Berlin | analogo.de – Die Bundeskanzlerin Angela Merkel nahe stehende BILD-Zeitung schreibt in ihrem Artikel vom 13. März 2017, die Verbalattacken und Drohungen der Türkei würden mit immer neuer Schärfe weitergehen. BILD fragt in der Überschrift: „Nutzen die Nazi-Sprüche Erdogan eigentlich?“ Die Strategie der Zeitung ist messerscharf, denn in ihrer Druckausgabe von heute hetzt BILD auf ihrer eigenen Titelseite im nicht mehr zu überbietenden Schriftformat (Zitat):
BILD sagt Erdogan die Wahrheit ins Gesicht
Sie sind kein Demokrat!
Sie schaden Ihrem Land!
Sie sind hier unerwünscht!
Sie sind hier unerwünscht? Darf die Bildzeitung so direkt und unjournalistisch einen Staatschef angreifen? Was bedeutet es, wenn der Axel Springer Verlag (Bildzeitung, Die WELT) heute drei Millionen Zeitungen verkauft, auf denen genau diese Schmähschrift gedruckt ist? Ein Vergleich: Vor fast genau einem Jahr schmähte der ZDF-Angestellte Jan Böhmermann denselben Staatschef.
Der Axel Springer Verlag gibt seinen Redakteuren vier wesentliche Grundprinzipien vor, der sie bei ihrer Berichterstattung zu folgen verpflichtet werden:
- Berichterstattung Pro Wiedervereinigung
- Berichterstattung Pro USA
- Berichterstattung Pro NATO
- Berichterstattung Pro Israel
Nun besitzt der Gesamtherausgeber der Bild-Gruppe, Kai Diekmann laut Böhmermanns Kollegen Max Uthoff und Claus von Wagner beste Kontakte zu Rüstungslobby-Organisationen entweder als Beirat, Mitglied oder gar Vorstand. Diekmann sei nicht nur verknüpft mit einem oder mehreren der folgenden Rüstungskonglomerate: Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), The Aspen Institute, American Council on Germany, American Institute for Contemporary German Studies der John Hopkins Universität, Deutsche Atlantische Gesellschaft, The American Academy in Berlin, The German Marshall Fund of the United States, Atlantik Brücke, Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Atlantische Initiative und die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sondern Diekmann sitzt sogar im Vorstand des Rüstungslobbyisten Atlantik Brücke.
Während Deutschland dieser Tage in Richtung 3. Weltkrieg aufrüstet, schmäht die größte deutsche Zeitung den Staatspräsidenten eines befreundeten Landes. Was sagt der Deutsche Journalistenverband dazu, dass Journalisten immer mehr ihre Meinung ausdrücken? Pressesprecher Hendrik Zörner sagte uns im persönlichen Telefonat der DJV unterstütze es, dass Journalisten in unruhigen Zeiten eine Haltung annehmen. Das hat die Bildzeitung zweifelsohne getan. Aber sie hat ihren Beitrag weder als Meinung tituliert noch in irgendeiner Weise journalistisch publiziert. Baldige Selbstregulierungsmechanismen wie eine Ermahnung des Presserates werden Axel Springer nicht jucken.
analogo.de meint: Gestern hieß es noch: BILD sprach zuerst mit dem Toten. Heute müsste es heißen: An vorderster Front hetzt BILD. Denn heute hat die Zeitung um Herrn Diekmann eine Front aufgebaut, die stärker wiegen könnte als der Wahlausgang in den Niederlanden. Erdogan dürfte sich noch durch die Verschwurbelungen der deutschen Gerichte brüskiert fühlen. Alle Gerichte im Fastnachtsland Rheinland-Pfalz hatten sich weggeduckt, als Erdogan den Bremer Jan Böhmermann wegen diesen hetzerischen aber satirischen Zeilen in seiner „Kulturshow“ anklagte:
Böhmermann: Meine Damen und Herren: Willkommen in Deutschlands Quatschsendung Nummer 1. Wir sind’s. Wir haben mit Satire nichts am Hut.
Kabelka: Überhaupt nicht.
Böhmermann: Was die Kollegen in Hamburg bei „Extra 3“ da gemacht haben – diese dicken Bretter – die können wir hier, sind wir nicht imstande zu bohren.
Kabelka: Schaffen wir nicht.
Böhmermann: Und ich sage: Hut ab. Große Nummer.
Kabelka: Das ist eine ganz andere Liga. Auch die „heute-show“, wie gut die ist!
Böhmermann: Die „heute-show“, die finde ich richtig gut. Wenn ich in der Vergangenheit gerüchteweise gehört habe, dass wir hier scharf auf den Sendeplatz sind von der „heute-show“, oder auf irgendwas, das Oli Welke gehört: Das würde ich niemals sagen, das stimmt nicht, auf gar keinen Fall. Oli … liebe Grüße. Riesenfan. Schau ich jede Woche, um mich inspirieren zu lassen.
Und Satire: „Extra 3“ hat in dieser Woche fast den dritten Weltkrieg ausgelöst – dafür erst mal einen großen Applaus! Ja! Mit einer Supernummer. Und das muss man vielleicht mal … Offensichtlich schaut man in der Türkei jede noch so kleine Satire- oder Quatschsendung. Also wahrscheinlich auch diese. Vielleicht, liebe Türken, wenn Sie das jetzt – (Sirenengeräusch) – wenn Sie das jetzt sehen: Vielleicht müssen wir ihnen da ganz kurz was erklären: Was die Kollegen von „Extra 3“ da gemacht haben, also inhaltlich humorvoll mit dem umgegangen sind, was Sie da quasi politisch unten tun, Herr Erdogan – das ist in Deutschland, in Europa gedeckt von der Kunstfreiheit, von der Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit…
Kabelka: Artikel 5.
Böhmermann: Was?
Kabelka: Artikel 5, Grundgesetz.
Böhmermann: Artikel 5 unseres Grundgesetzes, unserer tollen Verfassung: Das darf man hier. Da können Sie nicht einfach sagen, die Bundesregierung soll die Satire zurückziehen oder das muss irgendwie gelöscht werden aus dem Internet. In Deutschland ist so was erlaubt, und ich finde es ganz toll, wie in dieser Woche die Zivilgesellschaft aufgestanden ist – von Beatrix von Storch, die noch vor zwei Wochen, glaub‘ ich mich erschießen lassen wollte, glaube ich, wegen dieses komischen Songs, den wir gemacht haben. Und jetzt ist sie auf einmal ganz vorne dabei, wenn es um Pressefreiheit und Kunstfreiheit geht. Alle Leute waren auf einmal auf einer Linie: Das muss zugelassen werden. Je suis „Extra 3“.
Kabelka: Sehr gut.
Böhmermann: Herr Erdogan, es gibt Fälle, wo man auch in Deutschland – in Mitteleuropa – Sachen macht, die nicht erlaubt sind. Also: Es gibt Kunstfreiheit – das eine ist Satire und Kunst und Spaß – das ist erlaubt. Und es gibt das andere, wie heißt es?
Kabelka: Schmähkritik.
Böhmermann: Schmähkritik. Das ist ein juristischer Ausdruck, also: Was ist Schmähkritik?
Kabelka: Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so unten rum argumentierst. Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herabsetzt.
Böhmermann: Herabwürdigen. Und das ist in Deutschland auch nicht erlaubt?
Kabelka: Das ist Schmähkritik, ja.
Böhmermann: Haben Sie das verstanden, Herr Erdogan?
Kabelka: Das kann bestraft werden.
Böhmermann: Das kann bestraft werden? Und dann können auch Sachen gelöscht werden. Aber erst hinterher – nicht vorher?
Kabelka: Erst hinterher.
Böhmermann: Das ist vielleicht ein bisschen kompliziert. Vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel mal ganz kurz.
Kabelka: Ja, mach‘ doch mal.
Böhmermann: Ich hab ein Gedicht, das heißt „Schmähkritik“. Können wir vielleicht dazu eine türkisch angehauchte Version von einem Nena-Song haben? Und können wir vielleicht ganz kurz nur die türkische Flagge im Hintergrund bei mir? Sehr gut.
Also das Gedicht. Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen?
Kabelka: Darf man NICHT machen.
Böhmermann: Wenn das öffentlich aufgeführt wird … das wäre in Deutschland verboten.
Kabelka: Bin der Auffassung: Das nicht.
Böhmermann: Okay. Das Gedicht heißt „Schmähkritik“.
Sackdoof feige und verklemmt
ist Erdogan der Präsident
Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner
selbst ein Schweinefurz riecht schöner
Er ist der Mann der Mädchen schlägt
und dabei Gummimasken trägt
Am liebsten mag er Ziegen ficken
und Minderheiten unterdrücken
Böhmermann: Das wäre jetzt quasi ’ne Sache, die …
Kabelka: Nee!
Kurden treten, Christen hauen
und dabei Kinderpornos schauen.
Und selbst abends heißts statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.
Ja, Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.
Böhmermann: Wie gesagt, das ist ’ne Sache, da muss man …
Kabelka: Das darf man nicht machen.
Böhmermann: Das darf man nicht machen.
Kabelka: Nicht „Präsident“ sagen.
Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpelklöten.
Von Ankara bis Istanbul
weiß jeder, dieser Mann ist schwul,
pervers, verlaust und zoophil –
Recep Fritzl Priklopil.
Sein Kopf so leer wie seine Eier,
der Star auf jeder Gangbang-Feier.
Bis der Schwanz beim Pinkeln brennt,
das ist Recep Erdogan, der türkische Präsident.
Böhmermann: Und das dürfte man in Deutschland …
Kabelka: Unter aller Kajüte!
Publikum applaudiert
Böhmermann: Ganz kurz. Hei! Hei! Hei!
Kabelka (wütend): Nicht klatschen!
Böhmermann: Danke schön. Also, das ist jetzt ’ne Geschichte, was könnte da jetzt passieren?
Kabelka: Unter Umständen nimmt man uns aus der Mediathek! Das kann jetzt rausgeschnitten werden.
Böhmermann: Also, wenn die Türkei oder ihr Präsident da was dagegen hätte, müsste er sich erst mal ’nen Anwalt suchen.
Kabelka: Ja genau.
Böhmermann: Ich kann Ihnen sehr empfehlen unseren Scherzanwalt Dr. Christian Witz in Berlin. Ist ein ganz Toller.
Kabelka: Der berät auch den Berliner Bürgermeister.
Böhmermann: Der berät auch den Berliner Bürgermeister? Unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz?
Kabelka: Der macht einfach alles.
Böhmermann: Darf der das denn eigentlich?
Kabelka: Der macht Atze, Pocher und den Berliner Bürgermeister.
Böhmermann: Unser Scherzanwalt Dr. Christian Witz. Nehmen Sie sich ’nen Anwalt, sagen Sie erst mal, Sie haben da was im Fernsehen gesehen, was Ihnen nicht gefällt / Schmähkritik / und dann geht man erst mal vor ein Amtsgericht. Einstweilige Verfügung, Unterlassungserklärung. Dann wird wahrscheinlich die Sendung, die das gemacht hat oder der Sender wird dann sagen: Nö, das sehen wir anders, und dann geht man die Instanzen hoch, und irgendwann in drei, vier Jahren… Wichtig ist: Sie müssen dafür sorgen, dass es nicht im Internet landet. Ganz wichtig, dass die Ausschnitte nicht…
Kabelka: Aber das macht doch keiner!
Böhmermann: Das macht keiner, kann ich mir auch nicht vorstellen.
Kabelka: Man hat’s in der Mediathek – normalerweise.
Böhmermann: Warum soll man’s dann ins Netz stellen? Ist es jetzt klar?
Kabelka: Ich glaub schon.
Böhmermann: Ich finde es ganz wichtig. Ich fands auch echt schön als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, dass in dieser Woche so ein großer Konsens auf einmal herrschte – nach Monaten des Streites – die Leute gegeneinander, die Gesellschaft gespalten. Und in dieser Woche haben wir Deutschen endlich mal wieder mit einer Stimme gesprochen, wenn es gegen Despoten geht, die die Meinungsfreiheit auslegen, wie man nur Meinungsfreiheit auslegt wenn man Despot oder Diktator ist. Erdogan oder auch in Europa gibt es Victor Orban, Beata Szydlo von der PIS-Partei, die Ministerpräsidentin von unserem tollen Nachbarland Polen, Marine Le Pen vom Front National, Pim Fortuyn aus Holland, Strache von der FPÖ. Aus so autoritäre Nationalisten, Frauke Petry natürlich. Alles Leute, wo man sich gewünscht hat, es müssten mehr Leute aufstehen. Wladimir Putin, Donald Trump könnte der nächste amerikanische Präsident werden. Ich finde es ganz tool, dass wir diesen Menschen selbstbewusst entgegengetreten sind. Wer Rechte anderer einschränkt, dem gehören die Rechte eingeschränkt.
analogo.de meint weiter: Wenn sich Deutschlands Bundesminister darin überbieten die Gesetze gegen den kleinen Mann zu verschärfen, weil sich diese in Internetforen Luft machen, dann hätte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nun reichlich Gelegenheit wegen Hetze gegen die Bildzeitung vorzugehen. Da die Bundesregierung dies nicht tun wird, könnte es genau das sein, was Erdogan dazu bewogen hat bei der deutschen Regierung Nazi-Methoden anzuprangern.
Denn die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler wussten mit Propaganda umzugehen. Aufgrund der Reichweite der Bildzeitung und der Merkel-freundlichen Haltung der Zeitung spielt die Zeitung quasi die Rolle einer PR-Abteilung für Bundespolitik. BILD darf sagen, was sich Merkel nicht traut. Genau wie Böhmermann, der sich feige hinter Satire versteckte. Satire, also einer Kulturform in Deutschland, die den „authentischen Heuchlern“ im Land ebenso wie an Karneval die straffreie Meinungsäußerung gewährt. Die blau markierten Stellen im Text zeigen die Masche von B & B auf.
Das Landgericht Hamburg hatte zuletzt Böhmermann verboten diese Passagen weiter zu bemühen. Satire soll zwar alles dürfen, aber müssen wir alles machen, was wir können?