Mainz / Radolfzell | analogo.de – Seit 2011 liefern sich die Deutsche Umwelthilfe (DUH), das Land Rheinland-Pfalz und die Stadtverwaltung Mainz ein juristisches Katz-und-Maus-Spiel wegen der chronisch schlechten Luft in Mainz. Ein Blick auf den Verlauf der Klagehistorie verdeutlicht, wie einerseits ein Dieselfahrverbot für die rheinland-pfälzische Landeshaupt Mainz immer näher rückt. Zum anderen zeigt der Trend, dass die im Fokus stehenden Luftkonzentrationen des sehr giftigen Gases Stickstoffdioxid (NO2) konsistent über den Grenzwerten liegen. Die Stadt Mainz fühlt sich kaum verantwortlich, wird aber an einem Aussprechen von Fahrverboten kaum vorbei kommen. Das würde wiederum bezeugen, wie wenig die Stadtspitze um Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) und Verkehrs- und Umweltdezernentin Katrin Eder (Bündnis90/Die Grünen) das Thema „Gesundes Leben in Mainz“ im Griff haben. analogo.de gibt nachfolgend einen Überblick über die Klagehistorie in Mainz.
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Ab dem 01. Januar 2018 könnten theoretisch Fahrverbote für die Innenstadt Mainz ausgesprochen werden. Die juristischen Grundlagen wurden im Laufe der beiden letzten Jahre durch zwei Urteile gelegt: Die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Stuttgart ebneten durch ihre bahnbrechenden Urteile den Weg für Fahrverbote. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit Sitzen in Radolfzell und Berlin. Das VG Düsseldorf gab der Klage am 13. September 2016 Recht, das geltende Immissionsschutz- und Straßenverkehrsrecht enthalte bereits alle notwendigen Grundlagen für wirkungsvolle Maßnahmen. Man dürfe explizit nicht auf bundesdeutsche Maßnahmen wie die Einführung einer Blauen Plakette warten.
Am 19. Juli 2017 legte das Verwaltungsgericht Stuttgart nach, wo die DUH ebenfalls wegen zu hoher Stickstoffdioxidwerte klagte. Das VG Stuttgart ging inhaltlich noch über die Entscheidung des VG Düsseldorf hinaus, indem es Verkehrsbeschränkungen nicht nur bezüglich einzelner Straßen zulässt, sondern für die gesamte Umweltzone. Die Stadt Mainz richtete im Jahre 2013 eine Umweltzone ein, nachdem die DUH am 30. November 2011 gegen das schlechte Luftmanagement in Mainz vorgegangen war. Konkret klagte die DUH zunächst gegen das Land Rheinland-Pfalz – betreffend den für die Stadt Mainz geltenden Luftreinhalteplan wegen Überschreitung der Grenzwerte für NO2 gemäß der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV). Zum 01. Januar 2012 ging die Zuständigkeit für den Luftreinhalteplan auf die Stadt Mainz über, die seither Beklagte in diesem Verfahren ist. Mittlerweile klagt die Umweltschutzorganisation DUH in Deutschland gegen über 60 Städte.
Erste Klage (seit 2011): Sie ruht – sie läuft – sie ruht – …
Am 04. Juni 2012 brachte die DUH ihre Mainzer Klage zum Ruhen. Schließlich versprachen die Städte Mainz und Wiesbaden, dass mit ihrer neuen Umweltzone ab dem Jahr 2013 alles besser wird. De facto wurde die Luft im Jahre 2013 nicht besser (Historie aller Jahresmittelwerte seit 2009 siehe hier), und die DUH ließ ihre Klage gegen die Stadt Mainz im Dezember 2013 wieder aufleben.
Im März 2014 brachte die DUH das Klageverfahren abermals zum Ruhen, denn die Stadt versprach neue Maßnahmen. Man wolle sich mit der Stadt Mainz „außergerichtlich“ einigen, so die DUH. Dafür solle die Stadt aber Messungen in Auftrag geben um die verkehrsbezogenen Emittenten zu identifizieren und darauf beruhend Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte zu verabschieden. Für 2014 einigte man sich auf „abschließende“ Stickstoffdioxid-Messungen durch die Universität Heidelberg, die die Stadt aber versäumte vorzulegen. Über den gesamten Verlauf des Jahres 2015 blieb die Klage aktiv.
Mit zwei Jahren Verspätung legte die Stadt Mainz im Jahre 2016 schließlich die vereinbarten „abschließenden“ Stickstoffdioxid-Messungen durch die Universität Heidelberg vor. Die Daten waren alarmierend, denn trotz neuer Umweltzone sanken die Konzentrationen des giftigen Gases keineswegs. Ganz im Gegenteil: An der Messstelle Große Langgasse stiegen die Giftanteile in der Atemluft sogar noch um weitere sieben Prozent, obwohl der Wert bereits 2013 über dem Grenzwert lag.
Folglich nahm die DUH am 04. Oktober 2016 ihre Klage mit Bedauern wieder auf, und begründete diesen Schritt mit einem Scheitern der außergerichtlichen Verhandlungen mit der Stadtverwaltung und mit der anhaltend hohen Luftbelastung in Mainz. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch hoffe nun auf eine schnelle Entscheidung des Mainzer Verwaltungsgerichts, und gehe davon aus, dass es spätestens 2018 ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in Mainz geben werde.
Ab dem 28. November 2016 rollte das Vorzeigeprojekt der Mainzer Stadtverwaltung, die Mainzelbahn. In großen Tönen wurde die mit nahezu 100 Millionen Euro tarifierte Straßenbahn als der neue Heilsbringer kundgetan. Die Bahn könne dazu beitragen die Stickstoffkonzentrationen zu senken. Die DUH scheint für Heilsversprechen anfällig zu sein, denn mit Datum vom 15. Februar 2017 ließen DUH und Stadtverwaltung Mainz die Klage in beiderseitigem Einverständnis wieder ruhen.
Zum 01. April 2017 trat die Fortschreibung des Luftreinhalteplans der Stadt Mainz 2016 bis 2020 in Kraft. Der Plan zeigte jedoch nicht auf, bis wann mit einer Grenzwerteinhaltung zu rechnen ist. Nach Einschätzung der Stadt Mainz würde der entscheidende Durchbruch erst zu erwarten sein, wenn die Busflotte der städtischen Busgesellschaft MVG weitestgehend aus Fahrzeugen der Abgasnorm Euro 6/VI bestehe und diese Fahrzeuge die Grenzwerte nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im realen Fahrbetrieb einhalten würden. Da die Stadt rund 100 Millionen Euro für die Mainzelbahn ausgegeben hatte, fehlt ihr nun das Geld zur Renovierung der veralteten Busflotte. Trotz offensichtlicher Fehlinvestition ruft OB Ebling nun nach neuen Steuergeldern, die man der Stadt doch bitte überstellen solle. Die Luft in Mainz wurde in der Zwischenzeit nicht besser.
Zweite Klage (seit 2017): Sie läuft
Und wie re(agierte) nun die DUH? Die Umweltschützer reichten eine neue Klage ein und setzen damit im juristischen Katz-und-Maus-Spiel einen neuen Akzent. Während also die seit 2011 laufende und immer wieder unterbrochene Klage seit dem 15. Februar 2017 abermals ruhte, reichte die DUH am 07. Juli 2017 beim Verwaltungsgericht Mainz eine gänzlich neue Klage ein. Diesmal beklagt die DUH die Zulassungsbehörde der Stadtverwaltung Mainz, denn VW-Fahrzeuge der Abgasnorm Euro 5 bzw. der Motortyp EA 189 sollen nicht auf öffentlichen Straßen fahren dürfen. Durch die Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen sei die Betriebserlaubnis der Fahrzeuge erloschen, die betroffenen Autos daher außer Betrieb zu setzen, so die Argumentation der DUH. Auf Nachfrage von analogo.de beim VG Mainz signalisierte Mediensprecherin und Richterin Stefanie Lang, dass ein diesbezüglicher Gerichtstermin bekannt gegeben werde, sobald alle Parteien eine Stellungnahme abgegeben haben.
Drei Tage nach der neuen Klageerhebung vom 07. Juli 2017 ermittelte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft mit Hausdurchsuchungen beim Stuttgarter Automobilkonzern Daimler. Sofort wurde klar, dass die bei Daimler verbauten Abschalteinrichtungen ebenfalls illegal waren. Die Begründung des Durchsuchungsbeschlusses durch das Amtsgericht Stuttgart sahen den Anfangsverdacht als bestätigt, dass die Daimler AG zwischen 2008 bis 2016 an über einer Million Euro 5 und 6 Diesel-Pkw illegale Abschalteinrichtungen verbaut hatte. Dem Durchsuchungsbeschluss nach seien die Mercedes-Pkw und Kleintransporter mit illegalen Abschalteinrichtungen mit den Original-Mercedes Motoren der Baureihen OM 642 und OM 651 ausgestattet. Die DUH ging davon aus, dass sich die Anzahl der betroffenen Mercedes-Diesel-Pkw über die bisher bekannt gewordenen eine Million Fahrzeuge deutlich vergrößern würde.
Noch unter dem Eindruck dieser Hausdurchsuchungen gewann die DUH am 19. Juli 2017 ihre Klage vor dem VG Stuttgart gegen das Land Baden-Württemberg. Am 31. Juli 2017 legte die DUH ein Acht-Punkte-Sofortprogramm für saubere Luft vor. Zwei Tage später fand das Nationale Forum „Diesel“ in Berlin statt. Am 04. September 2017 kritisierte die DUH das massive Festhalten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), indem man der Autoindustrie technische Nachrüstungen der Diesel-Pkws auf Euro 5 und Euro6 ersparen wolle. Während die Politiker Katz und Maus spielen, wird die Luft in Mainz weiterhin nicht besser.
Stadt Düsseldorf und das Bundesverwaltungsgericht
Da auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am 17. Februar 2017 für den Fall München entschied, dass „an Verkehrsbeschränkungen für Dieselfahrzeuge kein Weg vorbeiführt“, ist die juristische und politische Marschrichtung klar. Die DUH könnte in Mainz ihre erste Klage innerhalb eines Tages wieder aufleben lassen und würde dann mit zwei Waffen für saubere Luft kämpfen. Die DUH hat hierzu signalisiert bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig zu warten. Nachdem die DUH gegen die Stadt Düsseldorf gewonnen hatte, wollte der Düsseldorfer OB Thomas Geisel (SPD) diese Entscheidung nicht akzeptieren. Der jüngst vom Bundesverwaltungsgericht in anderer Sache verurteilte Geisel beantragte eine Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht, die zugelassen wurde. Es wird erwartet, dass Leipzig am 22. Februar 2018 ein grundsätzliches Urteil bzgl. Luftqualität, Luftreinhalteplänen und möglichen Direktmaßnahmen spricht.
Derweil meldete die EU (Europäische Umweltagentur) am 11. Oktober 2017 einen Anstieg der Todesfälle in Deutschland durch Dieselabgase um 20 Prozent. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch verurteilte abermals die erschreckend hohe Anzahl an vorzeitigen Todesfällen durch das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid scharf, es sei die Folge der kriminellen Praxis der Autohersteller. Es ist dies eine NEUE Argumentation, die auch von den verantwortlichen Mainzer Politikern der Stadtspitze bemüht wird.
analogo.de meint: Die Stickstoffdioxidwerte liegen seit 2009 stabil über den Grenzwerten. Etwaige Urteile der nationalen Gerichte in Mainz (VG) und Leipzig (BVerwG) kommen auf alle Fälle zu spät. Das transnationale Gericht des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) hatte jedenfalls am 19. November 2014 entschieden, dass die nationalen Gerichte verpflichtet sind gegenüber den zuständigen Behörden jede erforderliche Maßnahme zu erlassen, wenn Luftqualitätsgrenzwerte überschritten werden. Ob das Mainzer Verwaltungsgericht den Mut und die Kompetenz hat diesem Urteil Folge zu leisten, wird sich zeigen.
Diesel-Fahrverbote mögen rechtlich zulässig und unausweichlich sein, Leipzig hat hier aber mehr als drei Optionen. Durch das Wochentagsmodell müsste das Dieselfahrverbot in Mainz so gestaltet werden, dass das große Heer der Menschen mit kleinem Geldbeutel nicht noch ärmer wird als es sowieso schon ist. Allen Bewohnern von Mainz muss dieselbe Chance eingeräumt werden mit dem eigenen Wagen in die eigene Stadt zu fahren. An ungeraden Tagen (Montag, Mittwoch, Freitag) dürften demnach alle KFZ-Schilder mit ungeraden Zahlen in die Stadt einfahren. Und an geraden Tagen (Dienstag, Donnerstag, Samstag) alle KFZ-Schilder mit geraden Zahlen. Sonntags dürften alle fahren.
Dieselfahrverbote für Arm UND Reich
Moderne Euro 6 Diesel-Pkw emittieren im realen Fahrbetrieb 30-mal mehr NOx als moderne Euro 6 Benzin-Pkw. Diesel-Pkw verursachen mehr als die Hälfte aller NOx-Emissionen. Auch wenn die Automobilhersteller im Stile organisierter Kriminalität falsche Abgaswerte vortäuschten, kennt jeder, der einmal in der Nähe eines Dieselauspuffs gestanden hat, die im Vergleich zu Benzinfahrzeugen enormen Ruß- bzw. Abgaswolken. Dieselauto-Besitzer kauften sich einen Diesel, weil Dieselkraftstoff billiger als Superbenzin ist. Die Umwelt und somit spezifischer die Gesundheitsbelastung der Menschen im Umkreis des eigenen Dieselautos dürfte den meisten Dieselbesitzern beim Kauf zum allergrößten Teil egal gewesen sein.
Ein Strafcharakter für Dieselbesitzer durch Fahrverbote ist auf jeden Fall legitim, da sie die Hauptverursacher von diesbezüglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen sind (siehe Berichte der Europäischen Umweltagentur). Die reichen Mitbürger dürfen von Strafmaßnahmen nicht ausgespart werden. Denn der Reflex der Mainzer Stadtspitze ist sehr wohl bekannt, indem SPD/FDP und Bündnis90/Die Grünen von den ärmeren Mainzer Bewohnern gerne fordern sich in die stinkenden Stadtbusse zu setzen, während die reicheren Bewohner mit ihrem eigenen Auto ungehindert in die Stadt einrollen.