Ukrainoide Kriegsbilder und Opernstar Jonas Kaufmann bei Verdis Oper Aida im Münchner Nationaltheater – ein Beitrag zum UNESCO Weltfamilientag 2025

München | analogo.de – An einem irritierenden Opernabend im Münchner Nationaltheater verstärkt die Bayerische Staatsoper überprägte Horrorbilder des Ukrainekrieges. Dazu nutzt es eine Aufführung von Guiseppe Verdis Oper ‚Aida‘ mit Tenor Jonas Kaufmann in der Hauptrolle, aufgeführt am 21. April 2024. Anlässlich des heutigen UNESCO Weltfamilientages 2025 blicken wir zurück auf diese Aufführung. Denn in der Oper Aida tritt ein typisches Familiendrama zu Tage, das Phänomen der Erpressung von Kindern durch ihre Eltern. Die Königstochter Aida wird von ihrem Vater erpresst, sie müsse dem Vaterland zuliebe die Liebe ihres Lebens aufgeben, der auch noch für den Feind kämpft. In hunderten Millionen Familien nehmen Vater und Mutter eine territoriale Rolle ein. Familie, Gruppe, Gesellschaft, Nation und Staat teilen ein und dasselbe Problem: Sie schaffen ungute Identifikationen. analogo.de war bei der Aufführung live zugegen. Wir berichten im Rahmen unserer Serie Klassische Musik in großartigen Konzert- und Opernhäusern in Zentraleuropa. Ein ANA LOGO Long Read.

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Im Werte-Index von 2016 nahm die Familie nur Rang 6 ein, weit abgeschlagen hinter Gesundheit, Freiheit, Erfolg, Natur und Gemeinschaft. 2014 fühlten sich die Menschen in Deutschland anscheinend noch sicher, Sicherheit als Wert stand abgeschlagen auf Platz 10. Nach den Masseneinwanderungen ab 2015 und den damit einhergehenden Anstiegen an Morden und Gewalttaten stieg die Sicherheit 2023 auf Platz 4 und die Familie auf Platz 3. Familien können Schutzbedürfnisse befriedigen.

Familie ist also wieder in. Die Soziologie sieht die Familie als ein mit Idealen angehäuftes Gebilde, die als eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft mindestens zwei Generationen umfasst. Die UNESCO sieht die Familie als Grundeinheit für Gesellschaft und Staat und widmet ihr daher einen jährlichen Gedenktag. Indirekt sei eine funktionierende Familie ein Pfeiler für Schutz, Gesundheit, Sozialisation, eine erfolgreiche Bildung und daher insgesamt gut für den Frieden.

Die Wirklichkeit sieht aber meist anders aus: Familien sind eine Keimzelle von Wettbewerb und Krieg, vor allem in Familien mit starken Männerrollen. Guiseppe Verdi hatte einen übermächtigen Vater, so dass er in seinen Opern oftmals ein Bild malte, wie verständnislose Eltern ihre Kinder im Griff haben. In seiner Oper Aida hat die äthiopische Königstochter Aida dieses Problem mit ihrer Familie. Sie lässt sich von Vater und Vaterland erpressen. Der strenge gesellschaftliche Zwang lässt sie und ihren Geliebten daran scheitern, ihr Glück zu finden.

Der Gedanke eines starken Staates ist en vogue. Für starke Staaten braucht man starke Armeen. Staaten sind Männerstaaten, sagte die Pazifistin und Feministin Lida Gustava Heymann. Der Ukrainekrieg ist ein aktueller Beleg für die Renaissance von Nationalismus. Kaum ein Tag vergeht, an dem der blutrünstige Ukraine-Präsident Volodymyr Selenskyj nicht breitbeinig-machomäßig im Fernsehen zu sehen ist.

Die Kriegspropaganda in Deutschland läuft auf Hochtouren, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bekräftigt, seine Partei sei die Partei der Bundeswehr. Deutsche wollen wieder für ihre Werte in den Krieg ziehen, und damit das seelisch zu verkraften ist, versucht man mit Metaphern, diese Kriegslust den Menschen zu erklären.

Die Kriegsversessenheit reicht nun bis in den deutschen Kulturbetrieb. Am Münchner Nationaltheater kommt die Frage auf: Sind Opernaufführungen in Deutschland jetzt große Kriegsbühne, weil die Realität vom Krieg dominiert scheint? Wenn der Krieg gesetzt ist, wieviel Kunst bleibt dann noch? Die politische Agenda der Bayerischen Staatsoper scheint mit der Kriegslust der deutschen Eliten einherzugehen. Immerhin verdienen deutsche Konzerne hunderte Milliarden am Kriegsgeschäft, und große Teile des Geldes geben die Konzerne an die Kunstszene weiter.

Die Bayerische Staatsoper nimmt als Metapher die noch vor Carmen und La Bohéme beliebteste Oper überhaupt, Aida, eine Kriegs-, Liebes- und Familiengeschichte aus dem alten Ägypten. Schnell entnimmt man die Botschaft: Über all die Jahrtausende sind wir Menschen so gleich geblieben, nichts wird sich ändern, Menschen wollen immer Krieg.

Am Abend des Geschehens spielt Jonas Kaufmann den ägyptischen Feldherrn Radamès, der sich in die äthiopische Sklavin Aida verliebt. Doch Äthiopien und Ägypten liefern sich einen Krieg. Aidas Vater Amonasro ist der König von Äthiopien und fordert von seiner Tochter Vaterlandstreue. Notfalls werde er sie verstoßen. Man könnte den Vater (Amonasro) mit Ukraine-Präsident Selenskyj ersetzen. Dieser lässt international nach ukrainischen Männern zwischen 25 und 60 Jahren suchen, damit er sie im Krieg gegen Russland verpulvern kann. Ukrainische Menschenjäger sind auf der Jagd nach denjenigen, die sich dem Bürgerregister entziehen. Hauptsache, später weht wieder die Flagge der Ukraine über den Palästen. 

Ukrainische Flagge weht über Großbritanniens Finanzministerium (2024), während ukrainische Menschenjäger in Europa auf die Jagd nach ukrainischen Männern gehen, die sich dem Bürgerregister entziehen, um nicht im Krieg fürs Vaterland verheizt zu werden. Hauptsache, später weht wieder die Flagge der Ukraine über den Palästen. Bildrechte: Rainer Winters

Die archaischen Muster sind dieselben. Alles fürs Land = Alles für die nationale Gemeinschaft = Alles für die Familie. Wenn ‚der Pate‘ ruft, bist Du verpflichtet, ihm Treue zu leisten. Dafür hat Dich der Pate vorher beschützt, hat Dir Straßen gebaut, Dir eine kostenlose Schulbildung ermöglicht, damit Du die Sache der Nation mehren kannst. Der Preis für Dein Leben.

Das Problem ist nur: In Aida liebt die Frau den vermeintlichen Feind, Radamès. Ist Liebe nationenfähig? Sollte man Liebe verbieten, weil sie das Staatswohl gefährden könnte? Aida gibt der Erpressung ihres Vaters nach und versucht, ihren Geliebten dazu zu bewegen, mit ihr in ihre Heimat Äthiopien zu flüchten. Am Ende sind beide verloren, Aida und Radamès sterben in Gefangenschaft, aufgerieben im Kampf und Selbstverständnis der verfeindeten Staaten Ägypten und Äthiopien.

Aida steht hier in einer Reihe mit Frauen in den Opern La Traviata, Luisa Miller und Rigoletto. Wie ein typisierter Mafia-Pate glauben diese Väter, dass ihre eigene Tochter verführt wurde, weggeführt von der Familie, von der Nation, vom Staat und von der Demokratie. Wenn ihre Kinder selbstständig bzw. abtrünnig werden, sehen nicht wenige Eltern ihre Macht schwinden. Ihre Kinder sind nicht mehr die Ritter ihrer Burg, sondern kämpfen nun für eine andere Sache, nämlich für ihre eigene neue Familie. Oft ist die Enterbung der Treulosen die Folge.

Aidas größte Tragödie liegt in der Preisgabe ihrer Liebe. Auf der Habenseite bleibt ihr die Aussicht auf Rückkehr in ihre geliebte Heimat und in den Vaterschoß. Wäre sie nicht am Ende mit ihrem Geliebten umgekommen, hätte der Vater erneut Macht über sie ausgeübt.

Nationen und Staaten haben die Angewohnheit, ihre Bürger wie Soldaten zu sehen, zu uneingeschränktem Gehorsam verpflichtet. Was kann ein Mensch schon dafür, auf einem bestimmten Stück Boden geboren zu sein, um das eine Grenze gezogen wurde, die nach außen mit Waffen verteidigt wird? Kaum im Land, kaum auf Erden, fordert die staatliche Gewalt Unterwerfung, Steuerpflicht, Wehrpflicht, Demokratiepflicht und Zensurakzeptanz.

Staaten üben zu viel Gewalt aus, wo es doch angebracht wäre, den Menschen zunächst Rechte einzuräumen und ihnen im zweiten Schritt Pflichten aufzuerlegen. Den meisten Menschen dürfte es egal sein, wie das Land heißt, in dem sie leben, Hauptsache sie leben gut.

Dennoch geben sich Staaten immer mehr wie exclusive Clubs. Wer einzahlt, darf bleiben. Anerkannter Bürger eines Landes zu sein, ist der Traum vieler Millionen Menschen. Die Prinzipien von Geburtsort und Abstammung wirken für das Anrecht auf Bürgerschaft stärker als eine Ehrenbürgerschaft oder Bürgerschaft durch Anheiratung.

Fast alle Regionen dieser Erde bringen mit aller Regelmäßigkeit Eliten hervor, die das Bild eine Nation und eines Staates betonen, dem sie selber als Regierungsmitglied vorstehen, weil sie im Zweifel für die Souveränität dieses Gebildes Gewalt angewendet haben. In Familien sind die Wege kürzer, der Vater als Pate oder die Mutter als Patin sind schnell identifiziert.

Die staatliche Gewalt mag es ebenso wenig wie Eltern, wenn ihre untergebenen Bürger bzw. Kinder sie abwerten. Deutschland steckt seine Bürger nach § 90a des Strafgesetzbuches bis zu drei Jahren hinter Schloss und Riegel, wer die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder verunglimpft. Wer am System Kritik übt, kommt auf die Liste.

Kinder = Sündenböcke

Eltern machen es mit ihren Kindern ähnlich. Schnell werden sie erpresst, herabgewürdigt, ihnen der Schutz und die Unterstützung versagt, sie werden als Sündenbock verunglimpft, ja nicht selten werden Kinder von ihren Eltern vorsätzlich geschädigt. Vor allem trifft Frauen mit fundamentalistisch-muslimisch geprägten Eltern und Brüdern die Rache der Familie. Sie können dem Clan kaum entkommen, selbst wenn sie nicht mehr Teil dieses Clans sein wollen. In die Frauenhäuser Deutschlands flüchten sich jährlich tausende solcher Frauen.

Wie konnten die Kinder auch die Ehre von Vater, Mutter und Familie beschmutzen? Warum nur setzte die Frau eine Fahne vom Stadtstaat Hamburg in Flammen? Warum verbrennen Palästinenser israelische Flaggen? Wann verletzt man eine Ehre? Wenn Deutschland die halbe Welt mit tötenden Waffen beliefert, und man dann eine Bundesflagge in Hamburg verbrennt? Im Zweifel wird die Staatsgewalt diese Frau bestrafen, weil die Staatsgewalt meint, das Recht dazu zu haben. Aidas Vater Amonasro erpresst seine Tochter mit einem Misstrauensvotum: ‚Und Du nennst Dich meine Tochter …‘

Der Staat will einen Präzedenzfall schaffen, ein Abschreckungsbeispiel, ein gezieltes Opfer wird auserkoren, damit es keine Nachahmer gibt. Nach dem Philosophen René Girard hat die Religion ihren Ursprung im Prozess der gezielten Bestrafung oder des Auserkorens eines Schlachtopfers, mit dem Ziel, weiteres Unerwünschte zu unterdrücken.

Die Gesellschaft ist derweil von den Geschehnissen überfordert, lässt die strukturelle Gewalt zu und legitimiert sie damit. Die Schädigung ist legitimiert, die Outgroup zementiert. Die Beteiligten sehen sich als ohnmächtige Beobachter, dem Geschehenen strukturell ausgeliefert. Mit Amonasros Worten an Aida im dritten Akt: ‚Sie zeigen auf Dich und rufen: Wegen Dir stirbt das Volk.‘

Die eigentliche Macht in diesen Strukturkomplexen haben diejenigen Drahtzieher, die den Beteiligten den Sündenbock schmackhaft machen. Beteiligte bilden eine Gruppe, und Gruppen haben immer Recht. Häufige Schmackhaftmacher sind Journalisten, religiöse Würdenträger sowie Politiker und Beamte, die ganz besonders von dem gewaltbasierten System profitieren, welches sie anführen. Wokisten in öffentlich-finanzierten Musiktheatern laufen in Gefahr, diese Sündenbockbilder durch ihr Theater zu verstärken.

Gerade weil Verdi gegen die damals übliche Monarchie war, stieg sein Ruhm beim Volk. Heute würden die Eliten in Deutschland Verdi als Querdenker oder Revolutionär denunzieren und ihn vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Verdi wollte mit seiner Musik nicht zu den intellektuellen Eliten sprechen, sondern zu den Massen. In München wäre er dazu wahrscheinlich eher in die Aida-Aufführung in der Münchner Olympiahalle mit all seinem afrikanisch-exotischem Elefantenprunk gegangen als in die Bayerische Staatsoper mit seinen dauergrauen Kriegsbildern.

Am Geld hat es jedenfalls kaum liegen können, dass die Bühne so minimalistisch-trüb war. Dem Anspruch einer Ausstattungsoper mit viel Pomp & Circumstances genügte diese Inszenierung jedenfalls nicht. Bei allem Wokismus fehlte an diesem Abend nur noch der Aktivist, der während der Vorstellung eine Ukrainefahne am Podium anbringt.

Genug der Einleitung, kommen wir zur Vorstellung. 

Das Drama des Abends sei wieder anhand unserer berühmten #Erlebnisschnipsel erzählt.

Los gehts:

0. Die Vorstellung ist ausverkauft, über 2.000 Gäste in einem Haus, selbst die Stehplätze im vierten Rang sind gefüllt, die Tickets kosten teilweise mehr als 200 Euro.

0. Das Libretto führt den kompletten italienischen und deutschen Text auf. Super Service!

0. Gesungen wird auf Italienisch, Infotafeln übersetzen den Originaltext ins Deutsche, im Parkett rechts am Überhang hängt eine kleine Infotafel, kaum größer als an Flugzeugsitzen, die Übersetzung kaum lesbar. Ein Nachblättern im Librettoheftchen erscheint als bessere Lösung, dem Text zu folgen.

Erster Akt ——————-

1. Betonwände auf der Bühne, eine ausgebombte Turnhalle, Einschlaglöcher in der Decke, graue Figuren kauern am Boden. Singend beraten Bass Vitalij Kowaljow als Oberpriester Ramfis und Tenor Jonas Kaufmann als Feldherr Radamès, wer wohl Heerführer gegen die Äthiopier wird.

Bombeneinschläge in Turnhalle. Tristes Bühnenbild in Verdis Oper Aida 2024 am Nationaltheater München. Bildrechte: Wilfried Hoesl

2. Jonas Kaufmann mit der berühmten Arie ‚Celeste Aida‘, der Übergang von der Vorszene ist abrupt und nüchtern. Das Ganze wirkt ein wenig formal. Wo bleibt das Theatralische? Schließlich besingt der Geliebte seine Aida als göttliche Schöpfung, als mystischen Kranz aus Licht und Blumen. Kaufmann müsste es können, als vielseitiger Tenore Assoluto, hat er den Radamès doch schon in Paris, Rom, Neapel, Wien und in der Arena di Verona gesungen. Oder ist das der Selbstverstärkungseffekt der Horrorinszenierung, wo die Liebenden auf der Bühne ein schlichtes blaues Hemd zur Jeans tragen und das Grau des Krieges selbst die Liebeserklärungen verschluckt?

3. Verdis Trompeten erklingen, die Trompetenklänge ein Alleinstellungsmerkmal, für manche der Hauptgrund eines Aida-Besuches.

4. Der König Alexandros Stavrakakis tönt im Bass: ‚Ein wichtiger Anlass führt uns zusammen, versammelt Euch um euren König heut, Ägypter.‘ Alexandros Stavrakakis in Szene wie Robert Habeck: Glatt, gesichtlos, mit ernster Botschaft. Der Bayerische Staatsopernchor grandios.

5. Der Chor mit fast 40 Leuten auf der Bühne. Starke Performance: ‚Krieg und Tod dem Feind.‘ Aber es ist laut im Nationaltheater. Zu laut. Schall, Pauken …

6. Sopranistin Elena Guseva als äthiopische Sklavin Aida jetzt in blau und gesichtslos, ihre Stimme dringt kaum ins Auditorium, als ob die Bühne ihr eigener Echoraum bleibt.

7. ‚Allmächtiger Gott Ptah!‘ Exotische Melodien, schließlich sind wir in Ägypten. Gelbes Licht, Harfe, Oboe, Klarinette, Horn, Chor. Gut dass die Theatermacher zumindest die Musik so lassen wie sie komponiert wurde.

8. Gesichtlosigkeit und glatte Flächen, wo man hinschaut. Am Ende ist niemand für den Krieg verantwortlich. Alles ist gleich, farblos, ohne Struktur, ohne Form, ohne Grenze. Nihilistischer Kommunismus.

9. Jonas Kaufmann in Kampfuniform. Ist es die ukrainische? Jetzt leert der Soldat Papierschnipsel aus seinen Kampfstiefeln. Oder ist es die Asche, die von der Decke in die Stiefel fiel, die die Toten nicht mehr brauchen. Eben fiel schon einmal Asche, schwarze Papierschnipsel. Weil in diesem Ukrainekriegsszenario alles zu Asche wird?

Tenor Jonas Kaufmann als Feldherr Radamès in Oper Aida 2024 am Nationaltheater München. Bildrechte: Wilfried Hoesl

10. Jamie Barton als ägyptische Königstochter Amneris zur feindlichen Aida: ‚Das Los der Waffen war für die Deinen unheilvoll.‘ Im Fortissimo erscheint Bartons Mezzosopran wie eine männliche Stimme.

11. Die Lichteffekte von Allesandro Carletti sind zwar nicht schlecht, sie können aber nicht kompensieren, was Kostüme und Bühnenbild seiner italienischen Kollegen Carla Teti und Paolo Fantin vermissen lassen.

12. ‚Gloria, gepriesen sei Ägypten.‘ Es ist einfach kein schönes Bühnenbild, wenn graue Anzüge in einer ausgebombten Turnhalle singen.

Zweiter Akt ——————-

13. Radamès kehrt mit seiner ägyptischen Armee siegreich aus Äthiopien zurück. Verdis berühmter Triumphmarsch unter Verwendung von sechs Verdi-Trompeten. Die Trompeter stehen links und rechts flankiert in den unteren Logenseiten. Eindrucksvoll, aber vor dem Hintergrund des grauen Szenarios hätte die Bayerische Staatsoper auch noch auf die goldfarbenen Trompeten verzichten können.

14. Jetzt werden die Invaliden geehrt. Sie tragen Anzüge und rollen mit ihren Rollstühlen auf die Bühne. Ein Invalide auf Krücken erhält eine Medaille. ‚Wenn die Liebe zum Vaterland ein Verbrechen ist, dann …‘. Tja, jede staatliche Einheit, jedes Volk und jeder Stamm hat einen Gründungsmythos, der auf irgendeiner Gewalttätigkeit beruht, sagt Peter Stein. Nazis wie Israelis, sie kämpften für ihre (neue) Heimat und töteten dafür. Welchen Wert hat schon der Götze Demokratie, wenn man zur Erreichung von Demokratie Tausende Menschen tötete? Als ob die heilige Kuh des 21. Jahrhunderts als Staatsform funktionieren würde.

15. Die Bühne wird durch einen Tüllvorhang geteilt. Links stehen die Schauspieler, rechts wird ein Film gezeigt. Blut trieft von der Lippe eines Soldaten, der an Ernst Stavro Blofeld aus James Bond erinnert.

16. Jetzt singt der Chor schon wieder. Großes Verdi-Kino. Verdi verstand sich als paesano, als Bauer, als einfacher Mensch unter Vielen. Der Chor ist eine Gruppe, das Volk. Die Gruppe hat immer Recht.

17. Der Bayerische Staatsopernchor jetzt kraftvoll wie eh und je. Mit Jonas Kaufmann als Duettpartner: ‚Was bleibt mir?‘ Kaufmann verblasst angesichts der Lautstärke des Chores. Wollten sie sich ergänzen oder sollte der Chor gewinnen?

18. Jetzt geht es zweimal aggressiv zu: Auf der Bühne steht Jonas Kaufmann im Soldatenkostüm. Und neben uns sitzt eine Frau mit einem Parfum so scharf wie eine geladene Maschinenpistole. Kriegssynapsen.

19. Die trostlosen Arbeitshemden auf der Bühne: Kaum auszuhalten.

Dritter Akt ——————-

20. Ein Highlight des Abends: Elena Guseva mit der berühmten Nilarie ‚O patria mia‘ bzw. ‚Qui Radamès verra!‘, hierher wird Radamès kommen, was wird er mir sagen? O Vaterland, ich seh‘ dich nimmerdar.‘ Bravorufe, Bravo, Bravo. Vaterland und Vater sind austauschbar, Aida vermisst beides. Vom Vater, König und Vertreter des Vaterlandes, lässt sie sich erpressen. Was Blutszugehörigkeit nicht alles anrichtet?

Menschen haben dieselben Eltern, in ihnen fließt ein ähnlich geerbtes Blut, dieselbe Abstammung, vom gleichen Stamm, blutsverwandt und am selben Ort geboren, denselben Duft des verdunstenden Nilwassers gekostet, nacer das spanische geboren werden, nacio, natio die lateinische Gemeinschaft mit Menschen gleicher Herkunft, Nation, National, geboren im gleichen Wohnort, gewohnt im selben Haus, dem lateinischen domicilium, wo der Hausherr das Haus baute und sich dafür das Recht herausnimmt, dort dominant zu sein, die Kämpfer für das Haus die Nationalhelden.

Verdi war ein italienischer Nationalheld, als sich die italienische Nation vom Besetzerstaat Habsburgerisch-Österreich emanzipierte. Nation wie Natur, von lateinisch natura und nasci, entstehen-wachsen-geboren werden, Natur-Nation-Nationalstaat. Goethe ließ im Faust fragen: Wer mag auf Nationen trauen? Man habe noch so viel getan für sie.

Männer, Soldaten, Staaten, Kriege. Szene aus Aida 2024 am Nationaltheater München. Bildrechte: Wilfried Hoesl

21. Jetzt die große Erpressung von Bariton George Petean als Amonasro, König von Äthiopien und Vater Aidas: ‚Du bist nicht meine Tochter. Du bist die Sklavin der Pharaonen.‘ Na der macht es sich einfach. Was denkt er denn? Habe ich meine Sklaverei wohl selbst gewählt oder kann es sein, dass Du Vater und Dein Staat mich nicht genügend schützen konnten, wonach die Ägypter mich versklavten? Außer unserer Blutsverwandtschaft, was legitimiert Deine Dominanz? Müssten Eltern nicht ihre Kinder gehen lassen? Wenn Familie auf Vertrauen und Wohlwollen gründet, ein (demokratischer) Staat aber auf Misstrauen und gegenseitiger Kontrolle der Institutionen, kann ein Staat dann jemandes Familie sein?

22. Aida gibt der territorialen Forderung ihres Vaters kleinlaut nach: ‚Verflucht mich nicht, Du kannst mich noch Deine Tochter nennen. Ich werde meines Vaterlandes würdig sein.‘ Unter Zwang verschmelzen Vaterland und Vater/Familie zu einem. Der Pate hat sein Ziel erreicht.

23. Aida und Radamès, die Geliebten, dessen Staaten verfeindet sind, loten aus, ob sie zusammen nach Äthiopien gehen oder in Ägypten bleiben. Elena Guseva als Aida handwerklich solide, mitunter fehlt ihr die Spitze. Das Bayerische Staatsorchester unter Leitung von Marco Armiliato jetzt wieder ein wenig zu präsent. Orchester müssen aufpassen, nicht den Gesang zu übertünchen. OK, der Komponist Richard Strauss arbeitete einmal im Münchner Nationaltheater und Richard Wagners Oper Tristan und Isolde wurden hier uraufgeführt. Verdi komponierte aber in erster Linie für Gesang, dessen Melodien die Emotion transportieren sollte. Wie von Strauss und Wagner inspiriert, nimmt Marco Armiliatos Orchester mit einer allzu dramatischen Orchestrierung Elena Guseva die Chance dazu.

Wiegt die Liebe stärker? Wo sind die Aussichten besser? Aida spielt jetzt das Spiel ihres Vaters: ‚Unter meinem Himmel wird uns eine freiere Liebe vergönnt sein‘, aber dann: ‚Du liebst mich nicht‘. Als Radamès hin zu Aida wiegt, werden sie belauscht. Belauschen korrumpiert! Die physikalische Gedankenstudie von ‚Schrödingers Katze‘ in Aktion.

Aida hatte Radamès so weit, mit ihr zu gehen. Dann werden sie belauscht und er ändert seine Meinung. Es ist wie beim Inlandsgeheimdienst oder einem Lehrer, der seinen Schülern über die Schulter schaut um zu sehen, was der Schüler in der nächsten Millisekunde schreibt. Sobald belauscht wird, ändern die Belauschten ihr Verhalten.

24. Jetzt ist es geschehen: Ich stand zu meiner Liebe, aber ich habe mein Land verraten. Tja, da muss man sich entscheiden, wie im richtigen Leben. ‚Die Priester werden Radamès verurteilen.‘ Heute sind es die unter dem Deckmantel einer anonymen „Justiz“ verbeamteten Richter, die willfährig die Rolle der Priester einnehmen.

25. Staat oder Liebe. Radamès entscheidet sich für die Liebe Aidas. Wäre da nicht noch Amneris, die ihn auch wollte. Die Eifersucht der Amneris gräbt sich ihren Weg, die Drecksarbeit der Verurteilung lässt sie die Priester machen. ‚Rechtfertige Dich‘, fordert der Priester. Immerhin, Radamès darf sich rechtfertigen. Im Deutschland des Jahres 2025 sieht es so aus: Die AfD wird vom Inlandsgeheimdienst ausspioniert, in einem Prozess, indem sich die Partei nicht rechtfertigen darf, wenn es um die Anklage geht, keine zulassungsfähige Partei zu sein.

Vierter Akt ——————-

26. Radamès ist bereit zu sterben, will nur kein Mitleid der Eifersüchtigen. Auf der Bühne schält sich Aida aus der Aschenebene. Bei allem, dieser Teil eine eindrucksvolle Choreographie von Thomas Wilhelm. Ein Kontrabass streicht eine Passage, die Musik wie aus Góreckis dritter Sinfonie der Klagelieder, genial.

27. Himmlische Töne einer Violine, Verdi konnte Melodien.

28. In den Minuten zum gemeinsamen Tod von Aida und Radamès Spieluhrtänze eines Akkordeons. Mit Helium gefüllte Ballons steigen auf. ‚O Terra addio‘, das berühmte Schlussduett, leb wohl o Erde, die Toten singen, das ist Oper.

29. Diese Stimme! Mezzosopranistin Jamie Barton at its best. Die eifersüchtige Rivalin Amneris mit den letzten Tönen: ‚Frieden erflehe ich für Dich, Geliebter – Isis öffne Dir versöhnt den Himmel.‘ Naja, am Ende müssen es wieder die Götter richten, wenn man es auf der menschlichen Ebene nicht hinbekommen hat.

30. Trampelnder Applaus im Münchner Nationaltheater. Wahrscheinlich primär für Jonas Kaufmann, den 1969 in München geborenen Sohn der Stadt. Auch das ist Nationalismus, die eigenen Leistungsträger hochjubeln. Man bedenke: Dieselbe Inszenierung an Abenden ohne Jonas Kaufmann erhielt nicht zu unterschlagende Buh-Rufe.

Fazit:

Da hatte man morgens eine Stunde lang in der Süddeutschen Zeitung über den Ukrainekrieg gelesen, ging abends in die Oper, um in einer Scheinwelt ein wenig träumerisch verschwinden zu können, und landete bei einer Bühnenausstattung, die einen wieder direkt in den Ukrainekrieg katapultierte. Nichts von der glitzernden Welt ägyptischer Könige, stolzen Symbolen von Nationen oder gar Farben der Liebe.

Der Schriftsteller Moses Baruch Auerbacher sagte einmal, Musik wasche den Staub des Alltags ab. Und Robert Schumann meinte, die Aufgabe des Künstlers sei es, Licht in die Finsternis der Herzen der Menschen zu bringen. Angesichts solch romantischer Avancen war die Aufführung des Abends im Nationaltheater München ein kulturelles Armutszeugnis.

Wenn die Bayerische Staatsoper so richtig richtig gut woke gewesen wäre, hätte sie nicht die dahintersteckende Gewalt des Plots durch grausame Bühnenbilder verstärkt (die bei den Gästen neue Synapsen bilden, in denen Gewalt am Ende verstanden und somit immer stärker akzeptiert wird). Nein, die Bayerische Staatsoper hätte ein hoffnungsvolles Bild von der Zukunft malen können, in der die Stellung von Staat, Nation, Mafia, Familie unwichtiger rüber kommt als heute. Hat sie aber nicht.

Sie hat nur ein weiteres für Deutschland derzeit so typisch dystopisches Zukunftsbild gezeichnet. Es wird leider oft vergessen, dass die Kunst nur allzu oft nicht die Realität nachzeichnet, sondern einen Funken für das Mögliche gibt. Verdis Aida ist ein Beweis, wie Opern als Vorlage für echte Kriege dienen können. Keine drei Jahre nach der Uraufführung 1871 in Kairo bricht der reale Krieg zwischen Ägypten und Äthiopien aus. Er dauert 15 Monate.

Schöne Bayerische Staatoper = Schönes Münchner Nationaltheater. Bildrechte: Gilles Alonso