Mainz, Landau, Koblenz | analogo.de – Die Universität Koblenz-Landau zieht sich in ihren Bewertungen von Hochschulprüfungen auf den Grundsatz von Ermessensentscheidungen zurück. Mit geheim gehaltenen Bewertungsgrundsätzen bei der Bewertung von Klausuren entfernt sich die Universität damit vom zeitgenössisch-demokratischen Verständnis für mehr Transparenz und zieht sich in die unbewusste Welt des Bildungs-Hades zurück. Der analogo.de LONG READ.
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Im altgriechischen Hadesreich lebten die Menschen ohne Bewusstsein im Schatten ihrer vormaligen Existenz. Wie Zombies im Marihuana-Rausch gingen sie ihren Betätigungen nach. Der Höllenhund Kerberos schaute zu, dass Normalos in der bewusstlosen Welt verharren und nicht über den Grenzfluss Styx in die Welt des Bewusstseins entfliehen. Nur Auserwählte wie die sterbliche Königstochter Psyche oder Äneas durften die Unterwelt in Richtung Welt der Erkenntnis verlassen.
Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit von Rheinland-Pfalz (LfDI), Prof. Dr. Dieter Kugelmann bedauert in einem Telefonat im November mit analogo.de, dass die zweitgrößte Universität von Rheinland-Pfalz seinem Beratungsangebot vom März 2016 ausgewichen ist über das neue rheinland-pfälzische Transparenzgesetz mehr Transparenz in die Prüfungsbewertungsverfahren zu bringen. Willkürlichen Beurteilungen und Prüfereffekten würde auf diese Weise vorgebeugt werden, so dass Studenten eine größere Chance auf eine transparente, nachvollziehbare und gerechte Beurteilung erhalten. Der politisch unabhängige LfDI soll in Rheinland-Pfalz die Umsetzung des Transparenzgesetzes voranbringen, wo auch immer das Transparenzgesetz gilt. Die Landeshochschulen hatten sich bis zuletzt gewehrt, dass das seit 01. Januar 2016 gültige Gesetz für sie angewendet wird.
Namhafte Entscheidungsträger der Universität Koblenz-Landau wie die frisch gewählte Vizepräsidentin am Campus Landau, Prof. Dr. Gabriele Schaumann lehnen das diskutierte Transparenzniveau ab, weil sie ihr dozentales Urheberrecht an den Fragestellungen verletzt sehen. Der LfDI bezweifelt die notwendige Schöpfhöhe für Klausurfragen und den Anspruch, dass die Prüftätigkeit einer Universität generell dem Schutz der Lehrtätigkeit unterworfen sei. Denn die Lehre sei die systematisch angelegte Verbreitung des Erkannten, so Professor Dr. Kugelmann.
Die orchestrierende Rolle des Hades an der Universität Koblenz-Landau übernimmt unterdessen dem Anschein nach der für Zensurmaßnahmen bekannt gewordene Präsident Prof. Dr. Roman Heiligenthal. Der ehemalige Studentenpfarrer agiert ganz im Stile der kirchlichen Wissenswerdung, nach der Erkenntnisse traditionell einer im Verborgenen operierenden Elite vorbehalten sind. Die Verborgenheit manifestiert sich durch den willkürlichen Bewertungsgrundsatz. Der Senat der Hochschule hatte im Februar 2016 einen studentischen Antrag zum Thema in die geheim tagenden Prüfungsausschüsse verwiesen. In diesen geheim tagenden Organen verharrt die Thematik bis heute.
Im kunterbunten Streit der Lehrmeinungen unter Professoren ist nun eine weitere neo-liberale Ansicht zu vernehmen. Vom neuen rheinland-pfälzischen Minister für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, Prof. Dr. Konrad Wolf (SPD) erfuhr analogo.de über Pressesprecher Horst Wenner, dass die rot-grün-gelbe Landesregierung den Hochschulen tendenziell mehr und nicht weniger Hochschulautonomie zugestehe. Der politisch unabhängige LfDI bedauert wiederum, dass sich die Hochschule auf sehr unglückliche und intransparente Weise auf genau diese Hochschulautonomie zurückziehe. Die Exekutive bestehend aus Bildungsministerium und Hochschulverwaltung interpretiert das Transparenzgesetz also grundverschieden zur legislativen Meinung der Regierungspartei SPD unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer.
Höhere Bildungsabschlüsse = höhere Beschäftigungsquoten
Das Statistische Landesamt von Rheinland-Pfalz hatte jüngst veröffentlicht, dass das Bundesland mit rund 25 Prozent vergleichsweise wenige Akademikerinnen und Akademiker und in Deutschland die drittniedrigste Bildungsbeteiligung hat. Zusammen mit der Statistik mahnt das Landesamt, dass mit höheren Bildungsabschlüssen auch höhere Beschäftigungsquoten erzielt würden.
Mandy Gratz vom Vorstand des Freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften (fzs) e.V. in Berlin erklärte gegenüber analogo.de, Musterlösungen seien ein Ausdruck des hochkompetitiven Systems an Universitäten, wo schon der kleinste Fehltritt oder auch die kleinste Veränderung des Bewertungsmaßstabes eine Gefährdung des Werdegangs von Studierenden darstellen könne. Die Verdichtung des Prüfungstaktes und die Erhöhung der Prüfungsdichte im Rahmen der Studienreformen der letzten zwei Jahrzehnte hätten ein Klima an Hochschulen entstehen lassen, das von Abstiegsangst und einem einhergehenden Konkurrenzdenken geprägt ist, was letztlich das große Ganze aus dem Blick geraten lässt und damit auch eine Gefahr für die Wissenschaftlichkeit des Studiums und Freiheit von Forschung und Lehre bedeute.
analogo.de fragte zum Vergleich bei Bildungsministerien anderer Bundesländer nach: Die Pressesprecherin des Baden-Württembergischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Ulrike Bärlin erklärt, das Wissenschaftsministerium gehe trotz Hochschulautonomie davon aus, dass der Ausarbeitung von schriftlichen Prüfungen immer ein Erwartungshorizont der Lehrpersonen zugrunde liege und die Benotung transparent erfolge und nachvollziehbar sei. Auch die Pressesprecherin des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft, Julia Graf berichtet analogo.de, dass das Bildungsministerium von einem Erwartungshorizont ausgehe. Denn man könne schriftliche Prüfungen wohl nur entsprechend bewerten, wenn derjenige, der die Prüfung abhält, eine Vorstellung davon habe, welche Lösung erwartet wird und wie diese bewertet werden soll.
Die stellvertretende Pressesprecherin des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung, Verena Hoppe teilte analogo.de mit, in Nordrhein-Westfalen habe der Prüfer bei schriftlichen Prüfungsarbeiten die tragenden Erwägungen darzulegen, die zur Bewertung der Prüfungsleistung geführt haben. Die Begründung müsse in Nordrhein-Westfalen so beschaffen sein, dass der Prüfling die Gründe der Prüfer in den Grundzügen nachvollziehen könne, d. h. die Kriterien erfahre, die für die Benotung maßgeblich waren, und verstehen kann, wie die Anwendung dieser Kriterien in wesentlichen Punkten zu dem Bewertungsergebnis geführt habe. Es müsse zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den für das Ergebnis ausschlaggebenden Punkten erkennbar sein, welchen Sachverhalt sowie welche allgemeinen und besonderen Bewertungsmaßstäbe der Prüfer zugrunde gelegt habe und auf welcher wissenschaftlich-fachlichen Annahme des Prüfers die Benotung beruhe. Dies schließe nicht aus, dass die Begründung nur kurz ausfalle, vorausgesetzt, die vorstehend dargestellten Kriterien für ein mögliches Nachvollziehen der grundlegenden Gedankengänge der Prüfer sind erfüllt. Verena Hoppe verweist hierzu auf ein aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 25. Oktober 2016 – 14 A 1940/16 –, Rn. 5 zitiert nach juris, unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 8.3.2012 – 6 B 36.11 -, juris, Rn. 8.). Hoppe führt weiter aus, zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen dürften im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar sei, gebühre dem Prüfer ein Bewertungsspielraum. Diesem stehe aber auch ein Antwortspielraum des Prüflings gegenüber. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung dürfe nicht als falsch bewertet werden.
Zu wenig Popper an Universitäten
Die Uhren der Demokratie in Rheinland-Pfalz laufen im Gegensatz zu anderen Bundesländern erfahrungsgemäß sehr langsam. Ein guter Indikator dürfte die Anwendung von direkt-demokratischen Verfahren sein: Im Land des vitikulturellen Alkohols (Weinbau) und der Chemie wurde seit dem 2. Weltkrieg kein einziges Gesetz auf der Basis von Volksentscheiden verabschiedet. In einer Rangliste für Bürgerbegehren aus dem Jahre 2014 landete Rheinland-Pfalz bundesweit nur auf dem 10. Platz, bei Volksentscheiden liegt man ganz hinten. Der Mangel an demokratischen Mitspracherechten wird in großen Teilen des Bundeslands durch die Vermeidungsstrategie Alkohol kompensiert.
Daher verwundert es nicht, dass sich das kulturelle Verständnis der Heimlichkeit und des Elitentums auch durch die Entscheidungsprozesse an den Hochschulen von Rheinland-Pfalz zieht. Aus gut informierten Kreisen erfuhren wir, dass die Hochschulleitung und Professorenschaft auch in Zukunft Klausuren nach persönlichen Ermessensentscheidungen korrigieren möchte. Mit anderen Worten legen Universität und Ministerium Wert darauf, Benotungen und Entscheidungen über Richtig und Unrichtig willkürlich zu treffen. Dies impliziert positive Prüfereffekte, nach der Prüflinge Glück haben mögen, weil sie so aussehen wie die Tochter des Prüfers. Und umgekehrt negative Prüfereffekte, wenn Schüler oder Studierende negative Assoziierungen beim Professor oder Dozenten hervorrufen.
In Umsetzung dieser Erkenntnisse legen diverse Fachbereiche der Johannes Gutenberg Universität (JGU) zu Mainz bereits heute vor den Klausuren Musterlösungen fest. Nur so kann auch der Falsifizierbarkeit Rechnung getragen werden, also dem Wissenschaftsprinzip Poppers. Der Engländer verbesserte die wissenschaftliche Methode des Griechen Aristoteles, indem nach seiner Theorie eine neue Hypothese falsifizierbar sein müsse, sofern sie den Anspruch von Wissenschaftlichkeit hege. Hiernach müssen vor dem wissenschaftlichen Versuch die Bedingungen klar und logisch-praktikabel formuliert sein, unter denen die Hypothese zu verwerfen ist. Durch diese Methodik können Wissenschaftler ihre Hypothese entweder nachvollziehbar entkräften oder eben stärken. Ausgerechnet an den Wissenschaft betreibenden Universitäten müsste es gemäß Poppers Prinzip selbstverständlich sein den formulierten Anspruch von der Hypothese auf schriftliche Prüfungen auszuweiten: Ohne Musterlösungen keine rechtschaffene Wissenschaft.
Von der Legislative zur Exekutive zur Judikative
Trotz dem Vorzeigeprojekt Transparenzgesetz bleibt das Land des Alkohols und der Chemie – wie es scheint – demokratisch rückständig. Die eine Landesbehörde des LfDI legt das frische Gesetz anders aus als die Bildungsbehörde von nebenan. Während die Studierenden am Campus Landau konkrete Vorschläge für Änderungen unterbreitet haben, warten LfDI und Prüfungsausschüsse auf die ersten juristischen Klagen. Denn freiwillig, so die verdichteten Hinweise der Universität Koblenz-Landau, will man nicht demokratischer werden. Gleichwohl gäbe eine etwa von Studenten beförderte Klage nicht nur dem Ansinnen des LfDI zur Demokratisierung des Hochschulwesens die nötige Rechtssicherheit. Eine Klage am dritten möglichen Demokratieorgan der Judikative scheint daher unausweichlich: Es ist der für Demokratien erprobte Weg von der Legislative zur Exekutive zur Judikative. Wir werden in einem gesonderten Beitrag über die konkreten Forderungen der Studierendenschaften berichten.
Der in Passivität verharrende Hades verließ seine Unterwelt in Richtung der bewussten Welt nur ungerne, und wenn, dann unter seinem Schild der tarnenden Unsichtbarkeit. Die Präsidentenwahl an der Hochschule Koblenz-Landau steht derweil für das Frühjahr 2017 an. Ob der für die tarn-bekappte Gestaltung der Hochschulbelange in den letzten Jahren bekannt gewordene Roman Heiligenthal auch weiterhin der Wächter der unterweltlichen Prüfungsgestaltung bleiben wird, steht in den Sternen der rheinland-pfälzischen Mythologie. Der Philologe Kerényi behauptete übrigens, dass Hades und Dionysos ein und dieselbe Person waren. Dionysos war der Gott des Weines.