Johannesburg | analogo.de – Desmond Tutu, ehemaliger Erzbischof aus Südafrika, ist 90 geworden. Ein hochgeschätzter Mann, der an der Seite von Nelson Mandela die südafrikanische Bevölkerung zum Frieden untereinander aufrief, und sich für Minderheiten und sozial benachteiligte Menschen einsetzte. Schon in frühen Jahren hatte er als aufgeschlossener Vater seine Kinder ohne Wenn und Aber unterstützt – als sich andeutete, dass seine Tochter Mpho Andrea und möglicherweise sein Sohn Trevor Thamsanqa offenere sexuelle Neigungen hatten. Der Kampf der Familie Tutu für neue gesellschaftliche Normen strahlt bis heute in entferntere Winkel dieser Erde.
Am Ende einer langen Nacht traf ich Trevor vor 23 Jahren in einer Johannesburger Bar. Der Geburtstag von Papa Tutu ist Anlass für analogo.de, anhand einer persönlich erlebten Episode mit Trevor eine Lanze für Schwule, Lesben, Bixexuelle und Transgender zu brechen.
Lesezeit: 4 Minuten
Gemeinsam mit Trevors Freund Bushy waren meine Frau und ich um die Häuser des nächtlichen Johannesburgs gezogen. Wir befanden uns gerade auf einer zweijährigen Weltreise. In Johannesburg organisierten wir uns einen gebrauchten 240 PS Allrad Nissan Safari V8 mit Seilwinde, mit dem wir am Ende in sieben Monaten 20.000 Kilometer durch das südliche Afrika fuhren. Bushy stammte aus Namibia, betrieb im Stadtteil Observatory das Gästehaus Explorer’s Club und bereitete uns auf das Abenteuer Afrika vor. Jahre später wurde der Explorer’s Club zweimal überfallen. Beim ersten Mal vergewaltigten die Banditen eine Norwegerin, die Gast in Bushys Unterkunft war. Beim zweiten Mal verletzten sie Bushy mit einer 20 Zentimeter langen Schnittwunde auf dem Kopf, weil er verzweifelt seine Gäste schützen wollte.
Doch in jener Nacht im Jahre 1998 erleben wir eine große Freundlichkeit der Einheimischen. Zusammen mit Bushys Freunden starten wir stilvoll afrikanisch in einem äthiopischen Restaurant, ziehen von einem Club in den nächsten, staunen über hunderte Schwarzafrikaner, die im Kreis zur Discomusik auf der Stelle hüpfen (in der Mitte die Handtäschchen der Ladies). Auf einer Dachterrasse wird meine Frau galant auf ein Stündchen Billiard eingeladen. Außer Bushy sind wir die einzigen Weißen.
Es macht Spaß, mit ihm zu spielen. Schnell begreifen wir, dass all diese Leute nicht verbissen auf einen Sieg aus sind, sie wollen sich einfach nur gut unterhalten, und es ist egal, wie gut oder schlecht einer spielt. Die schwarzen Jungs haben Manieren, keiner macht die Frau in ihrer Mitte dumm an.
Morgens um drei Uhr landen wir in einem Restaurant. Bushy stellt uns zwei weiße Nachtschwärmerinnen vor. Die eine weizenblond mit Franzosenkappe, die andere dunkelhaarig – so um Anfang 40. Sie sind ziemlich betrunken, eine aggressive Ausstrahlung ist spürbar. Bushy erzählt, die Blonde sei eine reiche Jüdin und stehe wohl auf schwarze Männer. Die Ladies sind zwar überschwenglich zu uns, treten aber unangenehm dominant auf. Zum Glück setzt sich ein junger Schwarzer zu uns, der sich mit dem Namen Sipho vorstellt und die beiden etwas abdrängt.
Irgendwann wechseln wir in die nächste Bar. Es ist vier Uhr morgens und am Tresen treffen wir auf Erzbischof Tutus Sohn Trevor. Das Gesicht ganz der Papa. Der Jung ist fröhlich beschwipst, im Arm die Weizenblonde mit dem Franzosenkäppchen und die Dunkelhaarige – gekleidet mit einem Leopardenfell. Lautstark begrüßt er Bushy und will uns allen gleich ein Bier ausgeben.
Bushy erzählt, eigentlich sei Trevor „stockschwul“, die Flirterei mit diesen Maiden wohl nur Tarnung und Trevor das „schwarze Schaf“ seiner Familie. Er habe auch schon einmal wegen Betrugs im Gefängnis gesessen. Was ist die Welt doch so klein und menschlich. Wir sind müde und wollen nach Hause, auch wenn Tutus Sohn uns noch unbedingt einen Drink spendieren will. Okay, einen Drink – der große kräftige junge Mann (vielleicht 40 Jahre?) noch immer in Feierlaune. Geistreiche Gespräche sind bei dem Alkoholpegel eh nicht mehr möglich, aber die ganze Atmosphäre macht einfach Spaß und Trevor sprüht vor Charme und Charisma.
Jahre später heiratet Trevor eine Frau, wird Vater von drei Kindern. Eines davon, Natasha Thahane, wird später L’Oréal/Garnier-Model. Ob Trevor wirklich schwul oder bisexuell war, ist uns reichlich egal. Was zählt, ist der Mensch.
Manchmal ist es hart, einfach Mensch sein zu dürfen
Leider gibt es immer noch weit verbreitete Feindlichkeiten gegen Menschen, die eben nicht so stereotypisch einfach zuzuordnen sind. Im gesellschaftlichen Spektrum tummeln sich diese Menschenfeinde oft in den Parteien CDU, CSU, FDP und AfD. Fundamentalisten in diesen Parteien sind der Auffassung, dass Schwulsein oder gar eine offen gelebte bisexuelle Neigung etwas Unnatürliches ist. Desmond Tutu wusste genau, warum er nicht nur persönlich kein Parteibuch hatte, sondern sogar versuchte, Kirchenmitglieder generell von einer Parteimitgliedschaft abzubringen.
Auch Erzbischof emeritus Tutus Tochter Mpho ist bzw. war Männern und Frauen zugleich zugeneigt. Vor wenigen Jahren heiratete Mpho Andrea Tutu die Niederländerin Marceline van Furth. Für Papa war die Heirat nicht nur kein Problem, sondern Papa war zu diesem Zeitpunkt längst zu einem der größten Fürsprecher in der Institution Kirche geworden, alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Neigung zu integrieren.
De facto diskriminieren nicht nur katholische und protestantische Kirchen weltweit Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender, sondern vehement auch Regierungen wie diejenigen in Polen, Russland, Südkorea, Israel, Indien und in muslimischen Ländern. Die evangelische und katholische Kirche in Deutschland mögen es nicht gerne hören, aber in ihren Ansichten sind sie vor allem der AfD sehr nahe.
Papa Desmond schaffte es zwar nicht zu verhindern, dass Mpho wegen ihrer sexuellen Neigung ihre Priesterlizenz verlor. Die anglikanische Kirche erlaubte ihm aber, seiner Tocher zur Hochzeit den väterlichen Segen zu erteilen.
Die Grenzen von Homosexualität zu Heterosexualität sind oft fließend. Bevor Mpho sich mit Marceline vermählte, war sie mit einem Mann verheiratet, mit dem sie zwei Kinder hat. Bei Mphos Bruder Trevor Thamsanqa schienen die Grenzen ebenso fließend zu sein.
Mit Charme, Menschenliebe und Mut hat Desmond Tutu wesentlich zur Beseitigung der Apartheid und zum Frieden in Südafrika beigetragen. Dass Tutu dabei zur selben Zeit wie Nelson Mandela gewirkt hat, ja mit ihm in Teilen ein wahres Duett bildete, darf als einer der Höhepunkte erlebbarer Geschichte im 20. Jahrhundert verstanden werden. Über all die Jahre hat sich der das „Gewissen Südafrikas“ genannte Menschenrechtler um den Ruf verdient gemacht, frei heraus zu sagen, was er denkt, und doch in sensiblen Momenten den richtigen Ton zu treffen.
Tutu gab mit seiner Art den Weg vor, moralisches Handeln zu kommunizieren. Geleitet war er dabei stets von den Werten Gerechtigkeit, Würde und Frieden, die auf seine tiefen theologischen Überzeugungen zurückzuführen sind. In diesem Sinne ist die Akzeptanz von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern (oder wie auch immer man sie nennen mag) ein Akt des Friedens, der Würde und Gerechtigkeit. Im Umkehrschluss gilt auch, dass die Nicht-Akzeptanz von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern ein Akt des Menschenhasses, der Würdelosigkeit und Ungerechtigkeit ist. Manchmal ist es hart, einfach Mensch sein zu dürfen.
analogo.de gratuliert Desmond Tutu zum 90. Geburtstag.
