90 Jahre Luciano Pavarotti – Wie das Llangollen International Musical Eisteddfod 2025 den größten Tenor aller Zeiten feiert

Llangollen/Wales | analogo.de – Anlässlich des morgigen UNESCO Weltfreundschaftstages 2025 berichtet analogo.de über das diesjährige Musikfestival Llangollen International Musical Eisteddfod. Wieder einmal fand im Juli dieses Jahres in den Hügeln von Nord-Wales ein völkerverbindendes Musikfest der Superlative statt. Wie immer standen Freundschaft und Frieden durch Musik an erster Stelle. Dieses Jahr insbesondere auch der große Tenor Luciano Pavarotti. Pavarottis Entscheidung, nicht nur Chorsänger zu bleiben, sondern eine Solokarriere anzustreben, fiel für ihn an diesem Ort vor genau 70 Jahren, als der 19-jährige Luciano mit dem „Chor seines Vaters“ aus Modena den ersten Preis gewann.

Seit Pavarottis 70. Geburtstag im Jahre 2005, also rund zwei Jahre vor seinem Tod, wurde der Hauptpreis des Festivals in ‚Choir of the World Pavarotti Trophäe‘ unbenannt. Dieses Jahr zeichneten die Organisatoren in Zusammenarbeit mit Decca Classics, dem langjährigen Plattenlabel Pavarottis, zu Pavarottis Ehren sein Gesicht in Kreide auf den Berghang hinter dem Festgelände.

Am Abend war analogo.de live dabei, als Nicoletta Mantovani, die letzte Ehefrau des Maestros, am 12. Juli 2025 den diesjährigen Hauptpreis an den New Zealand Youth Choir übergab. Den Lucile Armstrong Dance Award für die beste Tanzdarstellung gewann der nordindische Nachda Punjab Youth Club. Die eigentlichen Programmpunkte im Sinne der Wettbewerbe wurden durch Westend-Star Lucie Jones aufgelockert, die mehrere Musical-Arien zum Besten gab. Das Abschlusskonzert am Sonntag gab der walisische Bassbariton Bryn Terfel. Lediglich das heiß ersehnte One World-Konzert von und mit Karl Jenkins am Donnerstag musste abgesagt werden. Ein ANA LOGO Long Read.

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Schon lange vor Luciano Pavarotti war das Llangollen International Musical Eisteddfod ein Ereignis. Doch mit Pavarottis Aufstieg zum Jahrhunderttenor und spätestens seit seinem epochalen Wiedersehens-Auftritt in Llangollen im Jahre 1995 gibt es eine unzertrennliche Verknüpfung von Llangollen & Pavarotti. Über die Jahre gaben sich viele Stars die Klinke in die Hand. José Carreras, Montserrat Caballe, Julian Lloyd Webber, Ladysmith Black Mambazo, Kiri Te Kanawa oder Aled Jones.

Luciano Pavarotti bei seinem Wiedersehens-Konzert 1995 in Llangollen. Bildrechte Llangollen Eisteddfod

Als der Opernstar Rolando Villazón hier vor sechs Jahren auftrat, erzählte er, er habe nicht viel über Llangollen und das Festival gewusst, aber sein guter Freund Bryn Terfel habe ihm erzählt, was ihn erwarte, und das fand er sehr spannend. Villazón: „Ich erinnere mich, wie das walisische Publikum voll und ganz mit dem mitgeht, was wir als Künstler auf der Bühne singen, und das ist so wichtig […] Ich sehe meine Rolle als Künstler darin, meinem Publikum die bestmögliche Interpretation der Musik und der Texte zu bieten, die ich singe, und jedes Mal eine einzigartige Verbindung zum Publikum aufzubauen. Das schätze ich sehr.“

Das Llangollen International Musical Eisteddfod ist ein Festival, das nach eigenem Bekunden durch Musik und Tanz internationale Freundschaft und Frieden fördert. Seit 1947 wollen die Veranstalter „Wunden heilen“.

Im Juli kommen hier alljährlich über 4.000 Künstler aus aller Welt zusammen, um sich zu messen, um ihre Kulturen auszutauschen und die Einheit in der Freude an der Musik zu feiern. Im Gespräch mit analogo.de beziffert der Künstlerische Leiter Dave Danford die diesjährige Zahl der aktiv beteiligten Musiker stolz auf über 5.000.

Festivalexotik in Nordwales mit drei Asiatinnen auf dem Llangollen International Musical Eisteddfod 2025. Bildrechte: Llangollen Eisteddfod

Über 5.000 Musiker in Chören, Tanzgruppen, Instrumentalensembles und als Solisten treffen sich im idyllischen Llangollen, um im Sinne von Freundschaft und Frieden durch das Mittel der Musik zu wetteifern. Die über 20 Wettbewerbe spielen sich ebenso auf den Haupttribünen wie im Rathaus, im Bahnhof, in der Kirche oder auf einem der Plätze Llangollens ab.

Übersetzen lässt sich das Wort Eisteddfod mit der Bedeutung ‚Treffen von Talenten‘. Die Standards in Llangollen sind „unglaublich“ hoch, betont Dave Danford gegenüber analogo.de. Die Preisrichter kämen aus verschiedenen Richtungen wie der Tanzindustrie, der English National Opera oder sie seien erfahrene Choralisten. Schon 1955 hatte Luciano Pavarotti den Eindruck dieses hohen Niveaus. Placido Domingo trat hier 13 Jahre später auf, und erinnerte sich gerne daran, dass Llangollen sein erstes professionelles Engagement in Großbritannien war. Llangollen als Sprungbrett für talentierte Sänger und Tänzer.

Am Abend des 12. Juli 2025 sagt Nicoletta Mantovani bei der Siegerehrung, Luciano habe ihr mehrmals erzählt, dass dieser Wettbewerb und diese Prüfung entscheidend für seine spätere Karriere waren. Er habe zwei Träume gehabt: Die Oper allen zugänglich zu machen und neue Talente in die Welt der Oper zu bringen. Beim Festival in Llangollen kämen diese beiden Träume zusammen.

Für Mantovani ist es an diesem Abend der erste Besuch des Llangollen Festivals. Und bringt zum Ausdruck, dieselben Emotionen vorgefunden zu haben, die Luciano hier vor 30 Jahren bei seinem Konzert erlebte. Pavarotti, so sagt Mantovani weiter, war überzeugt, dass die Kraft der Musik und die Kultur Unterschiede überwinden würde. Nicht umsonst war Pavarotti offizieller Friedensbote der Vereinten Nationen.

Nicoletta Mantovani und John Gambles verleihen die Pavarotti Trophy an David Squire. Bildrechte. Stephen Cain und Llangollen Eisteddfod

Mit dem heutigen Internationalen Tag der Freundschaft will die Weltgemeinschaft Freundschaften zwischen Völkern, Ländern, Kulturen und Individuen fördern. Die 195 Staaten dieser Erde meinen, Freundschaft lade dazu ein, zuzuhören, bevor wir urteilen und zu bleiben, obwohl es einfacher wäre, sich abzuwenden.

Das Besondere eines Konzertes ist es ja, dass man zuhört und dableibt – anstatt wegzugehen. Was sich wie selbstverständlich anhört, ist nicht ohne Weiteres auf eine Diskussion oder Debatte übertragbar. Auf einen Austausch im Internet sowieso nicht.

Freundschaft beginnt mit einem Gespräch, sagt die UNESCO. Mit einem gemeinsamen Moment, mit der Bereitschaft, einander nicht als Fremde zu sehen, sondern als Weggefährten auf der Reise durch das menschliche Leben. Für Pavarottis Lebensmoment im Jahre 1955 war auch entscheidend, dass er den Gewinn des Sängerwettstreits zusammen mit seinen Freunden erleben und feiern durfte.

Der Lehramtsstudent Luciano Pavarotti gewinnt mit dem „Chor seines Vaters“ 1955 in Llangollen – und beschließt daraufhin eine Solokarriere anzustreben. Der Chor ‚Associazione Corale Gioacchino Rossini‘ ist heute Stolz und Ruhm der Stadt Modena. Bildrechte Llangollen Eisteddfod

Seit Anbeginn des Festivals im Jahre 1947 sind viele Menschen in Llangollen am Gelingen des Festivals beteiligt. In diesem Jahr haben alleine über 600 Freiwillige dabei geholfen, damit über 5.000 Musiker spielen und tanzen, und viele Tausend mehr ihnen zuhören konnten. Überall in der Stadt sah man fleißige Helfer mit gelber Warnweste.

Und seit 1947 beherbergen Einheimische ihre musikalischen Gäste aus aller Welt bei sich zuhause. Dieser Gemeinschaftsgeist, der in Europa ähnlich in Gemeinde- und Städtepartnerschaften gepflegt wird, zeigte sich wegweisend im Jahre 1949, als die Waliser den ersten Chor aus Deutschland empfingen.

Als Llangollen den Wettbewerb direkt nach dem zweiten Weltkrieg als friedensstiftendes Projekt ersann, hatte man schnell Musiker aus Italien und Österreich dabei, mithin Menschen aus Ländern der kürzlich noch so verfeindeten Achsenmächte. Aber wie würde es sein, nun Deutsche singen zu lassen? Diese eigentliche Nagelprobe gehört zum Gründungsmythos des Llangollen Eisteddfods.

Im Festivaljahr von 1949 fragte sich Moderator Hywel Roberts, wie er wohl am besten den deutschen Chor vorstellen solle, denn er erinnerte sich daran, dass sein Bruder vier Jahre zuvor am letzten Tag des Zweiten Weltkriegs auf deutschem Boden getötet worden war. Sein Aufruf an das Publikum, „unsere Freunde aus Westdeutschland willkommen zu heißen“, löste minutenlangen Jubel und Tränen aus und verzögerte den Ablauf des gemischten Chorwettbewerbs um viele Minuten. 

Die Musik alleine macht keinen Frieden. Man studiere hierzu die Militärmarsche aller Länder. Die Ambition der Musiker ist entscheidend. Lange galt zum Beispiel im deutschen Sprachraum der Spruch „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“. Bis böse Menschen in Deutschland begannen, ein Lied für ihre Propagandazwecke zu missbrauchen.

Ein Motiv kann eine positive Kraft entfalten, wenn die Ambition stimmt. Das Motto vom Llangollen Eisteddfod schreibt sich auf walisisch: „Byd gwyn fydd byd a gano; gwaraidd fydd ei gerddi fo“. Zu Deutsch: „Gesegnet ist eine Welt, die singt; sanft sind ihre Lieder.“ Man darf annehmen, dass dies zumindest in Llangollen so bleibt.

Mantovani ergänzt an diesem Abend etwas Wichtiges: „Diesen Wettbewerb zu gewinnen, verändert die Mentalität.“ Zumindest war es bei Pavarotti so. Und wohl bei vielen anderen Musikern, die hier bisher teilnahmen, ob sie nun Erster wurden oder gar auf den hinteren Plätzen landeten.

Mantovani erzählt weiter, ihr Ehemann habe von der Freundlichkeit der Gemeinde Llangollen geschwärmt. Mantovani benutzt das Wort „kindness“, was sich auch übersetzen lässt als Liebenswürdigkeit, Güte oder Gunst.

36 Meter großes Kreidebild von Luciano Pavarotti am Berghang von Llangollen zu Ehren des Maestros, seiner Bedeutung für Llangollen und in Gedenken seines 90. Geburtsjahres im Jahre 2025. Bildrechte: Llangollen Eisteddfod

Mantovani zitiert Pavarotti: „Sie öffneten ihre Türen für unbekannte Menschen, aber sie behandelten uns, als wären wir ihre Familie.“ Die Reise in die Hügel von Nord-Wales 1955 war Pavarottis erste Auslandsreise. 

Musik ist eine harmonische Verbindung zwischen den Menschen, sagt der Schauspieler Robin Williams im Musikfilm ‚Der Klang des Herzens‘ (engl. August Rush). Und der irische Musiker Bono meint, Musik könne die Welt verändern, weil sie Menschen verändern könne. Mit den Worten Pavarottis gesagt, ist das Gute an der Musik, dass man keinen Verstand braucht, um Musik zu hören.

Und so hat das Llangollen Eisteddfod trotz allem Wettbewerbscharakter über die Jahre Teilnehmer aus 140 Kulturkreisen aus aller Welt angezogen, ihnen eine Bühne für ihre eigene kulturelle Identität gegeben und sie obendrein darin bekräftigt, als nationale Vertreter ihre eigenen Flaggen zu schwenken. Wie die Festivalleitung schreibt, als Nation wie im Falle der UdSSR, Samoa oder der sibirischen Republik Tuwa. Oder als Region wie im Falle Sardiniens, des französischen Baskenlandes, der Inseln Hawai’i oder Man. Oder gar als „Bestrebung“ wie im Falle Kurdistans.

Für den Auftritt in Llangollen hatte der Lübecker Volkshochschulchor des Jahres 1949 übrigens seine Kostüme selbst gebastelt. Abzeichen in den Farben Schwarz, Rot und Gold der neuen Bundesrepublik dienten als Dekoration. Die von ihnen am Flaggenmittwoch gehisste Flagge in Schwarz-Rot-Gold war walisischen Historikern zufolge die wohl erste jemals in Wales gehisste neue deutsche Flagge.

Aber das Llangollen Eisteddfod schaut auch ins Inland. Hier heißt man ausdrücklich Gruppen von Einwanderern willkommen, die bereits in Wales und Großbritannien leben und dort ihre mitgebrachte Musikkultur pflegen. So nehmen hier ebenso Japaner und Inder teil, die in Großbritannien leben, wie Waliser, die in Trevelin im argentinischen Patagonien zu Hause sind. Das Llangollen Eisteddfod – ein Festival von Walisern, mit Walisern und für (Neu-) Waliser.

Der Festival-Samstag geht zu Ende. Der New Zealand Youth Choir hat den Gesamttitel gewonnen. Die Energie eines minutenlangen Haka-Kriegstanzes ergreift den riesigen Pavillon. Jegliches Rufen und Klatschen versiegt, aller Publikumsjubel verstummt. Der Kriegstanz ist doch hoffentlich friedlich gemeint.

Der New Zealand Youth Choir gewinnt die ‚Choir of the World Pavarotti Trophäe‘ beim Llangollen International Musical Eisteddfod 2025. Bildrechte Llangollen Eisteddfod

Die Inder gewinnen den Tanzwettbewerb und strömen ausgelassen mit Pauken und Fahnen auf die Bühne. Zum Abschied an alle wird im Pavillon der alte Freimaurersong ‚Auld Lang Syne‘ angestimmt. Das Lied, welches wie kaum ein Zweites den Geist der brüderlichen Liebe und das Band der Gemeinschaft beschwört.

Als schon fast alle Zuhörer den Zeltpavillon verlassen haben, schwingt die Tanzgruppe aus dem Punjab auf der Bühne immer noch ihre indische Flagge, werfen indische Kinder und Erwachsene im wild-exotischen Trommelrhythmus beide Hände schulterbreit in die Luft. Knockin‘ on Heavens’s Door.

Draußen vor dem Zelt steht David Squire, der Dirigent des Gewinnerchores aus Neuseeland. Er selbst hat auch einen Preis gewonnen, den Jayne Davies Conductor’s Prize als inspirierendster Dirigent aller Finalisten des finalen Festivalabends „Choir of the World“. Squire hält eine aufmunternde Dankesrede vor seinem Chorensemble, das im Halbkreis um ihn herumsteht.

Das Klopfen der Punjabis tönt bis draußen auf die Festwiese, hinein in die blaue Stunde der abendlichen Waliser Sommerluft, wie ein Uhrzeiger, der so lange schlägt, bis es in einem Jahr wieder heißt: Byd gwyn fydd byd a gano; gwaraidd fydd ei gerddi fo.

Der Nachda Punjab Youth Club feiert ausgelassen seinen Gewinn des Tanzwettbewerbs 2025 beim Llangollen International Musical Eisteddfod. Bildrechte: Llangollen Eisteddfod