Reporter ohne Grenzen verklagt BND

Berlin, Paris | analogo.de – Reporter ohne Grenzen hat am 30. Juni 2015 gegen die Überwachungsbehörde Bundesnachrichtendienst Klage beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Im Zuge der Überwachung von Journalisten wirft die Organisation dem Auslandsgeheimdienst vor, seinen E-Mail-Verkehr mit ausländischen Journalisten und Partnern ausgespäht zu haben.

Die 4. Gewalt (der Presse) wendet sich also an die 3. Gewalt (der Jurisdiktion), um die 2. Gewalt (der Exekutive) zu verklagen. Da die 1. Gewalt der deutschen Demokratie in Form des Bundestags-NSA-Untersuchungsausschusses die wichtigsten Informationen von der 2. Gewalt vorenthalten bekommt, greift Reporter ohne Grenzen zum letzten Strohhalm zur Rettung der Pressefreiheit. Anfang Mai hatte der Deutsche Journalistenverband das Bundeskanzleramt aufgefordert, jegliche Ausspähungen von Journalisten aufzuklären. Sie bekamen keine Antwort.

Die Unterstützung für die Klage von ROG ist daher groß: Bereits über 1.500 Unterzeichner haben seit vorgestern der Journalistenorganisation ihre Unterstützung zugesichert, indem sie hier unterzeichnet haben. Unterzeichnen kann man auch hier.

ROG sieht das Fernmeldegeheimnis verletzt und die Integrität seiner Arbeit unterminiert. Für zahlreiche Journalisten aus Deutschland und aus autoritären Staaten wie Usbekistan, Aserbaidschan oder China sei ROG zudem ein regelmäßiger und wichtiger Ansprechpartner, an den sie sich mit schutzwürdigen Anliegen oder vertraulichen Informationen wenden, so Reporter ohne Grenzen auf der eigenen Webseite. Die Ausforschung der Kommunikation durch den BND bedeute jedoch, dass sich die Journalisten mit ihren persönlichen Anliegen nicht mehr darauf verlassen können, dass ihre Kommunikation vertraulich bleibt.

Erst vor drei Tagen veröffentlichte die Menschenrechts-Organisation Wikileaks, dass der amerikanische Geheimdienst CIA und das Bundeskanzleramt gemeinsame Sache beim Ausspionieren des Magazins Spiegel machen.

Letzte Woche berichtete netzpolitik.org, dass der britische Geheimdienst GCHQ die Menschenrechtsorganisation Amnesty International überwacht.

In eigener Sache hatten wir von analogo.de Anfang 2015 den BND, den Inlandsgeheimdienst BfV und die G-10-Kommission des Deutschen Bundestags um einen offiziellen Bescheid gebeten, ob die Dienste das Portal überwachen. Der BND brauchte offiziell drei Monate, um innerbetrieblich herauszufinden, ob man analogo.de und somit ein journalistisches Portal überwacht. Die Information erhielten wir gemäß § 7 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) in Verbindung mit § 15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG), soweit dieser auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Auskunftsinteresse besteht.

Das besondere Auskunftsinteresse war laut BND aufgrund folgender Vorfälle gegeben: Als analogo.de im Herbst 2014 ankündigte, auf der Webseite für Umwelt, Politik, Science & Mainz sei in Planung alle möglichen Informationen, die von Whistleblowern bekannt gemacht wurden zu publizieren, erfasste die eigene Statistik-Software am folgenden Tag einen massiven Besuch von russischen Internetseiten. Wiederum einen Tag später stellte das eigene Statistik-Tool einen massiven Besuch Berliner IP-Adressen fest, und zwar alle hintereinander geschaltet – ununterbrochen von anderen Besuchen aus der Bundesrepublik oder aus aller Welt. Diese Abfragen sahen so aus, als ob sie von einer Art Crawler geschaltet waren. Unüblich ist aber bei Crawlern, dass verschiedene IP-Adressen angezeigt werden. Die hintereinander geschalteten Besuche aus Berlin und Brandenburg geschehen mit unterschiedlichen IP-Adressen und seit der Erstabfrage regelmäßig einige Male pro Woche.

Nach Rücksprachen mit diversen Journalisten kam der Verdacht auf, dass analogo.de mit dem Suchbegriff „Whistleblower“ in den Fokus von überwachenden Geheimdiensten geraten sein könnte. Ein amtliches Mitglied des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) mutmaßte gar konkrete Telefon-Abhöraktionen und gespeicherte Aktionen seitens staatlicher Organe. Dies alles wie gesagt – nach dem Besuch der russischen IP-Adressen und den folglichen Berliner Besuchen. Aufgrund der zeitlichen Verbindung der Whistleblower-Ankündigung und den einschlägigen Besuchen handelte es sich eindeutig um ein mono-kausales Ereignis. Auf Anraten des DJV fragten wir bei den deutschen Geheimdiensten und dem BKA nach, ob diese analogo.de bzw. den Herausgeber als Freien Journalisten und/oder als Privatperson überwachen. Um es vorweg zu nehmen: Das BKA bescheinigte, dass man nicht überwache und die Antwort des BND steht noch aus. Aber jetzt wird’s interessant.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bescheinigte mit Datum vom 19.03.2015, dass wir uns an das Sekretariat der Kommission nach Artikel 10 GG -PD V- wenden müssen. Gesagt getan, und am 31. März kam die Antwort. Die G10-Kommission wolle uns eigentlich zurück ans BfV zurückverweisen, denn man denke ebenfalls, dass man „nicht zuständig“ sei. Die Kommission nach Artikel 10 GG sah dann aber ein, dass es hier problematisch wird und teilte mit, dass diese Bedrouille auf der nächsten Sitzung besprochen werde. Am 23.04.2015 erhielten wir einen sagenhaften Bescheid der G-10-Kommission, handschriftlich unterschrieben vom Vorsitzenden Andreas Schmidt. Die Argumentationskaskade der Bundestagskommission hatten wir hier veröffentlicht.

Überwachen ist in, die 2. Gewalt führt ein Eigenleben und kümmert sich nicht um das sensible Konstrukt der Funktionsfähigkeit der Gewaltenteilung. Sollte das Verwaltungsgericht genau wie der Generalbundesanwalt – als der verlängerte Arm der Bundesregierung – keine Veranlassung sehen, gegen den BND zu ermitteln, muss die Demokratie in Deutschland neu definiert werden.

Die Geheimdienste haben durchaus modernere Abhörmethoden als diese hier. Bildrechte: User Couleur auf Pixabay 2209152_1920
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