Whistleblower in Schleswig-Holsteins Gesundheitssektor – Der Stand nach dem 17.12.2021

Kiel | analogo.de – Das Ultimatum der Europäischen Union in den Wind geschlagen: Vor drei Wochen hätte Deutschland die Whistleblowerschutzrichtlinie 2019/1937 der EU in deutsches Recht umwandeln sollen. Doch trat das Kabinett Merkel die Vorgabe der EU- wie so oft – mit Füßen. Das Kabinett Scholz soll die Dinge nun richten. Die Bundestagsfraktion der SPD wird von dem Juristen Simon Gerdemann beraten, der in einer aktuellen Expertise umreißt, inwiefern Unternehmen und staatliche Betriebe auch ohne die gefertigte nationale Norm den gemeinschaftlichen Vorgaben des Whistleblowerschutzes nachkommen müssen. Kurz auf die Einschätzung Gerdemanns eingehend, beleuchtet analogo.de im neunten Teil des großen ANA LOGO Reports den Fortschritt des Gesundheitssektor als umsatzträchtigster Sektor in Schleswig-Holstein.

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In Leid reduzierenden Stätten wird in Deutschland das meiste Geld umgesetzt: Rund zehn Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet der „Gesundheitssektor“. Von 3,5 Billionen Euro im Jahre 2019 setzen rund 350 Milliarden Euro pro Jahr Krankenhäuser und andere Gesundheitsinstitutionen um. Wie in allen Bundesländern gehören die Kliniken in Schleswig-Holstein zu den ganz großen Arbeitgebern.

Wo viel Geld im Spiel ist, werden Informationen zurückgehalten. Bilanz- und Abrechnungsbetrug gehören zur Tagesordnung. Wie Schleswig-Holsteins Krankenhäuser in der Coronakrise wichtige Informationen zurückgehalten haben, war Gegenstand einer weithin beachteten Reportage von analogo.de. Als Finalist des IDH-Medienpreises von Schleswig-Holstein errang unser Beitrag im vergangenen Jahr fast den Titel. 

Simon Gerdemanns Expertise befindet sich hinter einer Zugangsschranke. Heise Medien entschlüsselt, dass Gerdemann in großen Teilen eine Direktverpflichtung zur Umsetzung der EU-Vorgaben für öffentliche Arbeitgeber sieht.

Schleswig-Holsteins großer Klinikverbund des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Universität zu Lübeck, und unterliegt der Rechtsaufsicht durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes. Noch mehr als private und teil-privatisierte Kliniken erfreut sich das UKSH multimillionen-schwerer staatlicher Subventionen. Demnach dürfte Gerdemanns Einschätzung zufolge das UKSH schon jetzt den Normen der Whistleblowerschutzrichtlinie unterliegen.

Was bedeutet das konkret? Wenden sich hinweisgebende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen Verfehlungen in einem der folgenden Bereiche an interne oder externe Kanäle, bei Verstreichung einer Frist gar direkt an die Öffentlichkeit, sind sie gemäß der Whistleblowerschutzrichtlinie vor Repressalien und Kündigung geschützt.

2019/1937 erwähnt explizit die folgenden Bereiche des  Gesundheitsrechts: Mit der Verordnung 726/2004 legt sie Verfahren für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur fest. Geben Mitarbeiter aus Krankenhäusern oder etwa des Wedeler Unternehmens AstraZeneca einen Hinweis auf eine erhebliche Verfehlung im Kontext von Nebenwirkungen und Wirksamkeit von Impfstoffen, schützt sie explizit das neue Recht.

Mit den Verordnungen 1901/2006 und 1394/2007 legt die EU Grundsätze zu Kinderarzneimitteln und Arzneimitteln für neuartige Therapien fest. Weiter regelt die EU mit ihrer Verordnung 536/2014 wichtige Grundsätze über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln. Mit ihrer Richtlinie 2011/24 regelt sie die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. Schließlich regelt sie mit ihrer Verordnung 141/2000 Details zu Arzneimitteln für seltene Leiden.

Zwischenfazit:

Es gibt reichlich Anlass, die Arbeit von Kliniken und anderen im Gesundheitssektor Verdienenden unter die Lupe zu nehmen. Alleine im Bezug des Gesundheitsrechts werden Kliniken zu einer Tummelwiese für Whistleblower. Mit der Coronapandemie gesellen sich zu den reinen Gesundheitsthemen noch politische und soziale Themen.

Der Fall der berühmten Hinweisgeberin aus dem Pathologischen Institut der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hat das Feld umrissen. Angesichts bevorstehender Massenkündigungen gegen Pflegekräfte aufgrund fehlender Impfung  könnte sich die Tummelwiese schon sehr bald füllen. Der jungen Frau in München dürfte jedenfalls heute nicht mehr gekündigt werden.

Aber wie (re-)agiert nun der Gesundheitssektor speziell in Schleswig-Holstein?

Nach einigen Jahren in der Journalistenbranche kennt man sich. Und man weiß, dass zum Beispiel das Klinikum Itzehoe eine offene Kommunikationskultur lebt. Christina Thomsen, Referentin des Vorstands, schreibt analogo.de, im Klinikum Itzehoe sei bereits seit 2013 ein Critical Incident Reporting System (CIRS) etabliert. Dabei handele es sich um ein EDV-gestütztes Meldesystem, zur Erfassung von unerwünschten bzw. kritischen Ereignissen und Beinahe-Fehlern bezüglich der Patientensicherheit. Kritische Ereignisse würden dabei sowohl eingetretene als auch potenzielle Fehler umfassen, die in jedem Fall ohne Schadensfolgen geblieben seien. Die Zielsetzungen dabei seien die Erhöhung der Patientensicherheit, die Fehleranalyse und -prävention sowie im Miteinander voneinander zu Lernen.

Zur strukturierten Meldung eines Ereignisses gäbe es eine Online-Plattform, auf der die Inhalte anonym in einem digitalen Berichtsformular dokumentiert werden könnten. Die Meldungen würden von einem intern besetzten Team regelmäßig analysiert und weiter bearbeitet. In vielen Fällen folge die Entwicklung von Verbesserungsmaßnahmen, so dass sich das Unternehmen durch Nutzung des Know-Hows und der Erfahrungen der eigenen Mitarbeiter*innen stetig positiv weiter entwickle. Damit sei im Klinikum Itzehoe quasi ein eigenes, für den Krankenhausbereich sinnvolles Whistleblowing-System etabliert.

Im Falle Covid-19 haben das Klinikum Itzehoe, die Westküstenkliniken in Heide und Brunsbüttel und das Klinikum Nordfriesland eine gemeinsame stationäre Versorgungsstruktur etabliert. Sind die Westküstenkliniken beim Whistleblowerschutz folglich ähnlich aufgestellt wie das Klinikum Itzehoe? Und tatsächlich bestätigt Pressesprecher Sebastian Kimstädt auch für die Westküstenklinik Heide ein CIRS. Eine Abteilung von Compliance sowie ein externer Compliance-Officer würden über die Einhaltung gesetzlicher und betriebsinterner Bestimmungen wachen und seien Ansprechpartner*innen für Mitarbeitende, die auf etwaige Verstöße hinweisen möchten. In Vorbereitung auf das Hinweisergeberschutzgesetz würden die Westküstenkliniken aktuell daran arbeiten, eine zusätzliche Struktur für Online-Meldungen zu schaffen.

Die Westküstenkliniken scheinen ein offenes und vertrauensvolles Miteinander zu haben. Dazu gehört laut Kimstädt, Probleme auf allen Ebenen offen zu kommunizieren und Lösungen zu erarbeiten. Fehler würde man aufarbeiten, die Kommunikation sei transparent. Die ergriffenen Maßnahmen seien vielfältig und in erster Linie darauf ausgerichtet, die medizinische Qualität zu verbessern und die Patientensicherheit laufend weiter zu entwickeln. Dazu erhebe und veröffentliche man nicht nur im Rahmen der bundesweiten Initiative Qualitätsmedizin sowie des CLINOTEL Qualitätsverbunds Qualitätsdaten, sondern habe eine Reihe von Formaten entwickelt, in denen in einem geschützten Rahmen Themen besprochen werden könnten. Beispielhaft seien hier regelmäßige Qualitätsgespräche oder so genannte Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen.

Die Uniklinik Lübeck wollte sich nicht zu unseren Fragen äußern, vielleicht angesichts der zahlreichen Skandale innerhalb des UKSH-Klinikums. Vielmehr als die kleinen Skandale in Lübeck dürfte aber der systematische Betrug des UKSH-Verbundes rund um die Intensivbetten der Grund sein, warum die UKSH-Pressestelle analogo.de zwar telefonische Auskünfte gibt, sich schriftlich aber zurückhält.

Der jüngere Bruder von Bundeskanzler Olaf Scholz ist Vorstandsvorsitzender des UKSH. anonymousnews.org erklärt die Zusammenhänge zwischen dem Kanzler-Bruder Jens Scholz und der „asozialen Intensivbetten-Abzocke“ des UKSH. Hierbei spielt auch die Landesregierung unter Diskriminator Daniel Günther (CDU) eine große Rolle.

Private Kliniken zeigen sich nachwievor intransparent

Die Reihe der transparenten Kliniken in Schleswig-Holstein ist dünn. Wer uns nicht antwortete, waren Kliniksprecherin Birga Berndsen für die Regio Kliniken GmbH (2.400 Mitarbeiter), Hermann Bölting als Geschäftsführer und Kliniksprecher in Personalunion der Klinik Preetz, Maren von Dollen für das Friedrich‐Ebert‐Krankenhaus Neumünster GmbH (2.100 Mitarbeiter), Christine Kunkis und Markus Funk der Imlandkliniken von Rendsburg‐Eckernförde (2.200 Mitarbeiter), die elf Standorte der AMEOS Krankenhausgesellschaft Holstein mbH (3.800 Mitarbeiter), Sabrina Müller von der Segeberger Klinik GmbH (2.000 Mitarbeiter), Stefan Unger vom Klinikum Nordfriesland gGmbH (1.500 Mitarbeiter), die Sana Kliniken Ostholstein GmbH (1.000 Mitarbeiter), das Schön Klinikum Neustadt (1.000 Mitarbeiter) und das Klinikum Bad Bramstedt GmbH (952 Mitarbeiter).

Mit dem Geschäft der Gesundheit verdienen auch andere große Arbeitgeber im Lande, so die Hersteller von Pharmazeutika in Wedel, die AstraZeneca GmbH und Medac GmbH (1.200 Mitarbeiter), die AOK Schleswig‐Holstein (7.600 Mitarbeiter), die Damp Holding AG (4.700 Mitarbeiter) oder die ISG Intermed Service GmbH & Co. KG in Geesthacht (900 Mitarbeiter). ISG Intermed hat zwar eine Compliance‐Richtlinie ins Netz gestellt, wie es die Firma aber mit (vorbereitendem) Whistleblowerschutz hält, wollte sie uns nicht verraten.

Die hier erwähnten Mitarbeiterzahlenschätzungen stammen zum großen Teil von der Innofact AG aus dem Jahre 2018, die für Stadtwerke Flensburg die 100 größten Arbeitgeber des Landes auflisteten. Auf die Kliniken in der Stadt Flensburg wird analogo.de in einem separaten Flensburg-Beitrag zum Thema eingehen.

Schleswig-Holsteins Krankenhäuser wie das Städtische in Kiel geben sich verschlossen. Ihre Rolle in der Coronapandemie wird weiterhin zu untersuchen sein. Bildrechte: Rainer Winters
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