Deutsche und Schweizer Nachrichtendienste im demokratischen Visier

Leipzig, Bern | analogo.de – Das Bundesverwaltungsgericht prüft derzeit die Terminierung zur mündlichen Verhandlung über die Klage von Reporter ohne Grenzen (ROG) gegen die Überwachungsbehörde Bundesnachrichtendienst (BND). Das teilte ROG analogo.de auf Anfrage mit. Am 30. Juni 2015 hatte die Journalisten-Organisation den deutschen Auslandsgeheimdienst wegen dem Ausspähen ihres Email-Verkehrs mit ausländischen Partnern, Journalisten und anderen Personen verklagt. Der BND würde dies im Zuge seiner strategischen Fernmeldeüberwachung tun, so der Vorwurf.

Der Verfahrensbevollmächtigte des BND habe im September 2015 seine Klageerwiderung beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht und der Anwalt von Reporter ohne Grenzen habe zu dieser Klageerwiderung Anfang Dezember auf schriftlichem Wege Stellung genommen, so ROG. Die Journalisten warten nun auf die Entscheidung des Gerichts, wann eine mündliche Verhandlung über ihre Klage angesetzt wird.

Die Klage wird durch eine Petition unterstützt, die von 4.190 Bürgerinnen und Bürgern gezeichnet wurde. Ob die Klage Erfolg hat, dürfte von nur wenigen Personen nachverfolgt werden. Viele bezweifeln aber einen Erfolg, denn der für Legal Tribune Online schreibende Rechtsanwalt Niko Härting war zuvor mit einer ähnlichen Klage vor demselben BVerwG gescheitert. Dass dem Gericht offensichtlich wichtige Informationen vorenthalten wurden, kann als Hinweis dazu dienen, dass der Beklagte BND auch im Falle ROG dem Gericht wichtige Informationen vorenthalten wird.

Während also ROG mit dem schriftlichen Vorverfahren seinen rechtsstaatlichen Weg zum anberaumten Haupttermin nimmt, wird in der Schweiz mit einer bevorstehenden Volksabstimmung ein offensichtlich erfolgreicherer Weg eingeschlagen: Heute reichte das Bündnis gegen den Schnüffelstaat ein von 67.000 Unterstützern getragenes Referendum gegen das neue höchst umstrittene Nachrichtendienstgesetz (NDG) ein.

Während der BND im September 2015 seine Klageerwiderung beim BVG eingereicht hatte, beschloss nämlich der Schweizer Nationalrat verschärfte Überwachungsmaßnahmen gegen seine Bewohner. Die wohl skandalöseste Verschärfung ist die neue Verpflichtung von Telekommunikationsanbietern, den Schweizer Geheimdienst neben Metadaten auch mit Inhaltsdaten der Kommunikation zu versorgen. In der Schweiz steht eine umfassende Überwachung bevor.

Doch während im Nachbarland die unmittelbare Basisdemokratie zu funktionieren scheint, muss sich in Deutschland die 4. Gewalt (der Presse) an die 3. Gewalt (der Jurisdiktion) wenden, um die 2. Gewalt (der Exekutive) zu verklagen. Da die 1. Gewalt der deutschen Demokratie in Form des Bundestags-NSA-Untersuchungsausschusses die wichtigsten Informationen von der 2. Gewalt vorenthalten bekommt, greift Reporter ohne Grenzen zum letzten Strohhalm zur Rettung der Pressefreiheit. Anfang Mai 2015 hatte der Deutsche Journalistenverband das Bundeskanzleramt aufgefordert, jegliche Ausspähungen von Journalisten aufzuklären. Sie bekamen keine Antwort.

Im Juli 2015 veröffentlichte die Menschenrechts-Organisation Wikileaks, dass der amerikanische Geheimdienst CIA und das Bundeskanzleramt gemeinsame Sache beim Ausspionieren des Magazins Spiegel machen. Kurz danach berichtete netzpolitik.org, dass der britische Geheimdienst GCHQ die Menschenrechtsorganisation Amnesty International überwacht.

In eigener Sache hatten wir von analogo.de Anfang 2015 den BND, den Inlandsgeheimdienst BfV und die G-10-Kommission des Deutschen Bundestags um einen offiziellen Bescheid gebeten, ob die Dienste das Portal überwachen. Der BND brauchte offiziell drei Monate, um innerbetrieblich herauszufinden, ob man analogo.de und somit ein journalistisches Portal überwacht. Die Information erhielten wir gemäß § 7 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) in Verbindung mit § 15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG), soweit dieser auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Auskunftsinteresse besteht.

Das besondere Auskunftsinteresse war laut BND aufgrund folgender Vorfälle gegeben: Als analogo.de im Herbst 2014 ankündigte, auf der Webseite für Umwelt, Politik, Science & Mainz sei in Planung alle möglichen Informationen, die von Whistleblowern bekannt gemacht wurden zu publizieren, erfasste die eigene Statistik-Software am folgenden Tag einen massiven Besuch von russischen Internetseiten. Wiederum einen Tag später stellte das eigene Statistik-Tool einen massiven Besuch Berliner IP-Adressen fest, und zwar alle hintereinander geschaltet – ununterbrochen von anderen Besuchen aus der Bundesrepublik oder aus aller Welt. Diese Abfragen sahen so aus, als ob sie von einer Art Crawler geschaltet waren. Unüblich ist aber bei Crawlern, dass verschiedene IP-Adressen angezeigt werden. Die hintereinander geschalteten Besuche aus Berlin und Brandenburg geschehen mit unterschiedlichen IP-Adressen und seit der Erstabfrage regelmäßig einige Male pro Woche.

Nach Rücksprachen mit diversen Journalisten kam der Verdacht auf, dass analogo.de mit dem Suchbegriff „Whistleblower“ in den Fokus von überwachenden Geheimdiensten geraten sein könnte. Ein amtliches Mitglied des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) mutmaßte gar konkrete Telefon-Abhöraktionen und gespeicherte Aktionen seitens staatlicher Organe. Dies alles wie gesagt – nach dem Besuch der russischen IP-Adressen und den folglichen Berliner Besuchen. Aufgrund der zeitlichen Verbindung der Whistleblower-Ankündigung und den einschlägigen Besuchen handelte es sich eindeutig um ein mono-kausales Ereignis. Auf Anraten des DJV fragten wir bei den deutschen Geheimdiensten und dem BKA nach, ob diese analogo.de bzw. den Herausgeber als Freien Journalisten und/oder als Privatperson überwachen. Um es vorweg zu nehmen: Das BKA bescheinigte, dass man nicht überwache und die Antwort des BND steht noch aus. Aber jetzt wird’s interessant.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bescheinigte mit Datum vom 19.03.2015, dass wir uns an das Sekretariat der Kommission nach Artikel 10 GG -PD V- wenden müssen. Gesagt getan, und am 31. März kam die Antwort. Die G10-Kommission wolle uns eigentlich zurück ans BfV zurückverweisen, denn man denke ebenfalls, dass man „nicht zuständig“ sei. Die Kommission nach Artikel 10 GG sah dann aber ein, dass es hier problematisch wird und teilte mit, dass diese Bedrouille auf der nächsten Sitzung besprochen werde. Am 23.04.2015 erhielten wir einen sagenhaften Bescheid der G-10-Kommission, handschriftlich unterschrieben vom Vorsitzenden Andreas Schmidt. Die Argumentationskaskade der Bundestagskommission hatten wir hier veröffentlicht.

Überwachen ist in, die 2. Gewalt führt ein Eigenleben und kümmert sich nicht um das sensible Konstrukt der Funktionsfähigkeit der Gewaltenteilung. Sollte das Verwaltungsgericht genau wie der Generalbundesanwalt – als der verlängerte Arm der Bundesregierung – keine Veranlassung sehen, gegen den BND zu ermitteln, muss die Demokratie in Deutschland neu definiert werden.

Die Unternehmungen der Geheimdienste aus der Schweiz und Deutschland laufen außer Kontrolle der Parlamente ab. Oder werden im Falle der Schweizer doch diverse Fäden in diesem Berner Bundeshaus geschmiedet? Bildrechte: Marcel Kessler auf Pixabay 4873983_1920
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