Fußgängerzone im Verkehrsstau: Mainz kassiert, Shopping verliert

Mainz | analogo.de – Die Stadt Mainz sieht sich mit einer Flut von Paketdiensten konfrontiert, die verbotenerweise in Fußgängerbereiche einfahren oder diese sogar blockieren. Fußgänger werden von den großen Kraftfahrzeugen dabei regelmäßig an die Seite der Fußgängerbereiche gedrängt. Die Stadt Mainz hat zwar klare Regelungen erlassen, die aber von den vielen Paketzulieferern häufig missachtet werden. Alleine am Zugangsweg zur Römerpassage im Kreuzungsbereich Lotharstraße/Adolf-Kolping-Straße sprach das Verkehrsüberwachungsamt in 11 Monaten 160 gebührenpflichtige Verwarnungen aus. Dies ergab eine Anfrage der Partei FW-G an das Verkehrsdezernat Ende November 2016.

Wenn die Stadtverwaltung bei immerhin 68 Kontrollen in 11 Monaten an nur einer Stelle 160 Verwarnungen erteilt, lässt sich über Hochrechnungen leicht ermitteln, wie viele tausend Male Paketdienste pro Jahr in Mainz widerrechtlich in Fußgängerzonen einfahren. analogo.de wollte daher wissen, wie die Rechtslage in Mainz ist und ob Paketdienste in Mainz überhaupt Fußgängerbereiche befahren dürfen.

Der Pressesprecher der Stadt Mainz, Ralf Peterhanwahr teilte uns auf Anfrage mit, Paketdienste dürften in Fußgängerzonen zu jenen Zeiten einfahren, wie dies auf den Eingangsschildern zur Fußgängerzone vermerkt sei. In der Regel sei dies morgens je nach Ort zwischen 07.00 und 9.00 Uhr oder 07.00 bis 11.00 Uhr. Abends erlaubt das Zeitfenster eine Einfahrt zwischen 18.30 bis 19.30 Uhr.

30 EUR = ein Almosen

Wenn die „Anliefererlaubnis“ klar geregelt ist, warum fahren dennoch so viele Paketdienste in Fußgängerzonen hinein? Gibt es etwa Ausnahmen? Peterhanwahr schiebt nach, die Stadt gestehe drei Gruppen eine Ausnahmeregelung zu. Lieferanten von leicht verderblicher Ware, Personen die umziehen und Handwerksbetriebe seien von diesen Zeiten ausgenommen.

Angesichts tausender unrechtmäßiger Einfahrten durch Paketdienste pro Jahr in Mainzer Fußgängerzonen wollte die Stadtratspartei FW-G von Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Bündnis90/Die Grünen) wissen, welche geeigneten Maßnahmen die Stadt Mainz ergreift um die Fußgängerzonen zu sichern. Eder antwortete der engagierten Partei Ende November 2016 ideenlos, die Verkehrsüberwachung würde generell weiter kontrollieren. Für den Kreuzungsbereich Lotharstraße/Adolf-Kolping-Straße habe man die zwar Installation eines versenkbaren Pollers geprüft, dieser sei jedoch finanztechnisch aufgrund „fehlender Unabweisbarkeit“ nicht umsetzbar. Eder beruft sich auf eine Vorgabe der Dienstaufsicht ADD in Trier.

Quelle: Rainer Winters, analogo.de – Paketdienst in Mainzer Fußgängerzone nach 11:00 Uhr

Haben Paketdienste wie UPS oder DHL also nichts zu befürchten oder sind die Strafen bei Vergehen vielleicht zu lasch? Der zweite Pressesprecher der Stadt Mainz, André Glöckner teilte analogo.de hierzu auf Anfrage mit, die Strafe betrage 30 Euro. Die Höhe der Strafe sei bundeseinheitlich festgelegt. Wer sich in einen Betreiber von Paketdiensten hineinversetzt, der kann einfach kalkulieren, wie viel Geld man im Jahresdurchschnitt damit verdient, wenn man den Verstoß gegen geltendes Recht „in Kauf nimmt“ und wie hoch dabei die wahrscheinliche Summe an Strafgeldern ist. 30 EUR für einmal erwischt werden: Ein Almosen.

Modell Konstanz

Der lächerlich niedrige Betrag von 30 EUR ist eine gute Erklärung dafür, warum in Deutschland fast alle Städte dasselbe Problem haben. In Heilbronn etwa kämpft eine Stadtinitiative gegen einfahrende Paketdienste. In der Kleinstadt Greven zitieren die Westfälischen Nachrichten einen Vorsitzenden der lokalen Werbegemeinschaft, früher hätte halt nur die Post ausgeliefert, und heute seien es unzählige verschiedene Lieferdienste. Deutschland im Verkehrsstau, seit Angela Merkels (CDU) und Alexander Dobrindts (CSU) „Almosengesetz“ grassiert er nun sogar in Fußgängerzonen.

Sind der Stadt Mainz also die Hände gebunden – angesichts der geradezu incentivierend niedrigen Hemmschwellen durch vernachlässigend niedrige Strafgelder? Wir befragten hierzu die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) als dritte Ökopartei im Stadtrat neben Bündnis90/Die Grünen und der FREIEN WÄHLER (FW-G). Die ökologischen Demokraten unter Vorsitz von Claudius Moseler hatten anscheinend keine Idee zum Thema und bevorzugten uns nicht zu antworten.

Wer nicht will, der hat schon. Wir recherchierten weiter und fanden das Modell Konstanz: Die Stadt am Bodensee mit ähnlich vielen kleinen Sträßchen wie in Mainz hat seit Herbst 2016 sternförmig um die Fußgängerzone spezielle Stellplätze für Lieferwagen eingerichtet. Diese Parkplätze sind extra für Ab- und Umladeaktionen der Anlieferer reserviert. Von hier aus müssen Paketdienstfahrer ihren Lieferwagen aber stehen lassen und das Paket mit der Sackkarre weitertransportieren. Auch die Stadt Tübingen spekuliert mit dem Modell.

analogo.de meint: Warum Paketdienste in der Stadt des Laissez-faire weiterhin ihr Unwesen treiben dürfen, ist unklar. Klar ist aber, dass die Stadtkasse leer ist. Angesichts der Knöllchenpolitik durch eine restriktive Parkpolitik der Stadt Mainz ist es nicht abwegig, dass die Stadtverwaltung ihr leeres Stadtsäckel tatsächlich lieber mit Almosen von Paketdiensten füllt. Auf der Strecke bleiben derweil die Fußgänger, die die Stadt Mainz so dringend benötigt. Shopping Vergnügen geht anders.

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