jedenfalls werden Mitarbeiter der Schiffsbauer schon bald besonderen Schutz genießen, wenn sie Hinweise zu schweren Verfehlungen geben, so etwa in Bezug zu den EU-Richtlinien zur Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen für Verstöße (2005/35), zur Festlegung von harmonisierten Vorschriften und Verfahrensregeln für das sichere Be- und Entladen von Massengutschiffen (2001/96), zur Festlegung der Grundsätze für die Untersuchung von Unfällen im Seeverkehr (2009/18) oder die EU-Richtlinie über die Schiffsausrüstung (2014/90).

Wenn es um Kriegsgerät geht, sind Verschlusssachen und höchste Geheimhaltungsstufen im Spiel. Nicht wenige Politiker von CDU/CSU, SPD und FDP in Bundestag und Kieler Landeshaus sind der Auffassung, im Hinweisgeberschutzgesetz Mitarbeiterschutz im Militär außen vor zu lassen. Hierzu gibt es aber auch andere Meinungen und Vorschläge, nämlich sich die Freiheit zu nehmen, über die Mindestanforderungen der EU-Whistleblowerschutzrichtlinie hinauszugehen, weil auch Hinweisgebern des Militärs derselbe rechtliche Schutz zugute kommen soll wie allen anderen Arbeitnehmern in Deutschland.

Den Spagat zwischen Arbeitnehmerschutz und nationaler Sicherheit schaffen die Tshwane-Prinzipien, die globale Grundsätze für die nationale Sicherheit und das Recht auf Information definiert haben.

Was Militär und Schiffsbauern noch bevorsteht, nämlich eine Auseinandersetzung mit dem gesteigerten Informationsbedürfnis der Gesellschaft, ist seit Jahren tief in die Unternehmenspolitik von Banken eingebrannt. Längst haben die großen Finanzinstitute interne Whistleblowing-Richtlinien und detaillierte Compliance-Mechanismen eingerichtet.

Im fünften Teil unserer Reportage beleuchtet analogo.de den Whistleblowerschutz bei Banken und Sparkassen in Schleswig-Holstein. Bleiben Sie dran.

Firmenzentrale von Raytheon Anschütz in Kiel. Bildrechte: Rainer Winters