Mainz, Berlin | analogo.de – Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin ist ein gerne gesehener Talkshow-Gast. Malu Dreyer ist von jugendlich sympathischer Erscheinung und voller guter Zukunftsgedanken. Doch Anfang dieser Woche hatte Dreyer Journalisten gegenüber verlautbart, dass sie in keine Talkshow mehr gehe, in der die AfD mit am Tisch sitzt. Regierungssprecherin Monika Fuhr bestätigte dies auf Anfrage gegenüber analogo.de. Was ist da in Malu Dreyer gefahren?
Die Alternative für Deutschland (AfD) wird im Frühjahr 2016 sehr wahrscheinlich in den Landtag einziehen. Die letzten Umfragewerte liegen bei 7%. Was dürfen die Bürgerinnen und Bürger von Rheinland-Pfalz also erwarten, wenn sich die frisch gewählten Politiker im Plenum wiederfinden und die womöglich regierende Partei beschlossen hat, nicht mit den anderen Parteien zu reden? Ist es nicht die Pflicht aller gewählten Politiker, für alle Bewohner des Landes Politik zu machen und in demokratischen Debatten das bestmögliche Ergebnis herauszuarbeiten?
Nun könnte man denken, dass Dreyer nur den Austausch in einer Talkshow ablehnt, aber den Landtags-Reden der Opposition lauschen wird. Eine Talkshow ist nun mal kein Landtag. Wir kommen später nochmal zu diesem Punkt. Doch zunächst: Was macht diesen integrativen Menschen so ausschließend, was begründet ihr persönliches Embargo? Adaptiert Dreyer lediglich den neuen Ton der Ausgrenzung in der SPD, so wie ihr Parteikollege und Vizekanzler Gabriel Demonstranten in Dresden pressewirksam als Pack bezeichnete?
Embargos sind derzeit en vogue. Die EU gegen Russland, Russland gegen die Türkei und die USA gegen Kuba. Doch werden am letzten Dienstag einige Journalisten ihren Ohren nicht getraut haben. Schließlich sammelte Dreyer jahrelange Erfahrung der Integration im Trierer Schammatdorf, einem integrativen Wohnprojekt. Der Titel und Inhalte ihres Buches Die Zukunft ist meine Freundin macht Mut. Indem sie nun andere Parteien kategorisch ausgrenzt und ihnen die Debatte verwehrt, deutet sie eine Art innerer Zerrissenheit an, mit der sie unterschiedliches Maß nimmt.
Wo liegt also Malu Dreyers Problem? Auf der einen Seite wird sie für ihren Politikstil bewundert und arbeitet selber hart daran, möglichst vielen zu gefallen. Wer aber allen gefällt, muss Angst haben seine Verbündeten und Wähler zu verlieren – sofern er sich mit seiner Meinung einmal durchsetzt.
Die Umfragewerte der SPD für die anstehende Landtagswahl sind nicht vielversprechend. Ihre Konkurrentin Julia Klöckner dürfte die meisten Stimmen holen. Dreyer zeigt Mut und sagt nun, was sie denkt. Aber sie wird geleitet von einem Bild der hohen Moral und der guten Absichten. Diese guten Gedanken können zu Hochmut führen, die andere kategorisch ausgrenzt, auch wenn sich die eigene Moral aus tief empfundenen Überzeugungen speist, die auf dem eigenen Lebensweg gesammelt wurden. In dieses Bild passt die AfD einfach nicht rein.
Zu einer nachhaltigen Politik gehört auch, sich auf andere Positionen ernsthaft einzulassen. Wird die SPD am Ende die Landtagswahl verlieren, weil Dreyer zu sehr abschirmt? Hat die amtierende Ministerpräsidentin die Probleme des Landes und die Sorgen ihrer Bürger noch im Blick, oder vermeidet sie mit ihrer Partei eben diese? Kann Dreyer zugleich locker sein und emotionale Reife zeigen?
Die generelle Ausgrenzung der AfD könnte für Dreyer die eigene Isolation bedeuten. Den für sie drohenden Einzug der AfD in den Landtag lässt die Ministerpräsidentin im Innern tief erhärten. Isolation durch Verhärtung, das Krankheitsbild von Patienten der Multiplen Sklerose. Hat die Ablehnung der AfD durch Dreyer am Ende etwas mit ihrer Krankheit zu tun?
Seit 1994 leidet die 55-Jährige an der „Vielfachen Verhärtung“ (lat. für Multiple Sklerose). MS-Patienten zeigen in ihrem Krankheitsbild häufig eine Starrheit des Körpers, eine innere Starrheit, eine Unsicherheit in den Muskeln und eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Sie geben häufig den Ton an und beharren auf ihrem Standpunkt. Selbst wenn sie von offenem und herzlichem Wesen sind, besitzen sie bezüglich eines bestimmten Bereiches ihres Lebens eine unverrückbare fertige Meinung, den irgendwann die Realität einholen muss. MS-Patienten gehen oft sehr hart mit sich und ihren Mitmenschen um. Die Ausgrenzung der AfD wäre eine Analogie für diese Beobachtung.
Im gleichen Maß, wie viele MS-Patienten denken ihre Natur nicht leben zu können, verurteilen sie andere. Mit dem Gefühl nicht am Leben teilnehmen zu können, bringt den Beobachter zu der Frage, ob Malu Dreyer die richtige Person für die bevorstehenden Aufgaben ist. Sind die Wähler der AfD mit allen ihren Sorgen und Verdrängungsängsten durch Globalisierung, EU-isierung und Flüchtlinge nicht auch Teil des Lebens bzw. der Realität? Kann sich die zukünftige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz erlauben diese Realitäten einfach wegzuschließen? Ihre Konkurrentin Julia Klöckner/CDU scheint an dieser Stelle besser aufgestellt. Die CDU fängt derzeit die Ängste der Menschen besser ab und dürfte daher in den Umfragen vorne liegen.
Malu Dreyer will an dieser Front nicht kämpfen, doch will sie die Wahl gewinnen, muss sie sich den Sorgen der Leute stellen. Doch werden Flüchtlinge auch nach der Wahl ins Bundesland strömen. Dreyer wird sich also nicht nur dem Flüchtlingsproblem stellen müssen, sondern auch einen weit(er)en Weg gehen müssen. MS-Patienten klagen häufig über Fußschmerzen und Dreyer ist für längere Strecken auf Gehhilfen angewiesen.
Doch ist die starke Frau keine klassische MS-Patientin. Dreyer strotzt geradezu vor Lebenswillen. Ihre Erfolge wie zum Beispiel das jüngste Megaprojekt Transparenzgesetz dürften sie bestärken die Herausforderungen anzunehmen. Dreyer hat zudem ein erfolgreiches Team um sich geschart. Lehnen sie aber große Teile der politischen Realität ab, dürfte das zu ihrem Absturz (womöglich in die Opposition) führen.
Würde Julia Klöckner mit der AfD reden? Reden in Talkshows ist konsolidierte Politik-Inszenierung mit vielen Eitelkeiten, Risiken und Nebenwirkungen. Wie SWR-Reporter Thomas Leif schreibt, sind viele dieser Sendungen daher ein Spiegelbild einer oft überforderten politischen Klasse und gleichzeitig Resonanzboden für ein genervtes und politik-überfordertes Publikum. Talkshows bündeln auch aufgrund ihrer hohen Schlagzahl und Moderatoren-Prominenz die vagabundierenden Ressentiments gegenüber Politik und Medien, so Leif.
Dreyer ist aber nicht eitel, arbeitet hart und will ernst genommen werden. Die Talkshow würde ihr nur eine Bühne für Oberflächliches geben – sicher nicht ihr Ding. Vielleicht empfiehlt sich ein Talkshow-Format mit vielen Gästen wie z. B. Maybrit Illners Runde. Es gäbe weniger konfrontierende Elemente wie etwa im Köpfe-Duell von n-tv und Dreyer könnte üben die Dinge einmal laufen zu lassen. analogo.de meint: Es wäre eine Alternative zum kategorischen Nein und würde gleichzeitig verhärtenden Strukturen in Politik und Gesundheit entgegenwirken.