Lichtenberg | analogo.de – Der Freiplatz-Tennisclub FTC Lichtenberg 1988 e.V. feierte im vergangenen Jahr 35 Jahre Bestehen. Mit Stolz blickt der Verein auf 35 Jahre aktive Tennisarbeit zurück. Als einer der Urväter des Vereins und Herausgeber von analogo.de ein willkommener Anlass für mich, in einer Zusammenfassung der Ereignisse die Anfänge der Vereinsgründung Revue passieren zu lassen. In der ANA LOGO Datenbank liegen alle in diesem Artikel genannten Gründerzeitdokumente zum freien Herunterladen. Der Vereinsgründung vorausgegangen war der Gewinn Boris Beckers des Tennisturnieres in Wimbledon im Sommer des Jahres 1985, dazu eine räumlich-zeitlich-parallele Fahrradtour in der Nähe von Wimbledon und die Arbeit der Jugendinitiative Tennisplatz Lichtenberg (JTL). Zwischen Jugendinitiative und Vereinsgründung liegen ziemlich genau zwei Jahre.
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Wer heute die Anlage des Lichtenberger Freiplatz-Tennisclubs besucht, der stellt fest: Tolle Anlage, tolle Leute, tolle Stimmung. Vielleicht ganz im Geiste Boris Beckers, dessen erster Wimbledon-Erfolg dazu beitrug, dass dieser tolle Verein überhaupt entstand.
Als der damals 17-Jährige Boris Becker im Londonder Vorort Wimbledon zum ersten Mal den heißbegehrten Grand Slam-Titel gewinnt, befinde ich mich zum selben Zeitpunkt ein paar Kilometer südlich davon auf einer Fahrradtour. Zusammen mit meinem 15-jährigen Radelpartner (ich war 16) radeln wir 2.700 Kilometer quer durch Europa. Am ersten Tag 170 Kilometer von Lichtenberg nach Aachen, am nächsten Tag 175 Kilometer nach Belgien und irgendwann quer durch Südengland.
Es ist eine einzigartige Reise. Im steilflankigen Städtchen Bath haben wir zwecks Fahrradreparatur eine Zwangspause einzulegen. In der Cotswoldstadt bei Tachotempo 60 km/h einen steilen Berg herunterrasend, veranlasst mich die überraschende Schönheit des Stadtbildes zum Wunsch eines Fotos und daher zu einer Spontanbremsung. Was dazu führt, dass mir mein Mitfahrer von hinten auffährt. Eine Fahrradwerkstatt vermag mein Hinter- und sein Vorderrad nur halbwegs wieder hinzubiegen, und so werden wir bis zum Ende der Reise bei rund 50 gewechselten Speichen zu Speichenwechselweltmeistern.
Auf dem Rückweg von der Isle of Wight nach Dover kommen wir wieder an London vorbei, durch das wir schon ein paar Wochen zuvor geradelt waren. Unvergesslich der Moment, als wir zwei Jugendlichen mit Satteltaschen über die Tower Bridge fuhren. Nun also irgendwo in Sussex. Wir hören, dass unser Landsmann Boris Becker kaum eine Autostunde von uns ein großartiges Wimbledonturnier spielt. Wir fahren weiter – über Paris, die Champagne und Luxemburg nach Hause.
Zurück in Lichtenberg, beflügelt uns der Turniergewinn Boris Beckers dazu, auch Tennis zu spielen. Was für ein Sport das ist. Wie es der Zufall so will, gibt es in Lichtenberg einen Tennishartplatz, der aber eigentlich nicht zugänglich ist. Er ist Teil des ehemaligen hochwertigen „Hotel Lichtenberg“. Nachdem das Hotel wegen finanzieller Schwierigkeiten schließen musste, blieb der Tennisplatz lange Zeit ungenutzt.
Mit den Erfolgen von Boris Becker und dann auch Steffi Graf im internationalen Tenniszirkus soll sich das sehr bald ändern. Mit ein paar anderen Jugendlichen und ja, auch Erwachsenen, finden wir im abgrenzenden Maschendraht des Freiluftplatzes immer ein Loch, durch das wir Tennisverzückte durchschlüpfen können. Die Spiele sind eine einzige Freude, die Matches auch jetzt schon heißumkämpft.
Die Jugendinitiative Tennisplatz Lichtenberg
In unserer Familie entwickeln wir den Gedanken, nicht mehr durch das Loch zu schlüpfen, sondern hier offiziell bzw. legal zu spielen. Mein mittlerweile verstorbener Vater, Ludwig Winters, ist erheblicher „Ihr-könntet-doch-mal“-Motivator der Initiative und als Gemeindeverbandsvorsitzender der CDU und gleichzeitig Kreisvorsitzender der Lehrergewerkschaft VLBS politisch im Kreis gut vernetzt.
Verhandlungen mit Gemeinde und Eigentümer müssen aufgenommen werden. Doch gibt es in Lichtenberg überhaupt ein Interesse daran? Zusammen mit meinem Bruder entwickeln wir eine Unterschriftenkampagne. Im ersten Schritt gründen wir eine offizielle Initiative, die wir Jugendinitiative Tennisplatz Lichtenberg nennen. Dann stiefeln wir um die Häuser, und sammeln für die Sache genau 656 Unterschriften. In Lichtenberg, um Lichtenberg und um Lichtenberg herum.
Die Frage auf dem Unterschriftenbogen
TENNISPLATZ IN LICHTENBERG – Die Gemeinde Morsbach möge versuchen, den Tennisplatz am ehemaligen Hotel Lichtenberg für die Bevölkerung (insbesondere die Jugend) Lichtenbergs zu erwerben.
Eine Kopie der originalen Unterschriftenliste liegt in der ANA LOGO Datenbank. Drei der Unterschreibenden sind der spätere Vorsitzende des Vereins, Matthias Brauweiler, seine Frau Hannelore und sein Sohn Michael, allesamt ebenfalls spätere Gründungsmitglieder des Vereins. Aber dazu später. Besonders Matthias Brauweiler zeigt sich ganz begeistert von unserer Initiative.
Die angeschriebenen Politiker
In einem dritten Schritt schreiben wir am 21. Februar 1986 die nachfolgenden hochrangigen Politiker in der Gemeinde an: Den Bürgermeister der Gemeinde Morsbach, Karl-Heinz Rosenthal, schreiben wir hauptsächlich an, und diesen Vertretern schicken wir eine Kopie des Anschreibens:
Horst Jütte, Gemeindedirektor der Gemeinde Morsbach
Michael Schmitz, CDU-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat
Klaus Jung, FDP-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat
Hubert Stausberg, UBV-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat
Hubert Reifenrath, SPD-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat
Der Wortlaut des schreibmaschinengetippten Anschreibens
Sehr geehrter Herr Rosenthal,
da das Hotel Lichtenberg in Konkurs gegangen ist, und somit der dazugehörige Tennisplatz offiziell leer steht, betrachten wir es als eine gute Gelegenheit, die Gemeinde Morsbach zu bitten, den Tennisplatz für die Bevölkerung Lichtenbergs und Umgebung (insbesondere die Jugend) zu erwerben.
Da der Ort Lichtenberg mit seinen beinahe 1000 Einwohnern ein äußerst geringes Freizeitangebot aufzuweisen hat, sehen wir zu diesem Zeitpunkt die einmalige Gelegenheit, dieses erheblich zu verbessern. So gibt es in Lichtenberg einen „Bolzplatz“, der jedoch schwer zu pflegen ist, eine schräge Lage aufweist, und auf dem alljährlich das Festzelt für das Lichtenberger Erntedankfest aufgebaut wird, womit der Platz zumindest bis zum Frühling des nächsten Jahres unbespielbar ist – will man nicht auf einem „Acker“ spielen. Die zwei angelegten Tischtennisplatten sind zudem der windigen Verhältnisse wegen kaum verwendbar.
Was ist uns Lichtenbergern also schon „Großes“ geboten worden? Selbst Holpe und Steimelhagen besitzen einen ordentlich angelegten Fußballplatz mit normgerechten Maßen.
Abgesehen von der KLJB Lichtenberg, die ausschließlich in älteren Jugendlichen Anhänger findet, ist die Jugendarbeit und Aktivität erschlafft. Da sich jedoch seit geraumer Zeit das Tennisspiel einer zunehmend großen Beliebtheit erfreut, wäre es ein glücklicher Zug der Gemeinderatsversammlung, dieses zu unterstützen. Es sei anzumerken, dass nicht nur Jugendliche den Sport Tennis als Sport Nr. 1 in Lichtenberg ausüben, sondern auch Vertreter älterer Generationen diesen Sport mit Begeisterung treiben. Ein Beweis dafür ist, dass trotz der offiziellen Schließung des Hotel Lichtenbergs und somit des Tennisplatzes immer wieder ein Loch im abgrenzenden Maschendraht gefunden wird, damit (selbst im Winter) Tennis gespielt werden kann.
Bei diesem Punkt kommen Ihnen vielleicht Zweifel, wer die Pflege des Tennisplatzes übernehmen wird. Doch diese Zweifel sind einfach zu beheben, denn der Tennisplatz ist ein Teerplatz, der keiner besonderen Pflege bedarf. Ein guter Beweis dafür ist der Teerplatz des Sportparks in Waldbröl, der schon seit Jahren kostenlos für die Allgemeinheit zugängig ist, und auf dem auch heute noch hervorragend gespielt werden kann. Selbst das dortige Netz ist noch in solch einwandfreier Verfassung wie vor etlichen Jahren. Also warum sollte sich das in Lichtenberg anders entwickeln?
Sollte es mit einem Kauf Schwierigkeiten geben, wären wir auch damit zufrieden, daß der Platz vom nächsten Besitzer des Hotel Lichtenbergs gepachtet wird, und so zur öffentlichen Sportstätte wird.
Alle diejenigen, die den oben erwähnten Vorschlag unterstützen, haben dazu ihre Unterschrift gegeben, die anbei liegt. So sahen vor allem die Bürger Lichtenbergs und Umgebung, aber auch einige Ratsmitglieder und etliche Lehrer in unserer Forderung eine jugend- und sportfördernde Maßnahme.
Wie uns zu Ohren gekommen ist, wird der Komplex Hotel Lichtenberg am 3. Juni 1986 versteigert. Trotzdem bitten wir Sie jetzt schon, unser Anliegen bei der nächsten Gemeinderatssitzung am 3. März 1986 beschließen zu lassen.
mit freundlichen Grüßen
Rainer Winters
Die dazugehörige Medienarbeit
In einem dritten Schritt schreiben wir die wichtigsten Lokalmedien an. Unter anderem berichten der Oberbergische Anzeiger, die OVZ (Oberbergische Volkszeitung) und der Waldbröler Marktbote über Initiative und Politikerresonanz in diversen Februar- und Märzausgaben. Die OVZ schreibt, die Lichtenberger hätten gar keine Hemmungen, dem Bürgermeister zu gestehen, dass sie ohnehin schon auf dem Tennisplatz spielen.
Was die Politiker tun
Während wir auf dem Hartplatz munter weiter spielen, werden die Politiker aktiv und unterstützten uns. Bürgermeister Rosenthal schreibt der Initiative am 06. März 1986, er habe dem Rat der Gemeinde Morsbach am 3.3.1986 unser Anliegen vorgetragen und jedem Ratsmitglied eine Kopie unseres Anschreibens zukommen lassen. Der Rat habe den Gemeindedirektor beauftragt, mit den zuständigen Herren der Hotel Lichtenberg GmbH zu verhandeln mit dem Ziel, den Tennisplatz anzupachten. Ob dies möglich ist, müsse abgewartet werden. Weiterhin werde sich der Sozial-, Jugend- und Sportausschuß in einer der nächsten Sitzungen mit unserem Antrag befassen, da es nicht nur um den Tennisplatz gehe, sondern auch um einen Bolzplatz. Auch hier sei er mit uns und allen Jugendlichen in Lichtenberg der Meinung, daß der kleine Bolzplatz am Feuerwehrgerätehaus nur eine Notlösung sei. Bürgermeister Rosenthal bietet uns und der Jugend von Lichtenberg seine Mithilfe an, oder wenn es gewünscht sei, auch ein persönliches Gespräch.
Gemeindedirektor Horst Jütte, der vor zehn Jahren beim 25-jährigen Vereinsjubiläum im Jahre 2013 zugegen war, schreibt der Jugendinitiative am 27. Februar 1986, ihn freue unser Einsatz und unsere Ideen. Wir dürften sicher sein, dass er uns unterstützen werde. Das Hotel Lichtenberg befände sich zur Zeit in einem Zwangsversteigerungsverfahren. Der nächste Zwangsversteigerungstermin sei auf den 3.6.1986 terminiert. Es dürfe also äußerst schwierig sein, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Vertragsverhandlungen zu führen, zumal sie dann null und nichtig wären, wenn nach dem Zwangsversteigerungstermin das Hotel Lichtenberg einen neuen Eigentümer hätte. Trotzdem müsse man bis dahin nicht untätig bleiben. Er habe schon manche Gespräche mit möglichen Kaufinteressenten geführt und werde diese sicherlich auch noch bis zum Zwangsversteigerungstermin führen. Bei dieser Gelegenheit werde er unsere Anregungen mit ins Gespräch bringen. Auch dieser Brief liegt als Kopie in der ANA LOGO Datenbank.
Michael Schmitz, CDU-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat, rät der Initiative in seinem Brief vom 27. Februar 1986, nach erfolgter Zwangsversteigerung mit dem neuen Eigentümer über die Überlassung des Tennisplatzes zu sprechen. Auch Michael Schmitz ist sehr unterstützend. Er sei gerne bereit, in dieser Angelegenheit tätig zu werden und sich zusammen mit der Gemeindeverwaltung um eine entsprechende Lösung zu bemühen. Sollte dies jedoch ebenfalls nicht zum Tragen kommen, so gäbe es nach seiner Auffasung nur einen Weg: die Errichtung eines Tennisplatzes im Lichtenberger Bereich, wobei hierfür ein Träger gefunden werden müßte. Dies könne aber die Gemeinde Morsbach sein: entsprechende Gespräche werde er in der nächsten Zeit führen.
Am 22. Februar 1986 berichten Medien, dass im Hauptort der Gemeinde Morsbach, also in Morsbach, die alten Wassertretbecken Tennisplätzen weichen sollen. Erbauer und Eigentümer der neuen Tennisplätze sei die Tennisabteilung des Sportvereins 02/29 Morsbach. Gemeindedirektor Jütte hatte erläutert, Zuschüsse zur Erbauung solcher Anlagen würden nicht an die Kommunen gezahlt, so dass auch nur die Tennisabteilung in den Förderungsgenuß kommen könne. Die Gemeinde sagt den Verantwortlichen auch in Morsbach erhebliche Hilfe zu.
Die Vereinsgründung 1988
Die Zeit vergeht, in Lichtenberg spielen wir (inoffiziell) Tennis, und die Seniorenpark GmbH kauft das alte Hotel Lichtenberg. Derweil kommt Matthias Brauweiler auf mich zu, schlägt eine Zusammenarbeit vor und als es soweit ist, gründen wir am 17. Februar 1988 den FTC Lichtenberg 1988 e.V. Dies wird möglich durch die großzügige Überlassung des Hartplatzes durch die Seniorenpark GmbH. Fortan ist das offizielle Tennisspiel in Lichtenberg eröffnet.
Bei der Gründungsversammlung melden sich spontan 30 Mitglieder als aktive Mitglieder an, ein Hinweis auf die Valenz der Argumente der Jugendinitiative zwei Jahre zuvor. Und sofort gehts zur Sache. Die Hauptthemen der Gründungsversammlung sind die Neugestaltung und Renovierung der Tennisanlage, die Jugendarbeit und die Spielordnung für die bevorstehende Saison. Außerdem erfolgt die Urwahl, bei der die Anwesenden ihren ersten Vorstand wie folgt wählen:
Matthias Brauweiler, 1. Vorsitzender
Rainer Winters, 2. Vorsitzender
Trude Katzenbach, 1. Kassiererin
Manfred Braun, 1. Beisitzer und Kassenprüfer
Manfred Weinert, 2. Beisitzer und Clubwart
Michael Brauweiler, Schriftführer
Marc Stentenbach, Jugendvertreter
Detlef Bredenfeld + Jürgen Delfs + Rainer Winters, Spielausschuss für Spielgestaltung, Clubmeisterschaften, Rangliste und Jugendarbeit
Dann geht alles seinen gewohnten Verwaltungslauf. 1989 hält der Tennisverein Einzug in die Neubürgerbroschüre der Gemeinde Morsbach, mit Rainer Winters als Ansprechpartner des Vereins. Am 24. Mai 1989 erfolgt ein Eintrag ins Vereinsregister – mit Matthias Brauweiler als 1. Vorsitzenden und Rainer Winters als Geschäftsführer und 2. Vorsitzenden.
Sehr gerne erinnere ich mich noch an die Zeit rund um die Vereinsgründung mit Matthias Brauweiler und den anderen. Gründerstimmung lag in der Luft, im kleinen Dorf Lichtenberg, im Oberbergischen Kreis, 50 Kilometer Luftlinie östlich der Stadt Köln und – as the crow flies – 560 Kilometer östlich vom Londoner Stadtteil Wimbledon.
Der Verein lebt und spielt – und jetzt auch noch Dart. Als ob der Dartsport ein Ausdruck für die besondere – wenn auch unbewusste – Beziehung des Vereins zu England ist. England ist auch der Grund, warum ich meine Vereinsämter niederlege: Zum 01. Februar 1990 ziehe ich beruflich nach Telford in Shropshire.
Sieben Jahre später brennt das alte Clubhaus nieder. Rühmenswert die Leistung des Vereins, nur ein Jahr später mit vereinten Kräften ein neues schönes Clubhaus errichtet zu haben. 2007 kommt auf der Anlage eine Trainingswand hinzu, und wieder nur ein paar Jahre später wirde das Clubheim durch einen Containeranbau vergrößert. Mittlerweile hat der Verein drei Sandplätze, der Teerplatz ist längst Geschichte.
Mit dem jährlich stattfindenden Matthias Brauweiler Cup und der breit aufgestellten Teilnahme an Medenspielen haben die Vereinsmitglieder nicht nur einen unübertroffenen Blick weit in den Westerwald („schönstgelegene Tennisanlage im Oberbergischen“), sondern auch Aussicht auf mindestens weitere 35 erfolgreiche Vereinsjahre.
