Carlos Guastavino’s Violetas – der Veilchen Songtext und seine Bedeutung für den Ukrainekrieg

Madrid, Santa Fe, London, Moskau, Kiew | analogo.de – Während sie siegreich in den Tod marschieren …, so beginnt der dritte Vers in Carlos Guastavino’s Lied Violetas, die Veilchen. Anlässlich des unsäglichen Leids des andauernden Krieges in der Ukraine veröffentlicht analogo.de heute – am Weltfrauentag – den so berührenden Text des argentinischen Komponisten Carlos Guastavino. Und was wäre analogo.de, ohne eine Analogie zu einem aktuellen politischen Thema zu knüpfen? Rund um den Liedtext von Guastavinos Veilchen erzählen wir heute verschiedene Geschichten. Beginnen wir mit der Geschichte von der Entstehung des Liedes.

Die Entstehung des Liedes

Der Quell des Liedes war der spanische Journalist Larra, in lang Mariano José de Larra y Sánchez de Castro. Larra litt unter der harschen Pressezensur in Spanien, und versteckte seine Texte hinter Satire. Ein spanischer Volker Pispers des 19. Jahrhunderts, mit dem Unterschied, dass er nur 27 Jahre alt wurde.

Ein anderer spanischer Schriftsteller, Luis Cernuda, besang das Leben Larras mit seinem Gedicht „Für Larra, mit einigen Veilchen“. Wir fügen den Text des Gedichtes ans Ende dieses Beitrags. Auch Cernuda hielt es nicht in Spanien aus. 1938 flüchtete er aus dem Bürgerkrieg nach Großbritannien, lebte erst dort im Exil, dann in den USA und in Mexiko. Cernuda hatte in Spanien zur Generación del 27 gehört, aber nicht, weil Larrra mit 27 Jahren starb, etwa so wie Kurt Cobain, Brian Jones, Janis Joplin, Jim Morrison, Jimi Hendrix und Amy Winehouse, sondern aus einem anderen Grund. Aber das ist eine andere Geschichte.

Als Luis Cernuda in Mexiko lebte, schrieb der Argentinier Carlos Guastavino im Jahre 1954 drei Lieder über die Poesien Cernudas. Violetas war das erste Lied der Reihe. Carlos Guastavino liebte das Harmonische und Melodische, transparente ehrliche Musik. Er weigerte sich, so wie er sagte, Musik zu komponieren, die nur dazu bestimmt sei, von zukünftigen Generationen entdeckt und verstanden zu werden. Man sagt, der „Schubert der Pampas“ habe in seiner argentinisch-melancholischen Musik die Landschaft seines Landes ja fast identitätsbildend beschrieben. In seiner Musik verschmolzen Landschaft und Seele. 1956 tourte Guastavino durch Russland und vor 22 Jahren starb er 88-jährig im nordargentinischen Santa Fe.

Das Veilchen bei Cernuda

Cernuda dichtete unter anderem:

Seine Seele klagt immer noch vage,
die dunkle Leere in seinem Leben.
dieser Schatten kann nicht mehr lasten
einige Veilchen,
und so ist es angenehm, sie zu verlassen,
frisch im Nebel,
mit der Freude einer kleinen reinen Sache,
das hat diesen alten Kummer gerettet.

[…]

Diese Blumen eine nach der anderen pflücken
kurzer Trost ist zwischen den Tagen gewesen
deren blutige Fußabdrücke die Rücken tragen
durch Hass, beladen mit einem nutzlosen Stein.

[…]

Die Erde ist von Menschen vermessen worden,
mit ihren engen Häusern und schäbigen Ehen,
ihre vergiftete öffentliche Meinung und ihre Revolutionen
grausamer und ungerechter als Gesetze,
wie ein gewaltiges dämonisches Gähnen;
in ihr ist kein Platz für den Menschen allein,
nacktes und schillerndes Kind des göttlichen Gedankens.

[…]

In Spanien zu schreiben bedeutet nicht zu weinen, sondern zu sterben,
denn Inspiration stirbt in Rauch gehüllt,
wenn seine Flamme nicht frei nach der Luft geht.

Das Veilchen in der Lyrik Guastavino’s (in freier Übersetzung von analogo.de):

Leicht, taufrisch, melodiös,
ihr dunkelviolettes Licht, flüchtig erblickt
welch pflanzliche Perle inmitten grüner Kelchblätter,
sie sind ein Schrei des März, ein emporsteigender Flügelzauber,
der sich in der warmen Luft entfaltet.

Zerbrechlich, treu, sie lächeln entspannt
mit stiller Erregung, wie das Lächeln
das von einer jugendlichen, menschlichen Lippe sprosst.
Aber ihre graziöse Gestalt trügt nicht:
Nichts versprechen sie, was sie nicht auch halten können.

Während sie siegreich in den Tod marschieren
für einen Moment halten sie, diese so Zerbrechlichen,
die Zeit in ihren Blütenblättern an. Sodann kommt ihre Bestimmung,
normal für das Flüchtige, was schön ist,
munter hingerissen zu sein in der Erinnerung.

Im originalen Spanisch lauten die Verse so:

Leves, mojadas, melodiosas,
Su oscura luz morada insinuándose
Tal perla vegetal tras verdes valvas,
Son un grito de marzo, un sortilegio
De alas nacientes por el aire tibio.

Frágiles, fieles, sonríen quedamente
Con muda incitación, como sonrisa
Que brota desde un fresco labio humano.
Mas su forma graciosa nunca engaña:
Nada prometen que después traicionen.

Al marchar victoriosas a la muerte
Sostienen un momento, ellas tan frágiles,
El tiempo entre sus pétalos. Así su instante alcanza,
Norma para lo efímero que es bello,
A ser vivo embeleso en la memoria.

Die Bedeutung des Veilchens für das Frankreich Napoléons und das Russland Alexanders I.

Ihr Duft betört und tröstet. Den Griechen war sie die Blume der Liebe. Für die Anhänger des Franzosenkaisers Napoléon waren sie Symbol. Joséphine de Beauharnais, seine spätere Ehefrau und somit Kaiserin der Franzosen, hatte Napoléon beim Kennenlernen einen Veilchenstrauß zugeworfen. Das Veilchen stand nicht nur für die Liebe, sondern auch für die Kraft Napoléons, die er zum großen Teil aus der Liebe zu seiner Joséphine schöpfte. Er werde von Elba aus der Verbannung zurückkehren, und Veilchen dabeihaben. Nun, als er sechs Jahre nach seiner Rückkehr aus Elba starb, soll auf seiner Brust eine goldene Kapsel mit getrockneten Veilchen gelegen haben.

Als Napoléon noch auf der Verbannungsinsel Elba weilte, hatte Joséphine den russischen Zar Alexander I. empfangen. Die Frau der Veilchen zeigte sich – ganz im metaphorischen Sinne von Veilchen – demütig und bescheiden, hatte ihr Mann doch zuvor Russland überfallen und wollte nun den Sieger besänftigen. Alexanders Eltern kamen aus Deutschland, sein Vater war Herzog von Holstein-Gottorf und seine Mutter die Prinzessin Sophie Dorothee von Württemberg. Der Berliner Alexanderplatz erhielt seinen Namen von eben diesem Mann, der Russlands Territorium stark ausgeweitet hatte. Nach seinem Tode begann das fast 100 Jahre dauernde Great Game, der ewige Krieg zwischen Russland und Großbritannien um Gebietsansprüche im zentralen Asien.

Die Bedeutung des Veilchens für die Ukraine und das Russland Putins 2022

„zerbrechlich, treu, sie lächeln entspannt“ … ist die Seele der Ukraine. Kaum geboren als eigene Nation, schon vergangen? Oder gar die Seele Russlands, das seit Glasnost und Perestroika sich so zerbrechlich zeigt.

„nichts versprechen sie, was sie nicht auch halten können“ … Die NATO brach ihr Versprechen, ihr Territorium nicht nach Osten auszudehnen, während sich Russland wie versprochen nach Hause zurückzog.

„während sie siegreich in den Tod marschieren“ … Ja, die Helden und Vaterlandsucher, immer wieder marschieren sie.

für einen Moment halten sie, diese so Zerbrechlichen

„die Zeit in ihren Blütenblättern an. Sodann kommt ihre Bestimmung“ … Der Ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky weiß, dass die Ukraine zart und zerbrechlich ist. Und dennoch motiviert er sein Volk in den todbringenden Krieg. Auf gewisse Weise ist Selensky sehr un-ukrainisch.

„normal für das Flüchtige, was schön ist“ – die USA will es wissen, das End Game ist ausgerufen.

„munter hingerissen zu sein in der Erinnerung“

Die violetten Violettaveilchen – ein neue Farbe für eine neue Revolution?

Seit ein paar Jahren wird Revolutionen oder Coups euphemistisch eine Farbe oder eine Blume gewidmet. Hier ein paar Beispiele:

1974 Portugal Nelkenrevolution
1989 Tschechoslowakei Samtene Revolution
2003 Georgien Rosenrevolution (Rosen als Wurfgeschosse, die Blume missbrauchend)
2004 Ukraine Orange Revolution
2005 Kirgisistan Tulpenrevolution
2005 Libanon Zedernrevolution
2005 Kuwait Blaue Revolution
2007 Myanmar Safranrevolution
2011 Tunesien Jasmin Revolution

Aus verständlichen Gründen sind eine Revolution und ein Coup dasselbe. Hinter der Orangen Revolution in der Ukraine stand eine jahrelange Revolutionsvorbereitung durch die USA. Russland, China und auch Länder wie Vietnam sind der Auffassung, die blumen- und farbetragenden Revolutionen seien das „Produkt von Machenschaften der USA und anderer westlicher Mächte“, mithin eine echte Gefahr für ihre nationale Sicherheit. Die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien wurde von der EU stark verurteilt, schließlich wäre ein EU-Mitglied geschwächt aus der Sache rausgegangen. Die Unabhängigkeit der Ukraine von Russland wird aber von der EU begrüßt, schließlich ist man nicht selber betroffen.

Was aber sicher bleibt, sind die schönen starken Veilchen, die auch nach ihrem Dahinscheiden noch ihre Wirkung entfalten. In gewisser Weise mag eine sinnliche Botschaft von Veilchen darin liegen, dass im Tod etwas Schönes liegt und danach etwas Neues heranwachsen kann. Frei nach dem Mongolen und – nach heutigem Bemessen – Halbrussen Dschingis Khan:

Nicht ewig freut man sich der Ruhe und des Friedens,
und doch ist Unglück und Zerstörung nicht das Ende.
Wenn das Gras vom Steppenfeuer verbrannt ist,
sprosst es im Sommer neu.

Das Gedicht Cernudas „Für Larra – mit einigen Veilchen“

Seine Seele klagt immer noch vage,
die dunkle Leere in seinem Leben.
dieser Schatten kann nicht mehr lasten
einige Veilchen,
und so ist es angenehm, sie zu verlassen,
frisch im Nebel,
mit der Freude einer kleinen reinen Sache
das hat diesen alten Kummer gerettet.
der schon zu den Toten spricht,
die Lebenden finden ihn stumm.

Und in dieser anderen Stille, wo die Angst regiert,
diese Blumen eine nach der anderen pflücken
kurzer Trost ist zwischen den Tagen gewesen
deren blutige Fußabdrücke die Rücken tragen
durch Hass, beladen mit einem nutzlosen Stein.
wenn der Tod besänftigt
dein bitterer Mund von Gott unbefriedigt,
nimm ein so geringes Geschenk an, sentimentaler Schatten,
in jenem Frieden, der dich unter der Erde erwartete,
sprießen in wildem Gras, Wind und Licht,
der treue und letzte Reiz des Alleinseins.

Vom Leben geheilt, ausnahmsweise lächeln,
ein blasses Gesicht voller Leidenschaft und Müdigkeit.
sieh dir die alten Straßen an, durch die du gewandert bist,
die bläuliche Laterne, die dich geleitet hat, liegt in der Luft,
auf dem Rückweg vom Tanz oder von der schmutzigen Zeitung,
und die Marmorbrunnen zwischen den Palmen:
Wasser und Blätter, Balsam für die Traurigen.

Die Erde ist von Menschen vermessen worden,
mit ihren engen Häusern und schäbigen Ehen,
ihre vergiftete öffentliche Meinung und ihre Revolutionen
grausamer und ungerechter als Gesetze,
wie ein gewaltiges dämonisches Gähnen;
in ihr ist kein Platz für den Menschen allein,
nacktes und schillerndes Kind des göttlichen Gedankens.

Und unsere große Stiefmutter, seht sie heute ungeschehen,
armselig und doch schön zwischen den grauen Gräbern
von denen, die wie du, in ihrer Steppe geboren sind,
sie sahen ihre Hoffnung sterben, während sie lebten,
und schrie dann, von der Dunkelheit überflutet,
an lächerliche Brüder, die nie zugehört haben.

In Spanien zu schreiben bedeutet nicht zu weinen, sondern zu sterben,
denn Inspiration stirbt in Rauch gehüllt,
wenn seine Flamme nicht frei nach der Luft geht.
also, wenn die Liebe, das zarte blonde Ungeheuer,
du hast so viele eitle Zärtlichkeiten gegen dich selbst gerichtet,
deine Hand schoss auf, rot und weit, der Tod.
frei und ruhig warst du eines Tages endlich frei,
auch wenn deine Stimme ohne dich eine unauslöschliche Spur hinterlassen hat.

Das Wort ist kurz wie der Gesang eines Vogels,
aber ein klarer Fetzen kann sich darin verfangen
von Rausch, Leidenschaft, flüchtiger Schönheit,
und erhebe dich, ein wachender Engel, der für die Menschen Zeugnis ablegt,
dorthin in die himmlische und unbewegliche Region.

Zu hören war Guastavinos Veilchenlied live auf einem bukolischen Sommerkonzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) 2021 auf Gut Wulfshagen mit dem mexikanischen Tenor Rolando Villazón und dem französischen Harfenisten Xavier de Maistre. analogo.de berichtete.

Veilchen, auf spanisch: Violetas, auf englisch: viola – wie das lyrische Musikinstrument. Bildrechte: Pixabay user Hans ge33a6ac1c_1920