Deutsche Bahn AG duldet keine Handlungen, die gegen „redliche“ Whistleblower gerichtet sind. Und bei Stuttgart 21?

Kiel, Stuttgart, London, Berlin | analogo.de – Die Deutsche Bahn AG behauptet gegenüber analogo.de, ein funktionierendes Whistleblowersystem zu haben, in dem „redliche Hinweisgeber“ umfassend geschützt sind. Der DB-Konzern dulde keine Handlungen, die gegen redliche Hinweisgeber gerichtet sind, so Dagmar Kaiser, die Leiterin der Konzernkommunikation Personal/Recht/Finanzen, auf Anfrage von analogo.de. Vor dem Hintergrund der aktuellen Berichte der Londoner Wirtschaftszeitung Financial Times über zwei Whistleblower, die rund um das Stuttgarter Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 auf erhebliche Verfehlungen hinwiesen, wonach einer der beiden Mitarbeiter während der internen Ermittlungen entlassen worden war, werfen die Aussagen Fragen auf. Im Unklaren auch die Frage, warum ein zweiter Hinweisgeber aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen abrupt den Kontakt zu den Unternehmesjuristen abgebrochen hatte.

Im achten Teil unseres großen ANA LOGO Reports beleuchten wir – mit einem zwinkerndem Blick auf Baden-Württemberg – inwieweit die Deutsche Bahn als einer der TOP 100 Arbeitgeber von Schleswig-Holstein mit dem Whistleblowerschutz vorangekommen ist. Wir befragten die Deutsche Bahn AG auf ihre Whistleblowerpolitik hin, und stellen die Antworten in den Kontext von zwei Whistleblower-Opfern im südlichen Teil der Republik.

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Ob ein Hinweisgeber redlich ist oder nicht, ist mitnichten keine Einschätzung, die im Fokus der Öffentlichkeit stehende Arbeitgeber alleine treffen können. Im Bezug öffentlichkeitsrelevanter Finanzen sind alle Hinweisgeber redlich, die auf weitreichende Verfehlungen hinweisen. In sehr absehbarer Zeit werden Arbeitgeber das Recht verlieren, hinweisgebende Mitarbeiter nonchalant zu entlassen. So zumindest ist der neue Koalitionsvertrag der zukünftigen Bundesregierung zu deuten.

Alleine die Tatsache, dass im neuen Koalitionsvertrag der designierten Bundesregierung das Wort Whistleblower dreimal vorkommt, lässt silberne Zeiten für ein transparenteres und gerechteres Deutschland erhoffen. Unter der Rubrik Unternehmensrecht schreiben SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP, man wolle die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel umsetzen. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssten nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liege. Die „Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger“ will die designierte Bundesregierung verbessern, ebenso wie sie Beratungsangebote und finanzielle Unterstützungsangebote prüfen will.

Nun hagelt es ja seit Anbeginn des Bahnprojektes Stuttgart 21 (S21) heftige Kritik. Im letzten Jahr wurde die 500. Marke der wöchentlichen Montagsdemonstrationen gerissen. Im Laufe der letzten Jahre nahm die baden-württembergische Polizei sogar in Kauf,  diverse Protestierende in brutaler Manier zum Teil schwer zu verletzen – nur damit man das Betrugsprojekt S21 fertigstellen kann.

Zum Betrugsprojekt wurde Stuttgart 21 spätestens, als klar wurde, dass Politik und Entscheidungsträger der Deutschen Bahn Steuergelder in Milliardenhöhe vergeudeten. Wie bei großen Infrastrukturprojekten in Deutschland üblich, werden der Bevölkerung in einem Nudging-Prozess falsche Kosten vorgegaukelt, wonach am Ende der Bauzeit eine Kostenexplosion zu „beklagen“ ist. Kalkulierte Krokodilstränen.

2,5 Milliarden Euro + 300 Prozent = 10 Milliarden Euro

Sollte das Bahnprojekt ursprünglich noch rund 2,5 Milliarden Euro gekostet haben, wird es am Ende über viermal so viel sein. Die Gründe auch in diesem Fall sind mannigfaltig, tagtäglich treffen zig Involvierte kostenauslösende Entscheidungen. Wenn S21 am Ende aber 10 Milliarden Euro verschlungen hat, wohin sind die nicht angekündigten 7,5 Milliarden Euro geflossen? Die Geldgeber von S21 heißen Bundesregierung, Europäische Union, Land Baden-Württemberg und Stadt Stuttgart. Wohin also flossen die 7,5 Milliarden an Steuergeldern?

Die beiden von der Financial Times (FT) geschilderten Hinweisgeber geben Hinweise. Im Raum steht der Vorwurf der Korruption, und es geht um 600 Millionen Euro. Einmal sei einer der beiden Ingenieure von Vorgesetzten unter Druck gesetzt worden, nicht die günstige Lösung für 30.000 Euro zu vergeben, sondern den teureren Auftrag in Höhe von 2,5 Millionen Euro, so die FT. Der Ingenieur sei standhaft geblieben, dieses Mal habe man die teure Option fallengelassen.

Dann aber hätten hochrangige Manager ihre gesetzliche Pflicht verletzt, als es um die Verlegung einer U-Bahn-Station ging. Die in Rede stehenden Kosten hätte man üblicherweise mit den Stadt Stuttgart geteilt. Hätte man bei der Planung der Bahnhaltestelle Staatsgalerie eigentlich weitaus mehr Kosten produziert, hielt aber gegenüber dem Kostenpartner Stadtverwaltung inne, weil ansonsten herausgekommen wäre, dass die Kosten für das gesamte Projekt S21 explodieren?

Wenn Hinweisgeber etwas in Rede stellen, was auf diese Weise zuvor nicht beredet wurde, seien es sensible und verstörende Sachverhalte, dann handelt es sich zweifelsohne um redliche Hinweise. Nun will auch die Landesregierung wissen, über was man zuvor mit den Partnern der Deutschen Bahn nicht beredet habe. Der  baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis90/Die Grünen) fordert von der Bahn eine „rasche Aufklärung“, schließlich trage das Land (Red. als Partner) fast zwei Milliarden Euro an Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm. Mithin fast so viel, wie das Projekt ursprünglich komplett kosten sollte. „Deshalb haben wir auch einen Anspruch auf Information“, so Hermann. Auch der andere „Partner“ aus Berlin, der Bund, meldet sich zu Wort. Die Europäische Union dürfte auf dem Fuß folgen, wenn es um „redliche Hinweise“ geht.

Dagmar Kaiser, DB-Sprecherin aus Berlin, schreibt analogo.de, die Deutsche Bahn schütze redliche Hinweisgeber „umfassend“. Man dulde keine Handlungen, die gegen redliche Hinweisgeber gerichtet seien. Die Tagesschau berichtet, der Bahn läge kein Schriftstück eines Hinweisgebers vor, in dem auf einen Schaden von 600 Millionen Euro durch nicht regelkonforme Vergaben hingewiesen werde. 2,5 Millionen, 6 Millionen, 23 Millionen, Beträge summieren sich.

Ist PricewaterhouseCoopers(PwC) das Ernst & Young (EY) Äquivalent der Deutschen Bahn AG?

Wie bei der Wirecard-Enthüllung durch die FT dürfte die britische Zeitung die Wahrheit scheibchenweise ans Tageslicht bringen. Auf diese Weise bringen sich Medien ins Gespräch, so verdienen sie Geld. Dafür, dass die Bahn die besagten Warnungen nicht erhalten haben will, berichtet die Zeitung sehr selbstbewusst von wiederholten Warnungen im Jahre 2016, dass „ein erheblicher Teil der Kosteninflation durch eklatantes Missmanagement und Korruptionsverdacht“ verursacht werde.

Was also bedeutet es, wenn die DB keine Handlungen „duldet“, die gegen redliche Hinweisgeber gerichtet sind? Dagmar Kaiser schreibt analogo.de, im DB-Konzern gebe es die Möglichkeit, geschützt Hinweise abzugeben, dies habe „bereits jetzt“ einen hohen Stellenwert. Man werde diesem Anspruch gerecht, in dem man bereits seit Jahren ein funktionierendes Hinweismanagementsystem betreibe, so die Deutsche Bahn. Haben die durch die FT thematisierten Whistleblowerfälle den Konzern womöglich für das Thema sensibilisiert? Wo genau liegt der Schutz für die unter Druck gesetzten Mitarbeiter?

Seit 2013 existiere ein Hinweismanagementsystem, welches durch Betriebsvereinbarungen „geregelt“ sei. Wie haben sich im vorliegenden Falle wohl die Betriebsräte der Deutschen Bahn in Stuttgart und Ulm verhalten? Wurden Sie tatsächlich eingebunden oder erging es ihnen womöglich wie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft der Deutschen Bahn, PricewaterhouseCoopers (PwC)? Oder wie der arglosen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) im Falle Wirecard?

Laut Bericht der Financial Times informierte die Deutsche Bahn weder ihre Wirtschaftsprüfer noch ihren eigenen Aufsichtsrat umfassend, weil man dazu nicht verpflichtet gewesen sei. Es habe sich lediglich um Behauptungen gehandelt, die sich in einer internen Untersuchung als falsch erwiesen hätten, so die Zeitung. Diese Entscheidung entspreche nach Ansicht von Rechnungslegungsexperten nicht den deutschen und internationalen Prüfungsstandards.

Dazu ein anonym bleibender Prüfungspartner einer konkurrierenden Big-Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in der Zeitung: „Jeder Wirtschaftsprüfer, der etwas auf sich hält, setzt sich mit der Compliance-Abteilung des Kunden in Verbindung, um die Whistleblower-Beschwerden des letzten Jahres zu prüfen und zu bewerten.“

Technischer Whistleblowerschutz ist kein Garant für echten Whistleblowerschutz 

Buff bäng. Deutschland hat seinen nächsten Whistleblower-Fall mit Wirecard-Dimension. Trotz jahrelanger Kritik der Öffentlichkeit auch hier wieder breites Versagen der Regierungsmedien. Man bemerke die Rhetorik des Regierungsorgans SWR, der zweite Whistleblower habe den Kontakt zu den Unternehmesjuristen aus Angst abgebrochen. Geflissentlich unterschlägt der SWR den eigentlichen Inhalt der FT-Meldung, nämlich dass der Ingenieur den Kontakt aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen seines Arbeitgebers abbrach. Örtliche Medien wie der in Stuttgart ansässige SWR spielen eine erhebliche Rolle in der Täuschung der Bevölkerung, was das Projekt Stuttgart 21 betrifft.

Was einem öffentlich-rechtlichen Sender (hier: dem SWR) wieder einmal nicht gelang, muss einmal mehr aus dem Ausland beleuchtet werden. Informationsinsel Deutschland.

Offiziell setze die Deutsche Bahn bereits die Vorgaben der EU-Richtlinie zum Whistleblowing um, so Dagmar Kaiser gegenüber analogo.de. Man habe ein elektronisches Hinweisgebersystem, über das die Abgabe anonymer Meldungen in 22 Sprachen möglich sei. Auch würden für den DB-Konzern mehrere Vertrauensanwälte Hinweise entgegennehmen. Es gebe eine Hotline, die 24/7 besetzt sei sowie die Möglichkeit, schriftlich oder in einem persönlichen Gespräch einen Hinweis bei einer hierauf spezialisierten Abteilung abzugeben.

Nach Vorgabe der EU darf Mitarbeitern der Hinweis auf Hug und Trug, Korruption und Vetternwirtschaft nicht mehr vergolten werden. Den Botschaftern der schlechten Nachricht darf weder gekündigt werden noch darf man sie anderweitig schlechterstellen. Das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz soll laut Vorgabe der EU in spätestens zehn Tagen verabschiedet sein. Warum also müssen Whistleblower immer noch beweisen, dass Ihr Handeln redlich war, während in anderen Ländern über das Motiv des Hinweisgebers schon lange nicht mehr gesprochen wird?

Die nächsten Monate werden zeigen, in welchem Maße bei der Deutschen Bahn AG Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.

Konzernzentrale der Deutschen Bahn AG am Potsdamer Platz in Berlin (Bahntower). Bildrechte: Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben
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