Failed State Germany: Das Kraftfahrt-Bundesamt und der Dieselskandal

Flensburg | analogo.de – Der wichtigste Grund, den Staat zu befürworten und zu schützen, ist, dass er die Rechtspositionen sichert. Ist dies nicht gegeben, hat der Staat keine Macht mehr und verliert seine Berechtigung. In einer neuen Serie über das Versagen des Staates schildert analogo.de aktuelle Beispiele, wo der Staat Merkmale eines failed states aufweist, also eines gescheiterten Staates. Teil 1 beleuchtet das staatsbegleitete Verbrechen rund um den Dieselskandal und hierbei insbesondere die Rolle des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg.

Lesezeit: 4 Minuten

Der Abgas, Diesel- oder auch Volkswagenemissionsskandal ist nur eines der Beispiele, wie deutsche Konzerne damit Geld verdienen, im großen Stil zu betrügen. Obwohl der groß angelegte Betrug deutscher Automobilkonzerne seit Jahren beleuchtet wird, werden auch im Jahre 2020 immer weitere Details ans Licht befördert. Der Präsident des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) bis Januar diesen Jahres, Ekhard Zinke, hat im Bezug zum Dieselskandal eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen seiner Mitarbeiter absichtlich im Sande verlaufen lassen.

Es geht um brisante Fragen zur Rolle des Kraftfahrtbundesamtes beim Dieselskandal. Die Dienstaufsichtsbeschwerde erging von der Redaktion von analogo.de gegen den Pressesprecher des Bundesamtes, Stephan Immen. Nachdem unsere Redaktion umfangreich über Stickoxid-Emissionen im Rhein-Main-Gebiet berichtet hatte, stellten wir nach telefonischen Vorgesprächen am 16. November 2017 eine detaillierte Presseanfrage an die Pressestelle des KBA.

Zunächst zeigte sich Immen recht offen und auskunftsfreudig. Die Zusage zur schriftlichen Beantwortung unserer Presseanfrage wurde mehrfach erneuert, bis die Zusage am Ende gebrochen wurde. Stephan Immen noch am 30. November: „Selbstverständlich erhalten Sie Antwort, diese werde ich Ihnen in der nächsten Woche zukommen lassen können.“

Als bis Ende Dezember 2017 die versprochene Antwort nicht eintrifft, beginnen wir mit investigativer Recherche. Durch das Organigramm des KBA kontaktieren wir direkt einige Mitarbeiter und Abteilungsleiter des Amtes. Aus den Gesprächen ergeben sich höchst interessante Details. Der Verdacht liegt nahe, dass das KBA zum Themenkomplex Dieselskandal von offizieller Seite Informationen zurückhält.

Nach einigen erfolgreichen Telefonaten mit der ‚Organisation‘ des KBA ergeht nach Auskunft einiger Mitarbeiter eine KBA-interne Ansage, dass Auskünfte nur durch die Pressestelle erteilt werden sollen. Nur was tun, wenn sich eine Pressestelle am Telefon zwar rührig zeigt, sich aber bei der Verschriftlichung des gerade Gesagten windet?

Die neun brisanten Fragen

Da wir auf unsere gleichwohl brisanten Fragen auch nach Wochen keine ‚offiziellen‘ Antworten erhalten, reichen wir am Mittwoch, den 03. Januar 2018 eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Vorgesetzten von Pressesprecher Stephan Immen ein, KBA-Präsident Ekhard Zinke. Zwei Tage später kommt es zu einem aufschlussreichen Telefonat mit Zinke, bei der es um die nachfolgenden Fragen der Presseanfrage geht:

1. Ist es richtig, dass das KBA ausschließlich VW-Fahrzeughalter zum Rückruf bzgl. Softwareupdates nachverfolgt? Was ist etwa mit Fahrzeugen der Marke Porsche, Ford oder Renault?

2. Welche Fahrzeugmodelle stehen in dieser Datenbank ( https://www.kba-online.de/gpsg/jsp/gpsgAuskunftsListe.jsp ) , die von der „Abgasthematik“ betroffen sind?

3. Habe ich (Red: analogo.de Herausgeber Rainer Winters) es richtig verstanden, dass das KBA nun angefangen hat (Thema: ab 18 Monate nach dem 27.1.2016), im Rahmen seiner Rückrufüberwachung die Zulassungsstellen anzuschreiben und in diesen Schreiben jeden einzelnen betroffenen Fahrzeughalter aufzulisten, damit die Zulassungsstellen letzteren wiederum einen letztmalige und 14 tägige Frist zur Reparatur setzen kann?

4. Sieht das KBA in diesen Schreiben die Rechtsgrundlage für die Zulassungsstellen, so dass jene die Fahrzeuge stilllegen dürfen?

5. Geht das KBA davon aus, dass mit einem Beseitigen der illegalen Abschalteinrichtung bzw. dem „Softwareupdate“ die rechtmäßige Funktionstüchtigkeit der Abgasreinigung wiederhergestellt ist?

6. Geht das KBA davon aus, dass die Dieselfahrzeughalter nach Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit der Abgasreinigungsanlagen danach viel mehr Adblue tanken müssen als bisher?

7. Wenn die Hersteller in der Vergangenheit argumentiert haben, dass die Abschalteinrichtung zum Schutzzwecke anderer Bauteile installiert wurde, geht das KBA davon aus, dass von den gesamten „reparierten“ Abgasreinigungsanlagen weder Gefahren ausgehen noch dass sie die Funktionsweise von Motoren (Thema Motorruckeln nach Update) herabsetzen?

8. Vor dem Hintergund, dass die ersten Autohändler gerichtlich verpflichtet wurden das verkaufte Dieselfahrzeug zurückzunehmen, da sie nicht beweisen können, dass die Abschalteinrichtung komplett deaktiviert wurde, bringt das KBA durch die verpflichtende Teilnahme an der Rückrufaktion Händler und Fahrzeughalter nicht in die Bedrouille?

9. Besteht die in Nr. 8 thematisierte Bedrouille nicht auch vor dem Hintergrund, dass VW weder gegenüber den Fahrzeughaltern noch den Händlern eine über das Softwareupdate hinausgehende Garantie gibt? Nach dem Prinzip: Wenn wir das die illegale Abschalteinrichtung „repariert“ haben, dann entfällt Ihr Anspruch auf weitere Schadensersatzansprüche.

Einen failed state oder auf deutsch einen gescheiterten Staat erkennt man laut Wikipedia daran, wenn die Regierung ihre Legitimität verliert, selbst wenn sie ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Für einen stabilen Staat sei es notwendig, dass die Regierung sowohl Effektivität als auch Legitimität besitzen.

Zwei von vier Definitionsmerkmalen des Fund for Peace für Failed States erfüllt die Bundesrepublik Deutschland: Zum einen eine Erosion der legitimen Autorität, kollektive Entscheidungen zu treffen und zweitens die Unfähigkeit, öffentliche Dienstleistungen zu erbringen. Letzteres trifft im weiten Maßstab auf Kraftfahrtbundesamt und Bundesverkehrsministerium zu. Das reine Vorhandensein von Infrastrukturen und Kultur ist kein Indiz dafür, dass ein Land kein failed state ist.

Fazit

Die neun Fragen ans Kraftfahrtbundesamt bleiben bis heute unbeantwortet. KBA-Präsident Ekhard Zinke hat die Dienstaufsichtsbeschwerde bewusst und vorsätzlich im Sande verlaufen lassen. Eben dieses war das Ergebnis des persönlichen Telefonats am 05. Januar 2018 mit analogo.de.

Wenn das Mittel der Dienstaufsichtsbeschwerde nicht greift, so macht auch eine Eskalation an ein Bundesministerium für Verkehr keinen Sinn mehr. Denn auch dieser deutsche Behördenfisch stinkt vom Kopfe her: Der bis Ende 2017 zuständige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zeigte regelmäßig sehr viel Verständnis für die Machenschaften der betrügenden Automobilkonzerne. Tatsächlich war Dobrindt aktiv in das ‚Betrugssystem‘ Dieselgate eingebunden.

Eine höchst verklärte Staatsgläubigkeit und eine krankhaft ausgeprägte Obrigkeitshörigkeit in der deutschen Gesellschaft bewirken, dass ebensolche Vergehen ohne Konsequenzen bleiben. Ekhard Zinke als höchster Vertreter einer Bundesoberbehörde im Jahre 2018 muss als korrupt bezeichnet werden, wenn Korruption der Missbrauch einer bestimmten Vertrauensstellung ist.

Als Pressevertreter muss man dahingegen davon ausgehen können, dass sich Pressestellen ans Presserecht halten. Leider ist dies immer seltener der Fall. Wenn aber dann auch das Regulativ einer Eskalation nicht greift, kann man von Journalisten nicht erwarten, dass sie angesichts grassierender Korruption in Behörden jede Woche zehn Klagen einreichen, um zehn Rechtspositionen zu sichern.

Zinke und der ganze Vorfall an sich sind ein Beleg dafür, dass der Staat in diesen Punkten seine Berechtigung, i e. Legitimation verloren hat. Ein Staat, dessen höchste Vertreter das ungesühnte Verbrechen der Korruption begehen. Politikwissenschaftlich nähert sich die Bundesrepublik Deutschland damit einem ‚failed state‘, mithin einem Staat, in dem das Zusammenspiel von Legislative, Exekutive, Judikative, Presse und Bürgern nicht mehr funktioniert.

Wenn mutmaßliche Verbrecher wie Ekhard Zinke einem Staat vorstehen, dann muss man leider nicht nur von einem failed state reden, sondern von einem Schurkenstaat. Einem Staat, in dem Betrüger wie Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) höchste Positionen bekleiden.

Kraftfahrtbundesamt in Flensburg. Bildrechte: User Ptra auf Pixabay 3540262_1920
Print Friendly, PDF & Email