Mainz, Berlin | analogo.de – Obwohl die Stickoxidwerte in der Stadt Mainz ganzjährig 30 Prozent über den Grenzwerten liegen, setzt der Busbetreiber der Stadt eine bemerkenswert veraltete Dieseltechnik bei ihren Bussen ein. Der Bundesverband des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) mahnt in seiner Expertise von Ende August 2016 den rückständigen Modernisierungsplan der Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) an. In seiner Rechercheserie zu den hohen NO2-Werten in Mainz und Wiesbaden hat analogo.de den Verband um Begutachtung gebeten. Der analogo.de LONG READ.
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Die für den öffentlichen Nahverkehr organisations-privatisierte Firma der Stadt Mainz MVG habe bis heute in keinen einzigen Euro VI Bus investiert, obwohl diese bereits seit dem Jahr 2014 auf dem Markt erhältlich seien. Im Ergebnis kommt die Pressesprecherin des VCD, Anja Smetanin zu dem Schluss, dass die Mainzer Busflotte zeitnah erneuert werden sollte, auch wenn die in den Jahren 2000 bis 2010 angeschafften Busse noch eine „Restlaufzeit“ hätten.
Die Wichtigkeit einer modernen Dieseltechnik liegt in den bis zu 1.250 Prozent (!!) höheren NOx– und Feinstaubemissionen der veralteten Technik (siehe unten). Dieselbusse tragen mit ihren Schadstoff- und Lärmemissionen wesentlich zur Umweltverschmutzung in Städten bei. Besonders in ÖPNV-starken Städten wie Berlin oder London beträgt der Beitrag von Dieselbussen an den giftigen Emissionen von Stickstoffdioxid (NO2) Experten zufolge über 50 Prozent. Aufgrund der während des Jahres ständigen Überschreitung der Grenzwerte für NO2 stehen die Städte Mainz und Wiesbaden vor einer Strafzahlung an die Europäische Union.
analogo.de fragt an dieser Stelle: Inwiefern hat der Betreiber des ÖPNV in Mainz in den letzten Jahren mit seinen Investitionen in neue Dieselabgastechnik dazu beigetragen die aktuelle Luftqualität zumindest auf ein erlaubtes und gesundheitlich verträgliches Maß zurückzuschrauben?
VW-Betrug verschärft die Situation
Mit den kriminellen Manipulationen des VW-Konzerns an Dieselfahrzeugen stieg derweil die NO2-Belastung in den Städten exorbitant, denn nicht nur der weltgrößte Autobauer drosselte den Ausstoß schädlicher Abgase auf den Prüfständen mit einer ausgereiften Software. Von Berlin bis Los Angeles wurden die Autos weltweit mit dem vorgegaukelten Abgaswert zugelassen und erhöhten die echten NOx-Werte in den Städten auf ein gesundheits-schädliches Maß. Im Normalbetrieb emittierten die Fahrzeuge höhere Werte als auf dem Prüfstand. Das Kraftfahrtbundesamt spielte mit und die Bewohner der Städte müssen den Betrug mit ihrer guten Gesundheit bezahlen.
Die gesundheitliche Belastung steigt zusätzlich durch das giftige Gas Ozon, welches über komplizierte chemische Reaktionen vornehmlich aus dem giftigen NO2 entsteht. In den letzten Wochen wurde auf bundespolitischer Ebene die Einführung einer Blauen Plakette diskutiert, die nun ausgerechnet den ubiquitären Dieselfahrzeugen die Einfahrt in die Innenstädte gestaffelt verbieten will. Die Stadt Wiesbaden wird LKWs die Durchfahrt durch die Innenstadt verbieten. Doch welchen Anteil haben die ureigenen Busse der städtischen Betriebe am Dieselausstoß und somit an der primären bzw. sekundären Produktion giftiger Atemgase?
Mainzelbahn meets NO2
Der Pressesprecher der Stadtwerke Mainz, Michael Theurer schrieb analogo.de auf Anfrage, dass sich die Dieselflotte der MVG aus 136 Dieselbussen für den regelmäßigen Linienverkehr und 8 älteren Dieselbussen für den Sonderverkehr zusammensetzt. Letztere würden eine geringe Laufleistung aufweisen und nur in Sonderfällen wie für Fußballspiele oder als Notreserve eingesetzt. Wir berichteten ausführlich, auf welche Höhen die NO2-Werte bei sonntäglichen Spielen von Mainz 05 steigen, wenn diese veralteten Busse rund um den Hauptbahnhof versammelte Fußballfans transportieren.
Mit dem Start der Mainzelbahn plant die MVG laut Theurer die Ausmusterung der acht alten Dieselbusse. Obwohl die Stadt Mainz offiziell nie einen Zusammenhang zwischen der Investition in die fast 100 Millionen Euro teure Mainzelbahn und dem Neubau des Fußballstadions zugegeben hat (wir berichteten), wird nun eine direkte Korrelation zwischen Investitionsentscheidung des städtischen ÖPNV-Betriebs und dem Fußballfantransport offensichtlich.
Laut Pressesprecher Theurer sind die Dieselbusse bei der MVG 14 bis 15 Jahre im Einsatz und erreichen dabei eine Laufleistung von über 1 Million Kilometer. Eine lange Laufleistung bedeute auf der anderen Seite eine lange Einsatzzeit, was wiederum eine veraltete Technik bedeute.
An dieser Stelle muss die Frage gestellt werden, ob sich – angesichts hoher NO2-Werte – der große ÖPNV-Betreiber der Stadt leisten kann, auf viele Jahre hin emissionsstarke alte Dieselbusse fahren zu lassen bzw. wie es der VCD bezeichnet, „unter Umweltaspekten einen nicht wegweisenden bzw. fortschrittlichen Stand der Abgastechnik“ vorzuhalten.
Die Flotte
De facto datiert der MVG-Bestand aus den Baujahren 2002 bis 2014. In den letzten beiden Jahren 2015 und 2016 investierte die MVG in keine neuen Busse mehr, da der Fokus auf dem Projekt Mainzelbahn lag. Die Kosten für das Projekt explodierten.
Der veraltete Stand der Abgastechnik und die Bewertung des VCD stellt sich wie folgt dar:
Busse | Abgastechnik | Einsatz | VCD-Bewertung |
31 Dieselbusse | Euro III Norm | Linienverkehr | nicht mehr zeitgemäß |
51 Dieselbusse | Euro IV Norm | Linienverkehr | nicht mehr zeitgemäß |
47 Dieselbusse | EEV-Standard | Linienverkehr | Nicht fortschrittlich, sondern nur ein wenig besser als Euro IV – und – schlechter als Euro VI, den es eben seit 2016 gibt. |
6 Dieselbusse | nachgerüsteter Bus (ehemals Euro 2) | Linienverkehr | |
1 Diesel-Hybridbus | nachgerüsteter Bus (ehemals Euro 2) | Linienverkehr | „Alibibusse braucht es nicht!“Ein Hybrid ist auch ein Dieselbus. |
8 Dieselbusse | Alte Modelle | Sonderverkehr |
Der Pressesprecher der Stadtwerke schrieb unserer Redaktion, für das Jahr 2017 sei durch den Straßenbahnausbau eine Reduzierung des Gesamtbestandes auf 128 Fahrzeuge geplant. Danach verzeichne die MVG einen Anteil von über 30 Prozent Elektromobilität. Zudem wolle die MVG sechs Dieselbusse mit „voraussichtlich“ Euro 6 beschaffen. Darüber hinaus sieht sich die MVG nicht in der Lage eine Aussage über die technische Entwicklung des Fuhrparks zu machen.
Positiv erwähnt haben möchte der Sprecher der Stadtwerke den eingesetzten Hybridbus und die aktive Bewerbung der MVG bei einem EU-Fördervorhaben für Brennstoffzellenbusse. Zudem beobachte man die Entwicklung im Bereich der Batteriebusse und reagiere entsprechend auf Entwicklungen. Der Fuhrpark werde kontinuierlich den seit Jahren steigenden Fahrgastzahlen angepasst. So verzeichnete die MVG seit dem Jahr 2001 einen Fahrgastzuwachs von knapp 20 Prozent. In der Großstadt Mainz mit seinen rund 210.000 Bewohnern verzeichnete die MVG im Jahre 2015 52 Millionen Passagiere und bis zum Jahre 2020 rechnet man gar mit 55 Millionen Passagieren.
1.250 Prozent mehr Stickoxide
Der Verkehrsclub VCD hält den Stand der Abgastechnik der MVG für nicht zeitgemäß und empfiehlt konkret die 82 Busse der Kategorien Euro III und IV Stück für Stück aus der Flotte herauszunehmen. Auf keinen Fall sollten weitere Busse dieser zwei Kategorien in die Flotte integriert werden, so die Pressesprecherin. Auch die 47 Busse mit EEV-Standard seien nicht fortschrittlich, sondern nur ein wenig besser als Euro IV – und – schlechter als Euro VI, den es aber seit dem Jahre 2016 zu erwerben gibt. Insbesondere unter dem Aspekt von hohen Stickoxid- (NOx) und Feinstaubwerten würden Deutschlands Städte in der Regel nur neue Euro VI Busse bestellen. Der VCD rechnet vor:
Abgastechnik | NOx | Feinstaub PM |
Euro III | 5.000 mg pro kWh | 100/160 mg pro kWh |
Euro IV | 3.500 mg pro kWh | 20/30 mg pro kWh |
Euro VI | 400 mg pro kWh | 10 mg pro kWh |
Ausgehend von der Euro VI-Norm mit 400 mg pro kWh emittiert ein alter in Mainz eingesetzter Dieselbus mit Euro III-Norm 1.250 Prozent bzw. 12,5mal mehr Stickoxide. In Zahlen 5.000 Milligramm. Die Reduktion von Feinstaub und Stickoxiden ist durch eine modernere Technik also eindrucksvoll darzustellen.
Es stellt sich die Frage, warum die Mainzer Verkehrsgesellschaft der Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger seit Jahren diese veraltete Technik zumutet. Wie Pressesprecher Theurer andeutet, lief ein Großteil der Investitionen in den städtischen Nahverkehr in das Megaprojekt der Mainzelbahn – anstatt in neuere Busse. Da in Mainz aber gleichzeitig die Stickoxidwerte für gesundheitsgefährdende Höhen sorgten, hätte die MVG aus Gesundheitsaspekten bereits vor vielen Jahren in die moderne Bustechnik investieren müssen. Ergo zahlen die Bewohner von Mainz seit Jahren mit Einbußen ihrer Gesundheit – zugunsten eines in der Zukunft liegenden und finanziell ausufernden Projektes namens Mainzelbahn.
Von der Gegenwart in die Zukunft
Die verpassten Investitionen der MVG in eine neue Bustechnik könnten schon bald einen neuen Dämpfer erhalten. Denn kommt die Blaue Plakette, erhalten höchstwahrscheinlich nur Busse ab Euro VI Einfahrt in die Umweltzone bzw. Geltungsbereiche der Blauen Plakette. Nicht nur aus diesem Grunde sollte die MVG in den nächsten Jahren dringend ihre Flotte umstellen. Zumindest, so der VCD, müsse man „nachrüsten, nachrüsten, wo es gehe“.
Enthüllende Kritik kommt zu guter Letzt: Dass die MVG nur 5 % ihrer 136 Busse nachgerüstet habe, sei wenig. Brennstoffzellenbusse seien zudem derzeit aus VCD-Sicht keine Option, da es kaum Tankstellen gebe. Der eingesetzte Wasserstoff sei nur dann klimaschonend, wenn er zu 100 Prozent aus regenerativem Strom erzeugt werde. Dazu benötige man aber erst einmal mehr regenerativen Strom. Aber dass die MVG einen einzigen Hybridbus angebe, lasse nur eine einzige Antwort zu: Alibibusse braucht es nicht! Hybridbusse können zwar ein Übergang hin zur Elektromobilität sein, am Ende entbehren Hybridbusse als Dieselmotorbusse nicht der Notwendigkeit, dass die Abgasreinigung auch zu 100% funktioniert.
Fazit: Die zeitlich-örtlichen Korrelationen zwischen Stadionbau und Entscheidung zum Mainzelbahnprojekt erhalten über die Stickoxid-Diskussion eine neue Perspektive. Die Gesundheit der Einwohner von Mainz und Wiesbaden hat auch durch den nun schon jahrelangen Einsatz emissionsstarker weil veralteter Dieselbusse auf unnötige Weise gelitten. Die Verpestung der Luft durch die Infrastrukturentscheidungen der MVG erfolgte nicht zufällig. Selbst die Investition in neue Euro VI Busse möchte die MVG nicht versprechen, sondern plant dies nur als „voraussichtliche“ also noch nicht bestimmte Maßnahme. Um es mit den Worten des VCD zu sagen: Alibibusse braucht es nicht!
Ausblick: In Anbetracht einer verschlafenen Dieselinvestitionspolitik, woher wird die Stadt Mainz die dringend benötigten und geschätzten zehn Millionen Euro für das Aufstocken der Euro VI-Flotte nehmen, die man quasi über Nacht wird investieren müssen, sollte der aus Gesundheitsgründen erwartbare Zwang zur Blauen Plakette über Brüssel und Berlin doch noch beschlossen werden?