Dieselfahrverbot in Mainz: Warum die „Maßnahmen“ die Judikative kaum überzeugen dürften

Mainz / Wiesbaden | analogo.de – Die seit Jahren von den Parteien und den Exekutiven praktizierten Maßnahmen zur Reduzierung der überhöhten NO2-Luftschadstoffkonzentrationen dürften die Judikative kaum überzeugen um von einem Dieselfahrverbot abzusehen. Zu diffus, wenig messbar und wenig effektiv sind die diversen Maßnahmenpakete, die auf den Dieselgipfeln von Bund und Land beschlossen wurden. Da mit starker Diffusität und mangelnder Wirksamkeit vergangener Maßnahmen die Rationalität fehlt, exisiert das Schreckgespenst eines möglichen Dieselfahrverbotes. Dieselfahrzeuge wären betroffen, weil sie die Hauptverursacher der hohen Konzentrationen des sehr giftigen Atemgases Stickstoffdioxid (NO2) sind. Kurz vor dem bevorstehenden Urteil des Verwaltungsgerichtes Mainz befragte analogo.de nochmals die Mainzer Parteien und fasst die Positionen in einer Glosse zusammen.

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Die Verwaltungsgerichte in Mainz und Wiesbaden stehen kurz vor der Rechtsprechung, um über die seit Jahren unwirksamen Maßnahmen von Stadtverwaltung und Land zu richten. Ein Strafgeld von bis zu € 10.000 könnte ausgesprochen werden. Stadtverwaltung und/oder Land träfe es nur symbolisch, denn das Geld würde man aus der Steuerschatulle bezahlen. Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) ist dafür bekannt bei einem größeren Loch im Mainzer Haushalt einfach nach mehr Steuergeldern zu rufen. Niemand erwartet dahingegen die Courage vom Mainzer Verwaltungsgericht ein Urteil zu Lasten der Autohersteller zu fällen.

Die Vorstellung einer baldigen Verbannung von Dieselfahrzeugen aus der Stadt Mainz erzeugt allerdings schon mehr Angst. Das Dieselfahrverbot ist mittlerweile ein sehr denkbares Szenario für die Städte Mainz und Wiesbaden. Dies würde unmittelbar von den Gerichten entschieden, ohne dass der Stadtvorstand um Michael Ebling und Katrin Eder (Bündnis90/DieGrünen) noch einmal etwas ausrichten könnte. Alleine „unmittelbar und eindeutig wirksame“ Maßnahmen könnten die Gerichte noch milde stimmen und damit ein Dieselfahrverbot zumindest nach hinten schieben.

Was wirkt jetzt noch unmittelbar und eindeutig?

Doch was kann jetzt noch als unmittelbar und eindeutig wirksam betrachtet werden, um den Jahresmittelwert innerhalb von maximal sechs Monaten unter 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft zu drücken? Nicht dass die Luft bei 38 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gut wäre, aber aus Erfahrung betrachten deutsche Gerichte wirtschaftliche Interessen gewichtiger als die körperliche und seelische Unversehrtheit der Menschen. Seit 2011 befinden sich die Giftgaswerte in der Mainzer Atemluft auf einem Niveau über den erlaubten Grenzwerten. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) klagt deswegen in zwei Verfahren vor dem Mainzer Verwaltungsgericht, wobei die DUH ihre erste Klage immer mal wieder ruhen und aufleben lässt. Trotz Einrichtung einer gemeinsamen Umweltzone mit der Stadt Wiesbaden vor vier Jahren sterben jährlich in beiden Städten zusammen durchschnittlich 15 Menschen pro Jahr vorzeitig an den Folgen eben dieser Dieselabgase.

Beobachter der Diskussion in der Mainzer Politik bedauern, dass im Mainzer Stadtrat die Schuldsuche im Vordergrund stehe. Die SPD Wiesbaden schrieb analogo.de, die Schuld läge an der Dieselherstellern, und sie müssten daher die Kosten tragen. Die SPD Mainz sieht in der Deutschen Umwelthilfe eher den Nestbeschmutzer. Wie kann sich diese fremde Organisation auch Kritik am Mainzer Stadtvorstand aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP erlauben? Die sind ja noch nicht einmal aus MEENZ … Laut einer Einschätzung eines Beobachters des Mainzer Stadtratgeschehens gehen auch die Wortmeldungen der Grünen in dieselbe Richtung. Die Deutsche Umwelthilfe ist schuld.

Man muss sich dieses Gebaren einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Deutsche Umwelthilfe holt den Dreck förmlich aus dem verdreckten Mainzer Luft- und Politnetz heraus. Sie deckt Missstände auf, prangert sie an und geht nach rechtsstaatlichen Prinzipien vor, indem sie – FÜR die Gesundheit der Menschen – GEGEN die Missstände vor Gericht klagt. Und WEIL sie diesen Dreck aus dem Nest herausholt, gilt sie den Meinungsführern unter den Mainzer Luftpolitikern als Nestbeschmutzer? In dieser Atmosphäre aus Irrationalität und Pervertierung sucht man nur noch die Rückkehr zur sachlichen Diskussion.

Diffuse Addition von Maßnahmenvorschlägen

Also stellte die DUH jüngst heraus, dass Diesel-Pkws die Grenzwerte auf der Straße bis zu über 9-fach überschreiten. Die DUH präsentierte das Ergebnis aus Abgasuntersuchungen an 36 Diesel- und drei Benzin-Pkws. Die schmutzigsten Modelle seien der Ford Mondeo 2.0 Duratorq TDCi, der Nissan Qashqai 1.6 dCi sowie der Renault Scenic 1.6 dCi. Vor ein paar Tagen gab der Bayerische Audikonzern zu, dass man nun auch in seinen Achtzylinder Flagschiffen des Produktes Audi A8 4,2 L TDI der Euronorm 6 Betrugssoftware installiert habe. Zuvor hatte die DUH eine Grenzwertüberschreitung bei diesen Modellen um 17.800 Prozent (!!) festgestellt.

Aufgrund des flächendeckenden Betrugs deutscher Autohersteller fordert die FDP-Fraktion des Mainzer Stadtrates ebenso wie die Wiesbadener SPD ein Softwareupdate, welches auf Kosten der Hersteller geht. Dies sei ein Beschluss des Dieselgipfels, wobei die FDP nicht erwähnt, welchen Dieselgipfel sie meint. Denn Dieselgipfel gibt es mittlerweile zuhauf, nachdem das Team um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf ihrem Bundes-Dieselgipfel keine wirkungsvollen Maßnahmen beschlossen hatte. Rheinland-Pfalz veranstaltete ebenso einen „kleinen“ Dieselgipfel wie auch das Land Berlin. Doch beweisen die Dieselgipfel der Vergangenheit, dass es mehr um Geld als um die körperliche Unversehrtheit der Menschen geht.

Auch die auf dem RLP-Dieselgipfel beschlossenen Maßnahmen versprechen nicht überzeugend, dass die NO2-Belastungen unmittelbar, d. h. innerhalb maximal sechs Monaten gesunken sind. Nicht nur muss bezweifelt werden, dass die Luftqualität nach diesen Softwareupdates tatsächlich besser wird, sondern mit der Akzeptanz eines Updates verlieren Dieselbesitzer eventuell weitere Ansprüche an die Autohersteller, etwa wenn der Wiederverkaufswert ihres Wagens ins Bodenlose rutscht. Wer will schon einen Audi kaufen, der in drei Jahren womöglich nur noch 30 Prozent seines originären Neupreises erzielt?

Die kaum Erfolg versprechende Maßnahme „Softwareupdate“ zeigt, wie die Zeit drängt. Die entscheidenden Gerichtsurteile stehen bevor. Da sich die Gerichte wohl kaum auf weitere 15 Tote im Jahr 2018 einlassen werden, müsste der neue Jahresmittelwert für 2018 rechnerisch sowieso interpoliert werden. Fahrlässig wäre es, wenn die Gerichte bis zum 31.12.2018 warten würden, nur um vom Landesamt für Umwelt einen echten Jahresmittelwert „01.01.-31.12.“ präsentiert zu bekommen.

Weiterhin fordert die FDP Mainz alle städtischen Busse mit SCRT-Filtern auszustatten. Die Finanzierung sei bereits vom Land Rheinland-Pfalz zugesagt. Und genau wie die Freie Wähler-Gemeinschaft (FW-G) fordert die FDP eine bessere Steuerung des Verkehrs. Wer in der Mainzer Innenstadt auf einer Strecke von 600 Metern an vier Ampeln halten muss, weiß, was FDP und FW-G hier fordern. Doch um wie wenige Prozent tragen diese Maßnahmen dazu bei stabil unter 40 Mikrogramm zu bleiben? Die schiere Addition von Maßnahmenvorschlägen mutet auch hier leider sehr diffus und nicht meßbar an.

In Wiesbaden geht man davon aus, dass Dieselautos zu 70 Prozent für die schlechten Stickoxidwerte zuständig sind. In Mainz sollen es rund 60 Prozent sein, denn der Anteil der alten Dieselbusflotte an den NOx-Emissionen ist relativ hoch. Vier Brennstoffzellenbusse sollen in Mainz in Betrieb gehen, eine Maßnahme, die die FDP als wichtig erachtet. Und noch ein Vorschlag eint FDP und FW-G: Die Forderung nach Förderung der Elektromobilität. Äquivalent zum Parteienverbund DIE LINKE/Piratenpartei in Wiesbaden würde die FDP den Radverkehr stärken, was die Gerichte „zur Kenntnis“ nehmen dürften. Denn bereits mehrfach hat Verkehrs- und Umweltdezernentin Eder signalisiert, dass man in Mainz kaum mehr Radwege bauen könne. Zumal wäre dies abermals eine langfristige Maßnahme, die den Mainzer frühestens in zehn Jahren bessere Luft bescheren dürfte.

Ideen gibt es also reichlich. Jeder Diesel-Gipfel und auch die Parteien sammelten in einer Art Brainstorming zig Maßnahmen, deren Schnürung zu einem Paket eine Zielgerichtetheit suggeriert. Da es sich aber um diffuse und daher nicht zu messende Einzelmaßnahmen handelt, scheitert es seit Jahren an der Wirksamkeit aller Ideen. Zu diesem offensichtlichen Mangel an Rationalität gehört, dass sich die Stadtverwaltung zur zweiten Klage der DUH im Juli dieses Jahres im Stadtrat anscheinend noch nicht geäußert hat.

Lähmende Angst vor Dieselfahrverbot 

Dies könnte ein Hinweis auf die lähmende Angst vor einem Dieselfahrverbot in Mainz und Wiesbaden sein. Gegenüber analogo.de echauffierte sich die FW-G, OB Ebling und K. Eder würden sich wie das Kaninchen vor der Schlange verhalten. So könne das nicht weitergehen. Die FW-G mahnt die Stadtspitze den Kopf aus dem Sand zu nehmen. Einem Verhaltenstherapeuten gleich geleitet die engagierte Umweltpartei FW-G den Stadtvorstand zur Transparenz, und reichte nun für die nächste Stadtratssitzung am 29. November 2017 diese Fragen ein:

1.   Stimmt es, dass die Stadt Mainz von der DUH erneut verklagt wird? Gibt es bereits eine Stellungnahme der Stadt an das Verwaltungsgericht? Wenn nein: Wann wird diese erstellt?

2.  Wird diese Stellungnahme dem Stadtrat zur Verfügung gestellt? Wenn nein: Warum nicht?

3.  Wie kann sichergestellt werden, dass Dieselfahrverbote für Arm und Reich durchgesetzt werden?

4.  Wann ist mit dem Ende des Einsatzes von veralteten Diesel-Bussen in Mainz zu rechnen? Plant die Stadt Investitionen in Busse mit Gasantrieb? Wenn nein warum nicht?

5.  Welche weiteren Maßnahmen plant die Stadt bei der Kontrolle von Fahrzeugen und mit welchen zusätzlichen Kosten ist hier zu rechnen?

6.  Wann ist mit der Einhaltung der Grenzwerte (Luftreinhalteplan) zu rechnen?

7.  Welche der von der DUH vorgeschlagenen Maßnahmen werden konkret umgesetzt und welche nicht?

Auch die anderen Mainzer Stadtratsparteien wurden von analogo.de befragt. Dass sich die kleine AfD zu diesem Umweltthema nicht gemeldet hat, überrascht nicht unbedingt. Da das Dieselfahrverbot aber ein soziales Thema ist, hätten wir zumindest ein Wort von der Partei DIE LINKE erwartet, die sich das Soziale immer auf die Brust heftet. Die Partei „glänzte“ lieber mit galanter Zurückhaltung. Schließlich zeigte sich Caroline Blume, die Fraktionsgeschäftsführerin von Bündnis90/Die Grünen in einem Telefonat mit analogo.de überzeugt, dass es zum 01.01.2018 keine Dieselfahrverbote in Mainz gibt.

Ob Blume wohl weiß, was die Richter am Verwaltungsgericht Mainz zusammengetragen haben? Und wenn das Dieselfahrverbot im April 2018 kommt? Die mannigfachen Klagen der DUH und des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD) zeigen, dass Exekutive (Stadtspitze und Umweltministerium) und Legislative (Stadtrat) das Problem NO2 über Jahre nicht in den Griff bekommen haben. Nun ist die Zeit der Judikative (VG Mainz, VG Wiesbaden, Verwaltungsgerichtshof Hessen, BVerwG Leipzig) gekommen.

Umwelt in Mainz: Kessellage der Stadt (im Hintergrund Taunusgebirge), gesundheitsgefährdende Luftkonzentrationen für Stickstoffdioxid (NO2) und Ozon (O3) durch sehr hohe Verkehrsdichte (hier kreuzt Autobahn A 643 den größten Freizeitwald der Stadt), rund 2.000 tägliche Flüge des nahen Flughafens Frankfurt und Schiffsdieselabgase auf dem Rhein. © Copyright 2017 ANA LOGO
Umwelt in Mainz: Kessellage der Stadt (im Hintergrund Taunusgebirge), gesundheitsgefährdende Luftkonzentrationen für Stickstoffdioxid (NO2) und Ozon (O3) durch sehr hohe Verkehrsdichte (hier kreuzt Autobahn A 643 den größten Freizeitwald der Stadt), rund 2.000 tägliche Flüge des nahen Flughafens Frankfurt und Schiffsdieselabgase auf dem Rhein. © Copyright 2017 ANA LOGO