Whistleblower: Deutsche Post DHL Group zermürbt über 60-Jährige Postzusteller mit immer mehr 30-Kilo-Paketlasten

Bonn, Kiel | analogo.de – Trotz ihres Umsatzanstiegs um 15 Milliarden Euro innerhalb nur eines Jahres und der damit verbundenen enorm gestiegenen Anzahl sehr schwerer Pakete will die Deutsche Post DHL Group keine Unterschiede bei der Belastung ihrer älteren Postzusteller und Postzustellerinnen machen. Laut Wunsch des Milliarden-Konzerns sollen auch über 60-Jährige unbegrenzt viele schwere Pakete schleppen müssen. analogo.de erhielt dementsprechende Hinweise von einem Whistleblower und befragte Konzern und Postgewerkschaft.

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Die Anzahl der schweren und sehr schweren Pakete hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Kaum endete für die Postzusteller und Postzustellerinnen die harte Weihnachtszeit mit über 200 Paketen pro Tag, beschert der Frühling neue Schwerstpakete mit Waren wie Gartenmöbeln und natürlich immer wieder Tierfutter. Den Paketen ist gemein, dass die Deutsche Post DHL Group die Grenze auf fast unmenschliche 31,5 Kilogramm hochgeschraubt hatte. Kein Wunder, dass „Postboten“ immer mehr unter der Last der täglichen Frachten leiden.

Der Krankenstand bei der Post ist zweistellig hoch: Über zehn Prozent der zustellenden Belegschaft meldet sich krank. Ein Rekord. Der Bundesdurchschnitt lag im Jahre 2019 bei 4,4 Prozent aller Arbeitnehmer.

Durch die Arbeitsbedingungen bei der Post werden vor allem ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geradezu zermürbt. Mitunter bleibt den Postboten keine Zeit mehr, die ihnen zugewiesenen Briefe ihres Bezirkes auszufahren, denn die Anweisung lautet, Pakete noch vor den Briefen zu verteilen. Dann sind an Tag 1 die Pakete an der Reihe, und erst an Tag 2 Briefe plus weitere Pakete.

analogo.de befragte die Postgewerkschaft DPVKOM. Pressesprecher Maik Brandenburger sieht Handlungsbedarf. „Wir fordern eine Zwei-Personen-Zustellung bei Paketen ab einem Gewicht von 20 Kilogramm“, so der Bonner Gewerkschafter. Es gelte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Alters vor Überlastung zu schützen. Vor allem ältere Beschäftigte seien nach jahrzehntelanger Zustelltätigkeit nicht mehr so leistungsfähig wie jüngere Mitarbeiter. Eine Zwei-Personen-Zustellung diene dem Arbeitsschutz der Beschäftigten, so Brandenburger gegenüber analogo.de.

Der Arbeitgeber sieht offenbar derweil keinen Anlass zur Änderung der Arbeitsbedingungen. Deutsche Post-Pressesprecherin Jessica Balleer schrieb analogo.de lapidar, das maximale Gewicht einer Paketsendung von 31,5 Kilogramm sei „etablierter Marktstandard“. Besonders schwere Sendungen würden bei der Post nur einen äußerst geringen Anteil der Sendungsmenge ausmachen. Der Anteil der schweren Sendungen läge dabei im sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Definiert man Briefe und Pakete beiderseits als „Sendung“, lässt sich einfach ausrechnen, dass auf zehn Briefe ein bis zwei Pakete kommen. Die Aussage eines „sehr niedrigen einstelligen Prozentbereiches“ ist also irreführend. Fakt ist, dass ein Verbundzusteller an einem normalen Arbeitstag über einhundert Pakete schleppen muss. Dass die Zahl der Briefe an allen Postsendungen stetig abnimmt, und der Warenpostanteil zunimmt, ist dabei fast unerheblich. Zahlenspiele.

Verbundzusteller beliefern Briefe plus Pakete, und arbeiten bundesweit vor allem im ländlichen Raum. In den Städten trennt die Post bislang zwischen Briefzusteller und Paketzusteller – noch.

Die Deutsche Post DHL Group schreibt weiter, man setze bei seiner Preisgestaltung gezielt Anreize für seine Geschäftskunden, die Zahl schwerer Sendungen zu reduzieren und zum Beispiel, statt einer schweren Sendung zwei leichtere Pakete zu verschicken. Darüber hinaus würden deren Geschäftskunden schwere Sendungen entsprechend kennzeichnen müssen. Worte wie Tropfen auf den heißen Stein.

Arbeitgeber vs. Gewerkschaft

Da mutet es geradezu unglaubwürdig an, wenn Jessica Balleer meint, bei der Deutschen Post DHL Group habe „die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter höchste Priorität“. Man würde bundesweit regelmäßig Gesundheitstage anbieten, in denen die Mitarbeitenden darin geschult würden, schwere Sendungen rückenschonend zu bearbeiten. Man habe in Abstimmung mit den Betriebsräten Arbeitshilfen entwickelt, die dazu beitragen würden, die Arbeitsbedingungen in der Auslieferung Verbund und Paket noch gesundheitsfreundlicher zu gestalten. So lasse sich die Belastung der Zustellerinnen und Zusteller, so Balleer, durch den „konsequenten Einsatz der vorhandenen Arbeitsmittel“ reduzieren. Neben geeigneter Arbeitskleidung stelle man Zustellkarren für die Bearbeitung schwerer Sendungen zur Verfügung und achte darauf, dass die Zustellfahrzeuge möglichst ergonomisch konzipiert sind, sodass auch das Be- und Entladen erleichtert sei.

Die DPVKOM kontert, man fordere ganz klar: „Keine weitere Überlastung“. Laut der Wirtschaftswoche gehört die Deutsche Post AG zu den großen Gewinnern der Coronakrise. Alleine im Jahre 2021 steigerte der Konzern seinen Umsatz um 22,5 Prozent – auf dann 81,7 Milliarden Euro. Auf dem Rücken ihrer Mitarbeiter verdient die Deutsche Post DHL Group Milliarden.

Postzusteller sind keine Sklaven, können sich theoretisch eine andere Beschäftigung suchen. Aber ausgerechnet bei so viel Umsatzzuwachs ist es unentschuldbar, dass mit dem Umsatz nicht auch der Mitarbeiterschutz mitwuchs. Brandenburger betont, der Konzern sei auf pure Wirtschaftlichkeit und Profitsteigerung getrimmt. Die Zusteller bräuchten kleinere Zustellbezirke und schlichtweg mehr Zeit.

Weitere Probleme sieht Brandenburger für die Zukunft. Der Konzern sei dabei, die Verbundzustellung generell auszuweiten und die Zustellung zu flexibilisieren. Zudem würde die Post ihr Erfolgskonzept des Stammbezirks aufgeben, in dem die Postzusteller die Besonderheiten „ihres“ Bezirkes kannten. Das Unternehmen schaffe nun Stammgebiete, in denen die Arbeitsorte tagtäglich wechseln können. Der „Postbote von nebenan“ wird zum anonymen Frachtarbeiter.

Ein weiteres Problem bei der Umstellung des Zustellkonzeptes sei, dass viele Postzusteller keinen Führerschein haben. Die DPVKOM fordert, dass in diesem Fällen die Deutsche Post DHL Group den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Führerschein mitfinanziert.

Hoher Krankenstand, zermürbende Gesundheitsbelastungen, und traumwandlerische Aussichten auf eine Realisierung des Zwei-Personen-Konzeptes zeigen wie ein Laserstrahl auf die Schattenseiten des Erfolges der Deutschen Post DHL Group. Rückenschule und Sackkarre können nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer mehr schwere Pakete geschleppt werden müssen, was eine überproportionale Belastung vor allem älterer Postzusteller und Postzustellerinnen bedeutet.

Ausblick auf einen ganz normalen Arbeitsalltag eines „Postboten“. Ein paar Briefe sind auch dabei. Wie drückt sich wohl das „ergonomische“ Fahrzeug aus, aus dem täglich diverse bis zu 31,5 Kilogramm schwere Pakete per Hand herausgehoben werden müssen, um sie dann bei gekrümmten Rücken auf den Zustellkarren herunterzulassen?
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