Amtsgericht Mainz verurteilt drängelnden Fahrer von drs Mail

Mainz | analogo.de – Vor dem Amtsgericht Mainz wurde heute ein Drängler zu einem einmonatigen Fahrverbot plus 350 Euro Geldstrafe verurteilt. Der Fahrer befand sich zum Zeitpunkt des Drängelns auf Dienstfahrt im Transportbus des Kurierservices und Postdienstleisters drs Mail Hannover und bedrängte den vorausfahrenden Wagen dauerhaft mit einem Abstand von lebensgefährlichen 9,87 Metern. Dem Mann kam zugute, dass er einen Behindertenausweis hatte. Negativ wurde verbucht, dass er bereits mit einem Eintrag im Fahreignungsregister des Kraftfahrt-Bundesamtes geführt wurde. analogo.de berichtet aus dem Mainzer Amtsgericht.

Drängeln auf deutschen Autobahnen wird nur sehr selten geahndet. Auch dieser Fahrer wurde nur durch Zufall von einem zivilen Polizeiwagen gefilmt und dingfest gemacht. In Großbritannien werden für „tailgating“ genanntes Drängeln hohe Strafen verhängt. Wie sieht es in Deutschland aus? Laut Wikipedia muss der vorgeschriebene Sicherheitsabstand nach vorne gemäß § 4 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) mindestens so groß sein, dass beim Bremsereignis des vorausfahrenden Fahrzeugs ein Anhalten ohne weiteres möglich ist. Auch das Mainzer Amtsgericht orientierte sich in seiner Urteilsfindung an der gängigen Faustformel [Mindestabstand] = Tacho x 50%. Der Kurierfahrer hätte gegenüber seinem Vordermann beim Tempo von 112 km/h mindestens 56 Meter Abstand halten müssen. Dies entspricht zum Beispiel rund 11 Wagenlängen eines Audi A8 à 5,14 Meter. Welches Auto auf der Überholspur hält 11 Wagenlängen Abstand?

Der Kurierfahrer der Firma drs Mail ließ seinem Vordermann ganze 9,87 Meter, als er gefilmt wurde. Vor deutschen Gerichten werden Drängler verurteilt, wenn ihr Sicherheitsabstand unter die Formel [Tacho x 30%] fällt. Der Drängler wäre vor Gericht unterhalb 16,80 Meter Abstand – also bei rund drei Audi A8 Wagenlängen – bereits in Schwierigkeiten gewesen. Bei [Tacho x 20%] gehen Gerichte von vorsätzlichem Handeln aus, dass die Drängler also genau wissen, wie sehr sie ihren Vordermann gerade nötigen. Ab 22,40 Meter [112 x 20%] befand sich der drs-Fahrer bereits im vorsätzlichen Bereich. Tatsächlich trieb der Fahrer seinen Vordermann mit einem Abstand von nur 9,87 Meter die A60 in Richtung Darmstadt vor sich her.

Kurz vor der Ausfahrt Mainz-Laubenheim bemerkte eine Zivilstreife mit Videokamera die Tat, filmte den Vorgang von hinten und bremste den Drängler in Richtung Seitenstreifen kurz vor der Ausfahrt Mainz-Laubenheim aus. Vor Gericht bestritt der Mann zunächst gedrängelt zu haben und bezweifelte die korrekte Eichung des Videogerätes. Der Richter zeigte sich vorbereitet und rief als Zeugen einen Sachverständigen der Dekra auf. Die drei Polizeibeamten traten nun als Zeugen auf und spielten das Video vor.

Für die Beweisführung in solchen Fällen ist relevant, dass der Drängler „eine Zeit lang“ gedrängelt hat. Dies war hier der Fall.

Nach der zusammenfassenden Verlesung der Indizien knickte der Angeklagte ein, bat aber um Vermeidung des bevorstehenden Fahrverbots. An dieser Stelle rettete ihn seine Vita. Lange Zeit war er arbeitslos gewesen und zeigte dem Richter seinen Behindertenausweis. Was hätten zwei Monate Fahrverbot für den Mann bedeutet, der gleichwohl zuvor das Leben der Fahrzeuginsassen vor ihm und auch sein eigenes aufs Spiel setzte?

Gerichte wägen bei Fahrverboten ab, wenn sich ein Fahrverbot existenzgefährdend auswirken würde. Fortan schaltete der muntere Amtsrichter während der Verhandlung ein Telefonat zur Betriebsleiterin der Firma drs Mail Hannover und fragte die Vorgesetzte des Mannes, was ein Fahrverbot für das Arbeitsverhältnis bedeuten würde. Die Betriebsleiterin äußerte gegenüber dem Richter, dass der Kurierservice dem Angestellten mit Behindertenausweis kündigen müsste, sofern das Fahrverbot für zwei Monate ausgesprochen würde. Also reduzierte der Richter die Dauer des avisierten Fahrverbots von zwei auf einen Monat, hob dafür die zum Fahrverbot zusätzliche verhängte Geldstrafe von Euro 240 auf Euro 350 an und kündigte zwei Punkte im Flensburger Fahreignungsregister an.

analogo.de meint: Auch in Deutschland werden Drängler verurteilt, aber der hiesige Fall bildet eher eine Ausnahme. Der sporadische Einsatz der in zivilem Fahrzeug befindlichen Beamten war zudem eher dem Zufall geschuldet. Wenn den rechten Fahrstreifen dauerbelegende LKWs mit durchschnittlich 90 km/h fahren, stellt 120 km/h ein durchschnittliches Überholtempo auf dem linken Fahrstreifen dar. Drängler sind häufig mit weitaus höheren Geschwindigkeiten unterwegs. Die Schere zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft manifestiert sich auch im Fahrverhalten auf den Straßen. Dass Drängler so flächendeckend drängeln dürfen, ist neben der Respektlosigkeit in Deutschland an sich und eine Konsequenz der laschen Justiz. Das vorliegende Urteil bildet – wie oben beschrieben – eine Ausnahme. Über den Anteil geahndeter Verurteilungen an den tatsächlich vorkommenden Drängler-Ereignissen kommunizieren Justiz und Statistische Ämter keine Zahlen. analogo.de veröffentlichte für Rheinland-Pfalz zwar die Zahl nachverfolgter Ordnungswidrigkeiten. Hierbei handelt es sich allerdings um nur einen sehr geringen Anteil an allen Vergehen.

Ausblick: Das hektische Weihnachtsgeschäft steht bevor und die großen PS-verstärkten Kurierautos der Paketdienstleister versprechen anderen Autobahnnutzern das Autobahn-Leben zur Hölle zu machen. Nicht wenige dürften sich mehr dieser Polizeiaktionen wünschen. Die Rolle der Kurierdienste sollte ebenfalls stärker erörtert werden. Sind die Arbeitgebervorgaben von DHL, UPS, Hermes & drs Mail so gestaffelt, dass die zu meist niedrigen Löhnen angestellten Fahrer die Arbeitsvorgaben kaum schaffen können? Gefährdet der Profithunger der Paket- und Postdienstleister gar die Sicherheit auf Deutschlands Straßen?

Amtsgerichte decken eine große Bandbreite an Delikten ab. Bildrechte Jan-Mallander 555807_1920