Mehr Licht als Schatten bei Lübecks Arbeitgebern – Whistleblowerschutz in Schleswig-Holsteins TOP 100

Lübeck | analogo.de – Haben Arbeitgeber in Lübeck Mechanismen eingerichtet, die analog der EU-Whistleblowerschutzrichtlinie einen effektiven Whistleblowerschutz gewährleisten? Solch ein Schutz wären etwa anonyme Briefkästen, ein unabhängiger Anwalt, und vor allem die ausgesprochene Garantie des internen Verbotes von Repressalien. Bundespolizeiakademie, Schwartauer Werke, Lübecker Hafen‐Gesellschaft, Drägerwerk, die Gegend um Lübeck scheint einen Ticken offener zu sein als die Stadt Kiel. Der dritte Teil des großen ANA LOGO Reports schildert den Status Quo bei einer Reihe von Lübecker Arbeitgebern. Im ersten Teil der Reportage führten wir in die Thematik ein, wie es um den Whistleblowerschutz bei Schleswig-Holsteins TOP 100 Arbeitgebern bestellt ist.

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analogo.de hat sich bei den 100 größten Arbeitgebern in Schleswig-Holstein umgehört, und in der zweitgrößten Stadt des Bundeslandes ist ein bedeutender Teil dieser 100 Arbeitgeber angesiedelt.

Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Bilanzfälschungen, ein großer Motivator für die Whistleblowerschutzrichtlinie der Europäischen Union war die irre Omnipräsenz strafbewehrter Finanztransaktionen. Mit solchen Aspekten dürfte die Bundespolizeiakademie (BPOLAK) in Schleswig-Holsteins zweitgrößter Stadt Lübeck eher im Theorieunterricht zu tun haben. Im Bezug Whistleblowerschutz wird die zentrale Aus- und Fortbildungsstätte der Bundespolizei aufgrund ihrer Größe auch Meldestellen einrichten und ihre Mitarbeiter besser gegen Repressalien schützen müssen.

Anlass dazu könnten etwa die seit Jahren steigenden Ausbildungszahlen bieten oder die zunehmende Radikalisierung von Polizisten. Christina Weigandt, die Pressesprecherin des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam, antwortete für die BPOLAK, bei der Bundespolizei gäbe es eine Vielzahl an Instrumenten, mit denen Hinweise sowohl von außen als auch von innen aufgenommen werden könnten und die eine umfassende Aufklärung sowie einen reflektierten Umgang mit den Ergebnissen sicherstellen würden.

Darüber hinaus habe das Europäische Komitee zur Verhütung der Folter (CPT) in dem Bericht an die deutsche Regierung über den Besuch des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Deutschland vom 25. November bis 07. Dezember 2015 auf Seite 18 Nr. 20 ausdrücklich die Einrichtung der Vertrauensstelle der Bundespolizei positiv erwähnt. Zitat:

„Weiterhin nimmt der CPT mit Interesse zur Kenntnis, dass die Bundespolizei vor Kurzem mit der Schaffung einer internen Vertrauensstelle eine „Whistleblower“-Strategie eingeführt hat. Diese ist auf der Ebene des Bundespolizeipräsidiums angesiedelt und untersteht direkt dem Präsidenten der Bundespolizei. Sie nimmt Beschwerden und sachdienliche Hinweise von Beamten der Bundespolizei entgegen. Der Ausschuss ermutigt die Polizeibehörden aller Bundesländer, diesem positiven Beispiel zu folgen.“

Die Bundespolizei, so Weigandt, habe somit eine interne Vertrauensstelle geschaffen, welche Beschwerden und sachdienliche Hinweise von Beamten der Bundespolizei entgegennehme.

So behördlich, so fortschrittlich, wie es scheint. 15 Kilometer weiter nördlich der Akademie ist der Sitz der Lübecker Hafen-Gesellschaft mbH in Travemünde gilt als Deutschlands größter Seehafenbetreiber, insbesondere werden hier mehr Frachtcontainer verladen als in Kiel. Nach eigenen Angaben wird nirgendwo in Deutschland mehr Ladung auf das Schiff gefahren wie in den eigenen Anlagen. Das System nennen Insider RoRo.

Natascha Blumenthal, die Sprecherin der Hafen-Gesellschaft, gibt zumindest indirekt zu, dass man mit der Vorbereitung zu einem fairen Hinweisgebersystem noch nicht weit gekommen ist, man „verfolge aber die gesellschaftlichen Veränderungen mit großem Interesse“. Um die geplanten Gesetzesvorgaben zu erfüllen, so Blumenthal, arbeite die Lübecker Hafen-Gesellschaft derzeit an einer Lösung.

Dabei genießen Hafenarbeiter und Büroangestellte bald besonderen Kündigungsschutz, wenn sie feststellen, dass im Sinne der EU-Whistleblowingrichtlinie gegen andere EU-Richtlinien oder Verordnungen verstoßen wurde und sie hierzu einen Hinweis geben. Anlässe gäben etwa Verfehlungen gegen die Richtlinie über bestimmte Verantwortlichkeiten der Flaggenstaaten für die Einhaltung und Durchsetzung des Seearbeitsübereinkommens (2013/54), also wenn gegen grundlegende Beschäftigungs- und Sozialrechte von Seeleuten verstoßen würde. Oder die Richtlinie zur Hafenstaatkontrolle (2009/16), zur Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen für Verstöße (2005/35), zur Festlegung von harmonisierten Vorschriften und Verfahrensregeln für das sichere Be- und Entladen von Massengutschiffen (2001/96), zur Festlegung der Grundsätze für die Untersuchung von Unfällen im Seeverkehr (2009/18) oder die EU-Richtlinie über die Schiffsausrüstung (2014/90).

Neben Richtlinien wird EU-Recht direkt über Verordnungen geregelt, und der Schutz vor Repressalien erstreckt sich auch auf solche Verordnungen wie über das Recycling von Schiffen (1257/2013) oder über gemeinsame Vorschriften und Normen für Schiffsüberprüfungs- und -besichtigungsorganisationen (391/2009).

Zehn Kilometer westlich von der Lübecker Hafen-Gesellschaft liegt die Schwartauer Werke GmbH & Co. KGaA in Bad Schwartau. Die Firma beschäftigt rund 800 Mitarbeiter und stellt berühmte Fruchtaufstriche her. Presse-Managerin Gudrun Köhler schreibt analogo.de, neben dem Verhaltenskodex (Code of Conduct), der das Handeln der Firma nach den Prinzipen des Global Compact der Vereinten Nationen (UNGC) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bestimme, habe man eine fest im Unternehmen verankerte Compliance-Richtlinie. Darin würde man sich zu unverhandelbaren Mindeststandards für das Verhalten in allen Bereichen seines Unternehmens bekennen.

Dabei sei das Handeln geprägt von Integrität, Loyalität, Aufrichtigkeit und stets im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften. Für die Schwartauer Werke sei es selbstverständlich, gesetzeskonform und nach den eigenen Richtlinien der eigenen nachhaltigen Vertrauenskultur zur Stärkung und Förderung der eigenen Mitarbeitenden zu handeln.

In der EU-Whistleblowerschutzrichtlinie seien auch Meldestellen klar definiert, die allen Mitarbeitenden aus den verschiedenen Bereichen der Schwartauer Werke unkompliziert zugänglich seien, so Köhler. Im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses würde man regelmäßig die eigene Richtlinie hinterfragen und daran arbeiten, eine Compliance-Kultur in allen Ebenen zu etablieren.

Das Marmeladenwerk, ein Musterschüler, wie es scheint. Jedenfalls dürften Mitarbeiter der Qualitätskontrolle bald besonders geschützt sein, wenn sie auf Verfehlungen aufmerksam machen, wenn es etwa um die EU-Verordnung zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit geht (178/2002). Erst letztes Jahr waren die Schwartauer Werke in den Medien, als  es um Pestizide in Erdbeermarmeladen ging.

Vom Marmeladenwerk zu Beatmungsgeräten

Mit Gesundheit ist nicht zu spaßen, sagt man. Wer in Lübeck mit der Gesundheit viel Geld verdient, das ist die Drägerwerk AG & Co. KGaA. Mit über 6.000 Mitarbeitern ist der Hersteller von Beatmungsgeräten einer der ganz Großen im hohen Norden. Dass man heute über drei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr generiert, verdankt der Betrieb auch der ehemaligen Zusammenarbeit von Heinrich Dräger mit den Nazis, die ihm Zwangsarbeiter und KZ-Insassen zur eigenen Wertvermehrung überließen. In frühen Jahren erwirtschaftete man Substanz, indem man auf Kosten von Naziopfern gedieh.

Mit der Coronakrise laufen die Geschäfte bei Drägerwerk auf Hochtouren. 350 neue Mitarbeiter wurden in der Pandemie neu eingestellt. Vorstandsvorsitzender Stefan Dräger wird in der Welt zitiert, der Staat müsse Bewegungsprofile auswerten und nutzen dürfen. Wieder einmal wagt sich ein Dräger-Vertreter in fragwürdiges Terrain. Stefan Dräger befürwortet anscheinend die Vollkontrolle der Menschen, die Stasi lässt grüßen. Ob die jahrelange Nachbarschaft der Stadt Lübeck zur DDR abgefärbt hat?

Aber, zum Thema Hinweisgeberschutz ist Dräger aktiv. Im letztjährigen Geschäftsbericht ermutigt die Geschäftsführung die eigenen Mitarbeiter, sich mit den Führungskräften und Kollegen an Diskussionen zum Thema „Compliance und Integrität“ zu beteiligen und auch eventuelle Bedenken bezüglich eines bestimmten Geschäftsgebarens anzusprechen. Diese könne man auch in Beratungsgesprächen mit den Compliance­-Experten äußern. Ganz im Sinne des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) stehe seit 2019 der Dräger Integrity Channel für anonyme wie für namentliche Hinweise von Mitarbeitern und externen Dritten auf eventuelle Rechts­ und interne Regelungsverstöße zur Verfügung. Dieser webbasierte Hinweisgeberkanal, der rund um die Uhr zur Verfügung stehe, ergänze damit das schon länger bestehende Hinweisgebersystem.

Jedenfalls scheint die Aktiengesellschaft gut beraten, sich den Herausforderungen proaktiv zu stellen. Bezüglich der hohen Sterberaten bei Covid-19-Beatmungspatienten steht in der Diskussion, ob es nicht an den Beatmungsgeräten selbst liegen könnte, die letztendlich zu einem verfrühten Tode führten, etwa weil sie eine besonders schädliche Immunreaktion auslösten, so berichtet das Zentrum der Gesundheit mit Bezug auf die Innsbrucker Universitätsklinik. Viren würden sich erst recht in den Lungen verteilen und die schützende Lungenschleimhaut austrocknen. Viele Ärzte vermuten, so das Zentrum, es sei sogar der Sauerstoff selbst, der „irgendwelche Kaskaden auslöse“. Auch eine umfassende Recherche von analogo.de unter allen Clusterkrankenhäusern in Schleswig-Holstein hatte ergeben, dass ein Großteil beatmeter Patienten verstirbt.

Licht und Schatten in Lübeck, wobei das Licht an der Trave heller zu leuchten scheint als an der Kieler Förde.

Im vierten Teil der Reportage beleuchtet analogo.de den Whistleblowerschutz bei Unternehmen, die mit dem Bau von Schiffen und Schiffsausrüstung Geld verdienen. Hierzu gehören die Nobiskrugwerft in Rendsburg, die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG), ThyssenKrupp Marine Systems GmbH und die Firma Raytheon Anschütz GmbH.

Schwartauer Werke, I&Q Werk I. © Schwartau.de
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