Schlepp- und Fährgesellschaft Kiel (SFK) verweigert einem Sadhu die Mitfahrt, weil er keine Schuhe trägt

Kiel | analogo.de – Ende August verweigert die Schlepp- und Fährgesellschaft Kiel (SFK) einem Sadhu die Mitfahrt auf einer ihrer Fähren über die Förde von Kiel. Als die Fähre anlegt, steht der Sadhu bereit einzusteigen und zeigt dem Matrosen eine Art Berechtigungskarte. Der Matrose sieht die Karte und gibt dem Mann das Signal, dass er ihn mitnimmt. Einzige Bedingung dafür: Er muss Schuhe tragen.

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Nun trug der Sadhu aber keine Schuhe. Wir waren Zeuge des Vorfalls und berichteten. Der Mann hatte augenscheinlich schon jahrelang keine Schuhe mehr getragen, so kräftig waren seine Füße und so gegerbt seine Fußhaut. Ein echter Sadhu eben; ein Mensch mit Bart, der allem Materiellen entsagt. Die Fähre legte ohne den Mann ab, worauf der Sadhu nach oben zum Kapitän schaute und ihm ob seines Unmuts den Stinkefinger zeigte.

Was ist der Hintergrund des vorgebrachten „Sicherheits“-Arguments“? Sind es gar Versicherungsgründe, die es der SFK vorschreiben, nur besohlte Personen an Bord zu lassen? Wir fragten die Geschäftsleitung der Schlepp- und Fährgesellschaft nach dem Namen des Versicherungsunternehmens, sollten es tatsächlich Versicherungsgründe sein. Um es gleich zu sagen: Die SFK wand sich, wo sie konnte. Daher erfolgt die ausführliche Berichterstattung über das Ereignis erst jetzt, rund vier Wochen nach dem Eklat.

Zunächst antwortete Pressesprecherin Andrea Kobarg analogo.de am 31. August, die SFK könne zu dem geschilderten Vorfall nichts sagen. Man habe seine Besatzungen befragt und könne den Vorfall nicht bestätigen. Es gebe darüber hinaus keine Aufzeichnungen, die aussagekräftig seien, dass es diesen Vorfall überhaupt gab. Mit Sicherheit würde die SFK aber niemanden von der Beförderung ausschließen, egal welcher Religion er angehöre. Wichtig sei, dass er einen gültigen Fahrausweis habe und die zurzeit gültigen Regeln (Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasenschutz) an Bord akzeptiere.

Zwischenfazit I: Die SFK lügt am 31. August mit offenem Visier. Denn natürlich hat sie ja just einen Sadhu von der Beförderung ausgeschlossen. Einen Mann hinduistischen Glaubens, dessen Ausdruck es ist, allem Materiellem wie Schuhen, Fahrrad oder Helm zu entsagen. Gewisse Zweige indischer Religionsgemeinschaften tragen bewusst keine Kleidungsstücke aus Leder. So müssen Personen vor Eintritt in gewisse Tempel ihre Ledergürtel am Eingang lassen, bevor sie den Tempel betreten wollen. Die Vorschrift, Fahrgäste wegen dem Tragen keiner Schuhe auszugrenzen, ist hier also ganz ’selbstbewusster‘ Ausdruck einer ausgrenzenden (christlich geprägten) Kultur. Die Weltlichkeit Deutschlands findet Argumente gegen die religiösen Sitten.

Weiter im Text. Drei Wochen später endlich bestätigt Pressesprecherin Andrea Kobarg gegenüber analogo.de, dass am 20. August 2020 ein Fahrgast ohne Schuhwerk aus Sicherheitsgründen nicht mitgenommen wurde. Nach Beschreibung des Bordkassierers durch den Herausgeber von analogo.de konnte der Bordkassierer identifiziert werden. Nach Aussage des Mannes und des nun erkannten Kapitäns sei der Fahrgast nicht nüchtern gewesen und habe beleidigende Gesten gezeigt. Der Sicherheitsaspekt sei bei der Nichtmitnahme vorrangig gewesen.

Zwischenfazit II: Erst lügt die SFK, nun verdreht die Gesellschaft Ursache und Wirkung, und macht das Opfer zum Täter. Eine in Deutschland häufig verwandte Methode der Diskreditierung. Schließlich waren viele Fahrgäste und der Herausgeber von analogo.de Zeuge, als die Fahrgastbrücke hochgeholt war, dass der Sadhu nun – offensichtlich aus Verärgerung – eine beleidigende Geste zeigte. Dies konnte aber kein Grund gewesen sein, dem Mann im Moment der Ablehnung die Fahrt zu verweigern. Die Geste kam, als das Schiff bereits abgelegt hatte. Es waren die Schuhe. Punkt.

Weiter berichtet Andrea Kobarg am 08. September, auf den Schiffen sei die SFK für die gefahrfreie Beförderung der Fahrgäste verantwortlich. Eine Barfuß-Nutzung der Fähre berge vielerlei Verletzungsrisiken. Zunächst seien die stählernen Bodenbeläge ausgesprochen hart und könnten bei intensiver Berührung bei einer Gehbewegung zu erheblichen Verletzungen führen. Daneben würden die lackierten Decksoberflächen barfuß, insbesondere bei Nässe, keinen ausreichenden Schutz vor Rutschgefahr bieten. Soweit die SFK einem Fahrgast die Nutzung der Fähre barfuß nicht gestatte, geschehe das mit Blick auf dessen Sicherheit und Unversehrtheit. Die Sorge darum sei eine der vertraglichen Nebenpflichten im Interesse des Fahrgastes.

Zwischenfazit III: Dieser Teil der Stellungnahmen passt nun wieder in Bild. Dem Sadhu wurde die Fahrt verweigert, weil er keine Schuhe trug.

Ob die Passagiere der SFK denn nüchtern sein müssen, sofern Sie an Bord wollen, wollten wir schließlich von der SFK wissen. Schließlich verkauft die SFK an Bord ihrer Fördefähren Alkohol. Dazu Kobarg: „Letztendlich entscheidet das Bordpersonal, ob ein Fahrgast in der körperlichen Verfassung ist, dass er mitgenommen werden kann“. Und ob die Fahrgäste der SFK nicht selber entscheiden könnten, ob sie ein Verletzungsrisiko eingehen wollen? Dazu Beamtensprache einer in Versicherungen blockierten Gesellschaft: „…, dass die SFK für jede eventuelle Verletzung eines Fahrgastes haftbar gemacht werden könnte.“

analogo.de meint: Das Motiv des Bordkassierers war wahrscheinlich nicht bewusst religionsfeindlich. Aus deutschen Mainstreammedien kennt man Diskriminierungsthemen vornehmlich im Bezug Islam oder Judentum. Seit muslimische Frauen von ihren Männern seit fast zwanzig Jahren nicht mehr nur im Iran oder zunehmend in der Türkei, sondern nun offen auch in Deutschland gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, und dies als religiöse Vorschrift verargumentiert wird, sind die Bewohner Deutschlands mit dem Thema vertraut. Was aber die Religion des Hinduismus ausmacht, wird hierzulande weder diskutiert noch tritt es überhaupt in Erscheinung.

Und der Stinkefinger: Im weltlichen Sinne war es eine despektierliche Geste, im Sinne des Gefühls eine sehr nachvollziehbare Geste. Und ob der Sadhu im religiösen Sinne deswegen ein schlechterer Sannyasin ist, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.

Der Autor dieses Artikels verbrachte mehrere Monate in Indien, wo er vor Eintritt in Tempel nicht selten Schuhe und Gürtel abzulegen hatte. In den letzten 40 Jahren besuchte der Autor über zwanzig muslimisch geprägte Länder, darunter den Iran, den Jemen und mehrfach die Türkei.

Sadhus entsagen der materiellen Welt und werden dafür in der westlichen Welt häufig diskriminiert. Bildrechte: LoggaWiggler auf Pixabay 52045_1920
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