BND-Bescheid: Wir überwachen Sie nicht

Mainz, Berlin | analogo.de – Nun ist es amtlich: Laut Aussage des Bundesnachrichtendienstes vom 11. Mai 2015 wird analogo.de und sein Herausgeber Rainer Winters persönlich nicht offiziell überwacht. Gegen den „Bescheid“ des Auslandsgeheimdienstes können wir allerdings noch schriftlich Widerspruch einlegen. Somit hat es den BND drei Monate bedurft, um innerbetrieblich herauszufinden, ob man analogo.de und somit ein journalistisches Portal überwacht. Die Information erhielten wir gemäß § 7 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) in Verbindung mit § 15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG), soweit dieser auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Auskunftsinteresse besteht.

Das besondere Auskunftsinteresse war laut BND aufgrund folgender Vorfälle gegeben: Als analogo.de im Herbst 2014 ankündigte, auf der Webseite für Umwelt, Politik, Science & Mainz sei in Planung alle möglichen Informationen, die von Whistleblowern bekannt gemacht wurden zu publizieren, erfasste die eigene Statistik-Software am folgenden Tag einen massiven Besuch von russischen Internetseiten. Wiederum einen Tag später stellte das eigene Statistik-Tool einen massiven Besuch Berliner IP-Adressen fest, und zwar alle hintereinander geschaltet – ununterbrochen von anderen Besuchen aus der Bundesrepublik oder aus aller Welt. Diese Abfragen sahen so aus, als ob sie von einer Art Crawler geschaltet waren. Unüblich ist aber bei Crawlern, dass verschiedene IP-Adressen angezeigt werden. Die hintereinander geschalteten Besuche aus Berlin und Brandenburg geschehen mit unterschiedlichen IP-Adressen und seit der Erstabfrage regelmäßig einige Male pro Woche.

Nach Rücksprachen mit diversen Journalisten kam der Verdacht auf, dass analogo.de mit dem Suchbegriff „Whistleblower“ in den Fokus von überwachenden Geheimdiensten geraten sein könnte. Ein amtliches Mitglied des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) mutmaßte gar konkrete Telefon-Abhöraktionen und gespeicherte Aktionen seitens staatlicher Organe. Dies alles wie gesagt – nach dem Besuch der russischen IP-Adressen und den folglichen Berliner Besuchen. Aufgrund der zeitlichen Verbindung der Whistleblower-Ankündigung und den einschlägigen Besuchen handelte es sich eindeutig um ein mono-kausales Ereignis. Auf Anraten des DJV fragten wir bei den deutschen Geheimdiensten und dem BKA nach, ob diese analogo.de bzw. den Herausgeber als Freien Journalisten und/oder als Privatperson überwachen. Um es vorweg zu nehmen: Das BKA bescheinigte, dass man nicht überwache und die Antwort des BND steht noch aus. Aber jetzt wird’s interessant.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bescheinigte mit Datum vom 19.03.2015, dass wir uns an das Sekretariat der Kommission nach Artikel 10 GG -PD V- wenden müssen. Gesagt getan, und am 31. März kam die Antwort. Die G10-Kommission wolle uns eigentlich zurück ans BfV zurückverweisen, denn man denke ebenfalls, dass man „nicht zuständig“ sei. Die Kommission nach Artikel 10 GG sah dann aber ein, dass es hier problematisch wird und teilte mit, dass diese Bedrouille auf der nächsten Sitzung besprochen werde. Am 23.04.2015 erhielten wir einen sagenhaften Bescheid der G-10-Kommission, handschriftlich unterschrieben vom Vorsitzenden Andreas Schmidt. Die Argumentationskaskade der Bundestagskommission hatten wir hier veröffentlicht.

Wie heute die Zeitung Die Welt berichtet, versucht die G-10-Kommission gerade ihre Kontrollfunktion über die Geheimdienste in die Tat umzusetzen. Weitreichende Konsequenzen seien für den BND zu befürchten, so das Echo aus Berlin. Fünf Tage vor dem G7-Gipfel im bayerischen Alpenland ist die Geheimdienstwelt der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika erschüttert: Quasi zeitgleich zur Ankündigung der G-10-Kommission gegenüber dem BND hat der US-Senat beschlossen, dass zumindest die eigenen Bürgerinnen und Bürger nicht mehr überwacht werden dürfen. Hatte man Angst 300 Millionen Bescheide verschicken zu müssen? Fest steht, dass der gesellschaftliche Druck langsam greift. Und mit einem vorsichtigen Blick über den Atlantik spürt auch die G-10-Kommission des Deutschen Bundestags, dass die Demokratie noch nicht verloren ist. Bedauernswert ist aber, dass analog zur Hörigkeit des Deutschen Aktienindexes (DAX) gegenüber dem Dow-Jones-Indexes (DJIA) angeblich demokratische deutsche Institutionen erst demokratisch handeln, wenn der große englisch-sprechende Bruder demokratisch gehandelt hat. Ihrer politischen Verantwortung hätte die G-10-Kommission schon viel früher nachkommen können. Jedenfalls wird so langsam deutlich, welchen wichtigen Beitrag Edward Snowden geleistet hat, indem er auf die Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern hingewiesen hat.

Und nun tut sich eine neue Frage auf: Wenn der BND via amtlichen Bescheid erlässt, eine Person oder Institution nicht zu überwachen, gleichzeitig aber über eine Selektorenliste genau definierte Begriffe und Zusammenhänge in gebündelten Paketen an den amerikanischen Geheimdienst NSA liefert, ist diese staatliche Erhebung von Überwachungsdaten nicht eine Überwachung an sich? Welchen Wert hat dann der Bescheid des Geheimdienstes? Und wer übernimmt die Verantwortung für eine mutmaßlich falsche Aussage der geheimen Behörde? Ihr Chef Schindler oder  die Bundeskanzlerin selber?

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