Schwarmland Deutschland wie Schwarmstadt Mainz – FLÜPO im Grünen-Diskurs mit Boris Palmer

Mainz, Tübingen | analogo.de – Nach seinem umstrittenen Forderungen im Spiegel-Interview zur kontrollierteren Einreisepolitik für Flüchtlinge stellte sich der umstrittene Grünenpolitiker Boris Palmer am Dienstagabend im Mainzer Club Schick & Schön heiklen Fragen zur Entwicklung von Bund und Städten. In Rheinland-Pfalz ist Wahlkampfzeit, und mit dem Erstarken der AfD droht den Grünen der politische Niedergang. analogo.de war zugegen und berichtet über den Diskussionsabend.

Zur Flüchtlingspolitik (wir schlagen vor: #FLÜPO) machte Palmer mehrere Dilemmas aus, obgleich er sich in vieler Hinsicht falsch verstanden fühle. Deutschland sei derzeit das einzige Land der Europäischen Union, welches immer noch über die richtige Vorgehensweise zur FLÜPO diskutiere. Alle Staaten der EU wie Großbritannien und Frankreich hätten sich längst entschieden, dass sie nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen. Nur in Deutschland würde man Hilfsbereitschaft mit Hilfszwang verwechseln. Anderen EU-Ländern müsse man aber zugestehen, dass sie ihre eigene Entscheidung treffen.

Die Grünen sieht Palmer im Dilemma, sich nicht mehr auf ihre Grundwerte zurückziehen zu können, denn man müsse sich nun der Realpolitik stellen. Dazu gehöre aber auch die richtige Verwendung der Termini und Zahlen. Palmer führte an, dass letztes Jahr lediglich 10.000 Asylanträge positiv beschieden wurden, also grob 1% aller angeblichen Flüchtlinge. Menschen aus Kriegsgebieten würden nicht unter das Asylrecht fallen und daher könne man den Asylrechtspassus beibehalten wie er sei, so Palmer.

Das Problem seien vielmehr die anderen Staaten, die sich nicht an die Genfer Flüchtlingskonvention halten würden. Palmer trennt also Asylrecht und das Genfer Abkommen. Ein anderes Problem machte Palmer aber bei der formalen Aufnahme der Flüchtlinge fest: Deutschland solle die wirklich Notleidenden aus dem aktuell bombardierten Aleppo eher aufnehmen als Menschen aus dem Südirak. Analog dazu eher Menschen aus Flüchtlingslagern mit schlechten Bedingungen als Lagern mit guten Bedingungen.

Palmer plädierte dafür, dass Deutschland 50,1 % aller Flüchtlinge in der EU aufnehme, wenn der Rest der EU zusammen 49,9 % aufnehme. Das wäre immerhin ein immenser Vorteil, da die EU-Staaten im Jahre 2015 insgesamt von zugesagten 160.000 Flüchtlingen nur 497 Flüchtlinge aufgenommen hätten, so der pragmatische Oberbürgermeister Tübingens. In seiner beschaulichen Stadt sei man an die Grenzen des verwalterisch Machbaren gekommen. Bei einer Arbeitslosenquote von 2,1% gebe es schlichtweg keine Erzieher mehr. Auch die Pufferfunktion von anderen Kommunen sieht Palmer als erschöpft an. Die Balkanstaaten geräten dagegen schon mit der Durchreise von Flüchtlingen ins Chaos. Palmer landet beim Rettungsboot-Prinzip, in dem erst die Erwachsenen gerettet werden müssen, damit sie die Kinder retten können. Für Palmer kann Deutschland dem Schwarm von Flüchtlingen nicht mehr helfen, wenn die Institutionen nicht mehr funktionieren.

In der Diskussionsrunde saßen auch die einladenden Grünenpolitiker Daniel Köbler und Katrin Eder. Köbler unterstrich, dass alle Maßnahmen auch bezahlbar sein müssten. Obgleich er generell eine Umverteilung von ungleich verteiltem Reichtum in Deutschland befürworte, warnte er aber vor einer Anwendung dieser Meinung auf die FLÜPO. Denn es würden Argumente bemüht, die den Kommunen Ungleichbehandlung zwischen Flüchtlingen und Deutschen vorhalten wie: „Diese Unterkünfte hättet Ihr auch schon vorher anmieten können.“

Überhaupt schien Köbler hilflos, was die konkreten Maßnahmen betrifft. Während sein Parteifreund Palmer mit handfesten Vorschlägen nach Mainz kam, hatte Köbler keine Antwort auf das Dilemma Grenzzaun/Flüchtlingsboot. Er wisse auch nicht, was man mit den Menschen machen soll, die sich im Flüchtlingsboot dem griechischen Grenzzaun nähern.

Nun stand ein Vergleich im Raum. Die Stadt Mainz ist als Schwarmstadt in ähnlichem Maße der Schwarm vieler Bürgerinnen und Bürger wie Deutschland zum auserkorenen Schwarm für Flüchtlinge geworden ist. Beide sehen sich mit dem Dilemma konfrontiert mit Schwärmen umzugehen. Die Studentenstadt Stadt Mainz erfährt seit Jahren nach Aachen den zweithöchsten prozentualen Einwohnerzuwachs aller deutschen Städte. Und so landete die Diskussionsrunde auch beim eigentlichen Thema des Abends, der Stadtentwicklung.

Palmer plädierte für eine stärkere Innen-Entwicklung von Städten, anstatt die Stadt nach außen hin wachsen zu lassen. Umweltdezernentin Eder unterstrich, dass man der städtischen Verdichtung mit Ausgleichsmaßnahmen entgegentrete, aber durchaus Grenzen des Wachstums sehe. Nun wurde diskutiert, inwieweit Grenzen menschlich abzusichern sind. Die Regierungsparteien hatten in Mainz das innerstädtische Parken verteuert und mit diesem Schritt ärmere Menschen tendenziell aus der Innenstadt isoliert.

Den kaum zu bewältigenden Flüchtlingszahlen begegnet Palmer in seiner Stadt Tübingen mit der Androhung von – laut Ortsgesetz möglichen – Bußgeldern für Eigentümer, sollten sie den dringend benötigten Wohnraum nicht zur Verfügung stellen. Doch seine Bewohner würden sich dagegen zur Wehr setzen, trotz Garantie der Stadtverwaltung, dass sie ihre Wohnung im selben guten Zustand zurückbekommen wie vor der Anmietung für Flüchtlinge. Eigentümer seien in Deutschland nach dem Grundgesetz dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet. Der Tübinger Check hätte aber 150 leere Wohnungen für 6.000 bis 7.000 Flüchtlinge ergeben.

Den Mainzern Politikern hielt das Publikum vor, dass sie die Gentrifizierung, also die Verteuerung von Wohnraum mit unterstützen. Eder und Köbler hatten diesen Vorwürfen kaum Antworten entgegenzusetzen. Insgesamt sprachen sich die beiden GEGEN viele Dinge wie die Thesen des Kollegen Boris Palmer aus, die Formulierung von Thesen DAFÜR fielen ihnen aber schwer. So wurde auch deutlich, dass die Einladung Palmers durch die Mainzer Grünen VOR Palmers Spiegel-Interview erfolgt war und unter den Umständen des Interviews eine erneute Einladung womöglich nicht erfolgt wäre.

Boris Palmer, der Oberbürgermeister dieser Stadt Tübingen, hat oftmals unkonventionelle Ideen. DAss ihn manche für einen Konservativen halten, bewirkt, dass er eine vermittelnde Rolle im so zerstrittenen Deutschland einnimmt. Bildrechte: Catkin auf Pixabay 482501_1920