Wiesbaden | analogo.de – Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden (Destatis) hat aufgrund eines kritischen Hinweises von analogo.de die Darstellungsform der in Deutschland lebenden Ausländer geändert. Nachdem unsere Redaktion Ende August 2016 festgestellt hatte, dass Destatis in einer Pressemeldung eine niedrigere Ausländerzahl für Deutschland veröffentlichte als bisher veröffentlicht, reduzierte Destatis die Zahl von 9.107.893 Ausländern zum 30.09.2015 auf 8,7 Millionen ab.
analogo.de führt seit 18 Monaten eine ständig aktualisierte Übersicht über die Bevölkerungszahlen in Deutschland und holt sich daher immer die neuesten Zahlen aus den unterschiedlichsten Pressemeldungen. Eine dieser Pressemeldungen (PM) war falsch. Am 26. August 2016 veröffentlichte Destatis unter PM Nr. 295 mit Glanz und Gloria, Deutschland hätte zum Jahresende 2015 82,2 Millionen Einwohner mit 8,7 Millionen Ausländern gehabt.
Zwecks geplanter Berichterstattung kritisierten wir gegenüber dem Statistischen Bundesamt man bringe hier zwei verschiedene Zahlen zur Zahl der Ausländer in Umlauf: Zahl 1 (9,1 Mio.) und Zahl 2 (8,7 Mio.).
Zahl 1 war die seit langem veröffentlichte Zahl. Für alle Journalisten und Interessierten lebten in Deutschland Ende 2015 also 9,1 Millionen Ausländer. Und plötzlich sollten es nur noch 8,7 Millionen sein – obwohl Deutschland seit 2015 einen Zuzug durch Asylsuchende in Höhe von 100.000 Menschen pro Monat hatte?
Wir konfrontierten Destatis unmittelbar nach der Pressemeldung Ende August. Der im Statistischen Bundesamt für Wanderungen, Fortschreibung und Gebietsgliederung zuständige „Herausgehobene Hauptsachbearbeiter“ Martin Conrad sah den Fehler ein und ließ die Darstellungen überprüfen. Am 02. September 2016 schrieb das Bundesamt unserer Redaktion, man wolle uns später über das Ergebnis der zukünftigen Verbreitungsform in Kenntnis setzen.
Am 13. September 2016 bestätigte uns Conrad: „Hausintern wurde bei Destatis entschieden, die Darstellung der ausländischen Bevölkerung (Infokasten ‚auf einen Blick‘) auf die Angaben aus der Bevölkerungsfortschreibung umzustellen und bei der Angabe der ausländischen Personen auf eine entsprechende Tabelle zu verlinken.
Dies ist also nun die neue Tabelle, auch wenn die alte Tabelle noch aufrufbar ist. Conrad bescheinigte uns gemäß unserer Bitte, dass ANA LOGO es war, die Destatis den Hinweis zum Darstellungsproblem gaben. Die Umstellung stelle jedoch eine fachliche Entscheidung des Statistischen Bundesamtes dar. Ist ja klar, dass man sich offiziell keine Blöße geben möchte. Das Bundesamt weist auf ihrer neuen Seite hin: „Bitte beachten Sie: Dieser Bereich wurde umstrukturiert. Informationen zum Migrationshintergrund finden Sie unter Migration und Integration. Falls Sie für die alten Seiten Favoriten oder Verlinkungen genutzt haben, bitten wir Sie diese zu löschen und die neuen Adressen zu nutzen.“
Conrad sagte uns am Telefon in einer Mischung aus Erklärung und Entschuldigung, dass Zahl 1 die höhere Zahl der Ausländer gemäß Ausländerzentralregister (AZR) angebe und Zahl 2 die niedrigere Zahl der Ausländer gemäß Bevölkerungsfortschreibung. Man wolle ab sofort aber immer die niedrigere Zahl in Umlauf bringen.
Zur Erklärung: Das Statistische Bundesamt veröffentlicht Zahlen zur ausländischen Bevölkerung und deren demographischer Struktur aufgrund mehrerer Quellen. Einerseits liefert die Bevölkerungsfortschreibung demografische Angaben (Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Alter und Familienstand) auf Basis der letzten Volkszählung (= Zensus) von 2011. Andererseits liefert das AZR neben demografischen Angaben zusätzliche Angaben zum Aufenthaltsstatus und zur Aufenthaltsdauer. Die Bestandszahlen über Ausländer gemäß den Auswertungen des AZR und den Ergebnissen der Bevölkerungsfortschreibung weichen infolge unterschiedlicher inhaltlicher Abgrenzungen, Berichtswege und Erfassungsverfahren voneinander ab.
In der Bevölkerungsfortschreibung werden Personen nach melderechtlichen Bestimmungen erfasst. Insbesondere werden alle aus dem Ausland zuziehenden Personen, die sich bei den Meldebehörden anmelden, ohne Zeitkriterium gezählt. Zwar besteht keine Meldepflicht für kurzfristige Aufenthalte (je nach Landesregelungen von 2 Wochen bis zu 2 Monaten, ab November 2015 bundesweit weniger als 3 Monate), es werden jedoch Anmeldungen für kurzfristige Aufenthalte registriert. Die Erfassung im AZR richtet sich nach ausländerrechtlichen Bestimmungen. So erfasst das AZR nur Ausländerinnen und Ausländer, die sich länger als drei Monate in Deutschland aufhalten oder einen Aufenthaltstitel beantragt haben.
Die goldene Regel von früher, dass die Zahlen des AZR immer niedriger sein müssen als der Bevölkerungsfortschreibung, gilt heute nicht mehr:
- Ausländer laut Volkszählung bzw. Fortschreibung: 6,3 Millionen (2011) und 8,7 Millionen (2015) : Zuwachs von 2,4 Millionen
- Ausländer laut AZR 2011: 6,9 Millionen (2011) und 9,1 Millionen (2015) : Zuwachs von 2,2 Millionen
Demgegenüber stehen die weithin veröffentlichten Zahlen:
2016
Neue Asylanträge Januar 2016 bis August 2016: 577.065
2015
1.114.000 Ausländeranstieg in Deutschland durch Wanderungsüberschuss aus 2.000.000 Flüchtlingen und anderen Ausländern minus 860.000 Abgewanderten
2014
577.000 Ausländeranstieg in Deutschland durch Wanderungsüberschuss aus 1.343.000 Flüchtlingen und anderen Ausländern minus 789.000 Abgewanderten
2013
437.000 Ausländeranstieg in Deutschland durch Wanderungsüberschuss aus 1.226.000 Flüchtlingen und anderen Ausländern minus 712.000 Abgewanderten
2012
369.000 Ausländeranstieg in Deutschland durch Wanderungsüberschuss aus 1.081.000 Flüchtlingen und anderen Ausländern minus 766.000 Abgewanderten
Es wird offensichtlich, dass angesichts von 3.074.000 neuen Ausländern in Deutschland seit 2012 das Statistische Bundesamt die Zahlen nicht im Griff hat und diese auf unterschiedlich verwirrende Art veröffentlicht. Die Salden der Wanderungsüberschüsse seit 2012 müssten immerhin mindestens ein Plus von 2,5 Millionen Ausländern aufweisen – ohne die 577.065 Asylanträge aus dem Jahr 2016 zu berücksichtigen.