Transparenzgesetz RLP: MdI behindert praxisnahe Umsetzung – Welche Rolle spielt US-Militär?

Mainz | analogo.de – Das Innenministerium von Rheinland-Pfalz behindert die praxisnahe Umsetzung des neuen Transparenzgesetzes. Mindestens ein Umweltinformationsgesuch steht seit 15 Monaten in der Warteschlange. Auch Hochschulen verweigern sich ihrer proaktiven Informationspflicht. Die Open Knowledge Foundation hat daher Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Umweltanfrage hat den Umfang von Stromlieferungen durch die Pfalzwerke AG an den US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Ramstein zum Inhalt. Das Ministerium spielt eine doppelköpfige Rolle, denn es wirbt gleichzeitig für mehr US-Militär und soll die Umsetzung des Leuchtturmprojektes Transparenzgesetz voranbringen: Ein offensichtlicher Zuständigkeitskonflikt mit unabsehbaren Folgen. Der analogo.de LONG READ.

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Durch den engen Kontakt des Herausgebers von analogo.de zum Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI) von Rheinland-Pfalz erfuhren wir, dass das Bundesland zwar einen Entwicklungsschritt in Richtung Umsetzung des Gesetzes macht, diese Umsetzung allerdings seit Monaten durch das Ministerium des Inneren und für Sport (MdI) blockiert wird.

Seit vielen Monaten treibt der LfDI die weitere Entwicklung des Transparenzgesetzes voran, denn die Landesbehörden stehen vor dem Problem, dass sie mit einem Gesetz konfrontiert sind, zu denen jedoch keine konkreten Verwaltungsvorschriften existieren. Das gelobte Transparenzgesetz kommt insofern bislang einem praxisfremden PR-Gag nahe. Der LfDI Dieter Kugelmann koordiniert daher mit seinem Juristen- und Politikerteam die Ministerien-übergreifende „Konsolidierung“ der Verwaltungsvorschriften, die allerdings federführend vom MdI erarbeitet werden.

Transparenzpflicht offenbart Demokratie-Muffeligkeit

Bereits im Juli 2016 lag dem MdI der Fall Umweltinformation Pfalzwerke AG/Air Base Ramstein auf dem Tisch (hier ein Bericht zur Vorgeschichte). Dass der Fall über neun Monate beim Leiter der Abteilung 1, Staatsrecht und Gesetzgebung, Dr. Rolf Meier gelegen hat und das MdI immer noch keine Entscheidung getroffen hat, deutet darauf hin, dass der Prozess vom MdI offensichtlich absichtlich verzögert wird. Bereits Ende August 2016 teilte uns der LfDI mit, dass Dr. Meier den LfDI mal wieder „vertröstet“ habe. Im März 2017 erhielten wir die Mitteilung des LfdI es hänge an einer „zentralen Frage über die Auslegung einer unklar formulierten Norm im Landestransparenzgesetz“. Das Gesetz ist also formuliert, aber selbst die Landesbehörden streiten sich untereinander über die Bedeutung der von ihnen aufgestellten Paragraphen.

Wenn das MdI seit neun Monaten an dem Fall arbeitet, hätte es die anderen Ministerien zwecks Abstimmungen der konkreten Ausführungsregelungen längst angehört haben müssen. Laut Information des LfDI an analogo.de hängt der zeitliche Umfang dieser Abstimmung von der Art und dem Umfang der geäußerten Änderungswünsche der Ressorts ab. Schließlich müsse vor der Bekanntgabe der Verwaltungsvorschriften formal noch das ressortübergreifende Gremium der Kommunalaufsicht beteiligt werden.

Nunmehr fast 16 Monate nach Einführung des Gesetzes stimmen die Ministerien also langsam die ersten konkreten Verwaltungsvorschriften ab. Dabei hatte das Kabinett Malu Dreyer (SPD) den Bürgerinnen und Bürgern längst mehr Offenheit versprochen. In Zukunft, so SPD und Bündnis90/Die Grünen, sollen Bürger Informationen der Landesverwaltungen nicht mehr nur auf Anfrage erhalten, sondern die Landesbehörden und Hochschulen sollen die Informationen proaktiv von sich aus ins Internet stellen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Behörden scheinen sich noch verschlossener zu geben als vor Einführung des Gesetzes.

Pfalzwerke werden privatisiert und verselbstständigen sich

Der LfDI ist sich bewusst, dass man die kulturelle Errungenschaft von 200 Jahren Heimlichkeit im Miteinander von Rheinland-Pfalz nicht über Nacht revolutionieren kann. Das Kabinett Dreyer hatte ihr Vorhaben nach jahrelanger Arbeit gegen den Willen von Julia Klöckners CDU umgesetzt. Klöckner, so könnte man meinen, ist dem emotionalen Wohlfühlbereich der ruralen Rheinland-Pfälzer näher als Dreyer. Doch was verbergen die einzelnen Behörden und Hochschulen satte 15 Monate nach Einführung des revolutionären Gesetzes? analogo.de wird in mehreren Etappen darüber berichten. In vorliegenden Fall hätte das Ministerium des Innern laut Ansicht des LfDI längst die angekündigte Strafe von bis zu €10.000 an die Pfalzwerke AG aussprechen müssen, weil die Aktiengesellschaft bisher dem oben erwähnten Umweltinformationsgesuch nicht nachkam.

Nochmal zum Hintergrund: Der Unterhalt eines Luftwaffenstützpunktes bedarf einer großen Energiemenge. Da der steigende Energiehunger weltweit aber zu immer schlimmeren Klimakonsequenzen und in Rheinland-Pfalz zu immer mehr Windrädern führt, wollten wir als Portal für Umwelt, Politik, Science & Mainz wissen, welchen Anteil am produzierten Strom in kWh pro Jahr das US-Militär mit ihrer Ramstein Air Base nahe Kaiserslautern hat. Laut Spiegel-Berichten steuert das US-Militär seine weltweiten Drohneneinsätze von Ramstein aus.

Da es sich bei dem Energiefaktor „Strom“ um eine umweltrelevante Auskunft handelt, baten wir die Pfalzwerke um Erteilung dieser Umweltinformation gemäß Landesumweltinformationsfreiheitsgesetz (LUIG). Mit Einführung des Landestransparenzgesetzes (LTranspG) zum 01.01.2016 fällt die Anfrage unter dieses Gesetz, da das LUIG ins LTranspG integriert wurde. Die Pfalzwerke als kommunaler Versorger sind wiederum eine Aktiengesellschaft, die ausschließlich aus Finanzierungsgründen privatisiert wurde. Kaum haben die Kommunen ihren Versorger privatisiert, hat der Betrieb seine Herkunft vergessen und beansprucht nicht als kommunaler Versorger behandelt zu werden. Die Pfalzwerke wehrten sich ergo gegenüber dem LfDI monatelang mit allen erdenklichen juristischen Argumentationen, warum man die Information nicht leisten wolle.

Doppelrolle des Roger Lewentz

Nach den offensichtlich nicht haltbaren Argumenten des Stromlieferanten entstand der Eindruck, der deutsche Stromlieferant schütze seinen Militärkunden der US-Air Base Ramstein. Doch nun stellt sich die Frage: Schützt das MdI ebenfalls die US-Air Base Ramstein, indem es absichtlich eine zeitnahe Umsetzung des Transparenzgesetzes verhindert? In Übereinstimmung mit der Bundesregierung forciert die Landesregierung unter SPD-Führung die zunehmende Ansiedelung von US-amerikanischen Militäreinheiten nach Rheinland-Pfalz. Die USA wollen Ramstein ausbauen, um Deutschland als Drehscheibe stärker in seine weltweiten Kriege einzubinden. Malu Dreyers Mann für diese Aufgabe heißt Roger Lewentz – und ist Chef des besagten Ministeriums. In seiner Abteilung 8 arbeitet ein ganzer Stab zum Thema „Streitkräfte und Kommunalentwicklung“.

Vielleicht verwundert es da nicht, dass auch der LfDI seine Arbeitsweise geändert hat. Sechs Monate vor Einführung des Gesetzes ersetzte der Landauer Dieter Kugelmann den Landesdatenschützer Edgar Wagner. Kugelmann bekleidete vor seiner Ernennung zum LfDI hauptamtlich eine Rechtsprofessur mit Schwerpunkt Polizeirecht an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Kugelmanns Mitarbeiter*innen sind schon lange nicht mehr so gut zu erreichen wie zu Wagners Zeiten. Pressevertreter erhalten erst Monate nach ihrer Anfrage eine Antwort, was unter anderem damit zu erklären ist, dass sich die wenigen Mitarbeiter*innen teils wochenlang auf Repräsentationsterminen vom Mittelrhein bis nach Albanien befinden. Gut, dass Albanien erfährt, dass Rheinland-Pfalz ein Transparenzgesetz hat, aber der Transparenz-Schein trügt.

Verfassungsbeschwerde der Open Knowledge Foundation Deutschland

Auch das extra geschaffene Transparenzportal erscheint wie eine chaotische Sammlung von höchst lückenhaften Gesetzen und Protokollen aus diversen Landesteilen. Welche Behörde tatsächlich in welchem Umfang Daten einpflegt, ist kaum überschaubar. Seit Ende Dezember 2016 hat nun auch noch die Initiative Transparenzklagen.de Verfassungsbeschwerde gegen das Transparenzgesetz Rheinland-Pfalz eingelegt. Die Initiative rekrutiert sich aus der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKF-DE). Die OKF unterstützt als gemeinnützige Organisation die Förderung von offenem Wissen und trägt auf diese Weise zu einer Demokratisierung bei. Die Initiative argumentiert, dass das in 2016 verabschiedete Transparenzgesetz Rheinland-Pfalz Bürgerinnen und Bürgern sowie nichtrechtsfähigen Vereinen zwar einen gewissen Zugang zu amtlichen Informationen und zu Umweltinformationen gewährt, es aber auch erhebliche Defizite aufweist und sogar Rückschritte bei der Informationsfreiheit mit sich bringt.

Die Beschwerdeführer wenden sich dagegen, dass – anders als noch in der Vorgängerregelung – die Identität des Antragstellers erkennbar sein muss, was viele Menschen davon abhalten kann ihre Informationsfreiheitsrechte auch wahrzunehmen. Darüber hinaus rügt die Initiative auf ihrer Webseite, dass der Zugang zu Informationen aus dem Wissenschaftsbereich durch das Transparenzgesetz massiv eingeschränkt wird. Damit gefährde das neue Gesetz auch die Freiheit von Forschung und Lehre. Inwiefern sich ausgerechnet Hochschulen  als die Stätten der Bildung und des Wissens aus ihrer proaktiven Informationspflicht herauswinden, haben wir auf analogo.de mehrfach gesondert thematisiert.

analogo.de meint: Der Transparenz-Zug in Rheinland-Pfalz fährt sehr viel flachwinkliger unter der Sonne von Rheinland-Pfalz als es der politische Breitengrad hergibt. Unter diesen Umständen liegt ein langer Winterschatten über dem Aushängeprojekt von Bündnis90/Die Grünen und der SPD. Ob die Schatten im Sommer kürzer werden, wird wesentlich vom politischen Kalkül der Landesregierung abhängen.

Eine Zuspitzung zu weltweiten Kriegsereignissen dürfte wesentliche Teile des Traumes „Transparenz“ im Südwesten Deutschlands für längere Zeit begraben, denn Rheinland-Pfalz betont seine Nähe zum US-Militär. Die Doppelrolle des MdI scheint auf eine Erosion des demokratischen Fortschrittspfads hinauszulaufen. Wie es aussieht, lässt sich Rheinland-Pfalz das Sichern von Arbeitsplätzen durch US-Militärausgaben etwas kosten. Die Formel lautet: Arbeit +1 und Demokratie -1. Auf dem eingeschlagenen Pfad riskiert die Regierungskoalition Dreyer die Leuchtkraft eines ihrer wesentlichen Projekte.

Welche Rolle spielt das US-Militär für die praxisnahe Umsetzung des Transparenzgesetzes in Rheinland-Pfalz? Bildrechte: tammyatWTI auf Pixabay 1807121_1280