Robert Bosch GmbH stellt Whistleblowern frei, sich einen Anwalt zu nehmen

Berlin | analogo.de – Der Automobilzulieferer Robert Bosch stellt Whistleblowern im eigenen Unternehmen frei, sich einen Anwalt zu nehmen, wenn sie auf Missstände im Konzern hinweisen. Das ist das Ergebnis einer Befragung der Compliance-Beauftragten von Robert Bosch, Dr. Manuela Schlund, durch analogo.de Herausgeber Rainer Winters. Auf einer Konferenz zum Thema Whistleblowing & Anonymität vor sechs Tagen fragte Winters die Juristin, ob denn der berühmteste Whistleblower ihres Konzerns, Karsten vom Bruch, seinen Bosch-Job noch innehätte, wenn er sich nur einen Anwalt genommen hätte. Robert Bosch hatte vom Bruch fristlos gekündigt, nachdem sich der Entwicklungsingenieur firmenintern kritisch zum Themenkomplex Dieselskandal geäußert hatte. Es sei unzureichend, so von Bruch, dreckige Dieselmotoren legal durch den Testzyklus zu bringen. Bosch hatte eine Testerkennungsfunktion zur Manipulation von Abgasemmissionen innerhalb der Motorsteuerung entwickelt, die Motorsteuerungsoftware EA 189.

Dennoch waren der Ingenieur und diverse Kollegen im Unternehmen mehrfach aufgefordert worden, besonders kritische Kommentare zu unterlassen oder auf einer internen Onlineplattform zu löschen. Da vom Bruch aber Arbeitnehmervertreter war, verstummten seine Hinweise nicht. Ihm wurde gekündigt – und die Kritik nicht wenige seiner Kollegen verstummte. Bosch hatte mit seiner Einschüchterungspolitik Erfolg, eine Politik, die es Hinweisgebern und Whistleblowern in Deutschland schwierig macht, die Wahrheit zusagen.

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Nun also sitzt eine Vertreterin genau desjenigen Konzerns im Plenum von Transparency International und dem Verein Whistleblower-Netzwerk e.V, während zeitgleich Kollegen der Juristin harte Rechtsmittel gegen den vor zwei Jahren gekündigten Ingenieur bemühen.

In den USA hatte der Volkswagen-Konzern (VW) vorsätzlichen Betrug in großem Stil eingeräumt, die Betrugssoftwarefunktion stammt von Bosch, ein Bosch-Ingenieur kommt mit Kritik daher, und wird vom Täter Bosch geradezu ruiniert. Das ist der Status Quo für Whistleblower in Deutschland des Jahres 2020, also ein Jahr, bevor Deutschland die Ideen der EU-Whistleblowerschutzrichtlinie in deutsches Recht verankern wird.

Wäre vom Bruch noch dabei, hätte er seine Kritik anonym geäußert? Auch zu dieser Frage von Winters gibt sich Schlund verschlossen. Zu laufenden Verfahren könne sie nichts sagen. Es stehe Hinweisgebern halt frei, jederzeit einen Anwalt zu konsultieren.

Technische Systeme sind kein Kulturersatz

Ansonsten war die Konferenz eher techniklastig. Heise Online war mit Holger Bleich zugegen, Chef vom eigenen c’t Investigativteam. Journalistische Medien wollen etwas abhaben vom Kuchen der großen Betrugsskandale. Jeder Skandal führt zu Nachrichten, mit denen Journalisten wiederum Geld verdienen.

Bleich arbeitet seit Jahren mit Whistleblowerthemen, und sagte am 11.11., dass er viel Arbeit habe, weil Firmen keine vernünftigen Meldesysteme hätten. Also alles nur eine Frage des Systems? Wo war die Frage nach der Grundeinstellung zur Wahrheit bei deutschen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, mithin der Gesellschaft an sich? Bleich fügte hinzu, Mitarbeiter würden sich nicht trauen, den eigenen Betriebsrat einzubinden, weil damit in der Regel „Stress“ verbunden sei.

Betriebsräte sind deutschlandweit überraschend unkritisch mit ihren Unternehmensspitzen verbunden. Eine Entwicklung, die dazu beiträgt, dass sich Hinweisgeber auch ab 2021 nicht an interne Kanäle wenden werden, sondern an externe Kanäle. Die EU-Whistleblowerschutzrichtlinie wusste von diesem Sachverhalt, und strickte die Richtlinie dementsprechend offen. An dieser Stelle verwunderte Bosch-Sprecherin Schlund, man sei „bemüht, auf Whistleblower zuzugehen“.

Bosch war ja – auf besonders perfide Weise – auf seinen Hinweisgeber „zugegangen“, als sie ihn zum Schweigen bringen wollten. So beschreibt die Plattform ansTageslicht den Schlagabtausch zwischen Karsten vom Bruch und dem zuständigen Vorstandsmitglied Uwe Gackstatter im August 2015, einen Monat bevor der Dieselskandal weltweit die Schlagzeilen lieferte. Der Ingenieur bemängelte, dass sich die Industrie mit den kleinstmöglichen Schritten immer nur um die Einhaltung bekanntermaßen unrealistischer Testprozeduren und Grenzwerte gekümmert habe. „Hauptsache legal“. Wer als Ingenieur darüber hinausgehen wollte, wurde zurückgepfiffen, so vom Bruch.

So darf als ein Ergebnis der Konferenz vermerkt werden, dass technische Lösungen keine kritikoffene Unternehmenskultur ersetzen können, wie etwa in so opportunistisch-verschlagenen Bundesländern wie Baden-Württemberg. Mit der Folge, dass es Whistleblower in einem solchen Kulturumfeld auch zukünftig schwer haben werden, einer Kündigung zu entgehen. Wie zur Einleitung Transparency-Moderatorin Louisa Schloussen eingangs sagte, es gehe heute darum: „Wenn Repressalien erfolgen würden, einen Schutz zu haben.“ Also nicht andersherum, einen Schutz vor Repressalien zu haben.

Der eigentliche Mehrwert dieser Veranstaltung bestand insofern darin, nicht die Unzulänglichkeit von TOR-Servern verstanden, sondern die Aggressivität von Unternehmen erkannt zu haben, die angesichts des neuen Gesetzes ab Ende 2021 nun ihren Einfluss von den Betriebsratsebenen auf Whistleblower-Netzwerke ausweiten.

Als Plattform für Umwelt, Politik, Science & Mainz berichtete analogo.de ausführlichst über den Dieselskandal und NO2. In Städten wie Hannover trug die Arbeit von analogo.de unmittelbar dazu bei, über Dieselfahrverbote für schmutzige Diesel zu debattieren.

Man kann auf verschiedene Weise „aufeinander zu gehen“. Bildrechte: User Rollstein auf Pixabay 4709804_1920