Schleswig-Holsteins Agrarhändler bunkern nicht nur Getreide, sondern halten auch Informationen zum Hinweisgeberschutz verborgen

Kiel | analogo.de – Die milliardenschweren Agrarhändler in Schleswig-Holstein Hauptgenossenschaft Nord AG (HaGe Nord) und ATR Landhandel in Ratzeburg und Husum bunkern, was das Zeug hält, wenn es um Informationen zum Whistleblowerschutz in ihren Unternehmen geht. Dabei hätte vor allem die aus Dänemark gesteuerte HaGe Nord allen Anlass zu proaktiver Transparenz. Mit Cross-Compliance könnte die Branche auf altbewährtes Wissen zurückgreifen, wenn es um das Prinzip Belohnung für Standards geht. Ein Recherche-Report von analogo.de.

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Wer für die in Kiel ansässige HaGe Nord und ATR Landhandel in Ratzeburg und Husum arbeitet, hat mit Agrarprodukten wie Weizen oder Gerste zu tun. Im landwirtschaftlich geprägten Schleswig-Holstein wird eine Menge der anfallenden Erntemengen Rohgetreides von der HaGe gelagert und gehandelt. Tierfutter, Silage oder Ölsaaten, das Produktsortiment der Aktiengesellschaft ist groß. Bis zu 4,5 Millionen Tonnen werden unter anderem an den Hafenstandorten in Hamburg, Rostock und Kiel umgeschlagen. Man rühmt sich, der Exportspezialist im deutschen Getreidehandel zu sein, nach eigenen Angaben wickelt die HaGe Nord bis zu 50 Prozent der deutschen Drittlandexporte ab.

Nun genießen die Mitarbeiter dieser Agrarfirmen bald besonderen Schutz vor Kündigung und Repressalien, wenn sie im Bezug zu Lebensmitteln oder Produktsicherheiten grobe Verfehlungen feststellen und sie auf internem oder externen Wege kundtun. So will es die EU-Whistleblowerschutzrichtlinie, und auch bald das bis zum 17. Dezember 2021 in deutsches Recht zu transponierende Hinweisgeberschutzgesetz.

In ihrer Richtlinie 2019/1937 verweist die Richtlinie insbesondere auf europabezügliches Lebens- und Futtermittelrecht, in dessen Kontext Hinweisgeber geschützt sind, so zum Beispiel auf die unmittelbar geltende Verordnung 178/2002 für die allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts und für Verfahren zur Lebensmittelsicherheit.

So schaffte sich ATR Landhandel jüngst ein neues Kraftfuttersilo an, weil der alte Silo nach eigenen Angaben undicht war und die Gefahr einer „explosionsartigen Vermehrung“ von Pilzen, Hefen und Keimen im Futter gegeben war. Die Frage hier: Wie lange vor der Anschaffung gelangten keimversuchte Futtermittel über den alten Silo zu Nutztieren, und welche Konsequenzen hatte dies für die Nutztiere?

Der Agrarhandelmarkt ist hart umkämpft. Erst jüngst fusionierten der Ulmer Agrargroßhändler Beiselen Holding GmbH und der Agrareinzelhändler ATR Landhandel zur BAT Agrar GmbH. ATR agiert hauptsächlich in Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg. Beiselen ist mit Sachsen-Anhalt, Vorpommern, Thüringen und Sachsen weitflächiger unterwegs.

Schon sehr bald werden Mitarbeiter der BAT Agrar GmbH vom Gesetz geschützt sein, weil der Hinweisgeberschutz expliziten Schutz im Bezug zur EU-Richtlinie über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere (98/58) und zur EU-Verordnung über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung (1099/2009) ausbelobigt. Kein Grund für ATR Landhandel, auf unsere Anfrage zu antworten. Ganz als ob eine Firma wie die BAT Agrar GmbH mit rund zwei Milliarden Euro Jahresumsatz keine Anknüpfungspunkte im Bezug Compliance hat, bietet die finanzstarke Holding im Internet keine Darstellung der eigenen Grundsätze.

Ein Wortspiel: Bei Compliance geht es um die aus Sicht von Unternehmensführungen sekundären Interessen von Mitarbeitern, um Moral und Aufrichtigkeit. Mit dem Hinweisgeberschutz wird das alte Verständnis von Compliance um eine neue Säule erweitert. Dagegen haben Agrarhändler wie ATR Landhandel seit Jahren direkt oder indirekt mit Cross-Compliance zu tun. Hierbei geht es um das Einhalten von EU-Standards, nach dessen Erfüllung Beteiligte millionenschwere Fördermittel zugeschrieben bekommen. Cross-Compliance-Gelder stehen im primären Interesse von Unternehmensführungen.

In der Tat könnte das Hinweisgeberschutzgesetz die Idee des Cross-Compliances aufgreifen, um in Zukunft auch Hinweisgeber mit Geld zu schützen. Der Journalist Nils Wischmeyer plädiert für eine kräftige Belohnung von Whistleblowern, es „zahle sich für Unternehmen immer aus, aufzuräumen“.

Ein Brückenschlag zur HaGe. Wer die große Brücke über den Nord-Ostsee-Kanal nahe der Holtenauer Schleusen quert, dem fallen die riesigen Silos der HaGe Nord ins Auge. Zu internen Regelungen für solche Fälle befragt, kommt die Antwort aus der Konzernzentrale in Kopenhagen. 2005 wurde die HaGe Nord an die Dansk Landbrugs Grovvareselskab a.m.b.a. (DLG) verkauft.

Robin Philip, Group Vice-President und General Counsel der DLG, schreibt analogo.de, man richte gegenwärtig von Unternehmen zu Unternehmen Hinweisgeberregelungen im Rahmen eines Gruppenprogramms ein, quasi Schritt für Schritt. Die HaGe in Kiel habe seit mehr als zwei Jahren eine Regelung eingeführt. Wie diese Regelung aussieht, da hält sich der Vizepräsident aber bedeckt. Ebenso wie Ann-Kristin Baumann, die Kommunikationsleiterin der Hauptgenossenschaft Nord in Kiel.

Dabei ist nicht nur die Sicherheit von Lebensmitteln Gegenstand der EU-Richtlinie, sondern auch die Sicherheit von Mitarbeitern auf ihrer Arbeitsstätte. Jetzt könnte man fragen, was denn an Getreidesilos gefährlich sein kann.

Nun, genau an dem Ort der Getreidesilos der Kieler Hauptgenossenschaft Nord am Kieler Nordhafen ereigneten sich am 14. Dezember 1970 vier Explosionen, ausgelöst durch Mehlstaub. Sechs Menschen kamen ums Leben und 19 wurden schwer verletzt. Vor sechs Jahren brannte ein Silo der HaGe am selbigen Nordhafen. Erst nach rund zwei Wochen konnte der Schwelbrand gelöscht werden. Ein weiterer Brand ereignete sich letztes Jahr, anlässlich dessen die Kriminalpolizei ermittelte.

Fazit:

Dass Agrarhändler Getreide bunkern, ist weithin bekannt. Unsere Recherchen decken auf, wie Agrarhändler auch Informationen (zum Hinweisgeberschutz) verborgen halten. Von einem angeblichen „respektvollen Miteinander“ bei ATR Landhandel kann nicht auf die Unternehmenskultur und einen existierenden Hinweisgeberschutz geschlossen werden. Insgesamt scheint der Whistleblowerschutz bei den zwei großen Agrarhändlern im hohen Norden keine nennenswerte Rolle zu spielen.

Im achten Teil unserer Reportage beleuchten wir, inwieweit Medien- und Kommunikationsunternehmen in Schleswig-Holstein mit dem Whistleblowerschutz vorangekommen sind. Freuen Sie sich auf Einsichten von Unternehmen wie der Freenet AG in Büdelsdorf, Dataport AöR S-H, der Deutschen Telekom AG und der mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) assoziierten Medien Holding Nord GmbH in Flensburg.

Eines der großen Getreidesilos der Hauptgenossenschaft Nord AG (HaGe Nord) am Kieler Nordhafen. Bildrechte: Rainer Winters