CDU Rheinland-Pfalz plant soziale Selektion von Studenten

Landau / Mainz / Frankfurt / Berlin | analogo.de – Für den morgigen Mittwoch hat die verfasste Studierendenschaft Hessens (LAK) zu bundesweiter Solidarität mit dem Bildungsprotest in Mainz und dem Warnstreik an der Universität Frankfurt aufgerufen. Diverse Aktionen stehen auf dem Programm. In Mainz startet am 16.12.2015 ein Protestmarsch vom Staatstheater aus. Über tausend Demonstranten werden erwartet, die zum größten Teil aus Landau anreisen. 2.500 sind angemeldet. An der Universität Frankfurt ist ein Warnstreik der Hilfskräfte geplant.

Die Landes-Asten-Konferenz (LAK) schreibt in ihrem Aufruf, die geplanten Aktionen seien Reaktionen auf die zunehmende Repression und Prekarisierung im Bildungs- und Wissenschaftsbetrieb. Die Anpassung der Bildungseinrichtungen an den Arbeitsmarkt führe zu sozialer Selektion und lässt freie, autonome Bildung und Forschung nicht mehr zu.

Was sagt die CDU Rheinland-Pfalz dazu? Schließlich will man mit Spitzenkandidatin Julia Klöckner die anstehende Landtagswahl 2016 gewinnen. Am 08.12.2015 sprachen die CDU-Landtagsabgeordneten Christiane Schneider (Landau), Dorothea Schäfer (Ingelheim) und Susanne Ganster (Pirmasens) mit den streikenden Studenten. Fazit: Obwohl der Hochschule Landau ausreichende Geldmittel zur Verfügung stehen, würde die CDU Gebühren für Langzeitstudierende einführen. Die wirtschaftsnahe Partei würde also den Druck auf die Studenten erhöhen. Es zeichnet sich ab, dass bei einem Machtwechsel von SPD/Bündnis90/Die Grünen zur CDU eine weitere Prekarisierung im Bildungs- und Wissenschaftsbetrieb bevorsteht.

Die LAK ruft auf, die soziale Selektion schlage sich z. B. an der Hochschule durch die Bachelor-Master-Reform nieder, deren Folgen schlechte Lehr-, Lern- und Forschungsbedingungen und Existenz und Prüfungsängste von Beschäftigten und Student_innen sind. Ökonomisch verwertbare Forschung würde mit Geldern überschüttet, an anderer Stelle herrsche aber Mangel. Hochschulen würden zu Unternehmen umstrukturiert, die durch Finanzierung durch Drittmittel und Sponsoring ihre Arbeitnehmer_innen und Studierenden massiver den je ausbeuten. Gleichzeitig finde eine Erhöhung des Leistungsdruckes statt – Leistung solle messbar werden, wobei nur Fähigkeiten, die quantitativ erfassbar sind, als wichtig gelten.

Die CDU macht derweil ein Wahlversprechen und schmeißt mit mehr Geld um sich. Man habe zusätzliche 15 Mio. Euro an Kurzfristmitteln für alle Universitäten in Rheinland-Pfalz beantragt. Rheinland-Pfalz brauche endlich eine verlässliche und qualitätsorientierte Forschungspolitik, so die hochschulpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Dorothea Schäfer und die örtliche CDU-Landtagsabgeordnete Christine Schneider in einer Pressemitteilung.

Doch warum schmeißt die CDU mit großen Zahlen um sich, wenn Hochschulpräsident Roman Heiligenthal noch am 04.12.2015 im Campusmagazin La.Uni zugibt, dass ausreichend Mittel zur Verfügung stehen? Es scheint, dass die CDU wiedermal eines der Kernprobleme nicht erkennt, nämlich dass es den meisten Studierenden nicht möglich ist ihr Studium in Regelstudienzeit abzuschließen. Das kostet alle Parteien viel Zeit, Geld und Ärger.

Vizepräsident Ralf Schulz nannte im oben besagten Interview eine konkrete Zahl. Man erhalte je nach Art des Studierenden die bundesweit üblichen zwischen 16.000€ und 22.000€. Gängiger Standard ist allerdings auch, dass Hochschulen die Prämie nehmen, und danach eine hohe Zahl an Studenten „ausprüfen“ bzw. aussieben. So wird der Lehrbetrieb von weniger Studierenden belastet. Aber die Prämie, die hat man im Sack.

Ein gutes Beispiel ist der Studiengang Umweltwissenschaften in Landau. Wer die erste Vorlesung bei Vizepräsident Schulz persönlich besucht, der vernimmt überraschende Töne der Warnung, wie schwer der Studiengang sei und ob man sich die Belegung des Studiums gut überlegt habe. Zu hohe Abbruchquoten im besagten Studiengang bemängelte neulich die Akkreditierungsagentur evalag, die die Studierbarkeit des Studienganges Umweltwissenschaften in Frage stellte.

Weniger betuchte Studierende sind gleichzeitig darauf angewiesen, neben dem Studium zu arbeiten. Reiche Immobilienhaie schlagen nicht nur in Landau heftig bei den Mieten zu, so dass ihre Situation verschärft wird. Während die Studenten reicher Eltern für die nächste Klausur üben können, arbeitet das studentische Arbeiterkind in der Bar. Studienzeiten der Ärmeren verlängern sich zwangsläufig. Erreichen sie zudem nicht die vom Bafögamt vorgeschriebenen Mindestpunkte und Modulabschlüsse, wird ihnen auch noch die Bafög-Unterstützung gestrichen. Sie werden zu Langzeit-Studenten.

Im Fach Umweltwissenschaften (B. Sc.) erreicht kaum ein Student den Abschluss in den vorgeschriebenen sechs Semestern. Das liegt unter anderem an der schwachen Prüfungsdichte. In einigen Fächern müssen Studenten – nach einem doppelten Prüfungstermin innerhalb 2 Monaten – zehn Monate darauf warten, bis sie eine Klausur nachschreiben können. Reicht die Aufbereitungszeit für den umfangreichen Prüfungsstoff nicht, kann man sich also womöglich erst im darauffolgenden Jahr zur Prüfung anmelden.

Das Institut für Umweltwissenschaften hat derweil nicht ausreichend Dozenten, um eine höhere Prüfungsdichte anzubieten. Ein strukturelles Problem. Geben die Studenten dann Studienarbeiten wie ein 100-Seiten-Portfolio ab, braucht es nicht selten über 12 Monate, bis der Dozent das Portfolio korrigiert hat. Studenten bemängeln, dass sie ihre Abschlussarbeit um sechs Monate verschieben mussten, da sie auf die offizielle Korrektur des Dozenten zu warten hatten. Gleichzeitig verhalten sich besagte Studierende vorsichtig bei der Einforderung der Korrekturergebnisse, befürchten sie doch schlechtere Resultate bei der Prüfung. Die Portfolios wurden mittlerweile abgespeckt, aber es dient als Paradebeispiel für das Kapazitätenproblem an deutschen Hochschulen.

Die Hochschulen befinden sich selber im Wettbewerb um Gelder und Studenten, wollen zur Elite-Universität werden. Das Hochschulsystem buckelt sinnbildlich nach oben zum Geldgeber, und tritt nach unten auf die Studenten und ihre Leistungen. Den Druck geben Hochschulen also an die Studenten weiter. Der Motor des Drucks ist die Wirtschaft und diverse halb-staatliche Geldgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die die finanziellen Millionen-Löcher der Universitäten stopfen.

In dieser angespannten Situation schlägt die CDU also vor, die Langzeitstudenten zu bestrafen, indem sie Studiengebühren zahlen. analogo.de meint: Sozial – das geht anders.

Die hessischen Studentenvertreter rufen ferner auf: „Dieser unhaltbaren Struktur, die sich immer mehr zu etablieren versucht, wird jetzt etwas entgegengesetzt: Studierende und Schüler_innen, die sich zusammenschließen, werden die repressive, antidemokratische Macht, die durch Präsidien und Rektorate ausgeübt wird, nicht mehr hinnehmen. Unkontrollierbar wird über Personal, Finanzen, Bau und Entwicklungsplanung entschieden, ohne dass die Betroffenen ein Mitspracherecht haben. Das aktive sich aneignen von Unternehmensstrukturen mit dem einzigen Ziel der Gewinnmaximierung und legitimieren von Herrschaft durch Hochschulleitungen, lehnen wir entschieden ab. Studierende verkommen in diesem System zu Kund_innen, gleichzeitig müssen Wissenschaftler_innen und studentische Hilfskräfte ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen.“

In Frankfurt wird am morgigen Tag an die Streiks und Aktionen der Hilfskräfte angeknüpft. Noch immer sind ihre Forderungen nach einem Tarifvertrag nicht erfüllt worden, so die LAK. Dabei ist die Situation der Hilfskräfte erschütternd: Unbezahlte Überstunden und keine Anrechnung von Krankheitstagen scheinen die Regel zu sein. Die Hilfskraftinitiative Frankfurt kämpfe gegen diese Missstände an und kläre über die geltenden Rechte von Hilfskräften auf. Am 22. April hätten einige Hilfskräfte spontan nach einer Vollversammlung den Senat besucht und diesen dazu bewegt einen Tarifvertrag zu fordern. Am 18.05.2015 hätte ein Warnstreik stattgefunden um diese Forderung zu bekräftigen. Es gelte die Kämpfe der antirassistischen Schulstreiks und den Arbeitskampf an Hochschulen in Frankfurt und Berlin und den Streik in Landau zusammenzuführen.

Studierende geben sich derzeit kämpferisch und solidarisch: „Wir unterstützen die Gründung von Basisgruppen, die sich in anderen Städten seit dem 1.12.2015 formieren, und auf eine bundesweite Vernetzung hinarbeiten. Nicht zuletzt sehen wir uns in einem Zusammenhang mit internationalen Bildungsprotesten in den Niederlanden, Großbritannien und Kanada.“ Auch der Freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) e.V. als überparteilicher Dachverband von Studierendenvertretungen in Deutschland unterstützt von Berlin aus die Aktionen.

Aktuelle Infos zum Mainzer Streik der Landauer gibt es hier:

https://landunter.wix.com/streik

http://streik.asta-landau.de/

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