Bundestagskandidaten Holger Thiesen (dieBasis) und Maylis Roßberg (SSW) zum Whistleblowerschutz in Schleswig-Holstein

Rendsburg-Eckernförde | analogo.de – Eine Befragung der beiden Bundestagskandidaten Holger Thiesen (dieBasis) und Maylis Roßberg (SSW) zum Whistleblowerschutz zeigt die Unsicherheiten auf, mit denen Hinweisgeber im wahren Leben konfrontiert sind. analogo.de hatte die beiden Bundestagsdirektkandidaten aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde befragt, wie sie die Situation bei den 100 größten Arbeitgebern Schleswig-Holsteins bewerten, die laut einer aktuellen Umfrage weitflächig unvorbereitet auf ein baldiges Whistleblowerschutzgesetz treffen werden. Im Gegensatz zu den Bundestagskandidaten von Bündnis90/Die Grünen und Alternative für Deutschland vertraten die beiden einen Standpunkt zum Thema.

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Zum ersten Mal treten beide Parteien und insbesondere beide Kandidaten zu einer Bundestagswahl an. Während sich die Partei dieBasis als demokratische Antwort aus den menschenverachtenden Coronamaßnahmen der im Wesentlichen aus CDU/CSU und SPD geführten Regierungen gebildet hat, will der lokal in Schleswig-Holstein aktive Südschleswigsche Wählerverband (SSW) nordische Interessen nach Berlin tragen. Die Treiber von dieBasis sind also Demokratie und Menschenrechte. Roßberg umtreibt laut ihrer Wahlbroschüre eher das Geld und der im Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde oft thematisierte Gewässerschutz. 

Da Deutschland von der Europäischen Union aufgefordert ist, die EU-Whistleblowerschutzrichtlinie bis zum 17. Dezember 2021 in ein deutsches Gesetz umgewandelt zu haben, könnte den Kandidaten im Bundestag bald eine Entscheidung abverlangt werden, die erhebliche Auswirkungen auf Arbeitnehmer hat. Die Partei dieBasis scheint hier eher diejenige Partei zu sein, die Antworten auf die brisanten Fragen hat. Wollen wir mal schauen.

Diese drei Fragen stellten wir den Kandidaten:

1. Wie stehen Sie dazu, dass Whistleblowing einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft einnehmen wird und was können Sie und Ihre Partei dazu beitragen?

2. Der bekannte Whistlebloweranwalt Stephen M. Kohn hält nichts davon, dass sich Whistleblower direkt an europäische Strafverfolgungsbehörden wenden, sie würden hier eher zum Opfer als zum jemandem, dem man wertschätzt und dankt. Weiterhin hat eine aktuelle Umfrage bei den 100 größten Arbeitgebern Schleswig-Holsteins ergeben, dass sich kaum ein Unternehmen auf das bevorstehende Whistleblowerschutzgesetz vorbereitet hat. Was denken Sie, woran das liegt?

3. Wie stehen Sie zu der Tatsache, dass die vielleicht bekannteste Whistleblowerin Schleswig-Holsteins, Frau Margrit Herbst, gesundheitlich und finanziell von ihren Arbeitgebern zugrunde gerichtet wurde, weil sie auf grobe Misstände hingewiesen hatte?

Maylis Roßberg schreibt analogo.de, der SSW begrüße, dass die öffentliche Debatte über Whistleblower Fahrt aufgenommen habe. Whistleblower könnten wertvoll sein, wenn es darum gehe, Fehlentwicklungen und Missstände „unter der Käseglocke“ aufzudecken und dadurch effektiv zu einer Heilung dieser beizutragen. Hierfür bedürfe es jedoch sicherer, im Zweifel auch anonymer Kommunikationswege, gewissenhafter Überprüfungen durch Unabhängige, und besonderer Schutzmechanismen für Informanten, um Repressalien und andere Nachteile zu vermeiden.

Holger Thiesen geht die Sache breiter an. Geheimnisse würden die Harmonie stören und je mehr Geheimnisse es in einer Gesellschaft gebe, desto gestörter sei die Gesellschaft. Thiesen zitiert den US-Amerikaner Kennedy, der dem Sinne nach gesagt habe, dass Macht aus Informationsvorsprung entsteht. Daher leitet Thiesen ab, dass wir „umso fairer und fröhlicher miteinander leben werden, je weniger Geheimnisse wir zwischen uns haben“.

Zur zweiten Frage fällt Thiesen allerdings nichts ein, er habe sich mit dem Gesetz noch nicht befasst. Und verspricht, er werde es aber tun und danach auch sagen und schreiben, was er davon halte.

Roßberg dagegen meint, der direkte Kontakt zu Strafverfolgungsbehörden sei schon deshalb nicht zielführend, als dass es im Einzelfall um Missstände in genau jenen Behörden gehen könnte. Welche anderen Behörden sie noch meint, sagt Roßberg nicht, holt aber nun einen Trumpf aus dem Ärmel, indem sie eine möglichst unabhängig agierende Ombudsmannstelle ähnlich der Bürgerbeauftragten von Schleswig-Holstein empfiehlt, die es in dieser Form auch in anderen Bundesländern gebe.

Die Studentin der Politikwissenschaft und Geschichte ist außerdem der Ansicht, dass Unternehmen im Einzelfall den Wirkungsgrad ihrer eigenen Fehlerkultur überschätzen. Das könnte auch ein Grund sein, warum sich „kaum ein Unternehmen mit dem Whistleblowerschutzgesetz beschäftigt habe“.

Von Lippenbekenntnissen zu heißer Luft

Wer keine funktionierende Fehlerkultur hat, sind erwiesenermaßen die Behörden in Schleswig-Holstein. Margrit Herbst, eine Tierärztin für Fleischhygiene, brachte vor über 25 Jahren als erste Person die Rinderwahn-Fälle an die Öffentlichkeit, weil ihre Chefs nichts davon wissen wollten. Die Chefs: Behördenvertreter Schleswig-Holsteins. Weil sie Recht sprach und die Gesundheit Tausender Menschen schützte, setzte man sie vor die Tür. Das klassische Schicksal von ungeschützten Hinweisgebern.

Die Geschichte der Margrit Herbst ist eine der dramatischen Geschichten, in denen die mächtige Organisation auf dem einsamen Wahrheitssuchenden herumtrampelt. Denn natürlich wollen Mitarbeiter, die Informationen durchsickern lassen, immer auf Probleme aufmerksam machen, die zuvor ignoriert wurden. So auch hier.

Roßberg macht sich offenbar in einem Protokoll aus einer alten Landtagsdebatte schlau, und übernimmt die Argumentation ihres Parteikollegen Lars Harms. Bis heute sei nicht geklärt, ob damals überhaupt klinische BSE-Fälle vorgelegen hatten. Ganze fünf im Jahre 2001 vorgenommenen Rückstellproben seien negativ gewesen. Im Falle Herbst sei es eher um Dienstrechtsverletzungen gegangen als um die Offenlegung von Misständen allgemein.

Man lasse sich diesen Schachzug einmal auf der Zunge zergehen. Zunächst die galante Antwort der Politikstudentin, und dann das wahre Gesicht, wenn es einmal um echte Whistleblower geht. Die Piratenpartei hatte in den Landtagsdebatten prima aufgeschlüsselt, mit welchen unrechten Methoden die Behörden gearbeitet hatten, um ihre Fehler zu kaschieren und den Rausschmiß von Margrit Herbst zu rechtfertigen.

Ja Roßberg liefert das Paradebeispiel für die Beobachtung des langjährigen Whistleblowervertreters Mark Worth, Deutsche würden Whistleblower generell lieben, es sei denn, die Whistleblower seien Deutsche.

Roßbergs Lippenbekenntnis kontert Thiesen mit einem sehr menschlichen Statement: „Ich werde jedem Whistleblower auf meinem Grund und Boden Asyl gewähren“. Frau Herbst würde er mit seinem Netzwerk anbieten, unbürokratisch zu helfen und sie aufzurichten, sofern sie es wünsche.

Noch mehr Lippenbekenntnisse gabs übrigens von den Rendsburg-Eckernförder Bundestagskandidaten Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) und Johann Wadephul (CDU). In beiden Fällen baten die Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten um ein paar Tage mehr Zeit, um auf die doch „schwierigen Fragen“ zu antworten. Die FDP versprach, sich auf alle Fälle zu melden, auch mit einer Zwischeninfo. Wie versprochen, so verronnen. Gewohnt heiße Luft von schwarz-gelb. 

Der Saulus, der ein Paulus war und nix mit Rix

Rot-orange, also Sönke Rix (SPD) und Bärbel Kahlund (Freie Wähler) meldeten sich erst gar nicht, versprachen aber auch nichts. Was ja fast positiver zu werten ist, als unnötigen Strom zu verbrauchen, der die Klimaanlagen kühlt, um all die heiße Luft zu neutralisieren. Der Übergang zur Spaßpartei Die Partei.

Der Rendsburg-Eckernförder Bundestagskandidat Nils-H. Saul sieht traditionelle Imageprobleme bei der „Petze“ in Deutschland. Die Petze beginne meistens schon im Kindergartenalter. Passend zu seinem Wahlplakat „Dinge anders machen!“ solle sich auch das Image der „Petze“ deutlich verbessern. Menschen die nicht wegschauen, Menschen die ihr Schweigen brechen, Menschen die Unrecht verhindern oder auf Missstände hinweisen, gehöre ein Orden verliehen und dieses „verraten“ müsse gefördert und belohnt werden.

Ganz sicher würden diese Menschen aber nicht wie Julian Assange eingesperrt gehören, verfolgt oder wie Frau Herbst finanziell ruiniert. Wird da der „Saulus zum Paulus“, oder wie? Ist da hinter aller Ironie ein Funken Menschlichkeit zu entdecken, oder gar ein Funken Realpolitik? Saul erklärt, bei ihm gebe es keinen Orden für 20 der Polizei gemeldeten Falschparker oder fünf Anzeigen gegen Kinder, die nach 22 Uhr noch draußen etwas lauter Fussball spielen würden. Die Aussage überzeugt.

Der Mann, der seinen Wählern den Rücken zudreht, auf abgeordnetenwatch.de aber alle Wählerfragen beantwortet, meint zur Unternehmensfrage, die Wirtschaft würde sich wohl kaum freiwillig auf etwas vorbereiten, was ihr selbst vielleicht schaden solle. Ob Saul den positiven Nutzen von Whistleblowing verstanden hat, bleibt jedenfalls offen.

analogo.de dankt den Politikerinnen und Politikern für den Dialog.

Der Rendsburg-Eckernförder Bundestagskandidat Holger Thiesen (dieBasis): „Ich werde jedem Whistleblower auf meinem Grund und Boden Asyl gewähren“. Bildrechte: Holger Thiesen
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