INTERPOL wird zur Drehscheibe von transnationalem Machtmissbrauch – Jonathan Taylor verlangt Wiedergutmachung

Lyon, London, Monaco, Zagreb | analogo.de – Weil ein interner Firmenanwalt Alarm schlug, zahlte sein Arbeitgeber SBM Offshore in verschiedenen Ländern rund eine Milliarde Dollar an Strafen. Der holländisch-monegassische Arbeitgeber rächte sich und ließ den Mann über eine INTERPOL Red Notice in Kroatien verhaften, wo er fast ein Jahr gefangengehalten wurde. Später stellt sich heraus, dass die Red Notice nie hätte rausgehen dürfen. Laut Auskunft des Juristen war er zu keinem Zeitpunkt offiziell angeklagt. Selbst eine rudimentäre Recherche von Interpol hätte ergeben, dass die Haftanfrage aus Monaco politisch motiviert, unglaubwürdig und somit unbegründet ist. Zum Zeitpunkt der Red Notice lagen alle Informationen auf dem Tisch. Medien hatten ausführlich über alles berichtet. Dies ist ein aktuelles Beispiel für die Entwicklung von Interpol zu einer maßgeblichen Drehscheibe von transnationalem Machtmissbrauch. Die Folge ist der Verlust wesentlicher Menschenrechte und demokratischer Werte mit globaler Reichweite. In den Niederlanden klagte der Jurist gegen seinen alten Arbeitgeber und bekam Recht. Nun will der Mann vor allem von Interpol eine Entschädigungszahlung. Anlässlich des Internationalen Tages der polizeilichen Zusammenarbeit 2025 berichtet analogo.de, wie inkompetente Polizeibeamte in Lyon und Zagreb zu billigen Mitspielern internationaler Erdöl-Trickbetrügereien wurden. Ein ANA LOGO Long Read.

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Es ist ein weiteres David gegen Goliath-Szenario im größten Korruptions- und Bestechungsskandal der letzten zwanzig Jahre. Nun soll Interpol, diese Vereinigung transnationaler Polizeien, zur Rechenschaft gezogen werden. Unterstützt wird der betroffene Jurist dabei von den renommierten Londoner Anwälten Toby Cadman und Anastasia Medvedskaya der Kanzlei Guernica 37 Chambers.

Selbst als geschliffener Jurist hat Jonathan Taylor schon oft bewiesen, wie hartnäckig er ist. Nicht nur machte er den Mund auf, als seine Vorstandschefs auf die Verschleppung ihres größenwahnsinnigen Bestechungssystems bestanden. Oder als er zu einer Art transnationaler Kronzeuge für diverse Länder wurde, die in der Folge seinem Arbeitgeber eine Strafe von rund einer Milliarde Dollar aufbrummten.

Durch sein mutiges Eintreten für das Recht hat Taylor viel verloren. Sein gutes Leben, seinen Job, seine Ehe, fast sein Haus, fast seine Bankkonten, fast seinen Ruf und seine sicherlich zuvor bessere Gesundheit.

Dagegen haben an seiner Courage viele verdient – und zwar an den von SBM Offshore bezahlten ‚Strafverfolgungsaufschubvereinbarungsgeldern‘. Die Liste dieser Verdiener würde den Umfang dieses Artikels sprengen. Die USA jedenfalls 238 Millionen US-Dollar, Brasilien 399 Millionen Dollar, die Niederlande 241 Millionen und die Schweiz 7,6 Millionen. 

Dazu erhielt die brasilianische Firma Petrobras 48 Millionen, obwohl einige Mitarbeiter dieser Firma selber Bestechungsgelder im Millionenwert abgesahnt hatten. Da Petrobras aber nach den Enthüllungen viele Milliarden Dollar an Marktwert an der New Yorker Börse (NYSE) verloren hatte, musste SBM eben auch Petrobras entschädigen, mithin SBM Offshores Kunde.

Nach Auskunft Taylors waren zu jenem Zeitpunkt 50 Prozent aller Petrobras-Aktien an der NYSE notiert. analogo.de gegenüber schätzt Taylor, dass Petrobras-Aktien um rund 200 Milliarden US-Dollar fielen. Mithin ein größerer Anlegerverlust als im Madoff-Skandal.

Herrscht in Brasilien Ordnung und Fortschritt oder ist Justitia geblendet? Bildrechte: Geralt at Pixabay-6597468_1280

Angesichts des ehemals mafiösen Geschäftsmodells von SBM Offshore hätte man die niederländisch-monegassische Firma auch schließen können, wenn nicht sogar müssen. Hat man aber nicht. Der Konzern ist kapitalintensiv, (energie-) politisch relevant und überhaupt eine der umsatzstärksten Firmen in den Niederlanden.

Während SBM Offshore also erwartungsgemäß mit seinen schwimmenden Plattformen für die Verarbeitung und Lagerung von frisch gefördertem Tiefsee-Erdöl (FPSOs) wieder gutes Geld verdient, muss Taylor sehen, wo er bleibt. Ein so typisches Schicksal von Whistleblowern.

Dabei sollen gemäß den Statuten in der EU und in den USA Whistleblower vor Repressalien geschützt werden. Ein visionärer Traum, der allerorten in schwachsinnige Gesetzesform gegossen wurde. De facto werden Whistleblower nirgendwo effektiv geschützt, obwohl sie der wertvollste Part der jeweiligen Angelegenheiten sind.

Ein Kündigungsschutz war im Falle Taylors weniger relevant, da der Mann entschieden hatte, seine kriminelle Firma zu verlassen. Beziehungsweise er verfolgte eine Doppelstrategie: Verhandlung einer Abfindung wegen zu erwartendem Abrutschen in den Zustand, in dem er sich jetzt befindet, und gleichzeitig das Ziel, die Behörden pflichtgemäß zu informieren.

Generell anerkennen die USA solche Menschen und zahlen ihnen mittels des Whistleblowerprogramms der Börsenaufsichtsbehörde SEC jährlich zig Millionen an Dollars. Die Idee dahinter ist nicht nur der Strafvollzug, sondern auch der Schutz von Investoren.

Taylor hatte die SEC ebenfalls informiert, denn zum einen liefen viele der als Provisionszahlung getarnten Bestechungsgelder über Konten eines brasilianischen Mittelsmanns in der Ölstadt Houston. Und weil die SEC das Vermögen von Aktienbesitzern schützen soll. Wenn es politisch opportun ist, rückvergütet die SEC die Whistleblower mit 20 Prozent des eingenommenen Geldes. Taylor zahlte sie keinen Cent.

Cui bono, wem nützt das alles?

Wer profitierte von Taylors Enthüllungen sonst noch und kassierte ab? Brasilien. SBM hatte hier Verträge über 25 Milliarden Euros am Laufen, vor allem mit Brasiliens Ölgigant Petrobras. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff war in dieser Zeit Vorsitzende des Aufsichtsrats von Petrobras.  Am Ende trugen Taylors Enthüllungen zu ihrer Amtsenthebung und so zum Zusammenbruch ihrer Regierung bei. SBM hatte nicht nur allerhand Petrobras-Mitarbeiter geschmiert, sondern auch Parteien und einzelne Politiker.

Wer kassierte noch ab? Die Niederlande. Weil SBM gegen Korruptionsgesetze verstieß und Land und Leute getäuscht hatte. Zum Beispiel als SBM Offshore-Chef und Ethikbeauftragter Bruno Chabas in Kenntnis der wichtigsten Vergehen gegenüber dem Niederländischen Aktionärsverband VEB vertuschte, dass man „vor kurzem Kenntnis von bestimmten Verkaufspraktiken unter Beteiligung Dritter erhalten habe, die möglicherweise unzulässig waren.“

Wer kassierte noch ab? Großbritannien, nachdem das Serious Fraud Office von Taylor informiert worden war. Mindestens 5 Millionen an dieser Stelle in London, weitere Millionen an anderer Stelle, zum Beispiel dadurch, dass Großbritannien weiterhin lukrative Geldwäsche und zwielichtig-kriminelle Milliardengeschäfte in seiner Kolonie British Virgin Islands duldet, wenn nicht sogar aktiv protegiert. Oder indem Großbritannien das Geschäftsmodell seines Öl-Riesen BP duldet, der ebenso wie SBM Offshore freimütige Schmiergeldzahlungen an alle möglichen Herren Länder und Politiker leistet.

Da zieht sich BP aus Angola zurück, zahlt dafür an SBM Offshore 100 Millionen, wovon ein großer Teil über Konten in Panama an einen korrupten Empfänger in Angola zurückfließen. Um Jahre später, genau genommen letzte Woche zu verkünden, man sei zurück in Angola. Cui bono, wem nützt denn das alles? Natürlich Großbritannien, damit BP den Reichtum Großbritanniens mehren und die Energieversorgung der britischen Verbraucher sicherstellen kann.

Und was zahlte Großbritannien an Taylor? Nichts! Was zahlten die Niederlande an Taylor? Trotz 240 Millionen Einnahmen durch „Strafverfolgungsaufschubvereinbarungen“: Nichts! Was zahlten die USA an Taylor? Nichts! Was zahlte Brasilien an Taylor? Nichts! Was zahlte die Schweiz an Taylor? Nichts! Was zahlte Monaco an Taylor? Nichts! Was zahlte SBM Offshore an Taylor. Nichts, zumindest noch nichts. Ganz im Gegenteil.

Trotz aller holländischen Whistleblowerschutzregelungen hat SBM Offshore seinen ex-Angestellten dennoch verklagt. Wegen Bestechung (sic. bribery) und Korruption. Der Untersuchungsrichter im Monaco hörte sich später die Argumente von Taylor an und kam zu dem Schluss, die Anklage sei nichtig. Und dennoch hatte die Staatsanwaltschaft von Monaco nach Taylor fahnden lassen. SBM wird gewusst haben, dass man das nicht gewinnen kann. Die Klage sollte Taylor zermürben. Eine typische SLAPP halt, eine strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung (engl. Strategic Lawsuit Against Public Participation).

Wie sieht denn nun echter Whistleblowerschutz aus, möchte man all die Poltikerinnen und Politiker fragen, die die Whistleblowerschutzgesetze verabschiedeten? Wie sieht echter Whistleblowerschutz in den Niederlanden aus, diesem Land, welches sich so gerne für seine Demokratiefreundlichkeit rühmt?

Genau wie Kroatien sind die Niederlande Teil der EU und des Interpol-Systems. Wie lässt sich nun Whistleblowerschutz mit kluger internationaler polizeilicher Zusammenarbeit verknüpfen?

Zum Internationalen Tag der polizeilichen Zusammenarbeit 2025 mahnt UNO-Generalsekretär António Guterres eine verantwortungsvolle Nutzung polizeilicher Werkzeuge an. Nur so könne die Effektivität, Transparenz und Rechenschaftspflicht von Polizeibehörden auf der ganzen Welt gestärkt werden.

Im Detail spricht der Portugiese von digitalen Technologien, überspringt dabei aber eine ganze Aera von Problemen. Denn auch ohne die Nutzung künstlicher Intelligenz versagt die internationale Polizeiarbeit schon heute auf ganzer Strecke. Wie im vorliegenden Falle.

Sehe Dich vor, wohin Du in Urlaub fährst

Was die Verfolgung von Kinderschändern und Mördern betrifft, da mag Interpol ganz gute Arbeit leisten. Was Dissidenten, Aktivisten, Flüchtlinge, Whistleblower und politische Gegner aller Art betrifft, da sieht die Sache schon ganz anders aus.

Vor vier Jahren starb der in der Türkei geborene deutsche Schriftsteller Doğan Akhanli im Alter von 64 Jahren, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass Akhanli älter geworden wäre, hätte ihn nicht Interpol auf Ersuchen von Türkeis Präsident Erdogan in Spanien festnehmen lassen, als Akhanli ebenso wie Taylor in Kroatien im Urlaub war. Akhanli hätte seine Widerstandskraft für seinen Kampf gegen den Krebs benötigt. Interpol verkürzte und zerstörte somit das Leben dieses tollen Schriftstellers.

In der Tat scheint für Interpol der Versuch einer Bestrafung wichtiger zu sein als ein Menschenleben. Es muss nicht immer Blut fließen, um ein Menschenleben zu zerstören. Im Falle von Jonathan Taylor ging seine Ehe zu Bruch, veronnen das Idyll des Erlebens, die eigenen drei Kinder zusammen mit der Lebenspartnerin aufwachsen zu sehen. Das gegen Taylor eingesetzte Justizsystem versuchte, seine Bankkonten zu sperren und sogar seines Hauses habhaft zu werden.

Der vorletzte Interpol-Chef, Jürgen Stock, sieht freimütig die Glaubwürdigkeit von Interpol in Gefahr. Klar sei, dass die involvierten Polizeiorgane eine geteilte Verantwortung tragen. Wie schnell ist eine Red Notice ausgerufen, ein internationales Auslieferungsersuchen? In Taylors Fall verlassen sich die Interpol-Zentrale in Lyon und die Polizei in Kroatien auf den Ausstellenden in Monaco. Ein ‚Bürokratieproblem‘ erkennt man daran, wenn jeder mit dem Finger auf den anderen zeigt.

Polizeibeobachter sind sich weitgehend einig, dass die Interpol angeschlossenen Nationalen Zentralbüros (NCBs) eine gründlichere Prüfung der Zulässigkeit einer Roten Ausschreibung auf nationaler Ebene durchführen als Interpol in der Lyoner Zentrale. Lyon scheint Haftersuchen nur sehr rudimentär zu prüfen. Das NCB für Deutschland ist das Bundeskriminalamt. analogo.de befragte Interpol Lyon, wie Interpol Lyon sicherstelle, dass gesuchte Personen nicht Opfer unglücklicher Interpol-Verfahren werden. Interpol Lyon antwortete nicht auf diese Anfrage.

Missbraucht wird das System auch zunehmend von Unrechtssystemen wie China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Interpol hat mit einem transnationalen Machtmissbrauch zu kämpfen, wenn beispielsweise Russland nach seinem Bürger Kulachenkov fahndet, weil er angeblich die Zeichnung eines Straßenkünstlers gestohlen habe. Interpol Lyon nickte in Richtung Moskau und ließ den Mann in Zypern festnehmen.

In den USA gibt es mittlerweile Gesetzesinitiativen zur Zurückweisung solch dubioser Polizeianfragen. In Deutschland haben sich mehr als zehn NGOs vernetzt und einen Verbund gegen transnationale Repression gegründet. Mit dabei sind die Tibet Initiative Deutschland, Freiheit für Hongkong e.V., die weißrussische Gemeinschaft Razam e.V. und der World Uyghur Congress (WUC). Ein Schreckensszenario: Wenn China ruft, wird die Polizei in Europa zum ausführenden Organ.

Doch ist kein Land verpflichtet, auf eine Red Notice zu reagieren, also den Haftbefehl auszuführen. So reiste Jonathan Taylor drei Wochen vor seiner unglückseligen Reise nach Kroatien für ein Wochenende nach Frankreich und passierte ohne Probleme die Passkontrollen in Frankreich und Großbritannien. Die rote Ausschreibung war zu diesem Zeitpunkt aktiv geschaltet.

Offizieller Interpol-Haftbefehl bzgl. Jonathan Taylor. Bildrechte: Jonathan Taylor

Natürlich lag die Red Notice auch den britischen Behörden vor. Monaco konnte davon ausgehen, dass Großbritannien die rote Ausschreibung gegen Taylor auf keinen Fall geltend machen würde. Anders in Kroatien, ein Land, welches Red Notices mit einer fahrigen Selbstverständlichkeit ausführt. Am Flughafen von Dubrovnik erwarteten die Polizisten den Urlauber aus England. Sie waren offensichtlich im Voraus darüber informiert worden, dass Taylor mit einem British Airways-Flug anreisen würde. Taylor schaffte es nicht einmal bis zur Passkontrolle.

Auch das macht Künstliche Intelligenz und die digitale (Polizei-) Welt. Die per Zwang angeordnete Gleichschaltung aller Flugdaten verführt die Polizei zu einem uneingeschränkten Machtmissbrauch. Fälschlicherweise zeigen europäische Innenpolitiker gerne auf autoritäre Staaten, in denen dieses Problem grassiert. Der Fall Taylor ist aber nur einer von vielen Fällen polizeilichen Dienstvergehens in demokratischen Ländern.

Jürgen Stock sieht den Anteil der jährlich abgelehnten Red Notices bei nur fünf Prozent. Geht man vom Jahre 2000 aus, als Interpol 1.200 neue Red Notices ausschrieb, wären das weltweit 60 ganz offensichlich zweifelhafte Haftbefehle gewesen. Nun stieg die Zahl der ‚Anfragen‘ aber schon im Jahre 2020 auf 12.000 neue Fälle, was zu 600 ganz offensichlich zweifelhaften Haftbefehlen führte. Und letztes Jahr waren es 15.548 neue Red Notices, womit Interpol mit fast 800 neuen ganz offensichtlich zweifelhaften Haftbefehlen konfrontiert ist. 800 ist eine fast unglaublich hohe Zahl. Denn jeder Mensch zählt. Jede einzelne Haftstrafe bedeutet unendlichen Ärger, wenn nicht die Zerstörung der Existenz der Betroffenen.

Insgesamt laufen im Interpol-System derzeit über 70.000 Red Notice-Haftbefehle. Tendenz stark steigend. Berichten zufolge hat die Türkei vor ein paar Jahren einmal probiert, durch Red Notices auf einen Schlag 50.000 Menschen verhaften zu lassen. Interpol hat diese Zahl zwar nicht bestätigt, ist aber auf der Hut und sperrt Ländern bei zu vielen offensichtlich irreführenden Haftbefehlen theoretisch auch den Zugriff auf seine Datenbanken.

In der Praxis werden aber viel zu viele Menschen Opfer einer schlampigen Schuldprüfung. Und diese Opfer können von Interpol entschädigt werden. analogo.de befragte Interpol Lyon, wie hoch der Höchstbetrag ist, den Interpol jemals als Entschädigung in einem Fall von Missbrauch einer Red Notice gezahlt hat und wer diesen Betrag aus welchem Grund erhalten hat. Interpol antwortete auch auf diese Frage nicht.

Überhaupt ist die Pressestelle von Interpol eine Black Box. Telefonisch meldet sich nur der Anrufbeantworter, es gibt keine publizierte Emailadresse einer Pressestelle, man erhält keine Kopie seiner Emailanfrage, die via einer zwingenden Websitemaske vorzunehmen ist.

Interpol ist zur Beantwortung von Presseanfragen verpflichtet. Das gehört zu ihrer Rechenschaftspflicht, ja es ist Teil ihrer demokratischen Legitimierung, eben kein geheimniskrämerisches Gebahren eines Staates im Staat an den Tag zu legen.

Die internationale Zusammenarbeit der Polizei ist dabei die eine Sache. Die andere Sache ein wirksamer Whistleblowerschutz, der mit der internationalen Zusammenarbeit der Polizei unbedingt Hand in Hand gehen muss. Was eigentlich auch per Gründungsurkunde von Interpol festgeschrieben ist. Nämlich im Mindesten bei politisch motivierten Handlungen keine Red Notice zu erteilen.

Über die Angemessenheit einer Entschädigung

Kommen wir zurück zur 80/20-Regel. Genau wie die Securities and Exchange Commission (SEC) verfolgte SBM Offshore das 80/20-Prinzip bei seinen Bestechungsgeldern: 20 Prozent hielten die Vermittler von SBM ein, so wie im Falle des kriminellen Brasilianers Julio Faerman. 80 Prozent flossen an die Korrupten.

In einer Umkehrung der Vorzeichen aber unter Beibehaltung des Verdienstprinzips, warum also zahlen die Niederlande nicht zumindest einen Teil von 20 Prozent der eingenommenen Millionen an Jonathan Taylor? Warum zahlen die USA nicht zumindest einen Teil von 20 Prozent der 238 Millionen an Jonathan Taylor?

In Lyon beschaut sich ein Gremium mit dem Akronym CCF alle paar Monate Fälle von zu Unrecht Verfolgten an. Die Commission for the Control of Interpol’s Files hätte eigentlich schon beizeiten Monacos Ersuchen zurückweisen müssen. Nun kann die CCF wiedergutmachen, was sie an Schaden angerichtet hat. Das Geld kann sie sich aus den Fleischtöpfen der Niederlande, Großbritanniens, der USA, der Schweiz, von Kroatien und Monaco organisieren. Wer die CCF anschreiben will, um seine Unterstützung für Jonathan Taylor auszudrücken, wende sich an ccf@interpol.int.

SBM Offshore wurde derweil gerichtlich dazu verknackt, eine Richtigstellung zu veröffentlichen. Eine ganze Woche ließ SBM diese Richtigstellung auf seiner Webseite, bevor sie sie wieder herunternahmen. Hierin schreibt SBM: „[…] In seinem Urteil vom 25. September 2024 (C/13/740679/HA ZA 23-928) entschied das Bezirksgericht Amsterdam, dass diese Veröffentlichungen gegenüber Jonathan Taylor rechtswidrig sind. Mit Urteil vom 7. Mai 2025 wurde SBM zur Zahlung einer Entschädigung für den ihm dadurch entstandenen Schaden verurteilt. Die Höhe dieses Schadens muss in einem späteren Verfahren festgelegt werden.“

Taylor kann also noch mit etwas Geld rechnen. Das kann er dann zu jenem Notgroschen hinzufügen, welches er als Preisträger des Whistleblower of the Year Award 2021 überreicht bekam. Die NGO Blueprint For Justice ehrte ihn mit 1.111 britischen Pfund und einer eleganten Glastrophäe.

Seinen Job ist er los, die SLAPP war erfolgreich, er wurde ein Jahr eingesperrt, obwohl keine Anklage gegen ihn vorlag. Und einen Großteil seines Unglücks hat er der Polizei zu verdanken, als ob es nicht schon schlimm genug war, herauszufinden, dass man in der Sackgasse eines kriminellen Arbeitgebers gelandet war.

SBM Offshore ist derweil weiterhin in Monaco aktiv. Seine Zentrale hat der Konzern zwar nach Amsterdam verlegt, aber strategisch bleibt das Fürstentum gesetzt. Zum Zeitpunkt der Enthüllungen war man nach dem Casino der zweitgrößte Arbeitgeber in Monaco. SBM Offshore war für Monaco mehr, als was BP für Großbritannien oder Siemens, BASF, Bayer und Mercedes zusammen für Deutschland sind. SBM Offshore ist ein wesentlicher Teil von Monaco, seine Sozialabgaben tragen Monacos Staatshaushalt, SBM Offshore nimmt an Handelsmissionen des Fürstentums teil und bespaßt die für Monaco so wichtigen Superyacht-Eigner.

Genau genommen ist die Mega-Yachtwelt eine kleine Welt. Irgendwann landet man auch mal in Monaco. So stehen hier immer mal wieder Mega-Yachten zum Verkauf, so zum Beispiel derzeit für 240 Millionen Euro die einhundert Meter lange ‚I Dynasty‘ aus Mark Dethlefs Schleswig-Holsteiner Werften Kusch/Wewelsfleth und Peters Werft.

Kusch Yachts wiederum lebt von Aufträgen wie beim avisierten Projekt einer 380 Millionen Dollar teuren Yacht für die Diktatorenfamilie des ölreichen Staates Äquatorialguinea. Auch SBM war in Äquatorialguinea aktiv. SBM-Boss Didier Keller hatte das Bestechungssystem samt aller wichtigen Kontakte aufgesetzt.

In einem Schweier Verfahren kam Keller mit einer Strafe von 500.000 Euro plus einer Bewährungsstrafe davon, weil seine Bestechungsgelder an die angolanische Ölfirma Sonangol über Schweizer Bankkonten verschoben wurden.

Eingang der Firmenzentrale von Sonangol in Luanda/Angola. Sonangol ist das Zentrum der angolanischen Kleptokratie. Hier werden die Bestechungsgelder aller möglichen Konzerne koordiniert. Bildrechte: Rainer Winters

Das Bestechungspaket von SBM Offshore Äquatorialguinea Präsidentensohn und OPEC-2023-Präsidentschaftskandidat Gabriel Mbega Obiang Lima umfasste 7,35 Millionen US Dollar plus drei Luxuskarossen BMWX5 plus noch zu bauende Apartments.

Die Obiangs nahmen vom Kusch-Auftrag zwar wieder Abstand, aber so sehen mögliche Netzwerke zwischen Brokdorf und Glückstadt an der Elbe in Schleswig-Holstein, Monaco und Äquatorialguinea aus. Eine Besonderheit an Schleswig-Holsteins Wirtschaftssystem sind auch hier – wen wundert es nun noch – höchst verschwiegene Strukturen in der Schiffsbauindustrie. Wir berichteten.

Insgesamt zahlte SBM Offshore in relativ kurzer Zeit mehr als 275 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern, oder wie sie BP-Auditor Reg Hinckley im Falle von BP nannte: Erleichternde (sic. facilitating) Zahlungen.

Welche Motivation gleichwohl die Staatsanwältin von Monaco, Sylvia Petit-Leclair, hatte, immer wieder darauf zu bestehen, Taylor festzunehmen, ist eine Frage, die noch zu diskutieren ist.

Wie in der Schweiz haben Finanzgeheimnisse in Monaco den Status einer Staatsräson. Dreckige Finanztransaktionen scheinen das Geschäftsmodell des Fürstentums zu sein. Warum sonst sollte ein so kleiner Fleck Erde so viel Geld und Macht anziehen?

Wirtschaft ist Politik, Politik ist Geld, und Geld ist Macht. Kein Wunder also, dass sich die Staatsanwaltschaft von Monaco lieber an dem nach Großbritannien zurückgekehrten Jonathan Taylor vergreift, dem Botschafter der schlechten Nachricht, als an seinem kriminellen Arbeitgeber, der doch so wichtig fürs eigene Überleben ist.

Mit seinen drei Kilometern Staatslänge ist Monaco so dermaßen klein, dass die Staatsanwaltschaft von Monaco bei den wahren Übeltätern in der Hauptverwaltung von SBM Offshore Monaco-Ville ein paar hundert Meter weiter schon alle Augen schließen musste, um sie nicht zu sehen.