Robert Koch-Institut ignoriert EU-Vorgaben für internen Whistleblowerschutz

Berlin | analogo.de – Das Robert Koch-Institut ignoriert die Vorgaben der Europäischen Union (EU) für die Aufstellung eines internen Anlaufkanals für Whistleblower. Das ist das Ergebnis einer Anfrage von analogo.de an das RKI. Dabei hätte die Bundesoberbehörde allen Grund dazu, denn keine Einrichtung der Bundesregierung steht seit zwei Jahren so in der Kritik wie das RKI. Regelmäßig lässt sein Chef Lothar Wieler an seinem Institut geäußerte Kritik abprallen. Ein Whistleblowing-Experte sieht Handlungsbedarf.

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Dass die in Pressekonferenzen verlautbarten „offiziellen“ Stellungnahmen des RKI erheblich von interner Kritik betroffen sind, dürfte unumstritten sein. Warum aber will das RKI offiziell keinen internen Whistleblowerkanal einrichten, so dass potentielle Hinweisgeber im geschützten Raum auf Verfehlungen hinweisen können? Auf Anfrage von analogo.de schreibt die Pressesprecherin des Robert Koch-Institutes, Susanne Glasmacher: 

„Die Richtlinie ist bislang nicht in nationales Recht umgesetzt, das RKI wird eine entsprechende Verpflichtung selbstverständlich erfüllen, sobald es hierfür eine gesetzliche Grundlage gibt. Um Missstände anzuzeigen besteht bereits jetzt die Möglichkeit, sich an die Vertrauensperson für Gute Wissenschaftliche Praxis oder die beauftrage Person für Korruptionsprävention wenden.“

Der Whistleblowing-Rechtsberater der SPD, Simon Gerdemann, ist der Auffassung, dass die Bundesregierung zwar die Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie für Whistleblowerschutz bis zum 17. Dezember 2021 hat verstreichen lassen, dass öffentliche Arbeitgeber aber auch ohne das neue Bundesgesetz einer Direktverpflichtung zur sofortigen Umsetzung der Richtlinie unterliegen. analogo.de berichtete.

Am Fall des Ministerium-Mitarbeiters Stephan Kohn wurde jüngst ersichtlich, was Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst droht, wenn sie auf Missstände aufmerksam machen. Als Oberregierungsrat im Referat Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz hatte Kohn für Aufsehen gesorgt, als herauskam, dass weitreichende Hinweise zu Versorgungsengpässen vorlagen, die sein Ministerium auf sträfliche Weise zurückhielt. Doch Kohn wurde vor die Tür gesetzt – das normale Schicksal von Hinweisgebern.

Mit den Vorgaben der EU wäre der Rauswurf nicht möglich gewesen. Stephan Kohn wäre weitflächig vor Repressalien und Kündigung geschützt gewesen, eben weil er auf erhebliche Verfehlungen hinwies. Die Art und Weise, wie der Hinweisgeber seine Hinweise gibt, ist dabei nebensächlich. Die EU schützt Whistleblower selbst dann, wenn sie sich an die Öffentlichkeit wenden. Hierzu verlangt die Rechtsnorm lediglich, dass man sich zuvor an einen vorgegebenen Kanal gewandt hat, der die Sache aber nicht innerhalb einer bestimmten Frist angegangen war.

Eben diese vorgegebenen Kanäle hätte das RKI längst einrichten müssen. Doch haben es ja Regierungsstellen bekanntermaßen nicht so mit dem Gesetz.

In diesen Bereichen schützt die gemeinschaftliche Rechtsnorm RKI-Mitarbeiter:innen

Geschützt sind Mitarbeiter:innen des RKI, wenn sie zum Beispiel im Bezug der EU-Verordnung 726/2004 Hinweise geben, wenn es hier um die Verfahren für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur geht. Gibt also etwa eine Mitarbeiterin von Christina Leuker, Abteilung P1 Risikokommunikation, einen Hinweis auf eine erhebliche Verfehlung im Kontext von Nebenwirkungen und Wirksamkeit von Impfstoffen, ist die Mitarbeiterin explizit vor Repressalien geschützt.

Gleiches gilt zum Beispiel für Mitarbeiter:innen von Ole Wichmann, Leiter der Abteilung PG33 Impfprävention, wenn es etwa um die Kosten-Nutzen-Analyse von Impfungen an Kindern geht. Die EU nennt hierzu explizit die EU-Verordnungen 1901/2006 und 1394/2007 als anzuwendende Rechtsnormen im Sinne des Whistleblowerschutzes, konkret für Grundsätze zu Kinderarzneimitteln und für Arzneimittel für neuartige Therapien.

Der Whistleblowerschutz greift bei fast allen wichtigen Zuständigkeitsbereichen des Robert Koch-Institutes. Mit der Richtlinie 2011/24 ist selbst der Bereich „Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“ abgedeckt.

Wer als RKI-Mitarbeiter auf schwere interne Verfehlungen hinweist, wenn es um Nebenwirkungen einer Covid-19-Impfung geht, der ist explizit auf Basis der EU-Verordnung 536/2014 geschützt, die konkret wichtige Grundsätze über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln regelt. Kündigungsschutz besteht auch im Kontext zu Arzneimitteln für seltene Leiden wie dem Kapillarlecksyndrom (EU-Verordnung 141/2000). Die Liste ist lang. Das erste #RKI-Leak dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.

Die folgenschweren Aussagen des Robert Koch-Institutes dürften auch intern umstritten sein. Bildrechte: Pixabay user geralt
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